VII.

So jedenfalls hofft noch Schiller. Bei Schopenhauer hingegen ist diese Emphase einer vermeintlich alternativen politischen Perspektive oder prospektiven gesellschaftsreformerischen Strategie bereits unwiderruflich ad acta gelegt. Zwar schwört auch er noch genauso wie Schiller auf den Sinn und Nutzen einer in Distanzierung und Abgrenzung von der politisch-ökonomischen Praxis der eigenen Klasse auszubildenden und zu kultivierenden ästhetisch-kontemplativen Lebensform. Zwar eignet auch bei ihm dieser ästhetischen Lebensform insofern noch paradigmatische Qualität, als sie jedem, der sie kultiviert, einen gangbaren Weg heraus aus dem Willensegoismus und dem Machtstreben des Klassencorpus eröffnet. Aber davon, dass diese Lebensform den in der Klasse verkörperten Egoismus mäßigen, bessern und am Ende gar veredeln und in einen zur Toleranz und Humanität ausgebildeten Individualismus Schillerscher Prägung überführen könnte – von dieser Möglichkeit will Schopenhauer partout nichts mehr wissen. Für ihn ist jedes humanitäre Meliorisationsprojekt, jedes mit welchen ästhetischen, pädagogischen oder moralischen Mitteln auch immer angestrebte Sublimierungsprogramm kraft Natur des Menschen, will heißen, per definitionem der in die Körperwelt zersplitterten und dort mit sich selber im unentscheidbaren Streite liegenden Ursprungsmacht des egoistischen Willens zum Scheitern verurteilt. Was der in der Schopenhauerschen Konstruktion zur Geistfunktion hypostasierte bürgerliche Intellektuelle, wenn er zu dem im Leib gestaltgewordenen egoistischen Willen, dem Klassensubjekt, auf Distanz geht und ihm den Dienst und die Gefolgschaft aufkündigt – was er da höchstens erreichen kann, ist die Suspendierung der ihn ansonsten beherrschenden und bestimmenden Zweckrationalität jenes Klassensubjekts und die darin beschlossene Gelegenheit, die Dinge so, wie sie unmittelbar sind, die Phänomene so, wie sie als ein Zweck an sich selbst erscheinen, ins Auge zu fassen. Aber in dieser ihrer Unmittelbarkeit wahrgenommen, erweisen sich die Dinge selber als nichts weiter denn als raumzeitlich diversifizierte Verkörperungen des einen Willens, sind die Erscheinungen als solche nichts anderes als phänomenal spezifizierte Darstellungsformen der einen wesentlichen Ursprungsmacht, und insofern kann der bürgerliche Intellektuelle, wenn er zum eigenen Willen, dem Klassensubjekt, auf Distanz geht und die Welt mit ästhetischer Detachiertheit, ohne Eigensucht, interesselos in Augenschein nimmt, an ihr tatsächlich nichts weiter in Erfahrung bringen als nur die Allgegenwart und Unentrinnbarkeit dessen, wovon er sich selbst distanziert hat: die Ubiquität der Willensmacht. Wie sollte wohl aus dieser Erfahrung eine soziale Meliorisationsperspektive, ein Programm zur Erbauung des moralischen Menschen und Beförderung der Humanität hervorgehen können?

