7. Volksbewegung

Die sozialreformerischen Bemühungen der beiden Gracchen scheitern daran, dass die pauperisierte und deklassierte Plebs, der Tiberius Gracchus durch Zuteilung von Domanialland, Gaius Gracchus hingegen schon nurmehr durch die Verteilung von Lebensmitteln helfen will, längst durch das System, das sie zugrunde richtet, fasziniert und geprägt ist und eher auf die subsistenzielle Partizipation an ihm spekuliert, als dass sie es radikal ablehnte.

Auf der ganzen Linie also der agrarischen und der handwerklichen Produktion, der zivilen und der kriegswirtschaftlichen Gütererzeugung, wirkt sich die Verwandlung der Römischen Republik in einen auf Kosten der Kolonien und versklavter Teile der kolonialen Bevölkerung funktionierenden Selbstbereicherungsautomaten in Händen der römischen Oberschicht, die mit der unternehmerischen Ausbeutung der Kolonien ihren Anfang nimmt und in der während der Formationszeit des 2. Jahrhunderts noch auf den italischen Raum beschränkten Latifundien- und Manufakturwirtschaft ihre Vollendung findet, verheerend auf die Lebensfähigkeit der traditionellen bäuerlichen und handwerklichen Betriebe Roms und auf die Beschäftigungslage derer aus, die als Eigentümer oder Angestellte dieser Betriebe das Gros des Mittelstands und der Plebs, sprich, das römische Volk im engeren Sinne, bilden. Innerhalb von anderthalb Jahrhunderten nach dem Wendepunkt des 2. Punischen Krieges, dem Punkt, an dem nach der Niederringung des wichtigsten Gegenspielers im Mittelmeerraum einerseits die große militärische Expansion der Republik und andererseits die Umstellung der römischen Ökonomie auf die Ausbeutung der Kolonien und eine mit Sklavenarbeit betriebene Latifundien- und Manufakturwirtschaft beginnt – binnen der anderthalb Jahrhunderte also, die der Republik verbleiben, ehe sie sich ins Kaiserreich hinüberrettet und dort ihr selbstgewirktes Ende findet, vollzieht sich dank der Dynamik der mit militärischen Mitteln hergestellten und aufrechterhaltenen kolonialistischen Ökonomie jene unaufhaltsame Entwicklung, in deren Konsequenz die mittleren und unteren Schichten der römischen Bürgerschaft aus kleinen Erzeugern und Gewerbetreibenden, die durch ihrer Hände Arbeit am Markt partizipieren und denen die imperiale Entwicklung der Republik ein Gemisch aus Beeinträchtigungen und Vorteilen, aus Druck und Anreiz, Konkurrenz und Nachfrage beschert, zu einer Masse arbeitsloser, um ihre ökonomische Basis und ihren sozialen Status gebrachter Deklassierter werden, die an den gesellschaftlichen Ressourcen, dem immer ausschließlicher durch Sklavenarbeit und Ausbeutung der Kolonien beschafften Reichtum, wenn überhaupt, dann nicht mehr kraft ihrer Hände Arbeit und einer aktiven Mitwirkung am Markt teilhaben, sondern nurmehr dank des Politikums ihres Bürgerstatus und der sich daraus ergebenden Rolle, die sie als fraktionierte Parteigänger oder gesammelte Interessengruppe in den Machtkämpfen der Oberschicht spielen.

Wie unaufhaltsam und zumal unumkehrbar die in der ökonomischen Enteignung und sozialen Entwurzelung der Plebs resultierende Entwicklung hin zu einer ausschließlich auf Sklavenarbeit und kolonialistischer Ausbeutung basierenden Reichtumsbeschaffung tatsächlich ist, zeigt der letzte ernsthafte Versuch, ihr Einhalt zu gebieten beziehungsweise sie in geordnete und von Staats wegen kontrollierbare Bahnen zu lenken, der mit dem Namen der Gracchen verknüpft ist. Tiberius Gracchus, der ältere der beiden Brüder, die als Führer der organisierten Plebs, als Volkstribunen, dem Rad der schicksalhaften Entwicklung der Republik in die Speichen greifen beziehungsweise seine Bahn lenken wollen, verfolgt dabei noch das doppelte Ziel, dem galoppierenden Ruin, in den die übermächtige Konkurrenz der großen Landgüter die Bauern und kleinen Grundbesitzer hineintreibt, Einhalt zu gebieten und die bereits von ihrem Grund und Boden vertriebenen und von Deklassierung bedrohten beziehungsweise ihr bereits verfallenen Gruppen auf neuen Höfen anzusiedeln und so als freie, ökonomisch weitgehend unabhängige Agrarbevölkerung wiederherzustellen.

Um dieses doppelte Ziel zu erreichen, greift er die auf privatisiertem Domanialland von der Oberschicht entfaltete und auf Sklavenarbeitsbasis betriebene Latifundienwirtschaft an, in der er die auslösende Ursache für die krisenhafte Zuspitzung der ökonomischen und sozialen Probleme der römischen Volksmasse erkennt. Er schränkt durch Volksbeschluss und tribunizisches Gesetz die Flächen an Staatsland, die ein Privatmann in seinem Besitz haben darf, ein, lässt die darüber hinausgehenden Landflächen, die von der Oberschicht okkupiert und genutzt werden, an den Staat zurückfallen und beruft eine Kommission zur Aufteilung dieser Flächen in kleine Höfe und zu deren Distribution an landlose römische Bauern. Ohne sich am Privateigentum zu vergreifen und also die auf ihren traditionellen Landgütern und Besitzungen basierende Machtposition der patrizischen Oberschicht anzutasten, sucht er durch eine Umverteilung jener neuen Ländereien aus Staatsbesitz, die als kritische Masse zum traditionellen Besitz der Oberschicht hinzukommen, teils die das politisch-ökonomische System der Republik destabilisierenden latifundienwirtschaftlichen Konsequenzen, die diese kritische Masse zeitigt, abzuwenden beziehungsweise rückgängig zu machen, teils die ökonomischen und sozialen Schäden zu reparieren, die ja nicht erst die latifundienwirtschaftliche Entwicklung, sondern bereits das von der Oberschicht auf Basis ihrer traditionellen Machtposition durchgesetzte System kolonialistischer Expansion und Ausbeutung im römischen Volk anrichtet.

Zwar gelingt es Tiberius Gracchus, gegen den entschiedenen Widerstand seines Kollegen im Tribunenamt eine Kommission zur Einziehung und Aufteilung des okkupierten Domaniallandes einzusetzen, und die Kommission nimmt tatsächlich auch ihre Arbeit auf; aber da sich absehen lässt, dass diese Arbeit bei weitem nicht innerhalb der auf ein Jahr begrenzten Amtszeit eines Volkstribunen zu vollbringen ist und da er angesichts des erbitterten Widerstands der Träger und Nutznießer des Latifundiensystems, sprich, der das Staatsland als Privatbesitz vereinnahmenden und nutzenden Nobilität, für den Zeitpunkt seines Ausscheidens aus dem Amt und des Verlusts der sakrosankten Stellung, die ihm letzteres verleiht, um sein Leben fürchten muss, sucht Tiberius bei der Volksversammlung eine Verlängerung seiner Amtszeit zu erwirken. Was ihn und seine Reform retten soll, wird ihm zum Verhängnis: Die Senatspartei legt öffentlichkeitswirksam sein Streben nach Verlängerung der Amtszeit als Griff nach der Alleinherrschaft aus und nutzt diese in der Römischen Republik schlimmste aller politischen Anschuldigungen, die Anschuldigung, er habe die Republik abschaffen und ein diktatorisches Regime errichten, sich gar zum König aufwerfen wollen, um ihn mit dreihundert seiner Gefolgsleute niederzumetzeln.

Die Initiative zur Einziehung und Neuverteilung von okkupiertem Staatsland, das Kernstück des durch Tiberius Gracchus unternommenen Versuchs, der galoppierenden ökonomischen Zersetzung und sozialen Erosion in der Republik entgegenzuwirken beziehungsweise beides nach Möglichkeit zu reparieren, ist damit praktisch gescheitert. Unter dem Vorwand, dass bei der Rücknahme von ehemaligem Domanialland nicht nur römische, sondern auch bundesgenossenschaftliche Privatinteressen berührt werden, dass es sich also dabei nicht nur um ein innenpolitisches, durch Gesetz lösbares Problem, sondern ebenso sehr um eine außenpolitische, römische Staatsverträge tangierende Frage handelt, wird der anfangs noch weiterarbeitenden Aufteilungskommission die Zuständigkeit für die Feststellung der Einziehbarkeit von Land entzogen und der traditionell für dergleichen Fragen zuständigen zensorialen und konsularischen Verwaltung übertragen, was auf eine unbegrenzte Aussetzung und in der Tat endgültige Einstellung der Kommissionstätigkeit hinausläuft. Dennoch ist der mit dem Namen der Gracchen verknüpfte Reformversuch damit noch nicht am Ende.

