VI. Noch ein Stückchen politische Ökonomie: Die Krise

Die Folgen dieser als fehlende Kauflust sich darstellenden mangelnden Kooperationsbereitschaft der Konsumenten für das politisch-ökonomische System selber können nicht anders als verheerend sein. Der als Selbstverwertung des Werts beschriebene Kreislauf der kapitalistischen Warenerzeugung gerät an einem entscheidenden Punkt, an jenem Punkt, an dem kraft Wertrealisierung die Waren in eine Form überführt werden sollen, in der sie ihre wahre Bestimmung erfüllen und nämlich als Mittel einer erweiterten Reproduktion von ihresgleichen fungieren können, ins Stocken. Der in Werterscheinungen bestehende Reichtum hört plötzlich auf, Reichtum, das heißt, ein Potential zur ebenso fortlaufend gesteigerten wie beständig wiederholten Aktualisierung seiner selbst, das heißt, Kapital, zu sein und verwandelt sich in einen Klotz am Bein der Warenbesitzer, eine Zentnerlast verdinglichter Arbeit um ihren Hals, eine lähmende nature morte unter ihrer Hand. Durch die Schuld ihrer eigenen Verfassung des qua Bedürfnis transzendenten Motivs oder exzentrischen Motors für die vom System ihr abverlangte marktspezifische Metamorphose beraubt, erstarrt die in zielloser Anhäufung quantitativ erdrückende Masse und in sinnloser Besonderung qualitativ überwältigende Vielfalt dieser vom System als Reichtum produzierten Werterscheinungen zu Stein und verwickelt so das System in eine fatale Stoffwechsel- oder, wenn man so will, Verdauungsstörung, eine tödliche Umsetzungs- oder, in der objektiv gebrauchsfeindlichen Sprache der Warenbesitzer geredet, Absatzkrise.

Dass die so aus der systemspezifischen Unvermitteltheit von Bedürfnisbefriedigungsrücksicht und Wertbildungsabsicht, aus einer Diskrepanz, die durch die Entwicklung des Systems selber zum offenen Widerspruch sich verschärft, resultierende Absatzkrise etwas wesentlich anderes ist als die traditionellen, das kapitalistische System in seinem Fortgang begleitenden und periodisch heimsuchenden Absatzkrisen, liegt auf der Hand. Diese Absatzkrisen traditionellen Zuschnitts sind ja im Wesentlichen die Folge einer inneren, strukturellen, quasi logischen Kontradiktion, in die seine eigene ausbeuterische Verfahrensweise, die für es charakteristische Expropriationsform, das System permanent verstrickt und die ihren Ausdruck in einem den Mehrwert und seine Realisierung betreffenden Grunddilemma findet. Ihrem ausbeuterischen Interesse an einem möglichst hohen Mehrwert folgend, halten die als Kapitalagenten firmierenden Warenbesitzer die als Lohn fungierende Wertkörper- oder Geldmenge, gegen die sie von den Produzenten deren Arbeitskraft eintauschen, nach Möglichkeit gering. Das heißt, sie streben eine möglichst hohe Differenz oder Nicht-Äquivalenz zwischen dem von ihnen erstatteten Wert der Arbeitskraft einerseits und dem Wert der durch die Arbeitskraft gelieferten Produkte andererseits an. Wollen sie nun aber den in den unmittelbaren Arbeitsprodukten nur erst latenten, nur erst warenmäßig erscheinenden mehrwertigen Wert, den sie auf diese Weise gewinnen, auf dem Markt mittels Wertrealisierung in Geld konvertieren, um ihn in der Funktion von Lohn wieder kapitalisieren, mithin die Rolle des sich selbst verwertenden Werts spielen lassen zu können, so sind sie primär und hauptsächlich auf eben das Geld angewiesen, das sie zuvor den Produzenten im Austausch gegen deren Arbeitskraft überlassen, das heißt, als Arbeitslohn gezahlt haben. Der logisch in der Tat unlösbare Widerspruch, der daraus resultiert, springt ins Auge. Genau den Wertkörper, den die Kapitalagenten zuvor um des Gewinns eines möglichst hohen Mehrwerts, um einer möglichst effektiven Ausbeutung willen den Konsumenten in ihrer Eigenschaft als Produzenten vorenthalten haben, fordern sie jetzt um der Realisierung des gewonnenen Mehrwerts willen den Produzenten in ihrer Eigenschaft als Konsumenten vergeblich ab. Exakt der Teil des Geldäquivalents für die geschaffene Warenmenge, um den die Kapitalagenten kraft Arbeitslohn die Produzenten betrogen haben, fehlt jetzt den Konsumenten für die von den Kapitalagenten gewünschte Realisierung des Werts der geschaffenen Warenmenge, für ihre Verwandlung eben in Geldäquivalent. Der Mehrwert ist prinzipiell nicht realisierbar, die Absatzkrise als Krise des nicht in Wertkörper umzusetzenden Mehrprodukts, des nicht in Geld zu konvertierenden Surplus an erscheinendem Wert, perfekt.

