11. Warenabsatzprobleme und Produktivität

Nicht zwar vielleicht beim sozialistischen Staat selbst, wohl aber bei seinen Bürgern ist dabei ein wesentliches Motiv für das Liebäugeln mit der bürgerlichen Familie und deren tradierten Werten häuslicher Frauen und familiengebundener Kinder die durch alle Wandlungen der Arbeitswelt und ihres Zugriffs auf die Frauen unbeeindruckte und fast ungeschmälerte Fortsetzung, die das familiäre Institut in den ökonomisch avancierten, kapitalistischen Ländern erlebt. So gewiß die hochindustrialisierten kapitalistischen Länder durch ihren ökonomischen Erfolg bestechen und im Blick auf ihre konsumgesellschaftliche Entwicklung zum beneideten Vorbild werden, so gewiß erlangen sie auch in der damit Hand in Hand gehenden merkwürdigen Mischung aus Modernismus und Traditionalismus, die sie in soziokultureller und organisatorisch-institutioneller Hinsicht an den Tag legen, maßgebende Bedeutung. Und eine auf der Seite des Traditionalismus firmierende wesentliche Komponente in dieser Mixtur bildet, wie gesagt, die familiäre Einrichtung, die, aller Inanspruchnahme der Frauen durch das Arbeitsleben und aller Reklamation der Kinder durch ein immer stärker staatlich reglementiertes und organisiertes Erziehungswesen zum Trotz, die bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften unbeirrt kontinuieren. Daß sie diese Einrichtung kontinuieren, hat indes wenig mit Traditionalismus, mit soziokulturellem Beharrungsvermögen zu tun und hat vielmehr einen handfesten politisch-ökonomischen Grund: Die Familie wird als ideales Konsuminstitut gebraucht!

Wenn oben die Integration der Frauen in den gesellschaftlichen Arbeitszusammenhang als direkte Konsequenz der nicht zuletzt durch die Frauen selbst und ihre familiäre Kinderproduktion ermöglichten ebenso rasanten wie unaufhaltsamen Entfaltung kapitalistischer Produktionsverhältnisse beschrieben wurde, so bedarf diese Darstellung einer Modifikation oder Spezifizierung. Was die mit Hilfe der Frauen und ihrer gebärmaschinellen Überversorgung des Arbeitsmarktes mit Arbeitskräften beförderte Kapitalakkumulation zeitigt, ist zwar in der Tat die Verwandlung der bürgerlichen Gesellschaft in einen industriekapitalistischen Produktionsapparat, aber auch ein gravierendes strukturelles Problem. Basis der rasanten Entwicklung, die das Kapital in seiner manufakturellen und frühindustriellen Formationsphase nimmt, ist, wie schon ausgeführt, eine durch Niedriglöhne und extensive Ausbeutung der Arbeitskraft erzielte hohe Akkumulationsrate, ein ständiger, überdurchschnittlich großer Mehrwertanteil, der für neue Investitionen, für die Erschließung neuer kapitalistischer Produktionsprozesse zur Verfügung steht. Damit er hierfür zur Verfügung steht, muß er allerdings, da er ja unmittelbar in Gestalt von Mehrprodukt, gebrauchsgegenständlichen Waren, existiert, erst einmal an den Mann und die Frau gebracht und verkauft, in der ihm eigenen Form, als Geld, realisiert werden. Wertrealisierer sind die traditionellen feudalen und klerikalen Oberschichten und in zunehmendem Maße das als Kapitalklientel, als Staatsdiener und als Vertreter der freien Berufe in Erscheinung tretende Bürgertum.