Ein Jahrzehnt später wird unter unverändert und vielmehr verschärft krisenhaften gesellschaftlichen Bedingungen der jüngere Bruder des ermordeten Tiberius, Gaius Gracchus, zum Volkstribun gewählt und nimmt durch eine Reihe von Gesetzen, die er erfolgreich in der Volksversammlung durchbringt, die früheren Reformbestrebungen in allerdings vielsagend veränderter Form wieder auf. Das wichtigste Reformstück und zugleich die markanteste Korrektur des früheren Reformkurses bildet dabei das Gesetz zur kostenlosen regelmäßigen staatlichen Versorgung der städtischen Plebs mit Getreide. An die Stelle des Versuchs, den entwurzelten Bauernstand wieder Boden gewinnen und Fuß fassen zu lassen, tritt der reduzierte Anspruch, den Entwurzelten in ihrer Rolle als städtische Plebs eine staatlich garantierte Versorgung und Subsistenz zu sichern. Die alte Absicht, die Entwurzelten neu anzusiedeln und mit Höfen auszustatten, wird zwar nicht ganz und gar aufgegeben, aber sie verwandelt sich aus einer breiten Motion vor Ort des italischen Raumes in eine auf ferne Gestade und koloniale Freiräume zielende paradigmatische Landnahmebewegung und legt so den Charakter eines allgemeinen sozialen Bereinigungsplanes ab, um sich mit der Ventilfunktion einer Drainage der schlimmsten sozialen Entzündungsherde zu bescheiden. Römische Kolonien auf dem Boden des einstigen Karthago oder des transalpinen Gallien ermöglichen es zwar vielleicht, die unruhigsten, weil sich mit ihrem sozialen Schicksal am schwersten tuenden Elemente der neuen massierten Plebs zu entfernen und so die gärende Gesamtmasse ruhiger zu stellen, aber ein Programm zur Beendigung des Gärprozesses oder gar zur Rückgängigmachung der eingetretenen sozialen Verwerfungen bilden sie nicht.

Sein von Maßnahmen zur Einschränkung der gesetzgeberischen und richterlichen Kompetenzen des Senats flankiertes Reformwerk sucht Gaius Gracchus dadurch zu sichern, dass er mit Blick auf seine eigene Wiederwahl vom Gesetzgeber Volksversammlung die Schranke der einjährigen Amtszeit für Tribunen aufheben lässt. Gleichzeitig bemüht er sich, die soziale Basis, auf der er operiert, zu verbreitern, die Fraktion seiner Unterstützer zu vergrößern, indem er die schon lange schwelende Frage der rechtlichen Stellung der Bundesgenossen aufgreift und deren Verwandlung in römische Vollbürger beziehungsweise Überführung in den privilegierten bundesgenossenschaftlichen Status fordert, den bislang ausschließlich die latinischen Gemeinschaften innehatten. Mit diesem Ansinnen aber weckt er die Eifersucht seiner eigenen Anhängerschaft, der römischen Plebs, die sich in ihrer Stellung als Hätschelkind der Reform bedroht sieht. Es genügt, dass ein von der Senatspartei gekaufter tribunizischer Kollege des Gaius den ganz realitätsfremden, rein demagogischen Antrag stellt, statt der Koloniegründungen an fernen Gestaden Gelegenheiten für Neuansiedlungen in der Nähe Roms, auf italischem Boden, zu schaffen, um die Plebs dazu zu bringen, ihrem Wohltäter und Vorkämpfer einen Denkzettel zu verpassen und ihm nämlich die Wiederwahl zu verweigern. Diese quasi symbolische Geste aber genügt bereits, das ganze, auf den tönernen Füßen des Volkswillens stehende Reformwerk zum Einsturz zu bringen: Als der seines Amtes entkleidete Tribun mit seiner Anhängerschaft sein Lieblingsprojekt, die karthagische Kolonie, auf der Volksversammlung durchzudrücken versucht, kommt es zu Kämpfen, in deren Verlauf er sein Leben verliert.

Die Unaufhaltsamkeit des sozialen Verfalls der traditionellen republikanischen Gesellschaft, ihrer Aufspaltung in eine auf Basis der kolonialen Ausbeutung und der Sklavenwirtschaft im Überfluss schwimmende Nobilität und eine um ihre ökonomische Basis gebrachte, besitzlose Plebs machen die Reformversuche der beiden Gracchen wünschenswert deutlich. Sie zeigen nämlich zuerst und vor allem, dass der als Opfer der Entwicklung firmierenden Plebs in actu dieses sie nunmehr definierenden Opferstatus das Vermögen verloren geht, mit persönlicher Verantwortlichkeit, moralischer Zurechnungsfähigkeit und politischer Resolution eine entscheidende Revision und grundlegende Veränderung der eingetretenen Situation zu wollen und zu betreiben. Tatsächlich dürfte die wesentliche Fehleinschätzung der Reformer, ihr ausschlaggebender Irrtum bei der politischen Lagebeurteilung eben darin zu sehen sein, dass sie jenen, denen sie aus ihrer ökonomischen Zwangs- und sozialen Notlage heraushelfen wollen, einen ungebrochenen Willen zur radikalen Sanierung ihrer Verhältnisse und Wiederherstellung in statu quo ante zuschreiben, dass sie ihnen mit anderen Worten die unzweideutige Absicht und Bereitschaft unterstellen, den neuen Status eines durch Entzug der ökonomischen Basis in Abhängigkeit existierenden sozialen Opfers gegen die alte Position eines auf Basis relativer ökonomischer Unabhängigkeit frei handelnden politischen Subjektes einzutauschen. Weit entfernt von solcher Bereitschaft zur nachdrücklichen Veränderung und radikalen Erneuerung, sind jene ökonomisch entwurzelten und sozial deklassierten plebejischen Gruppen vielmehr ebenso sehr Geschöpfe wie Opfer der neuen Situation, finden sie sich durch den politisch-ökonomischen Prozess jener neueingeführten, auf kolonialistischer Ausbeutung und Sklavenarbeit basierenden Reichtumsbeschaffungsmethoden der Nobilität nicht weniger von Grund auf verändert als zugrunde gerichtet, nicht weniger in Bann geschlagen und transzendental definiert als aus dem Rennen geworfen und real demontiert.

Der Grund für diese die Plebs ideologisch in Bann schlagende Faszination, die von dem sie praktisch in die Pfanne hauenden neuen Reichtumsbeschaffungssystem ausstrahlt, diese mit dem Existenzverlust einhergehende Charakterkonversion, mit der ökonomischen Destruktion verknüpfte perspektivische Transformation, die das neue System der Plebs beschert, ist eben darin zu suchen, dass letzteres eine höchst effektive Bereicherungsveranstaltung darstellt, bei der die ökonomische Not und das soziale Elend, worein sich die unteren und mittleren Schichten gestürzt sehen, als bloße Kehr- und Schattenseite der strahlenden Fülle und des überwältigenden Überflusses erscheinen, womit sich die Oberschicht überhäuft findet. Statt nichts weiter als ökonomischen Ruin und sozialen Verfall zu bewirken, treibt das von der Nobilität etablierte System diesen Ruin und Verfall vielmehr als bloße, wie man will, Folge- oder Randerscheinung des ungeheuren Stromes von Gütern und Dienstleistungen hervor, den koloniale Ausbeutung und Sklavenarbeit entfesseln und der Nobilität zuwenden.

Angesichts der pleromatischen Fülle, die so das neue System zeitigt und den durch es benachteiligten plebejischen Gruppen provokativ, und nämlich ebenso unerreichbar wie dicht, vor Augen stellt, wird es diesen Gruppen schwer und in der Tat unmöglich, den gravierenden Mangel, das tendenzielle Nichts, worein sie sich durch die systematische Entwicklung versetzt sehen, als vernichtenden Einwand, als resultative Negativität gegen das System geltend zu machen, und drängt sich ihnen vielmehr unwiderstehlich die Möglichkeit auf, diesen gravierenden Mangel, dies resultierende Nichts als fait accompli der systematischen Entwicklung hinzunehmen, um dann von dieser einverständigen Position aus eine Beteiligung an der in systematischer Korrespondenz zu dem Mangel, der sie ereilt hat, entstandenen pleromatischen Fülle, mit anderen Worten, ihre Sanierung durch das als die systematische Wahrheit des Nichts, das sie bedrängt, erscheinende überschwängliche Sein ins Auge zu fassen. Nicht aggressives Aufbegehren gegen das von der Nobilität etablierte politisch-ökonomische System, um das ihnen von letzterem zugeteilte Los der Pauperisierung und Verelendung abzuschütteln und sich im vorsystematischen Zustande einer halbwegs autarken Subsistenz und autonomen Bürgerlichkeit wiederherzustellen, lautet demnach die Devise der ökonomisch entwurzelten und sozial deklassierten plebejischen Gruppen, sondern Identifikation mit dem Aggressor, um dem durch seine Aggression ihnen bereiteten Schicksal zu entrinnen und es in Partizipation an dem ihr, der Nobilität, kraft ihres aggressiven Procedere zuteil gewordenen materiellen Segen zu verkehren.

