2. "Gegenwartsgeschichte" und "historischer Sinn": Das verlorene Kontinuum

Es ist diese Situation des allem Anschein nach im Ergebnis seiner eigenen gesellschaftlichen Emanzipationsanstrengung und politischen Reformtätigkeit nicht mehr nur gefesselten, sondern bei lebendigem Leibe begrabenen Prometheus, die es der bürgerlichen historiographischen Reflexion erlaubt, eine nach dem Modell der Analytischen Geschichtsphilosophie Dantos konstruierte Entwarnung zu geben. Indem das als revolutionäres Präsens vermeintlich neue historische Subjekt des 19. Jahrhunderts vielmehr im 20. Jahrhundert das Zeitliche zu segnen und unter Zurücklassung eines ebenso sozialpartnerschaftlich sedierten wie gesellschaftspolitisch versierten Doppelgängers und Wechselbalgs seiner selbst sich zu erledigen, hiermit aber die – wie immer sozialdemokratisch gemäßigte respektive sozialstaatlich versachlichte – politisch-ökonomische Herrschaft der entwickelten bürgerlichen Gegenwart nur zu bestätigen und höchstpersönlich zu sanktionieren scheint, kommt dies für die gleichermaßen institutionell im Auftrag der bürgerlichen Gegenwart und konstitutionell auf eigene Rechnung produzierende professionelle Geschichtswissenschaft einer Aufforderung zur Abdankung des im Topos der historischen Wahrheit bis dahin von ihr observierten Regimes gleich. Statt noch länger gezwungen zu sein, mit jenem Wahrheitstopos den Anspruch eines als revolutionäres Präsens neuen historischen Subjekts auf wirkliche Vermittlung und verbindliche Bestimmung der Vergangenheit ebenso formell anzuerkennen und zur Geltung zu bringen wie materiell abzuwehren und zu unterlaufen, kann nun, da dank der allem Anschein nach förmlichen Selbstüberlistung respektive Selbstüberwindung dieses neuen historischen Subjekts das Privileg einer Repräsentation und Reflexion der Vergangenheit offenbar voll und ganz an die das Feld behauptende bürgerliche Gegenwart zurückfällt, die professionelle Geschichtswissenschaft getrost wieder aus den schwindelnden Höhen jenes ebenso hypostatischen wie metaphysischen Wahrheitstopos herniedersteigen und auf dem festen Grund eines natürlichen historischen Relativismus Fuß fassen. Eben diesem historischen Relativismus, den unter den Bedingungen eines als "weltbürgerliches" Präsens mit der bürgerlichen Gegenwart um die Vergangenheitsrelation konkurrierenden, revolutionär neuen Subjekts die gleichermaßen der bürgerlichen Gegenwart verhaftete und der historischen Logik verpflichtete professionelle Geschichtswissenschaft sich nicht anders zu helfen weiß, als einer epochalen Skepsis zum Opfer zu bringen und durch den hypostatischen Objektivismus einer von allem Bezug zur Gegenwart überhaupt abstrahierten Wahrheitssuche zu ersetzen – diesem historischen Relativismus kann sie nun, da die revolutionäre Gefahr gebannt, der drohende Konkurrent unter Kontrolle gebracht und im Wortsinne ausgeschaltet, die bürgerliche Gegenwart in ihrer dominierenden Stellung voll und ganz reaffirmiert scheint, sich wieder von ganzem Herzen ergeben und coram publico huldigen. Ihrer – der bürgerlichen – Gegenwart als der uneingeschränkt herrschenden allem Anschein nach aufs neue versichert, kann die historiographische Reflexion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihren Kult einer als absolutes Wahrheitskriterium vorausgesetzten Vergangenheit an und für sich, zu dem das als revolutionäres Präsens allen Anzeichen nach weltbürgerlich neue historische Subjekt sie inspiriert und den sie gleichermaßen in formeller Wahrnehmung und in materieller Verleugnung des aus dessen Existenz sich ergebenden Desiderats einer im Unterschied zur geläufigen historiographischen Scheinproduktion wirklichen Geschichte errichtet, beruhigt ad acta legen und nach dem Modell der Analytischen Geschichtsphilosophie Dantos zur Tagesordnung einer ebenso eindeutiger- wie natürlicherweise gegenwartsbezogenen Geschichtsschreibung zurückkehren.78

Indes ist, wie sich unschwer denken und wie die Analytische Geschichtsphilosophie deutlich genug werden lässt, diese Rückkehr der professionellen Geschichtswissenschaft zur historiographischen Normalität, diese neuerliche Einübung der professionellen Geschichtswissenschaft in den relativistischen Normalfall, alles andere als eine Wiederanknüpfung an und ein Wiedereintritt in das von Kant mit seiner "philosophischen Geschichte" der bürgerlichen geschichtsphilosophischen Reflexion anfänglich vorgezeichnete Programm. Was den historischen Relativismus Dantos vom historischen Relativismus Kants fundamental unterscheidet, ist das bei Danto entschiedene Fehlen eben der allgemeinen historischen Interessen und universalen Intentionen, denen Kant noch die Bedeutung eines für die bürgerliche Gegenwart ebenso maßgebenden wie richtungweisenden "Leitfadens" zuerkennt und denen er deshalb im Rahmen der von ihm der bürgerlichen Gegenwart qua "philosophische Geschichte" zur Auflage gemachten Historiographie die Funktion eines kriteriellen Vermittlungspunkts und verbindlichen Bestimmungsgrunds der Vergangenheit zuweist. Wie oben ausgeführt, verliert die entwickelte bürgerliche Gegenwart jene, auf die "Erweckung der Kräfte" gerichteten historischen Interessen und auf die "Entwicklung der Anlagen" zielenden gesellschaftlichen Intentionen an das revolutionäre Präsens eines allem Anschein nach in der Perspektive jener Interessen Gestalt annehmenden