I. Vermarktung der Sprache und Versprachlichung des Markts

Kommunikationstheorie ist Theorie der vermarkteten Sprache. Kommunikation ist marktmäßig betriebenes Sprechen. Ihre Ware ist das Symbol. So, wie der Markt eine gigantische Ansammlung von Werterscheinungen, eine einzige große Warenhandlung, ist Kommunikation eine riesige Ansammlung von Symbolfunktionen, eine einzige große symbolische Aktion. Dieser Vergleich darf nicht als eine nur strukturelle Parallelisierung oder bloß formelle Analogiebildung missverstanden werden. Er beansprucht vielmehr das ganze Gewicht einer funktionellen Gleichsetzung und reellen Identifizierung. Wenn der Hermeneut Habermas seinen Kommunikationsbegriff aufs Engste mit einer von ihm dem Bereich gesellschaftlicher Arbeit gegenübergestellten, wo nicht entgegengesetzten Sphäre sozialer "Interaktion" verknüpft, so ist in dem Maß, wie dieser Interaktionszusammenhang zugleich als eine Neufassung und Fortschreibung der traditionellerweise dem Arbeitsbereich gegenübergestellten Marktsphäre, der Sphäre der die forensische Öffentlichkeit konstituierenden Zirkulation gelten kann, jener Kommunikationsbegriff ineins ein Zirkulationsbegriff. Und wenn der strukturale Anthropologe Levi-Strauss sein Kommunikationsmodell explizit mit dem Anspruch einer allgemeinen Theorie des gesellschaftlichen Tauschs entwickelt, so wird vollends der am Warentausch und an der marktmäßigen Zirkulation orientierte, gesellschaftspraktisch bestimmte Charakter deutlich, den die in eine universale Kommunikation überführte traditionelle Sprache annimmt.

Nicht, dass als Kommunikation die Sprache aufhörte, Sprache zu sein, kurzerhand die Identität wechselte, einen einfach anderen Sinn bekäme. Vielmehr ist, was die Kommunikation vollbringt, eine Erweiterung und zugleich Neufunktionierung partout nur der Sprache selbst – eine Uminterpretation der letzteren, die sie gleichermaßen in die paradigmatische Parsprototo und ins generische Passepartout eines als ursprünglich synthetischer Akt alle gesellschaftlichen Ebenen durchherrschenden und in allen sozialen Bereichen wirksamen, fundamentalen Systemmechanismus und konstitutiven Marktprinzips umzumünzen beansprucht. Quantitativ stellt sich diese Uminterpretation des Sprachbegriffs als eine Umfangserweiterung dar: als Auflösung der singulär einen, an die Artikulationen der menschlichen Stimme gebundenen Sprache in den Pluralismus unendlich vieler, an schlechterdings jedem Objektzusammenhang, an Kleidern und Nahrungsmitteln genauso gut wie an mythischen Motiven und Verwandtschaftsbeziehungen festzumachenden Sprachen. Ihren qualitativen Ausdruck findet diese Uminterpretation des Sprachbegriffs in der Einführung der Symbolkategorie. In der Tat ist conditio sine qua non der Überführung von Sprache in Kommunikation die Ersetzung dort des traditionellerweise aus sachlichen Ausdrücken bestehenden spezialisierten Sprachinhalts durch hier das Novum einer aus symbolischen Objekten zusammengesetzten generalisierten Materie des Sprechens beziehungsweise die Herabsetzung des ersteren zum Grenz- und Sonderfall der letzteren. Allererst auf der Grundlage dieser Transformation beziehungsweise Integration dort des gegebenen Bestands an sachlichen Ausdrücken in hier ein angenommenes Universum von dinglichen Symbolen ist jene – die Ablösung der Sprache durch Kommunikation markierende – Veränderung des Sprachbegriffs denkbar, in deren Ergebnis Sprache den Charakter eines mit Kennworten arbeitenden subjektrelativen Verständigungsmittels und speziellen Mitteilungsinstruments einbüßt und stattdessen die Struktur eines quasi mit Sachwerten operierenden objektreflexiven Vergleichsmechanismus und universellen Austauschmediums hervorkehrt. Erst auf Grund dieser Überführung und Eingliederung des qualitativ beschränkten Aggregats sachlicher Artikulationen in ein als Gattungstopos wohlverstandenes, quantitativ unerschöpfliches Arsenal sächlicher Artikel kann es überhaupt zu jener – für alle Kommunikation charakteristischen – Revision des Sprachverhältnisses kommen, dank deren die existentiell-bedürfnisbezogene Mitteilungsfunktion verständigungsdienlicher Zeichen sich in die differentiell-systembedingten Funktionsausdrücke miteinander kommunizierender Werte auflöst. Und also erst unter der Bedingung dieser im kommunikativen Symbolbegriff vollzogenen Konversion sachlicher Bedeutungsträger in sächliche Funktionsausdrücke oder sinnvoller Zeichen in sinnreiche Elemente wird, kurz gesagt, jene Umsetzung von Sprache in Kommunikation möglich, die in der Substitution eines der Vermittlung subjektiver Interessen dienlichen Apparats zur Repräsentation äußerer Sach- und Sinnbeziehungen durch ein nichts als der Stiftung eines objektiven Zusammenhangs gewidmetes System der Zirkulation innerer Form- und Verhältnisbestimmungen besteht und die in der Tat den Eindruck einer regelrechten Vermarktung der Sprache erweckt. Vermarktung der Sprache, wohlgemerkt, nicht in dem empirisch-objektivierenden, "kulturindustriellen" Sinn einer Auslieferung der Sprache an die Zirkulation, das heißt, einer Verwandlung der Mannigfaltigkeit sprachlicher Produktionen in dem Marktmechanismus unterworfene Waren, sondern vielmehr in dem systematisch-strukturierenden, konstitutionstechnischen Verstand eines Eindringens der Zirkulation in die Sprache als solche, das heißt, einer Reproduktion des Marktmechanismus durch die sprachlichen Produktionen selbst.