Eben weil die aus dem Zusammenbruch der traditionellen römischen Wirtschaft hervorgegangene plebejische Konkursmasse ökonomisch entwurzelt und sozial deklassiert ist, vermag sie sich gegenüber der aus kolonialer Ausbeutung und Sklavenarbeit kombinierten Großunternehmung, die jenen Zusammenbruch herbeiführt, auch nicht mit einem den neuen systematischen Kontext stracks negierenden eigenen wirtschaftspolitischen Standpunkt und einem der anderen strategischen Ordnung diametral zuwiderlaufenden alten gesellschaftspolitischen Status zu behaupten – beides ist ihr ja nach Maßgabe des totalen Erfolgs des Großunternehmens und seiner demgemäß transzendentalen Verbindlichkeit gründlich und in der Tat unwiderruflich verlorengegangen. Was ihr statt dessen nurmehr bleibt, ist der Versuch, in dem zu ihren Lasten erfolgreichen Großunternehmen selbst und auf dessen gedeihlichem Boden wenn schon nicht wieder ökonomisch Wurzeln zu schlagen, so immerhin aber subsistenziell Fuß zu fassen, und wenn schon nicht erneut eine funktionale Stellung zu finden, so jedenfalls doch einen sozialen Standort zu erringen.

Der Hebel, mittels dessen sich die Plebs die Partizipation an den Früchten des kolonialen Ausbeutungssystems der Nobilität sichern will, ist das Bürgerrecht – es allerdings nicht mehr in seiner habituell-formalen Gestalt, sondern in neuer existenziell-materialer Bestimmtheit. Für die Forderungen der Plebs fehlt indes der Adressat, da die Nobilität sich aufgrund ihrer Interessenlage taub gegen die von der Plebs vollzogene Existenzialisierung des Bürgerrechts stellt und die Plebs sich mit der Anerkennung des Bürgerrechts als unverändert gemeinsamer Plattform der Möglichkeit begibt, eben diese, die gemeinsame Plattform objektiv ad absurdum führende Interessenlage der Nobilität sozialkritisch zu thematisieren.

Die Frage ist nur, wie sie das anfangen soll. Wie und kraft welchen Vermögens soll sie, die vom unaufhaltsamen Zug der imperialistischen Wirtschaft der eigenen Führungsschicht überrollte und in Staub geworfene Plebs, es bewerkstelligen, auf diesen Zug aufzuspringen und an seiner Siegesfahrt teilzunehmen? Welche brauchbare Handhabe hat sie, die schiffbrüchige Besatzung des vom Staatsschiff überfahrenen und auf den Grund des Meeres geschickten bescheidenen Nachens der mittleren und unteren Schichten, den Aggressor zum Einlenken, das Staatschiff zum Beidrehen zu veranlassen und zur Hilfeleistung, zur Rettungsaktion zu bewegen? Was für einen Anspruch auf Wiederherstellung oder Schadloshaltung kann sie mit Fug und Recht erheben? Welches Recht kann sie gegen die Gewalt der ökonomischen Verhältnisse geltend machen? Ökonomisch entwurzelt und sozial deklassiert, scheinen die Angehörigen dieser menschlichen Konkursmasse alle konkreten Ansprüche und Rechte, die sich aus ökonomischer Fundierung und sozialer Einbindung ergeben, eingebüßt zu haben. Geblieben scheint ihnen nichts als ihre abstrakte, ökonomisch ebenso ungestützte wie sozial ungesicherte politische Existenz als Bürger des Gemeinwesens.

Gegen die konkrete Gewalt der ökonomischen Verhältnisse und sozialen Verwerfungen geltend machen können sie demnach nur das Recht, das ihnen diese ihre abstrakte politische Existenz, ihre Zugehörigkeit zur römischen Gemeinschaft, ihr Einschluss in den Gesellschaftsvertrag der Römischen Republik verleiht, kurz, geltend machen können sie nichts als ihr römisches Bürgerrecht. Es markiert oder stipuliert die eigentlich oder als schierer Formalismus politische Ebene, die Ebene jener per Abstraktion für sich genommenen Polis oder besser civitas, in der alle Beteiligten, die Angehörigen der zur Nobilität erweiterten patrizischen Führungsschicht ebenso wie die der durch Deklassierung expandierenden plebejischen Unterschicht, kraft Bürgerstatus als wenn schon mitnichten im Effekt gleichrangige, so jedenfalls doch im Prinzip gleichberechtigte Mitglieder versammelt sind – gleichberechtigt in der Bedeutung eben dieses gemeinsamen Bürgerrechts, das sich in tautologischer Engführung als wechselseitig garantiertes Recht auf Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, sprich, als Recht darstellt, Bürger des Gemeinwesens zu sein und zu bleiben.

Dabei ist das selbstbezüglich Abstrakte, um nicht zu sagen Tautologische, jenes Rechts nicht Konsequenz seiner Inhaltslosigkeit und Leere, sondern Ausdruck der Tatsache, dass der Inhalt, auf den das Recht sich bezieht, bereits vorgegeben, die empirischen Umstände, die ökonomischen und sozialen Lebensverhältnisse, in denen der Bürger sich befindet, jeweils schon vorausgesetzt sind, und das Bürgerrecht sich in einer allgemeinen Bestandsgarantie, nämlich in dem von allen Beteiligten allen Beteiligten garantierten Anspruch auf Aufrechterhaltung der gegebenen Inhalte und vorausgesetzten Verhältnisse erschöpft. Unbeschadet ebenso sehr wie ungeachtet der Art und Weise, wie das Gemeinwesen historisch zustande gekommen ist, und der Mechanismen, durch die es systematisch zusammengehalten wird, eint seine Mitglieder die als wie immer unausgesprochener Gesellschaftsvertrag begreifliche und qua ausdrückliches Bürgerrecht kodifizierte Entschlossenheit, keine nicht der Logik der empirischen Verhältnisse des Gemeinwesens entspringenden, nicht seinen Spiel- oder vielmehr Verkehrsregeln entsprechenden, sondern jener Logik fremden, mit jenen Regeln unvermittelten und per definitionem ihrer Unvermitteltheit gewaltsamen Veränderungen des biologisch, ökonomisch und sozial Gegebenen zu tolerieren und mit anderen Worten nicht zuzulassen, dass sie, die Mitglieder des Gemeinwesens, Übergriffen durch fremde Kollektive oder durch Individuen aus den eigenen Reihen ausgesetzt sind und sei's Schädigungen an Leib und Leben, sei's ökonomische Enteignungen, sei's soziale Diskriminierungen erleiden. In der Tat richten sich von Haus aus das Bürgerrecht und die Bestandsgarantie, die es gewährt, das wechselseitige Schutzversprechen, das es bedeutet, ausschließlich gegen gewaltsame Eingriffe in die gegebenen Lebensverhältnisse und gegen systemfremde Manipulationen des als Voraussetzung Bestehenden und nicht etwa gegen die Änderung der Verhältnisse, die deren eigener Logik geschuldet sind, gegen Transformationen, die das System aus innerer Dynamik durchläuft. Sowenig das Bürgerrecht die Inhalte und Verhältnisse konstituiert, auf die es sich bezieht, sowenig intendiert es eine inhaltliche Festschreibung des jeweils historisch gegebenen Status quo, eine Garantie der Unveränderlichkeit der jeweils empirisch bestehenden Situation.

Allerdings ist in jener Konstruktion eines bürgerrechtlichen Gesellschaftsvertrages auch nicht vorgesehen, dass die innere Logik der als schutzwürdig angesehenen gegebenen Lebensverhältnisse diese in einen Veränderungsprozess hineintreibt, an dessen Ende sie für einen Teil der Vertragspartner jeder Verhältnismäßigkeit entkleidet und den Betreffenden regelrecht abhanden gekommen sind, dass mit anderen Worten die eigene Dynamik der für garantiert erklärten vorausgesetzten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung diese einem so nachdrücklichen Wandel unterwirft, dass schließlich für ganze Gruppen der an ihr teilhabenden Bürger die ökonomische und soziale Grundlage ihrer Teilhabe überhaupt entfällt. Und genau das aber geschieht! Wie gesehen, führt die durch koloniale Ausbeutung und Sklavenarbeit gleichermaßen determinierte und vorangetriebene Entwicklung der republikanischen Gesellschaft für einen großen Teil der bäuerlichen und handwerklichen Mittel- und Unterschichten in der römischen Bürgerschaft zu einer ökonomischen Entwurzelung und sozialen Deklassierung, die ihnen ihre subsistenzielle Grundlage und ihre gesellschaftliche Integration nicht weniger effektiv verschlägt, als die gewaltsamste ökonomische Enteignung und soziale Diskriminierung das zu tun vermöchten. Eben die Situation, gegen die das Bürgerrecht schützen soll, jene als Resultat handgreiflicher Gewalt und direkten Zwangs vorgestellte, als Folge willkürlicher Eingriffe antizipierte, einschneidende Veränderung der materialen Lebensverhältnisse und der Bedingungen sozialen Zusammenlebens, vor der es zugunsten einer aus eigenem Antrieb kontinuierlichen Entwicklung der Verhältnisse und einer freien Entfaltung der das Zusammenleben regelnden Kräfte das Gemeinwesen bewahren soll – sie also wird unter dem Schutz des Bürgerrechts durch die der inneren Logik der Verhältnisse folgende kontinuierliche Entwicklung selbst, durch das nur seinen eigenen Regeln verpflichtete assoziative Kräftespiel als solches hervorgetrieben: Am Ende der logischen Entwicklung der materialen Lebensverhältnisse zeigen sich große Teile der Bevölkerung ebenso sehr von der Teilhabe an ihnen ausgeschlossen, pauperisiert, sprich, ihrer ökonomischen Subsistenz beraubt, wie sie sich in der Konsequenz des freien Spiels der assoziativen Kräfte dissoziiert, dem Zusammenleben entrissen, sprich, um ihre soziale Integration gebracht finden.