So eifrig diese gesellschaftlichen Gruppen, die primären Nutznießer der kapitalistischen Entwicklung, ihrer Aufgabe aber auch nachkommen und als Konsumenten bestrebt sein mögen, den durch ausbeuterische Lohnabeit in gebrauchsgegenständlicher Gestalt geschaffenen hohen Mehrwertanteil in seiner Wertform, als Geld, zu realisieren und damit als neues Kapital verfügbar werden zu lassen – eben das, was sie durch ihre eifrige Mitwirkung befördern, die fortschreitende Expansion des Kapitals und seiner mehrwertträchtigen Produktionsprozesse, bringt sie schließlich, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, an die Grenze ihrer konsumtiven Leistungskraft. Es kommt zu einer Situation relativer Überproduktion, die ihren Grund nicht in einer effektiven Überversorgung der Gesamtbevölkerung, sondern in der strukturellen Ungleichverteilung der Ansprüche auf das gesellschaftliche Produkt hat, die Folge der zum Zwecke der raschen kapitalistischen Expansion forcierten Ausbeutung der Lohnarbeit ist. Den breiten, in ökonomischer Not und sozialem Elend lebenden Lohnarbeiterschichten des 19. Jahrhunderts wäre es ein Leichtes, dieses wachsende gesellschaftliche Produkt, mit dem die traditionellen bürgerlichen Konsumentenschichten nicht mehr fertig werden, zu konsumieren; aber eben das, was für das Wachstum der Produktion verantwortlich war, die dem Kapital eine hohe Akkumulationsrate garantierende überproportional hohe Ausbeutung und extrem niedrige Entlohnung der Produzentenschichten, hindert diese nun, an der Bewältigung des wachsenden gesellschaftlichen Produktes mitzuwirken, und führt zu jenem strukturbedingten Schein von Überproduktion.

Tatsächlich droht so, was bis dahin Antriebskraft der Entfaltung des kapitalistischen Systems war, jetzt zu einem die weitere Entwicklung konterkarierenden Hemmschuh zu werden. Die überproportional hohe Ausbeutung und schlechte Entlohnung der Lohnarbeit, die dem Kapital einen für seine rasche Akkumulation unabdingbaren hohen Mehrwertanteil in Gestalt von Mehrprodukt bescherte, droht jetzt in dem Maße, wie sie den Ausgebeuteten verwehrt, als Konsumenten an der Realisierung des im Mehrprodukt steckenden Mehrwerts mitzuwirken, zu einer fatalen Schranke für die weitere Akkumulation zu werden. Soll die kapitalistische Expansion weitergehen und nicht in der Sackgasse der relativen Überproduktion oder des strukturell bedingten Absatzproblems, in die sie sich verrannt hat, steckenbleiben, so muß das Kapital seine bisherige Strategie einer Maximierung des Mehrwerts revidieren. Es muß den Produzenten per Arbeitslohn einen hinlänglich großen Anteil an dem von ihnen geschaffenen Wert zukommen lassen, um ihnen die Mobilisierung ihrer gewaltigen konsumtiven Kapazitäten und die Beteiligung an dem Geschäft der von den traditionellen bürgerlichen Konsumentenschichten nicht mehr zu bewältigenden Realisierung des unmittelbar in die Gestalt von Gebrauchsgegenständlichkeit gebannten und aus dieser Gestalt nur durch Konsum zu erlösenden Mehrwerts zu ermöglichen.

Dafür, daß sich das Kapital mit einer verringerten Akkumulationsrate und einer entsprechend verlangsamten Wachstumsgeschwindigkeit zufriedengibt, gewinnt sein Wachstum neue Stetigkeit; es kann, weil bei jedem weiteren Expansionsschritt ein Großteil des neugeschaffenen Werts von den als Konsumenten rehabilitierten Produzenten realisiert und die Aufgabe einer Realisierung des verringerten Mehrwerts entsprechend leichter bewältigbar wird, guter Hoffnung sein, sich alle Überproduktions- und Absatzprobleme auf absehbare Zeit vom Halse geschafft zu haben. Unter dem Eindruck der Arbeits- und Klassenkämpfe, zu der ihre ökonomische Not und ihr soziales Elend die Produzentenklassen treibt, und mit Nachhilfe des Staates, der durch tarif-, sozial- und steuerpolitische Maßnahmen seinen Einfluß geltend macht, bequemt sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Kapital dazu, von seiner rücksichtslosen Ausbeutungsstrategie schrittweise Abstand zu nehmen und einem gewissen Maß an Umverteilung zuzustimmen. Die Folge ist eine allmähliche ökonomische Besserstellung breiter Bevölkerungsschichten, die diese als Konsumenten, als wertrealisierende Verzehrer ihres eigenen, kapitalistischer Lohnarbeit entspringenden gesellschaftlichen Produkts immer größere Bedeutung gewinnen läßt und die damit in der Tat den Grund für das weitere, zwar im Tempo zurückgenommene, dafür aber mit neuer Stetigkeit gesegnete Wirtschaftswachstum legt.