Für sich genommen, könnte die so struktur- oder konstitutionstheoretisch verstandene Vermarktung der Sprache noch relativ unproblematisch als das Ergebnis der Anpassung eines speziellen gesellschaftlichen Darstellungsmodus an die gesellschaftlich dominierende Darstellungsform, mithin als das Resultat einer die Art generisch identifizierenden, quasilogischen Operation angesehen werden. Ihre besondere Bedeutung und historische Pointe erhält sie erst dadurch, dass ihr auf der Seite der Zirkulation selbst eine Entwicklung vorhergeht und korrespondiert, die sich wie ihr perfektes Gegenstück ausnimmt und voll und ganz das als einfache Umkehrung naheliegende Schlagwort von einer Versprachlichung des Markts zu rechtfertigen scheint. Teils noch ehe, teils während hier sich die Sprache vermarktet und nämlich die mit sachlichen Bedeutungsträgern prozedierende relatorisch-intentionale communicatio idiomatum sich in eine mit sächlichen Wertausdrücken operierende systematisch-differentielle communio bonorum auflöst, versprachlicht sich dort der Markt und nimmt umgekehrt die mit Trägern von Tauschwert oder Waren betriebene communio bonorum der Zirkulation die Züge einer mit Bedürfnisverlautbarungen oder Sinnausdrücken bestrittenen communicatio idiomatum an. Medium und Resultat der Vermarktung der Sprache ist die Kommunikation, Prinzip und Mittel der Versprachlichung des Markts ist die Reklame.