Und indem das geschieht, ändert nun aber das Bürgerrecht nolens volens seinen Impetus und Sinn: Es wird aus einer Gewährleistung des Quid est zur Inanspruchnahme eines Quod est, wird aus einem Recht auf Bestehendes und Vorausgesetztes, zu einem Recht auf das Bestehen überhaupt und die Voraussetzung als solche. In dem Maße, wie sich die gesellschaftliche Situation existenzialisiert und für einen Großteil der Bürgerschaft das Bürgerrecht sich auf einen rein formalen Anspruch reduziert, dessen vorausgesetzter Gegenstand und Geltungsbereich, dessen als ökonomische Subsistenz und soziale Integration gegebener materialer Bezug sich quasi verflüchtigt hat und entfallen ist, nimmt das Bürgerrecht selber existenzielle Bedeutung an und erweist sich im Blick auf das Verschwundene, wie einerseits als faktische Fehlanzeige und reliquarischer Index, so andererseits aber auch als praktische Zivilklage und restaurativer Kodex. Als das, was von ihren ruinierten Lebensverhältnissen, ihrer verlorenen ökonomischen Grundlage und sozialen Einbindung, noch als entleerte Vertragsbestimmung, als nunmehr gegenstandslose Klausel übriggeblieben ist und zeugt, wird das Bürgerrecht zu einem Strohhalm, nach dem sie greifen, um die alten Lebensverhältnisse quasi zu beschwören, die mit ihm ursprünglich angezeigte ökonomische Subsistenz und soziale Integration als das zu ostentieren, was sub specie seiner nach wie vor am Platze ist. Das Bürgerrecht und der in ihm kodifizierte Gesellschaftsvertrag gewinnen in dem Maße, wie sie ihre affirmative Funktion verlieren, evokative Bedeutung: Nach der Devise, dass, wo ein Recht ist, auch der Tatbestand sein muss, auf den sich das Recht bezieht, weil sonst das Recht ja gegenstandslos wäre, setzen die entwurzelten und deklassierten Plebejer eben jenen vormals vorausgesetzten und aber mittlerweile durch die Dynamik der gesellschaftlichen Verhältnisse zugrunde gerichteten Tatbestand, die ökonomische Subsistenz und soziale Integration aller Bürger, als durch das Recht stipulierte Realität, als aus dem Gesellschaftsvertrag bei Strafe seiner offenbaren Nichtigkeit zu folgerndes existenzielles Erfordernis, als eine aus der bloßen Form herauszuschlagende Materie, einen aus der abstrakten Klausel zu ziehenden konkreten Schluss.

So also wird das abstrakte, um seinen Bezug und Gegenstand gebrachte Bürgerrecht für die Plebs zum Unterpfand ihres Anspruchs auf Restitution eben jenes Bezuges und Gegenstandes, wird für sie zur Berufungsinstanz, um wegen der ökonomischen und sozialen Unbill, die ihr widerfahren ist, Protest anzumelden und Regressforderungen zu erheben, kurz, es wird für sie zum formalen und in aller Form zwingenden Grund für ihre materiale Neubegründung und kommunale Rehabilitation als Mitglieder der civitas. Wie und auf welchem Wege die Plebs diese ihre – das Bürgerrecht aus einem Garanten vorhandener Subsistenz und Integration in einen Stipulanten fehlender Subsistenz und Integration umfunktionierende – Restitutionsforderung und Schadensersatzklage vorträgt und geltend macht, ist nicht schwer zu erraten. Sie tut es durch eben das Organ und Sprachrohr, das ihr auch bis dahin schon Stimme verliehen und die Mitsprache gesichert hat, nämlich durch die Institution des Tribunats. Letzteres politisiert oder vielmehr existenzialisiert sich dabei unter dem Eindruck der ihm zufallenden neuen Aufgabe und Repräsentanz auf die gleiche Weise wie das von ihm geltend gemachte Bürgerrecht selbst. Besteht traditionell das Amt des Tribuns darin, den einfachen Bürger in specie oder als Individuum gegen Willkür und Gewalt und gegen daraus resultierende leibliche Schädigungen, ökonomische Enteignungen und soziale Diskriminierungen zu schützen und ihn im Genuss der sanktionierten politisch-rechtlichen Prozeduren, der gewohnten ökonomisch-kommerziellen Aktivitäten und der bewährten assoziativ-sozialen Verkehrsformen des Gemeinwesens zu erhalten, so erkennt der Tribun nun seine Zuständigkeit darin, den einfachen Bürger in genere oder als Kollektiv vor den ökonomischen Enteignungen, den sozialen Diskriminierungen und, daraus resultierend, den Beeinträchtigungen von Leib und Leben zu retten, die ihm aus jenen sanktionierten Prozeduren, gewohnten Aktivitäten und bewährten Verkehrsformen nicht weniger zuverlässig als aus der ungezügeltsten Willkürhandlung und Gewaltübung erwachsen; mit anderen Worten, er fühlt sich nunmehr herausgefordert, den als Kollektiv betroffenen Bürger, die Plebs, unter Berufung aufs Bürgerrecht gegenüber der zerstörerischen Dynamik eben der entwickelten Lebensverhältnisse und gesellschaftlichen Strukturen sicherzustellen und schadlos zu halten, die in ihrer unentwickelten Form das Bürgerrecht eigentlich nur zu garantieren und in Geltung zu erhalten diente.

So unstrittig aber auch die auf subsistenzielle Fundierung und assoziative Integration lautende Forderung ist, die das existenziell gewendete und aus einem bloß affirmativen Faktor in eine mehr noch evokative Instanz umfunktionierte Bürgerrecht den ökonomisch Entwurzelten und sozial Deklassierten eingibt, und so klar des weiteren ist, welche politische Institution berufen ist, diese Forderung vorzutragen, so unklar ist allerdings der Adressat, dem sie gilt. Zwar de jure hält, diesen Adressaten zu benennen, nicht schwer: es ist der die gemeinschaftlichen Interessen vertretende, die öffentlichen Geschäfte besorgende, das Gemeinwesen verwaltende Staat. An wen sonst, wenn nicht an die mit der Aufrechterhaltung der Gemeinschaft als solcher, sprich, mit der Wahrung der gesellschaftlichen Eintracht und des öffentlichen Friedens, sprich, mit der Wahrnehmung, Vermittlung und Bewältigung von Interessenkonflikten und Störungen des Kräftegleichgewichts zwischen Gruppen und Parteien von Amts wegen betraute Einrichtung Staat sollten sich wohl die Restitutions- beziehungsweise Kompensationsansprüche der durch den Gesellschaftsprozess in ihren ökonomischen Interessen existenziell beeinträchtigten und um alle soziale Balance gebrachten plebejischen Gruppe richten? De facto allerdings und in seiner empirischen Verfassung, in seinem legislativen Gremium und exekutiven Apparat, besteht der römische Staat aus Senat und von diesem gewählter und kontrollierter Beamtenschaft, das heißt, er rekrutiert sich zur personalen Gänze aus jener Nobilität, jener patrizisch-ritterlichen Führungsschicht, die maßgebliche Betreiberin und verantwortliche Trägerin der, wie in einer beispiellosen Bereicherung ihrer, der Führungsschicht, selbst, so aber auch in der Entwurzelung und Deklassierung breiter Volksschichten resultierenden politisch-ökonomischen Entwicklung der Republik ist. Mit anderen Worten, der Staat ist Partei, befindet sich in den Händen oder hat vielmehr die Gestalt derer, die durch die Verfolgung ihrer privaten Interessen schuld sind an der Misere der Plebs und gegen die sich deren Zivilklage objektiv richtet, und ist deshalb als Staat, als zwischen den Konflikten der gesellschaftlichen Gruppen zu vermitteln, zwischen ihren Interessen einen Kompromiss zu erzielen fähige Instanz, als Wahrerin des in der Kompatibilität diskrepanter Interessen bestehenden Allgemeinen, als Hüterin eines Gemeinwesens, bei dem die Kongruenz der Perspektiven der einzelnen Gruppen ihre Divergenz überwiegt, nicht mehr verfügbar und tatsächlich gar nicht mehr existent.