Zwar, ganz nur ernüchternd und ausschließlich desillusionierend ist diese ästhetisch gewonnene Einsicht in die willenshafte Grundbeschaffenheit der Welt auch in Schopenhauers Augen nicht. Auch für den Intellektuellen Schopenhauerschen Zuschnitts behält die willensenthobene Interesselosigkeit, mit der er die Welt betrachtet und die ihm über deren Willensgrund und vielmehr –abgrund die Augen öffnet, ein nicht auf bloße Ernüchterung reduzierbares Moment von Wohlgefallen. Dessen Ursache ist wohl die Art und Weise, wie der Wille als die Substanz der Dinge dem interesselosen Betrachter per medium der letzteren erscheint, wie er als nicht mehr bloß in absoluter Selbstentfremdung in den Dingen verkörperter, sondern zu relativer Selbsterkenntnis in ihnen erscheinender so viel phänomenale Bestimmtheit oder charakterologische Konkretheit von ihnen annimmt, dass aus der zwischen abstrakter Selbigkeit und ebenso abstrakter Mannigfaltigkeit haltlos changierenden einen Macht das stehende Bild eines zur kosmologischen Totalität entfalteten Mächtekonzerts geworden scheint. Durch den interesselosen Blick des intellektuellen Betrachters gebannt in die Phänomenologie der materialen Verhältnisse, in deren Gewand er auftritt, verliert der eine Wille die abstoßend unvermittelte Physiognomie raumzeitlicher Zersplitterung und atomistischer Mannigfaltigkeit und organisiert sich zum schönen Schein einer Reihe von urweltlich charakteristischen Ausprägungen, einer Folge von platonischen Urformen, die ihn weniger in Konkurrenz als in Komplementarität erscheinen lassen, weniger in Gestalt einander blind-empirisch bekämpfender Wesen als in der Figur einander systematisch ergänzender Kräfte vor Augen stellen. Indem der Atomismus der in Raum und Zeit mit sich zerfallenen Willensmacht sich unter dem Blick des interesselosen Betrachters zum Pluralismus phänomenal miteinander korrespondierender Urformen organisiert und ermäßigt, erstarrt die ziellose Dynamik des im allgemeinen Widerstreit aufgelösten Willens zu einer sinnvoll konzertanten Topographie dieses Willens, die nach Maßgabe der mit ihr statthabenden Überführung der Willenserscheinungen aus einem ihrer empirischen Wirklichkeit nach anarchisch chaotischen Aggregat in einen qua ästhetische Erscheinung systematisch geordneten Kosmos das Wohlgefallen des Betrachters weckt. Aber dieses Wohlgefallen bleibt strikt an die Interesselosigkeit des Betrachters geknüpft, weil der schöne Schein eines eher in Korrespondenzverhältnissen angeschauten als in Konkurrenzbeziehungen erlebten Willens damit steht und fällt, dass die Willenserscheinungen dem Betrachter nicht als Objekte der eigenen Willensnatur, als ihn selber angehende Gegenstände, sondern rein als objektivierter Wille, als Ausdrucksformen eines ihm fremden Subjekts und begegnenden anderen erscheinen. In dem Augenblick, wo der bürgerliche Intellektuelle, der Betrachter, ein eigenes Interesse an den ästhetischen Willenserscheinungen fasst, wo er in irgendeiner Weise die Ebene reiner Kontemplation verlässt und praktisch wird, und sei's auch nur, um in den mit Wohlgefallen geschauten Willenserscheinungen sich dauerhaft einzurichten, sie zur Norm eines reformierten Lebens zu erheben und mit ihnen als den Repräsentanten einer besseren Welt alltäglichen Umgang zu pflegen – in dem Augenblick tritt er ihnen auch schon zu nahe und erfährt sie statt als spezifische Charaktere der zu spektraler Korrespondenz sich entfaltenden ursprünglich-systematischen Idee des Willens vielmehr als proteische Masken der in totaler Konkurrenz sich verlierenden ursprünglich-empirischen Willensmacht selbst, sieht hinter ihnen die hässliche Fratze des einen, ebenso monomanen wie mannigfaltigen und ebenso abstrakten wie vielfältigen Willens auftauchen, der diesen seinen Erscheinungen alle Bedeutung von frei im platonischen Äther sich entfaltenden Ausdrucksformen seines ideellen Wesens nimmt, um sie statt dessen als die hart im empirischen Raum sich stoßenden Tatwerkzeuge seines substanziell selbstzerstörerischen Treibens dingfest zu machen. Was den Willen erneut aktiv werden, den schönen Schein eines als nature morte oder spezifischer Charakter in die Erscheinungen gebannten phänomenlogischen Wesens durchbrechen und wieder die tödliche Physiognomie und das partikulare Gebaren einer mittels der Erscheinungen im Streite mit sich liegenden und um die Macht über sich selbst ringenden, verblendeten Substanz annehmen lässt, ist jener praktische Anspruch des bürgerlichen Intellektuellen, ist dies, dass er den schönen Schein mit einer Willensäußerung, nämlich mit der Absicht verbindet, ihn festzuschreiben und den in ihn gebannten, in seiner Ästhetik erscheinenden Willen als den Gegenstand und das Ambiente eines reformierten Lebens und novellierten Bestehens zu vereinnahmen. Indem der bürgerliche Intellektuelle die Erscheinungen als ästhetische, als Phänomenologie des zum idealen Charakter ausgebreiteten und stillgestellten Willens will und das heißt, in praxi festzuhalten sucht, fordert er den in den Erscheinungen verkörperten Willen als solchen heraus, fordert er ihn mit anderen Worten als Gegenwillen in die Schranken und sieht sich damit zurückversetzt und erneut verstrickt in die unentrinnbare Totalität des allgemeinen, in corpore der Erscheinungen um die Macht über die Erscheinungen ausgetragenen Konkurrenzkampfs der vielen, auf Kosten der anderen einzig sich selber wollenden und damit das Wollen aller anderen ebenso sehr reaffirmierenden wie negierenden Willen.