Dieser Widerspruch zwischen dem Interesse der Warenbesitzer an einerseits der Aneignung und andererseits der Realisierung des Mehrwerts ist, wie gesagt, dem System immanent, quasi logisch und insofern theoretisch total. Aber wie alle bloß logischen Widersprüche theoretisch-systematischer Totalität zeichnet er sich durch praktisch-empirische Lösbarkeit aus. Nicht, dass er praktisch-empirisch überhaupt keine Folgen hätte! Wie gravierend im Gegenteil die Folgen sind, lassen durch die Geschichte des Kapitalismus hindurch die diesem logisch-systematischen Widerspruch geschuldeten speziellen Absatz- und generellen Wirtschaftskrisen nur zu deutlich werden. Aber was empirisch das kapitalistische System bis jetzt davor bewahrt hat, an diesem immanenten Widerspruch nicht bloß permanent zu kranken, sondern auch definitiv zugrunde zu gehen, sind die dem System in Gestalt von fremden Märkten, ungenutzten Wertkörperreserven, Kaufkraft von außerhalb des Systems sich stets noch eröffnenden Expansionsmöglichkeiten, ist mithin die ihm bis dato immer noch offen stehende Möglichkeit, den im System produzierten Mehrwert von anderen als den im System Lohnabhängigen, das heißt, mit äußeren Quellen entstammendem, noch nicht in der Lohnfunktion dem System integriertem Geld realisieren zu lassen. Und was auch dann noch, wenn diese empirische Ausweichmöglichkeit einmal erschöpft sein sollte, das kapitalistische System praktisch davor bewahren wird oder jedenfalls kann, an diesem ihm eigenen, logischen Widerspruch zwischen Mehrwertschöpfungs- und Mehrwertrealisierungsinteresse zugrunde zu gehen, ist die in diesem Jahrhundert bereits weidlich erprobte Möglichkeit des New Deal, das heißt, die Möglichkeit, die qua Geld den Konsumenten fehlende Kaufkraft, das den Konsumenten qua Wertkörper fehlende Realisierungsmittel, ihnen via sozialstaatliche Intervention, das heißt, durch eine staatlich geplante Steuer- und Begünstigungspolitik, am Ende doch zukommen zu lassen. Während demnach die Produzenten im prinzipiell gleichen Lohnabhängigkeitsverhältnis wie bisher Mehrwert für die Kapitalagenten produzieren, übernimmt der Staat die dem privaten Konsuminteresse der Produzenten ebenso angenehme wie dem systematischen Expansionsinteresse der Kapitalagenten dienliche regulative Doppelfunktion, nicht nur für die Bereitstellung eines dem geschaffenen Mehrwert entsprechenden Geldäquivalents, sondern gleich auch dafür Sorge zu tragen, dass dieses Äquivalent in die nach Maßgabe ihrer uno actu privaten Konsumtions- und systematischen Wertrealisierungstätigkeit richtigen Hände gelangt. Auf diesem Weg des von Staats wegen veranstalteten New Deal scheint theoretisch, wenn auch vielleicht nicht in praxi, der paradoxe Zustand erreichbar, dass die produzierenden Konsumenten mit staatlicher Hilfe tatsächlich den in Geldform vollen Gegenwert für die von ihnen vergegenständlichte Arbeit erhalten, ohne dass deshalb am System privatkapitalistischer Ausbeutung als der politisch-ökonomisch herrschenden Form sich das Mindeste ändert, ohne dass also mit dieser staatlich induzierten, abstrakten Lohngerechtigkeit objektiv mehr bezweckt ist, als die lohnabhängigen Produzenten zur ordnungsgemäßen Erfüllung beziehungsweise. systemgerechten Wahrnehmung der ihnen als Konsumenten zugewiesenen ökonomischen Wertrealisierungsfunktion auf dem Markt zu befähigen.