Dabei ist, um Missverständnissen vorzubeugen, der Grund für das Verschwinden der eigentlichen Staatsfunktion nicht schon das bloße Parteisein der den Staatsapparat okkupierenden Nobilität, die einfache gruppenspezifische Interessiertheit der das Personal für die staatlichen Institutionen stellenden patrizisch-ritterlichen Führungsschicht. Interessierte Partei ist die staatstragende Führungsschicht vielmehr seit jeher, seit den Anfängen ihrer zuerst auf flankierende militärische Maßnahmen für die Förderung des Handels beschränkten und später dann auf direkte kolonialistische Eroberungen abgestellten Expansionsstrategie. Nur dass im Unterschied zur jetzt entstandenen Situation diese Parteilichkeit und Interessiertheit der Führungsschicht in den vorangegangenen Zeiten eine Parteinahme für andere gesellschaftliche Gruppen, für die der Führung der Nobilität anvertrauten mittleren und unteren Schichten, nicht ausschließt, mit einer fürsorglichen Berücksichtung der Interessen der letzteren vereinbar bleibt, dass also etwa die Bereicherung durch den expandierenden Handel für die aufgrund dieser Bereicherung Verarmenden, die binnenwirtschaftlichen Opfer der Entwicklung, eine relative Kompensation durch Kriegsbeute oder die Chance zur munizipialen beziehungsweise kolonialen Neuansiedlung in annektierten Gebieten bereithält oder dass die kolonialistische Kontributions- und Konfiskationspraxis, sosehr die Führungsschicht sich mit ihr in die eigene Tasche wirtschaftet, doch aber auch durch das staatliche Ausgaben- und private Konsumniveau, das sie ermöglicht, den primär ausgeschlossenen und benachteiligten unteren Schichten sekundär Verdienstmöglichkeiten eröffnet und Zuwendungen beschert. Jetzt hingegen geht die Bereicherungsstrategie der Führungsschicht durch ihre Umstellung von einer direkten, Wertmittel abschöpfenden Beschaffungspraxis auf ein indirektes, Ressourcen ausbeutendes Aneignungsverfahren eindeutig zu Lasten der mittleren und unteren Schichten, der bäuerlichen und handwerklichen Gruppen, die sich durch die mittels kolonialistischer Zwangswirtschaft und heimischer Sklavenarbeit produzierten wohlfeilen Waren, die auf den römischen Markt strömen, auskonkurriert und ins Unglück gestürzt finden. Jeder Versuch der Oberschicht, ihr parteiliches, eigeninteressiertes Handeln, ihr auf ihren privaten Nutzen gerichtetes Vorgehen, mit der Rücksicht auf die Interessen jener anderen Gruppen, auf deren Existenzanspruch, zu vermitteln und also der staatlichen Funktion, die sie formaliter und in persona wahrnimmt, materialiter und in re gerecht zu werden, würde bedeuten, dass sie ihrem Eigeninteresse zuwiderhandeln, ihrem aktuellen Besitzstand oder zumindest ihren prospektiven Bereicherungschancen Schaden zufügen müssten, widerstritte also diametral der Logik des Appropriationssystems, das sie mit passiver Duldung, wo nicht gar unter aktiver Mitwirkung der von ihr okkupierten, von ihresgleichen vertretenen Staatsfunktion aufgebaut hat, und unterbleibt deshalb.

Den Staat, den sie als öffentliches, gesamtgesellschaftliches Anliegen repräsentiert, solange die Verfolgung ihrer privaten, gruppenspezifischen Interessen noch halbwegs mit der Wahrung der Interessen der anderen Gruppen vereinbar ist, reduziert sie in dem Maße, wie diese ihre Privatinteressen in einen unvermittelbaren Gegensatz und tatsächlich in einen zum Ausschließungsverhältnis fortschreitenden Widerspruch zu den Interessen der anderen treten, auf ein willfähriges Instrument ihrer qua appropriative Ökonomie privativen Politik, sprich, auf einen veritablen Selbstbedienungsladen. So gewiss demnach aber die Staatsfunktion in ihrer traditionellen Form als Vermittlungsinstanz, die auf den Ausgleich konfligierender, aber nicht unvereinbarer, sich beeinträchtigender, aber einander nicht ausschließender Interessen zielt, verschwunden ist und von der neuen, einer systembedingt exklusiven Verfolgung ihrer Interessen frönenden Nobilität, dem neuen, sich mit systematischer Notwendigkeit ebenso sehr zu Lasten der anderen Gruppen im eignen Gemeinwesen wie auf Kosten fremder Gemeinschaften bereichernden korporativen Verbund aus Patriziern und Rittern gar nicht mehr wahrgenommen wird, so gewiss stößt nun der Anspruch auf Lastenausgleich, die Forderung nach Wiedergutmachung oder Kompensation, die die zur Plebs nivellierten anderen Gruppen des Gemeinwesens an diese traditionelle Staatsfunktion adressieren, auf taube Ohren, auf ein Nichts an Resonanz. Weil die Not und das Elend der Plebs Resultat der neuen, in kolonialer Ausbeutung und Latifundienwirtschaft bestehenden Bereicherungsstrategien der Nobilität ist und deshalb auch die dieser Not entsprungenen, diesem Elend geschuldeten Forderungen, die auf Basis eines existenzialisierten Bürgerrechts die Plebs erhebt, nur auf Kosten des durch die neuen Strategien angehäuften Reichtums der Nobilität realisiert werden könnten und zu Lasten seiner weiteren Akkumulation gingen, zielen alle plebejischen Forderungen zwangsläufig ins Leere der mit anderen Parteien unverträglichen, mit den Interessen anderer unvereinbaren Parteilichkeit und Interessiertheit jener die Staatsfunktion nurmehr in corpore verwaltenden, nicht mehr in spiritu erfüllenden Nobilität und werden von dieser kurzerhand ignoriert beziehungsweise kategorisch abgewehrt.

Dabei ist die Abwehr einfach genug und von einem veritablen Verdrängungsakt kaum unterscheidbar: Die Nobilität braucht nichts weiter zu tun, als dem der Not entsprungenen existenzialisiert-materialen Bürgerrecht, das die Plebs geltend zu machen sucht und das die Garantie der ungestörten Teilhabe an den gemeinschaftlichen Lebensverhältnissen in eine Bestandsgarantie für die Teilhabe als solche ummünzt, die Sicherung eines Modus der Partizipation in die Gewährleistung des Faktums der Partizipation umfunktioniert – die Nobilität braucht also nichts weiter zu tun, als diesem existenziell-materialen Bürgerrecht die Anerkennung zu verweigern und das habituell-formale Bürgerrecht dagegenzusetzen, das der Gesellschaftsvertrag der Republik ursprünglich intendiert und das in der Tat mit den gemeinschaftlichen Lebensverhältnissen als solchen, ihrer inhaltlichen Bestimmtheit, ihrer faktischen Zuständlichkeit und konkreten Beschaffenheit gar nicht befasst ist, weil es sie historisch einfach voraussetzt, als empirisch gegebene gelten lässt und nichts weiter bezweckt, als sie beziehungsweise die ihnen einwohnenden Bürger gegen jede gewaltsame Veränderung, willkürliche Einwirkung und persönliche Diskriminierung, denen sie von außen oder von innen ausgesetzt sind, zu schützen. Wie das habituell-formale Bürgerrecht zuvor die als Anschein von Recht und Ordnung perennierende Camouflage abgibt, unter der die gemeinschaftlichen Lebensverhältnisse die geschilderte Dynamik entfalten, die für Teile der Bürgerschaft Konsequenzen zeitigt, wie sie verheerender keine gewaltsame Veränderung, willkürliche Einwirkung und persönliche Diskriminierung zustande brächte, so bietet es der Nobilität nun auch den Deckmantel, um jene verheerenden Konsequenzen, wenn schon nicht zuzudecken, was angesichts ihrer Evidenz ganz und gar unmöglich, so doch als den Gesellschaftsvertrag in keiner Weise verletzende, ihn überhaupt nicht tangierende Erscheinungen zu präsentieren und mithin darauf zu bestehen, dass aus Sicht der politisch-rechtlichen Konstitution des Gemeinwesens alles unverändert seine Ordnung hat, alles nach wie vor mit rechten Dingen zugeht.