und in der Konsequenz jener Intentionen Wirklichkeit werdenden, "weltbürgerlich" neuen, historischen Subjekts. Avanciert um die Mitte des 19. Jahrhunderts dies revolutionäre Präsens zum zentralen Corpus und leibhaftigen Manifest jener allgemeinen Interessen und universalen Intentionen, so nimmt es sie aber auch um die Mitte des 20. Jahrhunderts in die abgrundtiefe Latenz und bleierne Befriedung, in die als in ein gezwungenermaßen selbstgeschaufeltes Grab es zu versinken scheint, mit hinab. Wenn schon auf der Grundlage dieser das revolutionäre Präsens betreffenden Befriedungsaktion die bürgerliche Gegenwart in ihrer politisch-ökonomisch dominierenden Stellung sich reaffirmiert findet und zu restaurieren vermag, bleibt sie doch weit entfernt davon, jene allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen wieder an sich ziehen und sich aufs neue zu eigen machen zu können. Die zur Objektivierung ihrer allgemeinen Interessen und Realisierung ihrer universalen Intentionen in Gestalt eines revolutionären Präsens entwickelte bürgerliche Gegenwart des 19. Jahrhunderts führt, wie zu zeigen war, nichts anderes im Schilde als eine dies objektiv präsente Interesse und diese revolutionäre wirkliche Intentionalität betreffende restriktive Verwertungstechnik und privative Ausbeutungsstrategie. Aber genauso wenig kann nun auch die dank der allem Anschein nach perfekten Ausschaltung jenes Präsens als eines revolutionären sich reaffirmierende respektive restaurierende bürgerliche Gegenwart des 20. Jahrhunderts mehr und anderes im Sinn haben als die Wiederaufnahme respektive Aufrechterhaltung dieses ihres als Selbstbehauptungsinteresse interesselos restriktiven Verwertungsstandpunkts und als Selbstbereicherungsintention intentionslos privativen Ausbeutungsvorhabens.

Was, rebus sie stantibus, die restaurierte bürgerliche Gegenwart anstelle jener ihr ein für allemal verloren gegangenen allgemeinen Interessen und universalen Intentionen zurückbehält, sind Vorlieben und Neigungen, die jeder historischen Bestimmtheit und gesellschaftlichen Verbindlichkeit ermangeln und, zum schroff unvermittelten Gegensatz von anthropologischer Pauschalität und idiosynkratischer Partikularität entmischt, in die unversöhnlich koinzidierenden Extreme von hobbyistischem Privatissimum und humanistischem Generalissimum dirimiert sich darbieten. Diese, von der Analytischen Geschichtsphilosophie als "nicht-historische Interessen"79 klassifizierten und im heillosen Entmischungszustand von zugleich "menschlichen"80 und "spezifischen menschlichen"81 Interessen festgehaltenen, ebenso gemeinplätzig pauschalen wie privativ partikularen Vorlieben und Neigungen sind also die Konkursmasse, die der restaurierten bürgerlichen Gegenwart an der Stelle der ihr unwiderruflich vergangenen allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen geblieben ist und an die als an die natürliche Vermittlungsinstanz und den gemäßen Bestimmungsgrund jeden gegenwartsbezogen historischen Perfekts die bürgerliche historiographische Reflexion bei ihrem neuerlichen Bekenntnis zum historischen Relativismus als dem "der Natur der Sache gemäßen" historiographischen Prinzip sich verwiesen findet.

Dass nun allerdings die im Kriterium und Mittel dieser ebenso partikular "spezifischen" wie pauschal "menschlichen" Vorlieben und Neigungen vollbrachte Vergangenheitsbewältigung qualitativ von einer Bearbeitung der Vergangenheit differiert, wie sie die allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen des Kantischen relativistischen Programms erheischen, hält nicht schwer zu gewahren. Schließlich besteht ja das von der Analytischen Geschichtsphilosophie registrierte "Nicht-Historische" und spezifisch "Menschliche" der der bürgerlichen Gegenwart nach ihrer Restauration gebliebenen "Interessen" nicht bloß, wie die Analytische Geschichtsphilosophie will, in der relativen Gleichgültigkeit und Äußerlichkeit, die sie gegenüber der historiographischen Disziplin beweisen, sondern auch und vor allem in ihrer zwischen anthropologischer Indifferenz und ethnischer Borniertheit changierenden, absoluten Unvermitteltheit mit dem historischen Kontinuum selbst. Und schließlich besteht ja demgegenüber das expressis verbis "Historische" und erklärtermaßen "Gesellschaftliche" der vorherigen allgemeinen Interessen und universalen Intentionen gerade darin, dass sie Vergangenheit nur in dem Maß als legitime Funktion der Gegenwart zu reklamieren, sich als kompetente Vermittlungsinstanz und triftiger Bestimmungsgrund der Vergangenheit nur in dem Maß zu etablieren vermögen, wie sie selber dabei als mit dem historischen Kontinuum vermitteltes und in Einklang stehendes Moment, mithin als etwas erkennbar werden, was in einer umfänglichen, auf Gegenwart und Vergangenheit gleichermaßen sich erstreckenden Kontinuität des öffentlichen Interesses und Identität des intentionalen Gemeinsinns seinen sachlichen Begriff und sein methodisches Bestehen hat. Auszeichnendes Charakteristikum dieser allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen ist also, dass sie eben der historischen Kontinuität und gesellschaftlichen Totalität, die sie konstitutionell zu bestimmen und kriteriell zu vermitteln dienen, uno actu ihrer konstitutiven Funktion und kriteriellen Tätigkeit selber zugleich solidarisch sich einzugliedern und systematisch sich zu integrieren vermögen.