Und es ist nun diese durch die geringere Ausbeutung und bessere Entlohnung gesellschaftlicher Arbeitskraft ermöglichte weitere Expansion der kapitalistischen Ökonomie, in deren Konsequenz und Verlauf überhaupt erst jene allgemeine Mobilmachung der gesellschaftlichen Arbeit erfolgt, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts auch die Frauen erfaßt und in den gesellschaftlichen Arbeitsprozeß zu integrieren beginnt. Durch die dank besserer Entlohnung gestärkte konsumtive Nachfrage bei breiten Schichten der Bevölkerung erfährt, wenn auch um den Preis verminderter Renditenerwartungen und einer entsprechend verringerten Akkumulationsgeschwindigkeit, die kapitalistische Produktion eine Ausdehnung, die das Reservoir der als Arbeitskräfte verfügbaren Männer erschöpft und eine – über die traditionelle Lohnarbeit proletarischer Frauen und Mädchen hinausgehende – Rekrutierung immer größerer Kontingente weiblicher Arbeitskräfte auch aus den mittleren und höheren Ständen zwingend erforderlich werden läßt.

Allerdings wechseln diese Frauen in die Sphäre gesellschaftlicher Lohnarbeit nun unter den veränderten Konditionen, die mittlerweile für den Lohnarbeitsstatus ganz allgemein verbindlich geworden sind. Das heißt, sie sind nicht mehr, wie in den ersten Jahrhunderten kapitalistischer Ökonomie, ausgebeutete Produzentinnen von Waren, die in der Hauptsache von anderen konsumiert werden, sondern sie sind ebensosehr als Konsumentinnen wie als Produzentinnen gefragt. Angesichts der riesigen Warensammlung, die sie mit den Mitteln des industriekapitalistischen Produktionsapparats zu erzeugen helfen, fällt ihnen und ihren männlichen Arbeitskollegen, fällt dem wachsenden Heer der Lohnarbeitenden die für die Funktionsfähigkeit des Produktionsapparats entscheidende Aufgabe zu, einen – ihrer eigenen Zunahme entsprechend – immer größeren Teil des von ihnen in Warenform geschaffenen Wertes durch den höchstpersönlichen Kauf und Konsum der Waren zu realisieren und damit für das einzige, was den Produktionsapparat in Funktion erhält und mithin auch ihrer eigenen Mitwirkung in ihm Bestand verleiht, nämlich für weitere Wertbildungsprozesse, verfügbar werden zu lassen.

Und nicht nur, daß ihre Mitwirkung am Konsum der Güter genauso gefragt ist wie ihre Mitarbeit an deren Produktion. Durch ihre produktive Mitarbeit verleihen sie darüber hinaus dem Problem der konsumtiven Bewältigung der Güter immer größere Dringlichkeit, weil durch den wie immer auch verlangsamten kapitalen Akkumulationsprozeß, den sie mit ihrer Arbeit voranzutreiben helfen, die Masse der produzierten Güter immer mehr anschwillt und jener Teil der Güter, in dem der Mehrwert verkörpert ist und der deshalb nicht an die Produzenten als Lohn zurückfällt, nicht zwar relativ, gemessen an dem den Produzenten zufallenden Teil, wohl aber absolut, bezogen auf sich selbst, zunehmend größer wird und bald schon seinen Eigner, das Kapital, vor zunehmend größere Absatzprobleme stellt. Mögen schon die Produzenten und Produzentinnen dank ihrer wachsenden Zahl einen entsprechend wachsenden Teil ihres wachsenden Produkts konsumieren und so in eigener Person für dessen Wertrealisierung sorgen, sie können nicht verhindern, daß auch jener Teil des Produkts, in dem sich der Mehrwert verkörpert und den sie deshalb nicht zu konsumieren imstande sind, entsprechend wächst, so daß die Aufgabe, zwecks Realisierung des in ihm steckenden Wertes Abnehmer für ihn zu finden, immer beschwerlicher wird.