Mit dem dergestalt empirisch-praktisch ebenso lösbaren wie logisch-theoretisch vernichtenden systemimmanenten Widerspruch zwischen dem Streben der Kapitalagenten nach der Aneignung des Mehrwerts und ihrem Interesse an seiner Realisierung hat also die obige Absatzkrise nichts zu tun, was nicht heißen soll, dass die beiden verschiedenen Krisenformen nicht nebeneinander bestehen und sich wechselseitig verstärken können. Anders als bei den Absatzkrisen traditionellen Zuschnitts ist bei der obigen Krise der zugrunde liegende Widerspruch nicht der systemimmanente zwischen Wertaneignung und Wertrealisierung, sondern der das System transzendierende oder besser transzendental begrenzende zwischen Wertrealisierung und Bedürfnisbefriedigung. Die Absatzkrise neuerer Fasson hat ihre zureichende Bedingung in dem generellen Faktum, dass das politisch-ökonomische System des sich kapitalistisch selbstverwertenden Werts auf einem historisch-natürlichen Zusammenhang der der menschlichen Bedürfnisbefriedigung dienenden gesellschaftlichen Arbeit und Reproduktionstätigkeit aufbaut, den es nach Maßgabe seines Wertbildungsinteresses und im Kriterium seiner Verwertungslogik, wie man will, umfunktioniert beziehungsweise. überdeterminiert. Und ihre wirkende Ursache findet diese Absatzkrise neuerer Fasson in dem speziellen Umstand, dass in Verfolgung seines Wertbildungsinteresses und in der Konsequenz seiner Verwertungslogik das kapitalistische System nolens volens dahin gelangt, seine umfunktionierte Naturbasis, sein überdeterminiertes Realfundament, in der oben genannten Weise einer ineins quantitativen Hypertrophierung und qualitativen Zerrüttung eigenhändig aus den Angeln zu heben und zugrunde zu richten. Indem im Dienste seines spezifischen Interesses und im Zuge seiner inneren Logik das kapitalistische System die Produktion von Werterscheinungen in der Gestalt von Bedürfnisbefriedigungsmitteln fortlaufend vergrößert und steigert, unablässig erhöht und eskaliert, provoziert es am Ende einen Zustand der Überproduktion, der, im Gegensatz zu der irreführend-ideologisch mit diesem Namen bezeichneten, systembedingt wiederkehrenden Unterversorgungssituation, die den traditionellen Absatzkrisen zugrunde liegt, den Namen in der Tat verdient. Wie dieser Zustand einer systematisch erzeugten Überproduktion zum einen das ihm nicht gewachsene, von ihm hoffnungslos überforderte menschliche Bedürfnis in den Konkurs treibt und nämlich sei's quantitativ traumatisiert und lähmt, sei's qualitativ enerviert und zerrüttet, so beraubt er zum anderen die auf eben dies menschliche Bedürfnis berechneten und gemünzten Produkte ihres Charakters als Befriedigungsmittel und führt sie ad absurdum eines aller Gebrauchsgegenständlichkeit baren, sinn- und grundlos reinen Werterscheinungsdaseins. Eine vom Bedürfniszusammenhang quantitativ nicht mehr zu verkraftende Masse und qualitativ nicht mehr zu integrierende Vielfalt von Werterscheinungen fabrizierend und ausstoßend, verflüchtigt und vernichtet das kapitalistische System systematisch deren Gebrauchsgegenständlichkeit und zieht damit sich selber den Boden unter den Füßen weg: jenen historisch-natürlichen Boden einer der Bedürfnisbefriedigung dienenden gesellschaftlichen Reproduktion, auf dem als auf einem sei's von ihm umfunktionierten, sei's durch es überdeterminierten Realfundament es nolens volens selber steht und aufbaut. Jener Boden, der das katalytische Ferment ist, auf Basis dessen und durch das als heteronome Bestimmung hindurch die zum Wert vergegenständlichte Arbeit immer aufs neue ihren als Identifizierungsverfahren quasichemisch-proteischen Transformationsprozess durchläuft, verwandelt sich in dem Maß, wie eine allzu rücksichtslose Wertbildung oder vielmehr allzu konsequente Verwertung ihm seinen fermentösen Charakter und seine scheidekünstlichen Qualitäten verschlägt, in ein kataleptisches Monument, unter dessen Gewicht und in dessen bestimmungsloser Heteronomie die vergegenständlichte Arbeit die quasiphysisch-stygische Gestalt des ebenso materiell versteinerten wie formell verkörperten und ebenso funktionell irrealisierten und verschwindenden wie existentiell verdinglichten und bleibenden Werts anzunehmen tendiert. Jene heteronome Naturbasis verwandelt sich in dem Maß, wie ihr das System ihr eigentümliches Bestimmungsmoment, ihren Nomos, eben ihren Charakter als Bedürfnisbefriedigungsmittel, austreibt, ins schiere Heteros, in die naturhaft reine Verschiedenheit, die auch und nicht zuletzt die an sie sich haltenden, in sie eingelassenen Bestimmungen des Systems selbst erstarren macht, zugrunde richtet und zu Grabe trägt. Und anders als die Absatzkrisen traditionellen Zuschnitts ist diese neuartige Absatzkrise nicht mehr Ausdruck der katastrophalen Verwüstung, die das System der kapitalistischen Verwertung in dem von ihm ausgebeuteten Organismus der gesellschaftlichen Reproduktion anrichtet, sondern Symptom der fatalen Verwirrung, die der vom System der kapitalistischen Verwertung zu Tode gehetzte und seiner Lebenskraft beraubte Organismus der gesellschaftlichen Reproduktion rückwirkend im System selber stiftet, nicht mehr Ausdruck des von seiner fundamentalen Widersprüchlichkeit her dem System blühenden Unheils und Verderbens, sondern Symptom des von seinem zugrunde gerichteten Realfundament her dem System drohenden Zusammenbruchs und Untergangs

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