Reklame ist es, was die marktmäßigen Tauschobjekte oder Waren aus ihrem zirkulativen Kontext, ihren systemimmanenten Relationen herausspringen und eine ebenso systemtranszendente wie antizipatorische Beziehung zu den prospektiven Nutznießern ihrer Gebrauchseigenschaften, ihren künftigen Verbrauchern, aufnehmen lässt. Für ihre Waren Reklame machen die Warenbesitzer in dem Maß, wie sie auf dem Boden des marktmäßigen Procedere und im Rahmen ihrer zirkulativen Aktivitäten damit anfangen, den nützlichen Naturalleib, die Gebrauchseigenschaften, ihrer Tauschwertträger zur Schau zu stellen, um auf diese Weise eine antizipatorische Verbindung beziehungsweise einen provisorischen Kontakt zu dem außerhalb des zirkulativen Zusammenhangs stationierten schließlichen Adressaten der Waren, dem die Waren dort, wo sie ihre Existenz als Tauschwert beenden und den Markt verlassen, in Empfang nehmenden Verbraucher, dem so genannten Konsumenten, herzustellen. Ziel dieses durch Reklame hergestellten provisorischen Kontakts ist es, den Konsumenten – idiomatisch-kommunikationstheoretisch geredet – durch die Ware anzusprechen beziehungsweise – psychologisch-triebtheoretisch gewendet – das Interesse oder Bedürfnis des Konsumenten an oder nach der Ware zu erregen beziehungsweise beim Konsumenten – tautologisch-verhaltenstheoretisch gesagt – eine Nachfrage nach der Ware zu erzeugen. Kein Zweifel, dass diese im Vorgriff auf den Verbraucher gemünzte werbende Rolle, die im zirkulativen Kontext die Ware mittels ihres Naturalleibs, ihres Seins als Gebrauchsding, übernimmt, die ihr in jenem zirkulativen Kontext an sich übertragene Funktion hinlänglich stört und alteriert, um die Rede von einer veritablen Zweckentfremdung sinnvoll erscheinen zu lassen. Im zirkulativen Zusammenhang ist die einzige Rolle, die das Gebrauchsding spielt, die eines Tauschwertträgers, ist die ausschließliche Funktion, die der Naturalleib der Ware hat, die einer materiellen Grundlage, eines Realfundaments für die mittels der Zirkulation angestrebte Realisierung des Werts der Ware. Nicht, dass das Dasein der Ware als Gebrauchsding nicht eine unabdingbar ontologische Voraussetzung für ihr Bestehen als Tauschwert wäre. Und nicht, dass das Dasein der Ware als brauchbares Ding nicht auch eine unerlässlich existentielle Bedingung für das, worum es der Zirkulation zu tun ist: für die als Wertrealisierung bestimmte Aktualisierung eben dieses in der Ware steckenden Tauschwerts bildete. Aber für den Marktmechanismus selbst, für den Prozess der die Wertrealisierung betreibenden Zirkulation als solchen bleibt der Gebrauchsdingcharakter der Ware wesentlich außer Betracht und hat keinerlei konstitutive Bedeutung. Für das Marktsystem, den auf die Manifestation des nur erst latenten Werts der Waren zielenden zirkulativen Zusammenhang bleiben die Gebrauchseigenschaften der Ware eine als indifferente Voraussetzung systemfremde conditio sine qua non, bleibt ihre bedürfnisbezogene Brauchbarkeit eine als äußerliche Bedingung zusammenhanglose causa sufficiens. Muss unter diesen Umständen der qua Reklame unternommene Versuch, jene indifferente Voraussetzung und äußerliche Bedingung der Warenzirkulation im zirkulativen Zusammenhang selbst zur Geltung zu bringen und nämlich den letzteren zum Schauplatz einer inszenatorischen Manifestation und zelebrierenden Darstellung gerade der Gebrauchseigenschaften der Ware, ihrer bedürfnisbezogenen Naturalleiblichkeit zu machen, nicht zwangsläufig als eine im Sinne des Systems gröbliche Verfehlung, als offenbarer Verstoß gegen die Spielregeln des Markts erscheinen? Wie könnte ein solcher Versuch verfehlen, den Eindruck einer veritablen Verfälschung und Umfunktionierung der in der Zirkulation dem Warenleib zugedachten bescheidenen Rolle zu erwecken, mithin aber den Verdacht einer das Objekt der Zirkulation überhaupt, die Ware als Ware, ereilenden regelrechten Umorientierung und Zweckentfremdung zu erregen?

Indes ist, was unter zirkulationssystematischen Rücksichten den Verdacht der Zweckentfremdung erregen muss, nun auch eben das, was in sprachtheoretischer Hinsicht die Suggestion einer positiv anderen Zweckmäßigkeit erzeugt. Eben der durch Reklame der Ware abgeforderte markttranszendente Bezug, der mit Rücksicht auf das zirkulationsimmanente Ziel der Wertrealisierung eine zweckwidrige Verwendung des zum Wertträger auserkorenen Warenleibs anzeigt, stellt sich sub specie einer mit der Ware verfolgten sprachlichen Absicht als ein höchst zweckdienliches Verhältnis dar. Und dies nicht etwa nur in dem übertragenen Sinn, der uns davon reden lässt, dass die durch Reklame zu ihrem außerhalb des Zirkulationssystems befindlichen schließlichen Adressaten sei's antizipatorisch, sei's provisorisch in Beziehung gesetzte Ware den letzteren ebenso sehr selber "anspricht", wie zu einer als "Nachfrage" apostrophierten Gegenrede veranlasst, sondern in der ganz und gar unmetaphorisch strikten Bedeutung, dass das für die Ware Reklamemachen als solches gleichermaßen seiner Funktion und seiner Zielsetzung nach die für die Herstellung eines regulären Sprachverhältnisses konstitutiven Bedingungen zu erfüllen scheint. Versuchen wir, diese Grundbedingungen eines sprachlichen Verhältnisses uns in aller Kürze deutlich zu machen, von der Zielsetzung und Funktion des Sprechens einen wie immer skizzenhaften Begriff zu gewinnen

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