Eine Lösungsstrategie für dieses immer gravierendere Wertrealisierungsproblem, der sich das ausgehende 19. Jahrhundert mit allergrößtem Elan verschreibt, ist die imperialistische Expansion, die Erschließung oder vielmehr Eroberung neuer Märkte mit Mitteln militärischer Gewalt und politischer Unterdrückung. Insofern auf diesem Wege systemfremde, das heißt, außerhalb des kapitalistischen Arbeitsverwertungszusammenhanges stehende Konsumentengruppen, Bevölkerungen nichtindustrialisierter Länder und Regionen, für die Wertrealisierungsaufgabe rekrutiert werden, kann die Strategie den Eindruck einer Fortsetzung oder vielmehr Wiederaufnahme der für die ersten Jahrhunderte kapitalistischer Entwicklung charakteristischen Situation machen, in der die kapitalistische Produktionsweise und die mit ihr ins Leben tretende bürgerliche Gesellschaft noch als die fremdbestimmte Kreation und Kreatur nichtbürgerlicher, aristokratischer und klerikaler Gruppen, einer außer- beziehunsweise oberhalb der bürgerlichen Gesellschaft stehenden, absolutistisch verfaßten Konsumentenschicht erscheinen, die den Großteil des Produzierten kauft und so den Markt mit dem allgemeinen Äquivalent, dem Geld, versorgt, das in der Funktion von Kapital ihm die weitere Entfaltung seiner produktiven Aktivitäten ermöglicht – mit Geld, das der nichtbürgerlichen Konsumentenschicht aus systemfremden, nichtkapitalistischen Quellen, aus den Kolonien, aus der Grundrente, aus staatlichen Pfründen und Abgaben zufließt.

Der Imperialismus nimmt diese frühbürgerliche Wertrealisierungstrategie in systematisch beschränkter Form wieder auf und setzt sie mit unübersehbar anderen Mitteln fort. Während unter frühbürgerlichen Bedingungen die systemfremde, aristokratisch-klerikale Konsumentenschicht als der zentrale Adressat und hauptsächliche Nutznießer der kapitalistischen Produktion firmiert und ihre Funktion nicht etwa darin erschöpft, den Mehrwert zu realisieren, sondern praktisch die Aufgabe des Wertrealisierers vom Dienst und Geldlieferanten schlechthin erfüllt, sind im Imperialismus diese systemfremden Gruppen im Verhältnis zu den Konsumentenmassen, die das mittlerweile entfaltete kapitalistische System in Gestalt der von ihm in Lohn gesetzten Produzentenmassen ins Wertrealisierungstreffen führt, vergleichsweise klein und ausschließlich auf die konsumtive Realisierung des im Rahmen kapitalistischer Wertschöpfung geschaffenen Mehrwerts angesetzt – und nicht einmal des ganzen Mehrwerts, sondern nur jenes Teils, den die systemeigenen nichtproduktiven bürgerlichen Konsumentenschichten nicht mehr zu bewältigen vermögen. Und während das Kapital der frühbürgerlichen Zeit der systemfremden Konsumentenschicht alle Avancen macht und ihr als dienstfertiges Faktotum begegnet, das nichts weiter im Sinn zu haben scheint als die Versorgung und Befriedigung seines in buchstäblicher Bedeutung als König firmierenden herrschaftlichen Kunden, tritt das imperialistische Kapital den systemfremden Konsumentengruppen im kolonialen Umkreis des industriekapitalistischen Systems mit denkbarer Arroganz und Gewalttätigkeit gegenüber und sucht sie durch militärische Einschüchterung, ökonomischen Druck, politische Erpressung, kulturelle Bevormundung, durch Krieg, Handelsmonopole, sittenwidrige Verträge und kulturimperialistische Einflüsse, seinen Absatzinteressen gefügig zu machen.