Dass der bürgerliche Intellektuelle nicht einmal die qua Ästhetik gewahrte Befreiung vom Willen wollen kann, ohne sofort wieder in den allgemeinen bürgerlichen Konkurrenzkampf zurückzufallen und nämlich als Leibeigener und Höriger des eigenen Willens auf die Stufe aller anderen in den Erscheinungen verkörperten Willen herabzusinken und sich als Repräsentant einer Regung des ersteren mit den konkurrierenden Regungen aller anderen auseinandersetzen zu müssen, macht diese Befreiung zu einem ephemeren, stets wieder von dem Willen, von dem sie emanzipiert, eingeholten und zurückgenommenen Ereignis. Sowenig der bürgerliche Intellektuelle als interesselos kontemplativer Ästhet irgend wollen und das heißt, den Regungen und Forderungen des als sein Leib ihm zugrundeliegenden beziehungsweise hinter ihm stehenden Klassensubjekts im mindesten stattgeben oder dienstbar sein darf, so sehr ist er dazu verurteilt, immer wieder dem Praxismonopol solcher Leiblichkeit oder Willensnatur zu erliegen und in den Bannkreis jener Leben bedeutenden Regungen und Forderungen zurückzustürzen. Einen praktischen Ausweg und praktikablen Fluchtweg aus der immer neuen Willensverfallenheit bildet deshalb nach Schopenhauer nur die asketische Selbstverleugnung, eine allgemeine Verweigerungs- und Enthaltungsstrategie, die sich nicht als aktive Widersetzlichkeit äußern darf – in Form etwa von Kasteiungen oder gar Selbstmord, die wegen ihres Aktivismus selber nur wieder Willensäußerungen, Reaffirmationen des Negierten wären –, sondern die in passivem Widerstand bestehen muss, darin, dass der als Geist figurierende bürgerliche Intellektuelle sich jeder Funktion und Tätigkeit, die ihn an das als leibhaftiger Wille firmierende Klassensubjekt bindet, versagt und entzieht. Nur dadurch, dass er sich selber als eine für den Willen verfügbare Funktion überhaupt disqualifiziert und per Dienstverweigerung außer Kraft setzt, kann der Intellektuelle sich letztinstanzlich den Handlungszwängen und egoistischen Ansprüchen des Klassencorpus entziehen: Die "Praxis", die ihm jenseits der kraft Wille zum Leben geübten, ebenso verbindlichen wie atomistischen Klassenpraxis bleibt, ist also die im Sinne eines absoluten Praxisverzichts durchgesetzte Selbstvernichtung.

Sehen wir aber einmal von dieser letzten Konsequenz Schopenhauers ab – einer Konsequenz, die wohl eher einer Mischung aus philosophischer Konsequenzzieherei und persönlichen Triebproblemen geschuldet ist, als dass sie eine irgend relevante gesellschaftliche Praxis reflektierte, kolportierte oder antizipierte – sehen wir also von dieser äußersten Schopenhauerschen Notlösung ab, so bleibt als Fazit, dass es zur Praxis der partikularisiert erscheinenden und egoistisch miteinander konkurrierenden vielen Willen, zur Praxis also der in corpore der Dinge miteinander im Streite liegenden Regungen der als der eine Ursprung in Raum und Zeit zersplitterten Willensmacht schlechterdings keine Alternative gibt beziehungsweise dass die einzige Alternative, die es zur allgemein verbindlichen Teilnahme an diesem Konkurrenzkampf gibt, nämlich die interesselos ästhetische Anschauung der Erscheinungen als reiner Ausdrucksformen des zu phänomenologischen Urgestalten entwickelten Willens, keinerlei praktische Bedeutung hat und haben darf. Beansprucht die ästhetische Anschauung diese praktische Bedeutung, möchte sie ihre Vorstellung von den Erscheinungen als distanzierenden Ausdrucks- und bannenden Objektivationsformen des Willens zur Basis eines veränderten Weltverhältnisses und reformierten Lebens machen, so fordert sie als die Willensbekundung, die sie damit ist, die in den Erscheinungen verkörperten anderen Willen wieder heraus und eröffnet den Konkurrenzkampf der Willen neu, den sie einen Augenblick lang mittels ästhetischer Bannkraft zur nature morte beschwichtigt oder zum Stilleben geschlichtet hat. In dem Maß, wie der bürgerliche Intellektuelle seine ästhetische Überwindung des bürgerlichen Kampfs aller gegen alle aus einer persönlichen Erfahrung und einem privaten Erleben zu einer öffentlichen Angelegenheit und verbindlichen Politik zu erheben sucht, stellt er sie in den Dienst seiner leibhaftigen Selbstbehauptung und lässt sie auf die Stufe eines im allgemeinen Konkurrenzkampf der Willen als Überlebensstrategie unter anderen firmierenden Egoismus herabsinken.