Von solcher, zwischen begrifflicher Konstruktivität und empirischer Kontinuität, zwischen Konstitution und Tradition, prozessierenden Dialektik sind die der bürgerlichen Gegenwart nach ihrer Restauration verbleibenden, sei's "menschlichen", sei's "spezifischen" "nicht-historischen Interessen" in der Tat weit entfernt. Sie, die als solche gerade die verheerende Folge und das konkursive Resultat einer Zerstörung aller historischen Kontinuität und eines Abbruchs der durch die früheren allgemeinen Interessen und universalen Intentionen nicht weniger gewahrten als konstituierten Tradition sind, sind nur allzu offenkundig außerstande, durch ihre mit Rücksicht auf die Vergangenheit ausgeübte Vermittlungsfunktion und Bestimmungstätigkeit an das verlorene Kontinuum wiederanzuknüpfen und die zerbrochene Tradition wiederherzustellen. Als um jedes konkrete historische Interesse gebrachte Vorlieben und um alle spezifische gesellschaftliche Intention gekürzte Neigungen kreieren jene "nicht-historischen" "menschlichen Interessen" der restaurierten bürgerlichen Gegenwart ein historisches Perfekt nach ihrem eigenen, zwischen Privatisierung und Stereotypisierung changierenden Bilde und präsentieren sie sich der historiographischen Reflexion eines Danto statt als ein für die Geschichtsschreibung grundlegendes Prinzip der Solidarität und der Systematik, vielmehr bloß als ein in der Geschichtsschreibung "unausrottbarer Faktor der Konvention und der Willkür"82. Weil sie selber ein dem Zusammenbruch des historischen Kontinuums und Konkurs des gesellschaftlichen Fortschritts entstammender, ebenso idiosynkratisch partikularisierter wie anthropologisch pauschalisierter Restposten sind, können jene nurmehr "menschlichen" Interessen gar nicht anders, als der Vergangenheit, die sie als ein gegenwartsbezogen historisches Perfekt zu repräsentieren und zu reflektieren dienen, einen entsprechenden Charakter von zusammenhangloser Partikularität zu vermitteln und eine korrespondierende Komplexion von unspezifischer Pauschalität zur Bestimmung werden zu lassen. Was jene Vorlieben und Neigungen zu erzeugen vermögen, sind Arrangements der Vergangenheit, bei denen die Suggestion eines historischen Zusammenhangs nur um den Preis der anthropologisierenden Entspezifizierung jeden historischen Interesses beziehungsweise ein Schein von gesellschaftlicher Verbindlichkeit nur um den Preis einer idiosynkratischen Privatisierung aller gesellschaftlichen Intention zu haben ist. Das heißt, sie arrangieren die Vergangenheit zu Momentaufnahmen, deren Synthesisprinzip nicht eine das historische Kontinuum bildende, selbstmächtig innere Konsequenz, sondern eine den Bruch der historischen Kontinuität überspielende, selbstherrlich äußere "Willkür" und deren organisierendes Konstitutiv nicht eine in der Selbstvermittlung der kriteriellen Gegenwart und in der Selbstbestimmung des präsenten Bestimmungsgrunds zu sich kommende Tradition, sondern eine als unvermittelt partikulares Gegenwartskriterium und unspezifisch pauschaler, präsenter Bestimmungsgrund sich ebenso abstrakt akzidentiell wie stereotyp transzendental zur Geltung bringende "Konvention" ist. Als gleichermaßen zu abstrakter Humanität und zu beliebiger Partikularität entmischte "nicht-historische Interessen" dienen jene, in die relativistisch tragende Rolle eines kriteriellen Vermittlungspunkts und maßgebenden Bestimmungsgrunds der Vergangenheit wiedereingesetzten Vorlieben und Neigungen der restaurierten bürgerlichen Gegenwart, ein historisches Perfekt zu produzieren, das in der Tat bloße, der versprengten Gegenwart unvermittelt entspringende und deren Mangel an historischer Kontinuität und systematischer Tradition zu kaschieren bestimmte "Geschichten" sind – ein historisches Perfekt, das denkbar weit entfernt davon ist, aus der Substantialität seines Vermittlungsprinzips und Bestimmungsgrunds jene dialektisierende Kraft zu schöpfen, unter deren unwiderstehlichem Einfluss, wie einerseits die als historisches Perfekt bestimmte Vergangenheit selbst in der Bedeutung eines ebenso realen wie integralen historischen Projekts erkennbar, so andererseits die den Bestimmungsgrund präsentierende Gegenwart als solche in der Funktion eines eben diesem Projekt anhängenden und integrierten selbstlosen Agenten und solidarischen Moments begreiflich werden könnte – ein historisches Perfekt, das vielmehr zu nichts anderem taugt als dazu, die Vergangenheit in der dimensionslosen Gleichzeitigkeit eines die Gegenwart in all ihrer pointenlosen Unverbundenheit nach Belieben kolportierenden schnappschussförmigen Tableaus erstehen beziehungsweise zur undurchdringlichen Oberflächlichkeit einer nicht eigentlich gegenwartsbezogenen, sondern bloß die der Gegenwart eigene Beziehungslosigkeit überall reproduzierenden nature morte erstarren zu lassen.