Die eine wie die andere Differenz ist dabei Ausdruck ein und derselben grundlegenden Veränderung im systematischen Verhältnis von Kapital und systemfremdem Konsument: Während in frühbürgerlicher Zeit der systemfremde Konsument die historisch gegebene feudal-absolutistische Realität vertritt, der sich das Kapital anpassen und der es zu Diensten sein muß, um in ihr überhaupt Fuß fassen und sich in ihrem Schutz entwickeln zu können, hat sich zu Ende des 19. Jahrhunderts die herrschende Realität bereits in eine vom Kapital systematisch gesetzte Veranstaltung verwandelt, die kraft ihrer Totalisierungsdynamik und ihres imperialistischen Expansionsdranges alle in der Welt vorhandenen nichtkapitalistischen ethnischen Gruppen und traditionellen Gemeinwesen als systemfremde Konsumenten selbstherrlich definiert, in ihren Dienst preßt und notfalls mit Gewalt ihren Interessen und Strategemen anpaßt.

Daß die imperialistisch rekrutierten Gruppen für die Realisierung nicht des in der kapitalistischen Produktion steckenden Werts überhaupt gebraucht werden, sondern nur des aufs Mehrprodukt entfallenden Werts und sogar bloß jenes Teils des Mehrwerts, dessen Realisierung die Konsumkraft der mit der Mehrwertrealisierung betrauten bürgerlichen Schichten der kapitalistischen Gesellschaften selbst übersteigt, daß sie mit anderen Worten nur einen vergleichsweise geringen Teil des Gesamtwerts der kapitalistischen Produktion zu realisieren haben, mindert nicht die Bedeutung ihres ökonomischen Auftrags. Denn die Schaffung und nach Möglichkeit vollständige Realisierung von Mehrwert ist conditio sine qua non des dem Kapitalismus wesensgleichen Akkumulationsprinzips und des als dessen subjektives Pendant dem Kapitalisten eingefleischten Profitstrebens, und das längerfristige Versäumnis, dieser Grundbedingung angemessen Genüge zu leisten, stellt die Funktionsfähigkeit des ganzen Systems und mithin die an das System gekettete materiale Reproduktion der betreffenden Gesellschaften in Frage. So wichtig indes die vom Imperialismus den kolonialen Konsumentengruppen zugewiesene Aufgabe auch sein mag – ob sie imstande sind, diese Aufgabe auf Dauer zu erfüllen, steht auf einem anderen Blatt. Teils sind die Volkswirtschaften, denen die Konsumentengruppen angehören, von Haus aus arm und ist auch die Kaufkraft der Gruppen selbst entsprechend gering, teils trägt ein und derselbe Imperialismus, der die Gruppen für Wertrealisierungsaufgaben im Dienste der industriekapitalistischen Gesellschaften rekrutiert, durch Ausbeutungslizenzen beziehungsweise Handelsverträge, die kraß zum Nachteil der kolonialen Volkswirtschaften ausfallen, Sorge dafür, daß die natürlichen Reichtümer, die Rohstoffe und Naturerzeugnisse, über die diese verfügen, ihnen keinen Segen und schon gar keinen Wohlstand, sprich, keine neue Kaufkraft bringen können.

Mögen also auch die kolonialen Konsumentengruppen im Blick auf die Wertrealisierungsprobleme der in ihrer Produktion überbordenden industriekapitalistischen Systeme zeitweilig beziehungsweise punktuell eine wichtige Entlastungsrolle spielen, die Bewältigung des fortlaufend wachsenden Mehrprodukts, zu dessen Vergrößerung nicht zuletzt die billigen Rohstoffe aus den kolonialen Ländern beitragen, übersteigt bald schon hoffnungslos auch die ohnehin bescheidenen Kräfte dieser per Imperialismus rekrutierten Gruppen und zwingt das Kapital, im eigenen System nach neuen Absatzmöglichkeiten zu suchen. Woraus sonst aber sollen sich diese neuen systemimmanenten Absatzmöglichkeiten ergeben, wenn nicht aus der staatlich geförderten beziehungsweise erzwungenen Bereitschaft des Kapitals, in eine weitere Reduktion des Mehrwertanteils und Verringerung der Akkumulationsrate einzuwilligen und zu akzeptieren, daß ein noch größerer Teil der jeweils durch Lohnarbeit produzierten Wertmasse sei's per Lohnsteigerungen den Produzierenden selbst zugute kommt, sei's durch die Schaffung neuer, nicht in der Produktion engagierter Lohnarbeitsverhältnisse anderen gesellschaftlichen Gruppen zugewendet wird, und daß auf diese Weise die Konsumkraft der Produzierenden beziehungsweise der Kreis derer, die mit ihrem Lohn am Konsum teilhaben können, eine hinlängliche Stärkung oder Erweiterung erfährt, um die konsumtive Bewältigung des gesellschaftlichen Produkts, in dem die Wertmasse unmittelbar verkörpert ist, und damit die Realisierung der im Produkt steckenden Wertmasse selbst weiterhin zu gewährleisten.