Um der Nobilität den Deckmantel des habituell-formalen Bürgerrechts zu entreißen, um ihr vor Augen zu führen, dass das statt dessen geltend gemachte existenziell-materiale Bürgerrecht nicht zwar eine logisch notwendige Folgerung, immerhin aber eine empirisch zwingende Auslegung des ursprünglichen Gesellschaftsvertrages darstellt, müssten die Opfer der politisch-ökonomischen Entwicklung der Republik, müssten jene Gruppen, die sich durch die Dynamik der gemeinschaftlichen Lebensverhältnisse außer alles Verhältnis gesetzt und vom gemeinschaftlichen Lebens ausgeschlossen finden, müsste also die Plebs sich dazu verstehen, grundlegende Kritik an eben diesen gemeinschaftlichen Lebensverhältnissen und ihrer Dynamik zu üben, will heißen, offen zu legen, dass sie, die Lebensverhältnisse selbst, jenes habituell-formale Bürgerrecht, das sie zu schützen prätendiert und auf das sich die Nobilität unverdrossen beruft, längst ad absurdum geführt und wenn schon nicht für die Gemeinschaft in toto, so doch für große Teile des Gemeinwesens außer Kraft gesetzt haben, weil sie nämlich für die zur Plebs nivellierten letzteren genau das, wovor das habituell-formale Bürgerrecht sie zu schützen vorgibt, Enteignung und Diskriminierung, Raub und Vertreibung, aus ganz und gar eigener Dynamik, aus der unaufhaltsamen Logik ihrer natürlichen Entwicklung Wirklichkeit haben werden lassen. Um der Nobilität unleugbar deutlich zu machen, wie wenig das Insistieren auf dem ursprünglichen, in einer systematisch-formalen Gewährleistung von historisch-real Gegebenem sich erschöpfenden Gesellschaftsvertrag der Situation mittlerweile gerecht wird, müsste die Plebs – das gleiche noch einmal mit anderen Worten gesagt! – schonungslose Enthüllungsarbeit leisten und nämlich dartun, wie sehr dies der formalen Garantie unterliegende historisch Gegebene sich durch seine eigener Logik folgende, nach eigenen Spielregeln verlaufende, kurz, autogene Entwicklung selber zugrundegerichtet und für sie, die das Gros der Bürgerschaft bildende Plebs, zu einem Nichtmehrgegebenen, einem Nichts an ökonomischer Subsistenz und sozialer Integration, verflüchtigt hat und wie sehr es den seiner formalen Gewährleistung dienenden Gesellschaftsvertrag damit hat gegenstandslos werden, zu einem nominellen Titel ohne realen Inhalt und Sinn verkommen lassen.

Genau hier indes liegt die Crux der Plebs. Wie kann sie der Nobilität etwas vor Augen führen, was sie selber ins Auge zu fassen sich scheut, wie kann sie ihr etwas klarmachen, worüber sie selber sich klar zu werden vermeidet? In der Tat ist dies ja der bereits genannte tiefe Zwiespalt der Plebs, dass eben die Dynamik der gemeinschaftlichen Lebensverhältnisse der Republik, die sie, die Plebs, aus aller Verhältnismäßigkeit heraussprengt und zugrunde richtet, doch zugleich jene neuen, der Nobilität zu privativem Reichtum und exklusivem Überfluss gereichenden Lebensverhältnisse hervortreibt und ins Werk setzt, in die sie, die Plebs, nun all ihre Hoffnungen auf Remuneration und Redintegration setzt und die sie mittels existenzialisiertem Bürgerrecht um jeden Preis zu vergemeinschaften sucht, dass also eben die Entwicklung der gesellschaftlichen Empirie, durch die sie sich ökonomisch entwurzelt und sozial deklassiert findet, zugleich doch das Positivum einer qua koloniale Beute grenzenlosen materialen Fülle zeitigt, das, sofern ihr gelingt, es kraft eines inhaltlich gewendeten Gesellschaftsvertrages seiner eigentumsrechtlichen Bornierung, seiner besitzständlichen Beschränkung auf die Oberschicht zu entreißen, zu einer ganz neuen, die Bürgerschaft in toto umfassenden pleromatischen Ökonomie und partizipativen Gemeinschaftlichkeit den Grund zu legen und den Kontext zu stiften taugt. In der Tat ist dies die ihrem kritischen Impetus, ihrer Protestbereitschaft zum veritablen Handikap, zu einem unüberwindlichen Hemmnis gereichende abgründige Ambivalenz der Plebs, dass sie, wodurch sie sich gründlich negiert und um allen subsistenziellen Standort und sozialen Entfaltungsraum gebracht findet: die von der Nobilität ausgelöste Dynamik und krisenhafte Entwicklung der republikanischen Ökonomie, doch zugleich nach der Seite ihrer der Negativität korrespondierenden Positivität, ihres wie einerseits Subsistenz verschlagenden, so andererseits Reichtum setzenden Resultats, gelten lässt, um nicht zu sagen, gutheißt und als eine sie faszinierende Perspektive um keinen Preis, auch nicht um den ihrer restlosen Wiederherstellung in statu quo ante der früheren subsistenziellen Selbständigkeit und sozialen Geborgenheit, missen möchte. Nichts sonst als diese, aller ihr durch die politisch-ökonomische Entwicklung der Republik bewiesenen Negativität zum Trotz, unter dem Eindruck des Überflusses, der zugleich Wirklichkeit wird, der Entwicklung entgegengebrachte, unvermittelt neue Positivität liegt ja dem Insistieren der Plebs auf ihrem durch den alten Gesellschaftsvertrag verbürgten Bürgerrecht zugrunde. Nur weil sie, statt ihre Entwurzelung und Deklassierung, ihren Besitz- und Statusverlust, als factum brutum ins Auge zu fassen, den Blick sogleich auf das fait accompli des in Wechselwirkung mit ihrer Enteignung und Diskriminierung ins Werk gesetzten Wohlstands und Prestiges der Nobilität richtet und darein ihre Hoffnung auf eine neue ökonomische Grundlage und eine neue soziale Einbindung setzt, kann sie, statt das Bürgerrecht und den Gesellschaftsvertrag, auf dem es fußt, als außer Kraft gesetzt und durch die Entwicklung seines eigenen historischen Inhalts und empirischen Gegenstandes ausgehöhlt und aufgelöst zu erkennen, dies vertragliche Recht vielmehr als einen ebenso unverbrüchlichen wie unversehrten Anspruch, der nur einfach den empirischen Gegenstand und historischen Inhalt gewechselt und die alte bäuerlich-handwerkliche Subsistenz gegen die neue kolonialistisch-sklavenwirtschaftliche Bereicherung ausgetauscht hat, aufrechterhalten.

Zwar bedeutet für sie, die Plebs, diese Aufrechterhaltung des bürgerrechtlichen Anspruchs, weil ja der Gegenstand, auf den er sich bezieht, nicht zu ihrer Verfügung, sondern Eigentum der Nobilität ist, die Lebensverhältnisse, die er intendiert, nicht ihre, sondern ausschließlich die der Nobilität und ihrer Gefolgschaft sind, dass er sich im oben beschriebenen Sinne existenzialisiert und aus einem Anspruch auf Sicherung des Was zu einer Forderung nach Gewährleistung des Dass, aus bloßer Sorge um Vorhandenes zur Versorgung mit Nichtvorhandenem, aus einer Sanktionierung von Realität zu deren Stiftung wird. Aber diese existenziell-materiale Wendung, die der bürgerrechtliche Anspruch damit erhält, existiert eben nur für sie, die Plebs, und da es das unverändert habituell-formale Bürgerrecht ist, das sie solchermaßen wendet, da sie, um ihm die existenzielle Wendung geben zu können, das habituelle Bürgerrecht unmittelbar als solches für kontinuierlich gegeben, unverbrüchlich existent erklären, also auch seinen Inhalt und Gegenstand, die gemeinschaftlichen Lebensverhältnisse der Republik, von jedem Vorwurf, es gebrochen und außer Kraft gesetzt zu haben, exkulpieren, über allen Verdacht, es durch ihre Dynamik und Entwicklung verwirkt und vernichtet zu haben, erhaben gewahren muss – da, kurz, jeder Versuch der Plebs, sich mit Hilfe des existenzialisierten Bürgerrechts zu sanieren, zwingend voraussetzt, dass sie es für überhaupt noch gegeben und in Geltung befindet, es als solches und traditionelles quasi gesundbetet, kann die Nobilität nichts zwingen, jene existenzielle Wendung mitzumachen, und nichts hindern, auf dem bloß habituell-formalen Bürgerrecht und den von ihm sanktionierten neuen Lebensverhältnissen, denen es doch eigentlich längst zum Opfer gefallen ist und deren Faszinosum die Plebs aber dazu bringt, es als existenzielles Sesam-öffne-dich zu beschwören, mit allem Aplomb, über den sie verfügt, zu beharren.

Und sie hat schließlich jeden nur denkbaren Grund, auf dem Bürgerrecht als einem bloß habituell-formalen zu beharren, da ja die Anerkennung und Durchsetzung des von der Plebs beanspruchten existenziell-materialen Bürgerrechts nicht nur ökonomisch zu ihren Lasten ginge und nämlich von ihr finanziert werden müsste, sondern mehr noch politisch bedeutete, dass sie jene oben als Übung in Mittlertum und Gemeinsinn beschriebene Staatsfunktion wieder wahrnehmen müsste, die sie in Verfolgung ihrer privaten Interessen und parteiischen Absichten als mit diesen Interessen unvereinbare und diesen Absichten stracks zuwiderlaufende Rücksicht längst ad acta gelegt hat und deren Reaktivierung sie, die staatstragende Oberschicht zwänge, in eigener Person und aus den quasi freien Stücken ihrer staatsfunktionellen Verantwortung die Schädigung ihrer privaten Interessen und Durchkreuzung ihrer parteiischen Absichten zu exekutieren.