Dieser, aus historischer Interesselosigkeit und gesellschaftlicher Intentionslosigkeit geborene, anthropologisch gemeinplätzige Zug von Gleichzeitigkeit oder ethnisch bornierte Gestus der Beziehungslosigkeit ist es, was die nurmehr "menschlichen", "nicht-historischen" Interessen der restaurierten bürgerlichen Gegenwart dem ihnen entspringenden historischen Perfekt, den durch sie vermittelten und bestimmten "Geschichten"83, verpassen. Und eben dieser, der Vergangenheit durch die neueste bürgerliche Gegenwart beigebogene Zug stereotyper Allgegenwart oder Gestus autistischer Relationslosigkeit ist es auch, was dem oben bereits registrierten Festhalten der Analytischen Geschichtsphilosophie an der szientifisch-kritischen Disziplin der professionellen Geschichtswissenschaft und dem darin enthaltenen Insistieren auf "historischem Sinn" am Ende doch, zwar beileibe kein historiologisch gutes Recht verschafft, immerhin aber zu einem pathologisch zureichenden Motiv verhilft. Jenes, von der Analytischen Geschichtsphilosophie im Namen des "historischen Sinns" erklärte Festhalten am szientifisch-kritischen Geschäft wurde oben als der schiere Zynismus eines Festhaltens an der Gewohnheit um der Gewohnheit willen, einer Verteidigung der wissenschaftlichen Institution aus ausschließlich institutionellen Gründen, eines Erhalts der tradierten Form aus traditionslos selbstgenügsamem Formalismus diagnostiziert. Wie höchstwahrscheinlich aller Zynismus, zeigt sich indes auch dieser bei näherer Betrachtung weitaus weniger autogen und spontan, als auf den ersten Blick zu vermuten, enthüllt am Ende auch er, wenn schon nicht einen ideologisch klaren, relationalen Verstand, so jedenfalls doch seinen pathologisch verworrenen, motivationalen Sinn. Zwar hat das oben als der reine Zynismus apostrophierte Festhalten am gewohnt szientifischen Geschäft in der Tat nichts mehr zu tun mit dem Anspruch auf ein im Namen der historischen Wahrheit gegen den historiographischen Schein gegenwartsbezogen historischen Perfekts nach altem Muster anzustrengendes kritisch-judizielles Prüfungsverfahren. Mit dem im 20. Jahrhundert allem Anschein nach perfekten Verschwinden der in Gestalt eines weltbürgerlich revolutionären Subjekts bis dahin präsenten und die bürgerliche Gegenwart konfrontierenden, allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen ist ja offenbar eben das spezifische Maß und entscheidende Kriterium aus der Welt, das – wenngleich nur in der epochal kurzgeschlossenen und hypostatisch entstellten Form einer Vergangenheit an und für sich – die professionelle Geschichtswissenschaft sich zur Lehre eines solchen kritisch-judiziellen Prüfungs- und Vergleichsverfahrens hat dienen lassen müssen. Der ebenso bedrohlichen wie lästigen Konkurrenz jenes weltbürgerlich maßgebenden, historischen Allgemeininteresses und jener kriteriell richtungweisenden, sozialistischen Generalintention ledig, sieht die restaurierte bürgerliche Gegenwart ihre privativ eigenen Interessen und asozial persönlichen Intentionen von der Anklage einer in historiographischer Hinsicht kapitalen Falschmünzerei mangels Beweisen freigesprochen und findet sie das durch diese ihre eigenen Interessen und persönlichen Intentionen vermittelte und bestimmte historische Perfekt dem Verdacht einer als ebenso durchsichtiger Schein wie arglistige Täuschung effektuierten Vorspiegelung falscher historischer Tatsachen enthoben. Und befreit vom philosophisch imponierenden Maß und reflexiv verpflichtenden Kriterium jenes historischen Allgemeininteresses und jener sozialistischen Generalintention, kann die historiographische Reflexion der bürgerlichen Gegenwart ihre bis dahin gegenüber einem des historiographischen Scheins verdächtigen historischen Perfekt als epistemologische Bedenklichkeit gewahrte maßvolle Reserve und als empiriologischer Vorbehalt sich behauptende kritische Distanz endlich aufgeben und qua Analytische Geschichtsphilosophie eben dem auf die Interessen und Intentionen der bürgerlichen Gegenwart bezüglichen historischen Relativismus huldigen, den sie mit Rücksicht auf die jenem maßgeblich "weltbürgerlichen" Interesse und jener kriteriell sozialistischen Intention geschuldete reflexive Obedienz und philosophische Pietät sich bis dahin zugunsten eines das "weltbürgerliche" Interesse zum bloßen, vergangenheitsunmittelbaren Maß hypostasierenden, beziehungsweise die sozialistische Intention zum reinen, von der Gegenwart absolvierten Kriterium entstellenden Kults der historischen Wahrheit hat versagen müssen. Wie könnte angesichts dieser, durch das allem Anschein nach definitive Verschwinden des als "weltbürgerliches" Subjekt historischen Konkurrenten der bürgerlichen Gegenwart ermöglichten, relativistischen Entspannung der historiographischen Lage das Festhalten an der nach Sache und Methode ganz und gar auf die Bewältigung – das heißt, ineins auf die formelle Anerkennung und materiale Abwehr – jenes historischen Konkurrenten gerichteten szientifisch-kritischen Disziplin der professionellen Geschichtswissenschaft noch einen historiologisch guten Grund haben?