Damit aber ist die Schillersche Idee einer als gesellschaftliche Reformpraxis wirksamen Ästhetik ad absurdum geführt. Wenn der Verzicht auf den eigenen Willen als Bedingung der Möglichkeit eines ästhetischen Verhaltens auch und wesentlich den Verzicht auf die Erhebung dieses ästhetischen Verhaltens zur irgend praktischen Norm und allgemeinverbindlichen Bestimmung einbegreift, dann ist jeder Verbesserung der Menschheit oder Sublimierung der Willen durch solch ästhetisches Verhalten, wie sie noch Schiller intendiert, ein für allemal ein Riegel vorgeschoben. Ihrer Allgemeinverbindlichkeit oder moralischen Dimension beraubt, kann die Ästhetik zwar den bürgerlichen Intellektuellen zeitweilig vom Klassensubjekt, seinem verkörperten Willen, dispensieren, aber ihn von diesem Subjekt so zu emanzipieren, dass er die Eigenständigkeit einer subjektiven Instanz sui generis gewinnt, die mehr noch dem, wovon sie sich emanzipiert hat, als ein besseres Ich und kriterielles Vorbild gegenübertritt – das vermag sie nicht. In der Tat eignet bei Schopenhauer anders als bei Schiller der ästhetischen Anschauung keine moralische Qualität, keine normative Bedeutung, keinerlei Kraft des Sollens. Moralische Qualität steht und fällt mit der historischen Verbindlichkeit und praktischen Wirksamkeit des Prinzips, das solche Qualität in Anspruch nimmt, steht und fällt mit dessen Fähigkeit, die angesprochenen Subjekte ihrer empirischen Identität zu entreißen und gegen ihre eigene Schwerkraft und selbstische Natur auf den Dienst an ihm zu verpflichten. Solche moralische Qualität beansprucht das von den bürgerlichen Intellektuellen des 18. Jahrhunderts im Namen ihrer Klasse hochgehaltene Vernunftprinzip und der darin kodifizierte Begriff eines durch die natürlichen Individuen selbst und ihr gesellschaftliches Handeln statt durch ihre korporative Zugehörigkeit und ihr geschichtliches Herkommen sich konstituierenden Allgemeinen. Dies Allgemeine entlarvt sich wenig später als ein bloßes ideologisches Mittel zum politischen Zweck einer Verdrängung der Kraft des geschichtlichen Herkommens durch die Macht des wirtschaftlichen Herstellens und einer Ersetzung der durch Zugehörigkeit zum herrschaftlichen Organisationsapparat legitimierten Gewalt über Dienstleute durch die mittels Eigentum an gesellschaftlichen Produktionsmitteln verbürgte Verfügung über Arbeitskraft und wird nach erreichtem Zweck von der bürgerlichen Klasse prompt als Zielvorstellung fallengelassen. Aber moralische Qualität beansprucht auch noch das Prinzip des Schönen, das hiernach der bürgerliche Intellektuelle Schiller nicht zwar als aktuelles Gegenmittel gegen, wohl aber als langfristiges Heilmittel für die privative Praxis der eigenen Klasse geltend macht und durch dessen Kultivierung er dem Klassensubjekt soviel Sensibilität und Humanität anzuerziehen hofft, dass letzteres den reformierten Standpunkt eines vom Streben nach Macht über andere, vom rohen Konkurrenzdenken geheilten und nurmehr im Verein mit den anderen, als Mensch unter Menschen der Vervollkommnung seiner selbst als Sinneswesens, der ästhetischen Entfaltung seines leiblich-seelischen Wesens lebenden Individuums einzunehmen, kurz, sich zu der ihm vom Intellektuellen selbst richtungsweisend vorgeführten neuen ästhetischen Lebensform zu erheben vermag.