So gesehen zielt also die Plebs mit ihrem auf Interessen- und Lastenausgleich pochenden existenzialisiert bürgerrechtlichen Anspruch ins Leere einer Staatsfunktion, die nicht nur überhaupt verschwunden ist und sich zu eben jenem Vakuum, in das der bürgerrechtliche Anspruch zielt, verflüchtigt hat, sondern die mehr noch unter den Bedingungen gleichermaßen der tradierten staatlichen Ordnung und des herrschenden Machtgefüges die Plebs ausgerechnet bei denen suchen muss, die sie doch gerade zum Verschwinden gebracht haben und mit deren privaten ökonomischen Interessen und parteipolitischen Absichten ihre Restauration und Wiederausübung sich partout nicht verträgt. Und so gesehen, scheint also die Plebs, noch ehe sie recht dazu gekommen ist, ihre Stimme zu erheben und ihren durch ökonomische Pauperisierung und soziale Deklassierung provozierten Anspruch auf eine existenziell-materiale Einlösung des qua Bürgerrecht bestehenden habituell-formalen Gesellschaftsvertrages zur Sprache zu bringen, mit ihrem sprichwörtlichen Latein auch schon am Ende und zum Schicksal dessen verurteilt, der nicht etwa auf Widerspruch stößt oder dem man das Wort verbietet, sondern dem überhaupt der Ansprechpartner fehlt und der deshalb gar nicht erst Gehör findet.

Die Möglichkeit, ihr neues existenzialisiert-materiales Bürgerrecht dennoch durchzusetzen, bietet sich der Plebs dank der Tatsache, dass ihre Vertretung, das Tribunat, konstitutioneller Bestandteil der Staatsmacht ist, an die sich ihr Reformappell richtet. Der mittels Volksbeschluss vollzogenen Erhebung der Volksvertretung zur als Wohlfahrtsausschuss fungierenden alternativen Exekutive hat die Nobilität unmittelbar nichts entgegenzusetzen. Der entscheidende Widerstand gegen die plebejisch-tribunizische Politik der Gracchen kommt vielmehr von der Plebs selbst, die diese Politik als komplette Fehlorientierung empfindet, weil sie an den Früchten des Ausbeutungssystems der Nobilität partizipieren, nicht aus ihm heraus und hinter es zurück geführt werden will.

Dass, solchem Anschein entgegen, die bürgerrechtliche Motion der Plebs nun aber dennoch nicht einfach verpufft und der Ruf nach der Staatsfunktion dennoch, wie die mit dem Namen der Gracchen verknüpfte Sozialbewegung beweist, auf Resonanz stößt und politische Wirkung zeitigt, hat seinen Grund in dem staatsfunktionellen Moment, das dem Stimmorgan der Plebs selbst, dem als ihr Sprachrohr und Sachwalter fungierenden Volkstribunat, eignet, ist mit anderen Worten in der Tatsache begründet, dass sich traditionell die allgemeine Staatsmacht, an die die Plebs appelliert, keineswegs so ausschließlich, wie bei der Darstellung des plebejischen Dilemmas um des dramatischen Effekts willen suggeriert, in den Händen derer befindet, die sie im Interesse einer Stärkung ihrer persönlichen Stellung und privativen Macht vielmehr außer Kraft gesetzt und als allgemeine ad acta gelegt haben. Zwar nach der exekutiven, das politische Tun und militärische Treiben der Republik betreffenden Seite ist die das Personal für den Staatsapparat stellende Nobilität in der Tat die Quelle aller staatlichen Macht und insofern auch der gesellschaftliche Ort, an dessen eigeninteressierter Resonanzlosigkeit die existenzialisiert bürgerrechtliche Protestation der Plebs, ihre Forderung nach ökonomischer Rekompensation und sozialer Redintegration, zwangsläufig zuschanden werden und sich zur Fehlanzeige verlieren muss. Nach der diesem politischen Tun und militärischen Treiben den Rahmen setzenden und de facto des damit abgesteckten Spielraumes die Richtung weisenden legislativen Seite indes stellt sich die Verteilung der politischen Macht und die Zuordnung der staatlichen Funktionen weit weniger eindeutig dar. Schließlich verfügt die Plebs über ein ihr eigenes Verfassungsorgan, die Tributkomitie, deren Beschlüssen allgemeinverbindliche Gesetzeskraft zukommt, und über ein in diesem Verfassungsorgan gründendes eigentümliches Exekutivinstrument, das mit Vetorecht gegenüber den Entscheidungen des Senats und den beamtenschaftlichen Maßnahmen ausgestattete Volkstribunat, und insofern hat sie durchaus originären Anteil an der Staatsfunktion und wirkt kraft dieser ihrer konstitutionellen Existenz als Tribunatsversammlung und dieser ihrer institutionellen Repräsentanz im Tribunenamt mit an den allgemeinen Geschäften der Republik, der Haupt- und Staatsaktion des Gemeinwesens.

Traditionell, das heißt, in den Hochzeiten der Republik vom Zeitpunkt der Gleichstellung der Plebiszite mit den senatorischen Gesetzen bis hin zum Ende des Zweiten Punischen Krieges, gestaltet sie ihre Mitwirkung an der Staatsfunktion im oben beschriebenen Sinne einer konstruktiven Opposition: Sie lässt die Nobilität und die von dieser gestellten senatorischen und konsularischen Staatsorgane die Grundrichtung und jeweiligen Zielsetzungen der römischen Politik bestimmen und beschränkt den Anteil an der Staatsfunktion, den ihre plebiszitär-tribunizische Präsenz ihr garantiert, auf die Rolle eines Korrektivs und Kontrollorgans, gibt sich mit anderen Worten damit zufrieden, durch plebiszitäre Motionen und tribunizische Interventionen dafür zu sorgen, dass die von ihr vollinhaltlich mitgetragene Expansionsstrategie und in zunehmendem Maße nicht mehr nur föderale, sondern mehr noch koloniale Eroberungspolitik der Nobilität auch den Interessen der mittleren und unteren Schichten gerecht wird oder, besser gesagt, die Nachteile und Bedrängnisse hinlänglich kompensiert, die sie für letztere mit sich bringt. Mittlerweile aber ist der Nobilität die Wahrung des Interesses der mittleren und unteren Schichten im Verein mit der Verfolgung ihrer eigenen Interessen, kurz, die Wahrnehmung der traditionell von ihr ausgeübten Staatsfunktion, unmöglich geworden – einfach deshalb, weil der privativ-parteiische Interessenkomplex, der aus kolonialer Ausbeutung und Sklavenarbeit bestehende Bereicherungsmechanismus, dem sie sich nun verschrieben hat, nurmehr mit der ökonomischen Schädigung und sozialen Diskriminierung der mittleren und unteren Schichten, ihrer Deklassierung und Nivellierung zur Plebs vereinbar ist.

Gibt demnach aber, der Schwerkraft der von ihr federführend betriebenen politisch-ökonomischen Entwicklung folgend, die Nobilität ihren traditionell ebenso maßgebenden wie initiativen staatsfunktionellen Part preis und legt ihn ad acta, so ist doch aber deshalb keineswegs auch schon der Anteil, den ihre plebiszitäre Kompetenz und ihre tribunizische Amtsgewalt den zur Plebs nivellierten mittleren und unteren Schichten an der Staatsfunktion verleihen, verloren und obsolet geworden. Zwar im gewohnten Sinne eines Korrektivs und Kontrollorgans hat sich dieser Teil der Staatsfunktion mangels der von der Nobilität fallengelassenen staatsfunktionellen Hauptsache, des von der Nobilität nicht mehr als staatliche Macht wahrgenommenen allgemeinen Willens, augenscheinlich erledigt. Aber warum soll die Plebs, was sie nicht mehr in korrektiver oder kontrollierender Bedeutung geltend machen kann, nicht kurzerhand als Direktiv und aktives Steuerungsinstrument zum Einsatz bringen? Warum soll sie nicht jene das Gemeinwohl verkörpernde staatliche Machtposition, an die zu appellieren sinnlos ist, weil die Nobilität sie partout nicht mehr besetzt und aufrechterhält, einfach in eigener Regie inszenieren und nämlich kraft der Positivität, die ihre plebiszitär-legislative Kompetenz und die sie begleitende tribunizisch-exekutive Potenz ihr verleihen, im Sinne des Wortes etablieren?