Indes finden sich, wie die genauere Betrachtung zeigt, die partikularen Interessen und privativen Intentionen der bürgerlichen Gegenwart dank dem Wegfall jener, sie in Gestalt eines "weltbürgerlichen" Präsens bis dahin konfrontierenden allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen ja nicht nur vom Vorwurf der historischen Falschmünzerei und der systematischen Asozialität befreit, sondern gleich auch mehr noch um allen Anschein historischer Interessiertheit überhaupt und gesellschaftlicher Intentionalität schlechthin gebracht. Und dementsprechend ist auch das durch diese partikularen Interessen und privativen Intentionen hiernach vermittelte und bestimmte historische Perfekt nicht bloß den Ruch einer als historiographische Scheinerzeugung systematischen Vorspiegelung falscher historischer Tatsachen und Vortäuschung irreführender gesellschaftlicher Perspektiven los, sondern geht es zugleich auch mehr noch des historischen Charakters als solchen und der gesellschaftlichen Dimension in genere verlustig. Solange die entwickelte bürgerliche Gegenwart noch unter der Drohung und dem Druck der maßgeblich "weltbürgerlichen" Interessen und kriteriell sozialistischen Intentionen eines als revolutionäres Präsens konkurrenzmächtigen neuen, historischen Subjekts steht, hat sie, um konkurrenzfähig zu bleiben, gar keine andere Wahl, als ihren eigenen partikularen Interessen und privativen Intentionen den Anschein und die Aura eines der Allgemeinheit und Universalität jener maßgeblich anderen Interessen und kriteriell differenten Intentionen vergleichbaren Totalitätsanspruchs und Kosmopolitismus zu geben. Die privativ rücksichtslose Selbstbehauptungsattitüde und den umstandslos ausbeuterischen Verwertungsstandpunkt, auf die sich tatsächlich ihre historischen Ambitionen und ihre gesellschaftlichen Zielsetzungen reduziert haben, muss die entwickelte bürgerliche Gegenwart in Reaktion auf jene allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen nolens volens noch unter der Mimikry einer vergleichbar totalen Bestimmung verstecken, beziehungsweise im Widerschein einer unvergleichlich höheren Absicht erstrahlen lassen.84 Und demgemäß kann denn auch das historische Perfekt, das in diesen, vom Abglanz jener historischen Allgemeinheit und gesellschaftlichen Universalität mimetisch zehrenden und hypertrophisch aufgetriebenen, partikularen Selbstbehauptungsinteressen und privativen Verwertungsintentionen seinen Vermittlungspunkt und Bestimmungsgrund hat, noch einen Schein von Geschichte und nämlich den historiographischen Schein eines im Maß und Kriterium seiner Gegenwartsbezogenheit zwar ideologisch irreführenden, aber doch jedenfalls perspektivisch dimensionierten, und zwar mimetisch fiktiven, aber doch jedenfalls historisch kontinuierlichen Prozesses aufrechterhalten. Jetzt hingegen, da nach dem anscheinend spurlosen Verschwinden aller allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen die partikularen Interessen und privativen Intentionen der bürgerlichen Gegenwart unangefochten das Feld behaupten und im Rahmen der Restauration der letzteren eine allem Maßverhältnis entzogene und über jede Kritik erhabene, konkurrenzlose Stellung einnehmen, lassen sie die Prätention und den Schleier einer vergleichsweise weiteren Perspektive und anmaßlich höheren Bestimmung fallen und enthüllen sich als eben die – von der Analytischen Geschichtsphilosophie als ein "unausrottbarer Faktor der Willkür und der Konvention" wahrgenommenen – "menschlichen", "nicht-historischen" Interessen, eben die partikularen Vorlieben und privativen Neigungen., die sie sind und die in der Tat nichts anderes mehr zum Ausdruck bringen als die zur Pauschalität anthropologischer Stereotypen und zur Spezialität sektiererischer Idiosynkrasien entmischten Attitüden beziehungsweise Platitüden einer perspektiv- und interesselos ahistorischen Selbstbeziehung respektive einer tendenz- und intentionslos asozialen Selbstbehauptung. Und demgemäß reduziert sich denn auch das durch diese unverhohlen ahistorischen Vorlieben und unverblümt asozialen Neigungen einer restaurierten bürgerlichen Gegenwart vermittelte und bestimmte historische Perfekt auf "Geschichten", die fern aller – wie auch immer aus historischer Scheinerzeugung resultierenden – historisch perfekten Gegenwartsbezogenheit mit der Vergangenheit nichts anderes anzufangen wissen, als sie in der pointenlosen Gleichzeitigkeit und anakoluthischen Beziehungslosigkeit von gleichförmig unvermittelten Momentaufnahmen und gleichgültig repetitiven Abziehbildern der perspektiv- und dimensionslosen Gegenwart selbst ineins erstehen und erstarren zu lassen.85 Was die der restaurierten bürgerlichen Gegenwart verbliebenen "menschlichen", "nicht-historischen" Interessen demnach an historischem Perfekt hervorzubringen dienen, ist nicht mehr ein à fonds perdu der nach Interesse und Intention wirklichen Geschichte kursierendes historisches Falschgeld, sondern eine in Abwesenheit jedes qua Interesse und Intention wirklichen Grunds der Geschichte in Umlauf gesetzte ahistorische Scheidemünze. Das heißt, sie verwandeln eine scheinbare Geschichte, eine die Vergangenheit ins Bockshorn der falschen Gegenwart jagende fiktive Beziehung, in geschichtslosen Schein, eine an der Vergangenheit das Exempel der falschen Gegenwart umstandslos statuierende beziehungslose Fiktion.