Auch also der neuen, im kontemplativen Bildungserlebnis gemeinsinnig schöner Seelen angesiedelten Idee des Ästhetischen, die Schiller unter dem Eindruck der das ständische Privileg durch das kapitale Eigentum ersetzenden bürgerlichen Klassenherrschaft als quasipolitischen Vorbehalt geltend macht und an die Stelle des fallgelassenen alten, in den diskursiven Erfahrungsprozess gesellschaftsfähig tätiger Menschen gesetzten Prinzips des Vernünftigen treten lässt – auch diesem neuen Allgemeinbegriff soll noch moralische Kraft eignen. Von eben dieser moralischen, die einzelnen über sich selbst in ihrer unmittelbaren Empirie hinauszutreiben und nach Maßgabe eines Prinzips neu zu verfassen geeigneten Qualität aber will Schopenhauer prinzipiell nichts mehr wissen. Für ihn gibt es kein Prinzip, kein allgemeinbegriffliches Wesen, das die Kraft hätte, die empirischen Individuen zu solch begriffsvermittelter Konversion und Selbsterneuerung zu bewegen. Für ihn sind Allgemeinbegriffe keine Normen, die das Sein nötigen könnten, sich im Sinne eines normativen Sollen zu verändern, sondern bloß Strategeme, die dem Sein ermöglichen sollen, sich so, wie es ist, besser zu behaupten. Keine Idee existiert mehr für Schopenhauer, die den gegebenen Seinsrahmen, die Grenzen des als leibhaftiger Wille figurierenden bürgerlichen Klassensubjekts zu sprengen und etwas anderes darzustellen vermöchte als ein diesem leibhaftigen Willen an die Hand gegebenes Instrument, sich im universalen Konkurrenzkampf durchzusetzen, den Kampf ums Leben erfolgreicher zu bestehen.

Der allgemeine Vernunftbegriff in allen seinen Spielarten und Derivaten hat für Schopenhauer aufgehört, ein dem privativen Willen und empirischen Subjekt die Leviten lesendes imperatives Direktiv oder wenigstens regulatives Korrektiv zu sein und hat sich als vielmehr ein politisches Strategem dieses privativen Willens, als ein ideologisches Kampfmittel dieses empirischen Subjekts entlarvt. Und als ein solches ideologisches Kampfmittel entlarvt sich für Schopenhauer auch und ebenso sehr die Idee des Schönen, sofern sie praktisch zu werden und dem empirischen Subjekt zu einer anderen, nicht mehr real-vernünftigen, freiheitlich-egalitären, sondern nurmehr sozial-verträglichen, ganzheitlich-humanitären Selbsterneuerung zu gereichen beansprucht. Was die Idee des Schönen laut Schopenhauer vermag, ist, den bürgerlichen Intellektuellen als gesellschaftliche Funktion des bürgerlichen Klassensubjekts zeitweilig von diesem seinem Subjekt zu emanzipieren, was sie nicht vermag, ist, das bürgerliche Klassensubjekt selbst in diesen kraft ästhetischer Anschauung von der intellektuellen Funktion zeitweilig eingenommenen emanzipierten Zustand zu versetzen, geschweige denn, es dort dauerhaft Fuß fassen zu lassen. Der im raumzeitlichen Kontinuum der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft in eine Vielzahl von rivalisierenden Leibern auseinandergesprengte bürgerliche Wille, das in Gestalt vieler einzelner mit sich selber im Streite liegende und auf Kosten aller anderen nicht weniger unablässig als vergeblich nach Ganzheit und metaphysischer Einheit strebende Klassensubjekt, erscheint bei Schopenhauer als eine ebenso unveränderliche wie unveräußerliche Naturgegebenheit, als ein empirischer Befund, der ebenso wenig durch gesellschaftliche Entwicklungsprozesse transzendierbar wie durch gemeinschaftliche Bildungsprogramme reformierbar ist.

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