In der Tat gewinnt nach und neben der ökonomischen Verbesserung der Lage der Produzierenden durch gesetzliche Mindestlöhne und tarifvertragliche Vereinbarungen die Schaffung neuer Arbeitsplätze in den nichtproduktiven Bereichen der Verwaltung sowie des Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesens als Mittel zur Verteilung von Mehrwert und damit zur Erzeugung einer dem immer umfangreicheren Mehrprodukt gewachsenen Massenkonsumkraft eine zunehmend zentrale Bedeutung. Weil in konsumtiver Hinsicht die Streuung von Löhnen und Dotierung breiter Bevölkerungsschichten mehr Effekt erzielt als die ausschließliche finanzielle Begünstigung einzelner Gruppen wie etwa der Gruppe der Produzierenden, weil die Schaffung neuer, nichtproduktiver Lohnarbeitsverhältnisse durch den Staat und deren Finanzierung durch eine in Form von Steuern und Abgaben praktizierte staatliche Wertabschöpfung beim Kapital leichter durchsetzbar ist als die dem Kapital direkt zugemutete Preisgabe von Mehrwert für rein konsumtive Zwecke und weil schließlich diese durch staatliche Intervention im Nachhinein ins Werk gesetzte konsumorientierte Umverteilung für das Kapital leichter erträglich ist, da sie ihm erlaubt, die Illusion eines im Grunde unveränderten Verwertungsprozesses und einer im Prinzip unveränderten Ausbeutungsproportion zu kultivieren – aus all diesen Gründen avanciert der Ausbau eines zu großen Teilen staatlichen, nichtproduktiven Lohnempfängersektors zum immer wichtigeren Vehikel, um mit dem Problem eines stetig wachsenden gesellschaftlichen Produkts fertig zu werden.

Hier stellen die Frauen das Hauptkontingent, teils weil sie, die zuletzt und jetzt erst ins Arbeitsleben Integrierten, am zahlreichsten dafür zur Verfügung stehen, teils weil die nichtproduktiven Arbeiten, die hier vergeben werden, die sozialen, hygienischen, pädagogischen Tätigkeiten, die mit dem Status von Lohnarbeiten etabliert werden, um Mehrwert zu verteilen und Konsumkraft zu schaffen, traditionell weibliche Aufgaben betreffen und auch schon zu Zeiten, da die Frauen noch eine asozial-familiäre Existenz führen, größtenteils Frauensache sind.

Praktisch von Anbeginn ihrer Integration ins gesellschaftliche Arbeitsleben fällt so den Frauen nicht nur wie auch bereits ihren männlichen Kollegen eine wesentliche, von ihrer produktiven Funktion untrennbare und für den Fortbestand des kapitalistischen Systems unabdingbare konsumtive Aufgabe zu. Sie spielen darüber hinaus auch weit stärker als ihre männlichen Kollegen eine Rolle beim vornehmlich von Staats wegen organisierten Bemühen, durch die Einrichtung von Lohnarbeitsverhältnissen, die bei aller sonstigen gesellschaftlichen Nützlichkeit, die sie haben mögen, jedenfalls nicht zur Wertschöpfung beitragen, des Problems des wachsenden Mehrprodukts, das seiner wertmäßigen Realisierung harrt, und sei's auch auf Kosten einer sinkenden Mehrwertrate, Herr zu werden. So engagiert und aufopferungsvoll die Frauen aber auch in der Konsumschlacht, die Ende des 19. Jahrhunderts anhebt und das ganze 20. Jahrundert hindurch tobt, ihren Mann stehen, und so eindrucksvoll das Heer auch ist, das die durch die Frauen entscheidend verstärkten industriegesellschaftlichen Konsumentenmassen im Verein mit den imperialistisch rekrutierten Käuferschichten ins Feld dieser Konsumschlacht führen, fast scheint es, als sei der Gegner, gegen den diese Heeresmassen aufgeboten werden, nämlich das kraft industriekapitalistischer Produktion wachsende Produkt, das es in seinem Wert zu realisieren gilt, unbezwinglich und weder durch die potlatchartigen Notmaßnahmen der indirekt durch die Produktion von Rüstungsgütern oder direkt durch die Zerstörung von zivilen Objekten die Warenmenge reduzierenden und Raum für neue Produktion schaffenden beiden Weltkriege kleinzukriegen, noch auch durch jene mobilisierten Konsumentenscharen unter Kontrolle zu bringen.