Und es ist diese der gegenwärtigen Interesselosigkeit geschuldete perspektivlose Ahistorizität, diese der präsenten Intentionslosigkeit gedankte beziehungslose Asozialität der der Historiographie der restaurierten bürgerlichen Gegenwart entspringenden "Geschichten", was dem Festhalten der Analytischen Geschichtsphilosophie an der kritisch-szientifischen Disziplin der professionellen Geschichtswissenschaft sein einsehbares Motiv, seinen nicht zwar historiologisch guten, immerhin aber pathologisch zureichenden Sinn verleiht. Was die Analytische Geschichtsphilosophie mit Hilfe der diese Disziplin ausmachenden historischen Dokumente oder geschichtlichen Zeugnisse, das heißt, mittels der von der professionellen Geschichtswissenschaft zur Geltung einer speziellen Empirie der Vergangenheit gebrachten restbeständig früheren Empirie, jenen "Geschichten" nachzuweisen und vielmehr nachzutragen sucht, ist in specie einer formellen Reaffirmationsveranstaltung eben das Moment von historischer Kontinuität und gesellschaftlicher Objektivität, von allgemeinem Zusammenhang und universaler Verbindlichkeit, das sie in genere ihrer interesselosen Vermitteltheit und intentionslosen Bestimmtheit durch die partikularen Vorlieben und privativen Neigungen der Gegenwart so ganz und gar vermissen lassen. Nicht, um kraft solcher restbeständig früheren Empirie jene "Geschichten" tatsächlich nun einem nach altem Muster durchgeführten maßgeblich-dokumentarischen Prüfungsprozess und kriteriell-zeugnisförmigen Vergleichsverfahren zu unterwerfen, hält die Analytische Geschichtsphilosophie an der szientifischen Disziplin fest. Und nicht also, um jene des historiographischen Scheins verdächtigen "Geschichten" einer als verifikatorische Grundrevision wohlverstandenen Generaluntersuchung beziehungsweise als purgatorische Fundamentalreduktion besser begriffenen Feuerprobe zu unterziehen, insistiert die Analytische Geschichtsphilosophie auf dem fortgesetzten Gebrauch des der szientifischen Disziplin zur Verfügung stehenden kritischen Instrumentariums. Wie auch könnte ihr angesichts des von ihr selber registrierten Entfallens allen für solche Grundreduktion erforderlichen Grunds, das heißt, nach dem Wegfall jenes Topos einer Vergangenheit an und für sich, der das für solch ein Prüfungsverfahren grundlegende Maß und entscheidende Kriterium darstellt, dergleichen noch in den Sinn kommen? Aber auch nicht bloß, um – wie der frühere kurzangebundene Zynismusvorwurf lautete – in Ansehung jener, der Historiographie der restaurierten bürgerlichen Gegenwart entspringenden "Geschichten" die szientifisch-kritische Disziplin als gewohnt solche und um ihrer selbst willen aufrechtzuerhalten, hält die Analytische Geschichtsphilosophie der professionellen Geschichtswissenschaft die Stange. Was sie vielmehr mit ihrem Bestehen auf dem herkömmlich szientifischen Geschäft wesentlich und in der Tat ausschließlich bezweckt, ist eben das Moment, das jenen – einer gegenwärtig totalen Interesselosigkeit und praesenti casu profunden Intentionslosigkeit entspringenden – "Geschichten" offenbar abgeht: eine irgend systematisch anmutende Bedeutung, ein überhaupt historisch zu nennender Zusammenhang.

Indem auch und gerade hinsichtlich der "Geschichten", die der bürgerlichen Gegenwart nach ihrer Restauration sich im Zueignungsautomatismus eines konkurrenzlos natürlichen und unangefochten selbstredenden Relativismus ergeben, die Analytische Geschichtsphilosophie auf einer nach dem alten Schema durchgeführten kritischen Überprüfung und komparativen Beglaubigung durch die Dokumente und Zeugnisse einer restbeständig früheren Empirie beharrt, setzt sie jene "Geschichten" noch einmal ins Verhältnis zu einer Instanz, die in der Gestalt einer im Anundfürsichsein genuiner Bestrebungen und ureigener Regungen verhaltenen Vergangenheit den klassischen Vertretern der professionellen Geschichtswissenschaft als Inbegriff des Historischen, als gegenüber allem historiographischen Schein die leibhaftige historische Wahrheit gilt. Als das verkörperte Historische kann, wie oben gezeigt, der Topos einer an und für sich seienden Vergangenheit sich der professionellen Geschichtswissenschaft in eben dem Maß suggerieren, wie er in Anspruch nehmen darf, der – wie immer zu falscher Unmittelbarkeit kurzgeschlossene – Reflex und – wie immer zu gespenstischer Eigentlichkeit hypostasierte – Ausdruck der im historischen Kontinuum praesenti casu allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen zu sein. Kraft dieser, ebenso formaliter von ihm realisierten und gewahrten wie materialiter in ihm abstrahierten und verratenen historischen Interessen kann jener Vergangenheitstopos, den die restbeständig frühere Empirie zu repräsentieren und zu reflektieren verspricht, sich als das historische Maß und systematische Kriterium eines den historiographischen Schein auf die historische Wahrheit reduzierenden, den fiktiven historischen Roman dessen an ihm, was historisch wahre Geschichte ist, überführenden kritischen Überprüfungs- und dogmatischen Identifizierungsverfahrens gerieren. Zwar ist, wie allem Anschein nach jene allgemeinen historischen Interessen und universalen gesellschaftlichen Intentionen, die er kurzschlüssig aufgreift und hypostatisch enthält, so denn auch dieser als maßgebliche Historie und systematisches Kriterium vorausgesetzte und per medium et modum der Dokumente und Zeugnisse einer restbeständig früheren Empirie zur Geltung gebrachte an und für sich seiende Vergangenheitstopos selbst mittlerweile verschwunden. Und was an die Stelle des Verschwundenen tritt, ist – wie oben bereits erörtert – höchstens und nur die schlechte Unendlichkeit eines strukturalistischen Aspekt- und Schichtenmodells, das heißt, die unabschließbare Topographie strukturell gleichartiger und den "Geschichten" der restaurierten bürgerlichen Gegenwart im Sinne historisch früherer Versionen korrespondierender, anderer "Geschichten". Insofern verliert denn auch die ganze szientifisch-kritische Prozedur den Charakter einer am historiographischen Schein das Exempel der historischen Wahrheit statuierenden Grundrevision und gewinnt stattdessen die Physiognomie eines an der einen historiographischen Version das Beispiel anderer historiographischer Versionen sich nehmenden bloßen Lesartenvergleichs. Aber weil die anderen Lesarten, zu denen die szientifisch-kritische Prozedur die "Geschichten" der restaurierten bürgerlichen Gegenwart demnach einzig noch in Beziehung zu setzen vermag, die Stelle eben jenes verschwundenen Vergangenheitstopos innehaben, der der professionellen Geschichtswissenschaft als Inbegriff des Historischen, als die verkörperte historische Wahrheit galt, bleibt das Beziehen als solches ein den historischen Anspruch des Bezogenen in aller Form zu untermauern geeigneter Akt. Mag das Verhältnis zu anderen historiographischen Versionen, in das die "Geschichten" der restaurierten bürgerlichen Gegenwart von der szientifisch-kritischen Prozedur per medium einer strukturalistisch funktionalisierten, restbeständig früheren Empirie gebracht werden, auch nicht mehr dazu angetan sein, den zur Totalität einer konkurrenzlosen Erscheinung entfalteten historiographischen Schein jener "Geschichten" einer materialiter vorausgesetzten, geschichtlichen Wahrheit zu überführen – dem historiographischen Anspruch des Scheins als solchem aufzuhelfen und also die formale Implikation eines überhaupt historischen Charakters und systematischen Sinns jener "Geschichten" zu befördern, bleibt es allemal tauglich.

