Vorwort

Zentraler Punkt der folgenden Überlegungen ist ein politisch-ökonomisches Zwangsverhältnis, das die Geschichte der menschlichen Gesellschaften seit je bestimmt und das im Kapitalismus der Moderne seine möglicherweise unüberbietbare Krönung findet: der Zwang, gesellschaftlichen Reichtum nicht unmittelbar seinen Schöpfern überlassen zu können, sondern partout anderen als ihnen (Heroen, Göttern, menschlichen Herren) zur Verfügung stellen und schließlich die gesamte Reproduktion der Gesellschaft, die ganze gesellschaftliche Subsistenz an die Bedingungung dieser Arbeit für andere binden, zum Vehikel dieser entfremdeten Reichtumproduktion machen zu müssen. Ist traditionell der produzierte Reichtum noch als ein von den Subsistenzmitteln unterschiedenes Quantum, als ein von der Selbstversorgung der Produzenten abgezweigter Überschuß bestimmt und zeichnen sich die anderen Subjekte, denen er zufällt, noch dadurch aus, daß sie ihn apart verwenden, ein von der Subsistenz der Produzenten unterschiedenes Leben im Überfluß mit ihm führen oder große Dingen mit ihm verrichten, so ist im modernen Kapitalismus der Reichtum in eine durchgängige Qualität oder innere Formbestimmung der Subsistenzmittel selbst verwandelt. Er ist auf einen in den letzteren steckenden Wert reduziert, den seine Aneigner tendenziell nur mehr als Kapital verwenden, das heißt in seiner Gestalt als Subsistenzmittel den Produzenten zum Lohn dafür überlassen, daß diese für sie, die Aneigner, neuen und vermehrten Reichtum, mehr Wert in Gestalt von Subsistenzmitteln erzeugen. Indem so der konsumtiven Rolle nach die Produzenten in die Position der früheren Aneigner einrücken, verwandeln sich die letzteren in Reichtumsagenten, die, während sie in ihrer privaten Existenz sich zunehmend der neugewonnenen konsumtiven Fasson der gewöhnlichen Produzenten angleichen, in ihrer sozialen Funktion zu quasi selbstlosen Maklern einer als Wertschöpfung bestimmten Reichtumsbildung werden, bei der sie nicht der Reichtum als solcher, den sie in seiner Subsistenzmittelgestalt bereitwillig den Produzenten überlassen, sondern einzig und allein seine als Kapitalakkumulation fortlaufende Vermehrung, seine kontinuierliche Anhäufung zum Zwecke kontinuierlicher Anhäufung, interessiert. Dieser funktionalisiert abstrakten Haltung, die seine Aneigner gegenüber dem zur Wertbestimmung, zum Wesen aller Subsistenz aufgehobenen gesellschaftlichen Reichtum an den Tag legen, entspricht ihre eigene Zurücknahme als Subjekte, ihre Verflüchtigung zu Funktionären von mit der Reichtumsverwaltung befaßten Institutionen, Managements, die nach Maßgabe ihres die ganze Subsistenz durchdringenden universalisierten Wertschöpfungsinteresses mehr und mehr mit dem traditionellen Sachwalter des gemeinen Wesens, dem Staat, verschmelzen.

Eben diese Zurücknahme der entfremdeten Reichtumproduktion in eine qua Wertschöpfung interne Bestimmung der gesellschaftlichen Reproduktion und Verflüchtigung ihrer Nutznießer zu Funktionären solcher Wertschöpfung, Kapitalagenten, läßt nun aber das Zwanghafte des Verhältnisses in aller Schärfe hervortreten. Wenn unter dem im modernen Kapitalismus mittlerweile fast perfekten Anschein einer ausschließlich zum Nutzen der gesamtgesellschaftlichen Reproduktion, das heißt einer von den Produzenten für die Produzenten veranstalteten Subsistenzmittelerzeugung, jene entfremdete Reichtumsbildungsrücksicht sich nicht nur beibehalten, sondern mehr noch zu einer die gesamte ökonomische Tätigkeit durchdringenden transzendentalen Bedingung totalisiert zeigt, dann muß es sich bei ihr um eine Obsession handeln, zu deren Erklärung mehr erfordert ist als die landläufigen historischen oder systematischen Gründe oder Rationalisierungen, die für sie bemüht werden: daß sie Produkt einer in kriegerischer Macht gründenden gewaltsamen Enteignungspraxis, Ergebnis einer als List der Vernunft wirksamen Strategie der zukunftssichernden Mehrarbeit, der ökonomische Preis für politische Organisation, für Vergesellschaftung, Ausdruck menschlichen Autoritäts- oder Transzendenzbedürfnisses, Nachwirkung einer unbewältigten vorkapitalistischen Klassenstruktur sei.

Dieses Mehr an Erklärung für die obsessive Reichtumsbildungsrücksicht suchen unsere Überlegungen durch den Rekurs auf die archaischen Anfänge der Entstehung gesellschaftlichen Reichtums zu gewinnen, als deren Zeugnis der Mythos in seiner Grundform als Heroologie begriffen wird. Expliziert wird der Mythos dabei ebensowohl als Dokument der fundamentalen "politischen" Krise, in die die Stammesgesellschaft durch die Entstehung von Reichtum gestürzt wird, wie als Strategie zur Bewältigung der Krise. Auf Basis dieser Explikation, die den Inhalt des vorliegenden ersten Teils der vierteilig angelegten Studie bildet, soll dann im zweiten Teil (der im nächsten Jahr erscheinen wird) unter dem Titel "Der religiöse Kult" das in Begriffen der Religionsentwicklung beschreibbare Schicksal nachgezeichnet werden, das das mythologische Bewältigungskonzept unter dem doppelten Einfluß seiner eigenen Dynamik und der Produktivkraftentfaltung der Gesellschaften nimmt. Unter den Überschriften "Die Herrschaft des Wesens" und "Die kapitale Macht" soll schließlich die radikale Neuorientierung thematisch werden, die nach dem endgültigen Scheitern des religiös-opferkultlichen Krisenbewältigungskonzepts die gesellschaftliche Stellung zum Reichtum und die an sie geknüpfte Bestimmung von Herrschaft erfährt, – eine Neuorientierung, als deren letzte Konsequenz das Kapitalverhältnis sichtbar gemacht werden soll.

Der Erfolg des Gesamtunternehmens wird daran zu messen sein, inwieweit es gelingt, von der in diesem ersten Teil entfalteten archaischen Problemstellung aus die wesentlichen Etappen der Religionsgeschichte systematisch überzeugend zu entwickeln und schließlich Licht auf die ebenso ungebrochene wie radikal veränderte Obsession zu werfen, als die in Gestalt des modernen Kapitalfetischismus die archaische Reichtumsbildungsrücksicht sich präsentiert.

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