Was nämlich diesen furchtbarsten aller Gegner der industriekapitalistischen Produktion, das industriekapitalistische Produkt, vollends zur unüberwindlichen Hydra werden zu lassen droht, ist die Unfähigkeit des Kapitals, die ihm zwecks Erhöhung der Massenkaufkraft vom Staate abgetrotzte Senkung der Mehrwertrate als eine für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Produktionssystems notwendige Entwicklung zu akzeptieren, und sein Bemühen, dieser Notwendigkeit durch eine Strategie der Produktivkrafterhöhung mittels Technisierung der Fertigungsprozesse zu entrinnen. Für die ihm direkt, durch Lohnerhöhungen, und indirekt, durch staatliche Umverteilungsmaßnahmen, entrissenen Mehrwertanteile sucht sich das Kapital dadurch schadlos zu halten, daß es die Produktivität steigert und so die besser entlohnte Arbeitskraft dazu bringt, für ihre bessere Entlohnung auch mehr zu produzieren. Die Hoffnung des Kapitals, dies durch Technisierung erzielte Mehrprodukt als Mehrwert kurzerhand realisieren und auf diese Weise die tarif- und sozialpolitisch erlittene Einbuße an Mehrwert kompensieren zu können, erweist sich nun zwar als Illusion. Weil über den Wert von Produkten das relative Quantum durchschnittlicher gesellschaftlicher Arbeitszeit entscheidet, das für ihre Produktion aufgewendet werden muß, und weil sich eben diese durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit mit der Erhöhung der Produktivität verringert, sinkt relativ zu anderen Erzeugnissen, bei denen der Arbeitszeitaufwand gleichgeblieben ist, der Wert des betreffenden Produkts und erbringt mit anderen Worten das vermehrte Produkt den gleichen Mehrwert wie vor der Produktivkrafterhöhung. Was sich hingegen vergrößert, ist das Produktquantum selbst, das zwar die gleiche Wertsumme verkörpert wie vorher, aber eben so, daß sich diese Wertsumme auf ein größeres Produkt verteilt. Und diese Steigerung der Produktmenge ist kein einmaliger Vorgang, sondern findet auf dem jeweils erhöhten Niveau immer von neuem statt. Denn die durch Technisierung erhöhte Produktivkraft, solange sie Privileg des einzelnen Kapitalisten bleibt und die durch sie verkürzte Arbeitszeit noch nicht den Charakter eines Durchschnittswerts, einer gesellschaftlichen Norm, angenommen hat, verschafft diesem einzelnen Kapitalisten in der Tat Wettbewerbsvorteile und zwingt deshalb die anderen Kapitalisten, ihre Produktivität entsprechend oder womöglich noch stärker zu erhöhen. Auf diese Weise aber entbrennt ein endloser Konkurrenzkampf, dessen subjektiv erklärte Intention zwar die Erhöhung des Mehrwerts und eine auf Basis des erhöhten Mehrwerts verbesserte Marktposition ist, als dessen objektiv einziger Effekt sich indes eine fortlaufende Steigerung der Produktivität erweist, die ihren Niederschlag, wenn auch nicht in der intendierten Steigerung der geschaffenen Wertsumme, so doch in einer zuverlässigen Vergrößerung der die Wertsumme darstellenden Produktmenge findet.

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