Und es ist genau diese, im Mittel eines szientifisch-kritischen Lesartenvergleichs erbrachte verfahrenstechnische Leistung nicht einer materialen Rekonstruktion der historischen Wahrheit der "Geschichten" der restaurierten bürgerlichen Gegenwart, sondern einer formalen Reaffirmation des überhaupt historischen Charakters und systematischen Sinns jener "Geschichten", worum es der Analytischen Geschichtsphilosophie bei ihrem Festhalten an der Disziplin der professionellen Geschichtswissenschaft am Ende zu tun ist. Weder will die Analytische Geschichtsphilosophie mit ihrem Beharren auf der geschichtswissenschaftlichen Disziplin den zur konkurrenzlosen Erscheinung totalisierten historiographischen Schein der restaurierten bürgerlichen Gegenwart einer unverändert emphatischen Wahrheitsprobe unterwerfen, noch will sie ihn bloß zynisch als Stoff für die gewohnte szientifische Praxis sich erhalten, sondern sie möchte ihn durch die reine Figur und suggestive Verknüpfung jenes szientifischen Verhältnisses, in das sie ihn nach wie vor bringt, eben dessen formell versichern, wessen die Gegenwart materiell ihn beraubt: eines irgend historisch-kontinuierlichen Charakters, eines entfernt gesellschaftlich-systematischen Anspruchs. Dank der – von der Analytischen Geschichtsphilosophie als "zeitlicher Provinzialismus" euphemisierten – jeden Interesses baren Perspektivlosigkeit und von allen Intentionen verlassenen Beziehungslosigkeit der restaurierten bürgerlichen Gegenwart präsentieren die der Historiographie der letzteren entspringenden "Geschichten" die Vergangenheit in der ahistorischen Gleichzeitigkeit und asozialen Egalität von nichts als die nature morte der Gegenwart selbst kolportierenden Genrebildchen. Das heißt, sie sind "Gegenwartsgeschichte" in dem aberwitzig wortwörtlichen Sinne, dass sie alles historische Perfekt zur Perspektiv- und mehr noch Dimensionslosigkeit pointenlos konformer Momentaufnahmen und schemenhaft naturgetreuer Ablichtungen einer Gegenwart verflüchtigen, die, statt zukunftsträchtig relatorischer Reflexionspunkt der gegenwartsbezogenen Fülle und Wirklichkeit der Vergangenheit zu sein, vielmehr höchstens und nur noch als eine vergangenheitssüchtig simulatorische camera obscura ihrer vergangenheitslos eigenen Hohlheit und Nichtigkeit figuriert. Und weil dies so ist, macht nun also die Analytische Geschichtsphilosophie den Versuch, jenen "Geschichten" durch ihre Rückbindung an beziehungsweise Einbindung in ein als Historisierungsvorgang tradiertes und nämlich als Technik der Verwandlung von historiographischem Schein in historisches Sein bewährtes Verfahren historischer Wahrheitsfindung wenigstens den durch die Form des Verfahrens gewährleisteten Anschein eines historischen Verhältnisses und die durch die technische Veranstaltung als solche gestützte Fasson einer systematischen Verbindlichkeit zu erhalten. Einer "Gegenwartsgeschichte", die aus eigenen Stücken, das heißt, aus den Stücken einer interesselos und intentionslos restaurierten bürgerlichen Gegenwart, keine historische Perspektive mehr aufzuweisen, den Charakter eines historisch zu nennenden Perfekts nicht mehr unter Beweis zu stellen vermag, eilt die Analytische Geschichtsphilosophie mit jenem zum veritablen Historisierungsritual formalisierten und umfunktionierten historistischen Verifizierungsverfahren zu Hilfe. Es ist genau in diesem Sinn einer von fälschlich emphatischer Kritik und wahrhaft zynischer Indifferenz gleich weit entfernten, verzweifelten Stützungsaktion, dass die Analytische Geschichtsphilosophie der szientifischen Disziplin der professionellen Geschichtswissenschaft die Rolle des Garanten von "historischem Sinn" zudiktiert. Und es ist genau in dieser Bedeutung einer das Schlimmste: den die "Geschichten" der Gegenwart betreffenden Verlust des historischen Charakters überhaupt, zu verhüten gedachten Reaffirmationskampagne, dass die Analytische Geschichtsphilosophie der für die szientifische Disziplin der professionellen Geschichtswissenschaft grundlegenden restbeständig früheren Empirie die Funktion eines "Belegmaterials"86 oktroyiert.

Mag nun aber auch die Tatsache, dass der Rekurs der Analytischen Geschichtsphilosophie auf die gehabte szientifische Disziplin der professionellen Geschichtswissenschaft eine dem historischen Charakter der "Geschichten" der neuesten Gegenwart als solchem und überhaupt geltende Stützungsaktion und Reaffirmationskampagne darstellt, diesen Rekurs dem Verdacht eines sua sponte schieren Zynismus entheben – vor dem Vorwurf eines stattdessen pathologisch motivierten Zynismus kann sie ihn schwerlich bewahren. Was dieser Rekurs offenbar zu erkennen gibt, ist die Pathologie dessen, der die präsente Mangelsituation realisiert, aber selber zu sehr von ihr profitiert, als dass er sie rückhaltlos darzulegen und schonungslos zu kritisieren imstande wäre, der des Schwindelunternehmens der restaurierten bürgerlichen Gegenwart objektiv gewahr, aber selber zu sehr involviert in ihm ist, als dass er zu seiner radikalen Offenlegung und energischen Bekämpfung subjektiv sich verstehen könnte. Es ist die Pathologie dessen, der, statt das historiologische Übel an der Wurzel der die Gegenwart heimsuchenden ahistorischen Interesselosigkeit und asozialen Intentionslosigkeit anzupacken, ihm vielmehr unter dem Einfluss der eigenen Involviertheit durch eine nachbessernde Bearbeitung und tatsächlich bloß nachträgliche Vertuschung seiner historiographisch verheerenden Folgen abzuhelfen sucht. Es ist die Pathologie dessen, den seine Verstrickung in die allgemeine Misere der Gegenwart dazu bringt, der Geschichtslosigkeit der "Geschichten" der Gegenwart symptomatologisch am Zeug zu flicken, statt ihr historiologisch auf den Leib zu rücken, und dem eben deshalb der private Luxus einer das Falsche zu korrigieren gedachten szientifischen Kritik und historischen Vergleichung nolens volens zum institutionellen Zynismus einer das Falsche zu kaschieren bestimmten szientifischen Belegpraxis und systematischen Alibifunktion gerät. "Historischen Sinn" kann die von der Analytischen Geschichtsphilosophie zitierte traditionelle Disziplin der professionellen Geschichtswissenschaft den "Geschichten" der Gegenwart einzig und nur unter der Bedingung eines vorausgegangenen stillschweigenden Verzichts auf alle, kraft der Gegenwart selber in jenen "Geschichten" realisierbare sinnvolle Historie zu verleihen scheinen. Und "Belegmaterial" für den überhaupt historischen Charakter jener "Geschichten" kann die im Rahmen solcher Disziplin angeführte restbeständig frühere Empirie einzig und nur unter der Voraussetzung eines konspirativen Einvernehmens darüber sein, dass, beim Wort genommen, jene "Geschichten" selber höchstens und bloß dazu taugen, die ihnen von der Gegenwart vielmehr eingeschriebenen Züge einer charakterlosen Ahistorizität unter Beweis zu stellen und materialiter zu belegen.

Fußnoten

... zurückkehren.78
Offen muss hier die keineswegs uninteressante Frage bleiben, ob rückwirkend auch bereits der totale historische Relativismus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in den die professionelle Geschichtswissenschaft skeptisch verfällt und um dessen Überwindung oder vielmehr Entkrampfung die Analytische Geschichtsphilosophie bemüht ist, als Rückkehr zur Tagesordnung, zum relativistischen Normalfall, sich interpretieren lässt, oder ob er, wie oben suggeriert, bloß erst das negativ-innere Resultat der theoretisch-systematischen Entwicklung ist, die im Kraftfeld ihrer eigentümlichen Prämissen und Zielsetzungen, im Spannungsfeld von Quellenkult und Skepsis, die Geschichtswissenschaft beschreibt. Das heißt, die Frage muß offen bleiben, ob der nach der Jahrhundertwende und zwischen den beiden Weltkriegen grassierende historische Relativismus nur erst den Schiffbruch darstellt, den aus der strikt immanenten Logik der sie ereilenden Skepsis die bürgerliche Reflexion mit ihrem auf die Quelle sich gründenden historistischen Wahrheitsprogramm erleidet, oder bereits die – wie immer noch melancholisch gebrochene – Freiheit signalisiert, die angesichts des Niedergangs eben des historischen Subjekts, auf dessen Aufstieg sie mit ihrem Wahrheitsprogramm reagiert, die bürgerliche Reflexion auch und gerade im Sinn einer Distanzierung von diesem ihrem Programm sich herausnimmt und zurückgewinnt.
... Interessen"79
Danto, a.a.O., S. 34.
... "menschlichen"80
Ebd., S. 33.
... menschlichen"81
Ebd., S. 183.
... Willkür"82
Ebd., S. 34.
... "Geschichten"83
"Die Geschichte erzählt Geschichten (History tells stories)." (Ebd., S. 184.)
... lassen.84
Vgl. dazu auch die Anmerkung 37, dort insbesondere die Ausführungen zu Droysen und seiner als spezifische Reaktion auf die Herausforderung sozialistischer Geschichtsschreibung interpretierbaren "Historik". Gar nicht erst eingegangen werden soll hier auf die unzähligen akademischen Antritts- und Festreden, die von dem universalgeschichtlichen "Konkurrenzdruck", unter den die professionelle Geschichtswissenschaft sich durch die historischen Ansprüche und gesellschaftlichen Ziele des präsenten revolutionären Subjekts gesetzt findet, in dem Maß Zeugnis ablegen, wie in ihnen die Historiker – ganz gegen ihre erklärte szientifische Bescheidung und angeblich kritische Nüchternheit – sich berufen fühlen, dieser vergleichbar totalen Bestimmung beziehungsweise unvergleichlich höheren Absicht der bürgerlichen Gegenwart nachzuforschen und das Wort zu reden.
... lassen.85
Dass diese anthropologische Stereotypisierung der Vergangenheit sich durchaus mit einer ins Unendliche gehenden physiognomischen Detaillierung verträgt, sei nur am Rande bemerkt. Betrogen um eben den als allgemeines historisches Interesse und als universale gesellschaftliche Intention wirksamen Gattungsbegriff, über den die Gegenwart nicht verfügt, zeigt sich die Vergangenheit, die nach ihrem Bilde die restaurierte bürgerliche Gegenwart formt und hervorbringt, von vorneherein außerstande zu jeder historisch spezifischen Differenzierung und konkret gesellschaftlichen Bestimmung und entmischt sie sich, wie einerseits ins abstrakte Stereotyp der Gegenwart selber, den leeren Begriff, einen Gemeinplatz historischen Erkennens, so zugleich zwangsläufig andererseits in die unverbundene Mannigfaltigkeit ihres unvermittelten Erscheinens, die blinde Anschauung, den Gegenstand historischer Feldforschung.
... "Belegmaterials"86
Danto, a.a.O., S. 200.