In der Tat ist dies die als realitätsmächtig-spekulative Methode erscheinende via regia, auf der die Plebs ihren existenzialisiert bürgerrechtlichen Anspruch auf ökonomische Versorgung und soziale Eingliederung vorträgt und wider alle Wahrscheinlichkeit, will heißen, der scheinbar hoffnungslos eindeutigen Machtverteilung zum Trotz, auch durchsetzt: Sie usurpiert die Staatsfunktion, aber sie usurpiert sie mit dem Fug und Recht ihrer konstitutionellen Teilhabe am Staat, ihrer plebiszitär-tribunizischen Kompetenz. Das Ohr, das die Nobilität vor ihr verschließt, ihr nicht schenkt, schafft die Plebs aus eigener staatsfunktioneller Machtvollkommenheit neu, gibt sie sich kraft Volksversammlungsbeschluss und Tribunenamt selbst. Den Gemeinwillen, den die Nobilität privatinteressehalber nicht mehr aufbringt, ein für allemal verloren hat, bringt die Plebs als ihre legale Schöpfung hervor, lässt sie als ihre prozedurale Emanation Gestalt gewinnen. Anstelle des alten, dem Gemeinwesen verpflichteten, mit der Wahrung und dem Ausgleich der Interessen aller Gruppen befassten Staates, den die Nobilität von der Bildfläche ihres um die kolonialistische Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und natürlicher Ressourcen kreisenden Interessenkomplexes hat verschwinden lassen und von dem sie nichts zurückbehält als ein zu ihrem Handlanger, ihrer Lobby degradiertes Amtspersonal, einen ihrem Ausbeutungsinteresse sei's passiv stattgebenden, sei's aktiv Vorschub leistenden bürokratischen Apparat – anstelle dieses nurmehr als staatliches Institut frisierten Selbstbedienungsladens kreiert die Plebs einen ihren ökonomischen und sozialen Interessen Rechnung tragenden, ihrem existenziell-materialen Bürgerrechtsanspruch Genüge leistenden neuen Staat und stellt ihn dem alten, zum Selbstbedienungsladen verkommenen Staatsapparat der Nobilität als herausfordernde Alternative entgegen oder pflanzt ihn vielmehr mitten im institutionellen Gefüge des alten Apparats als unanfechtbar souveränes Fanal des Volkswillens, als der Konstitution der Republik selbst entsprungene souveräne Instanz auf.

Kraft Volksversammlungsbeschluss lässt der qua Plebs massierte Wille des Volkes sein Exekutivorgan, das Tribunat, einen Ausschuss einrichten, den es als Staatsfunktion rein plebejischer Provenienz und ganz und gar eigenen Rechts, als neue, gemeinschaftliche Exekutive, mit der Wahrnehmung jener staatlichen Geschäfte und Pflichten betraut, zu denen sich Senat und Beamtenschaft aus schierem Eigennutz und entmischtem Parteiinteresse nicht verstehen wollen und können. Oder eigentlich etabliert, wie die Personalunion zeigt, in der Tribunenamt und Ausschuss faktisch erscheinen, das Tribunat einfach nur sich selbst als Ausschuss, schafft als Faktotum des Volkswillens, als die einzige Exekutive, über die das Volk verfügt, eine simple Kopie seiner selbst und lässt sie mittels Volksbeschluss jene Vollmacht, jene vollständig staatsfunktionelle Statur gewinnen, die ihm, dem Tribunat, traditionell abgeht. In der wahrhaft spekulativen Manier einer Potenz, die sich mangels Akt als dieser setzt, sich als solche aktualisiert, sprich, einer Intention, die, durch die Not des ihr fehlenden Vollzugsorgans gedrungen, zum Selbstvollzug schreitet, sich selber in die Tat umzusetzen beschließt, mithin in einem institutionellen Zeugungsakt, der das genaue praktisch-politische Pendant zu der theoretisch-ideologischen Neufassung des Bürgerrechts bildet, vollzieht das Tribunat quasi eine Zellteilung und stellt sich, der korrektiven Instanz, sich als initiative Macht zur Seite, komplettiert sich als konstitutionelle Bedingung der Republik, als zureichende Funktion des Staates, durch sich als die institutionelle Sache selbst, die wirkende Staatsfunktion in Person.

Und diesem spekulativen Tun und kreativen Treiben des durch Plebiszit ermächtigten Tribunats, diesem durch die fassungslose Wirklichkeit der Republik, ihren institutionellen Verfall nicht bloß evozierten, sondern mehr noch durch ihre Verfassungswirklichkeit, ihr konstitutionelles Gefüge legitimierten Taschenspielertrick einer Eigenermächtigung des Tribunenamts zur Staatsfunktion, einer doppelgängerischen Selbstkommissionierung, die in einer Reden und Handeln, Appell und Replik zur Deckung bringenden Replikation das Sprachrohr des Volkswillens ebenso sehr als dessen Vollzugsorgan etabliert – ihm hat die Nobilität und die von dieser besetzten Staatsorgane unmittelbar nichts entgegenzusetzen, ihm wohnen sie erst einmal ebenso gelähmt wie entgeistert bei. Weil das Volkstribunat den neuen, für die bürgerrechtlichen Ansprüche der Plebs aufgeschlossenen Staat, den es anstelle des alten, von Senat und Beamtenschaft aus dem Raum bürokratisch-militärischen Handelns eskamotierten Staates beschwört und in doppelgängerischer Personalunion mit sich selbst etabliert – weil das Tribunenamt diesen neuen Staat aus dem Hut der traditionellen republikanischen Ordnung zaubert, ihn auf dem Grund und Boden der institutionellen Gegebenheiten der Republik inszeniert, weil mit anderen Worten die als veritabler Staatsstreich erkennbare Neubegründung der Staatsfunktion doch zugleich als ein streng im konstitutionellen Rahmen der Republik sich haltender legitimer Staatsakt erscheint und weil also eben der formale Gesellschaftsvertrag, auf den sich die Nobilität versteift, um die ökonomisch-materialen Forderungen der Plebs ignorieren oder abweisen zu können, in der unanfechtbaren Konsequenz seiner verfassungsmäßigen Ausführung und staatsfunktionellen Umsetzung am Ende der Plebs in Gestalt des plebiszitär zum allgemeinen Ausschuss verdoppelten Tribunats das politisch-reale Instrument an die Hand gibt, ihre Forderungen leisten zu Gehör und zur Geltung zu bringen – weil dies so ist, leisten die von der Nobilität beherrschten Staatsorgane, Senat und Beamtenschaft, keinen Widerstand und schauen ohnmächtig zu, wie dieser uno actu des Appell an ihn evozierte, ex nihilo der Fehlanzeige des seiner dringend bedürftigen Volkswillens kreierte Staat seines Amtes waltet und die ökonomische Remuneration und soziale Redintegration der Plebs in Angriff nimmt.

So völlig düpiert und vor den Kopf geschlagen ist in der Tat die Nobilität durch diese verfassungsmäßige Usurpation der Staatsfunktion, diesen als regulärer Staatsakt inszenierten Staatsstreich, dass der Widerstand, der sich schließlich gegen die neu etablierte Staatsfunktion regt, die Gegenmacht, die sich gegen sie formiert, nicht etwa von ihr, der Nobilität, ihren Ausgang nimmt, sondern aus den Reihen der die neue Staatsfunktion tragenden Plebs selbst stammt. Motiviert ist der Widerstand durch die Fehlorientierung, die aus Sicht der überwiegenden Majorität der Plebs der neue Staat mit seinem vermeintlich im plebejischen Interesse aufgelegten Sanierungsprogramm beweist. Und schuld wiederum an der Fehlorientierung ist der streng konstitutionelle Rahmen, in dem sich der tribunizische Staatsstreich vollzieht, und die dadurch in den Vollziehern, namentlich im ersten von ihnen, im ältern Gracchus, erzeugte Suggestion, es handele sich bei der plebiszitär durchgesetzten Neubegründung der Staatsmacht als einer Gruppeninteressen ausgleichenden und Parteikonflikte vermittelnden Instanz um einen simplen Restaurationsakt, um nichts weiter als um die Wiederherstellung und Wiederaufnahme der alten, von der Nobilität außer Kraft gesetzten und ad acta gelegten Staatsfunktion. Weil es bloß die frühere Staatsfunktion ist, die das Volkstribunat aus dem Hut der plebiszitär interpretierten republikanischen Verfassung zu zaubern meint, sind es auch die früheren Interessenausgleichsstrategien und Konfliktbewältigungsrezepte, die es der als Replikation seiner selbst, als Ausschuss, Reetablierten, in die Wiege legt. Indem er den Exekutivausschuss als Landverteilungskommission installiert, macht Tiberius Gracchus deutlich, dass er nahtlos an die einst als Hauptreparaturinstrument für die Schäden, die das römische Expansionsunternehmen beim eigenen Bauernstand anrichtet, eingeführte koloniale Neuansiedlungspolitik anzuknüpfen oder, besser gesagt, umstandslos zu dieser vormals bewährten Kompensationsstrategie zurückzukehren gedenkt. Und indem er die Arbeit der Kommission strikt auf die Beschlagnahmung und Verteilung des von der Nobilität mit zweifelhaftem Rechtstitel privatisierten oder unrechtmäßig okkupierten Domaniallands beschränkt, gibt er zugleich zu erkennen, dass er das alte Reparaturinstrument auch in der alten Weise zu handhaben vorhat und nämlich die Befriedigung des Kompensationsanspruchs der Unterschicht mit einer Wahrung des rechtmäßigen Besitzstandes der Oberschicht Hand in Hand gehen lassen möchte, die Pauperisierten und Deklassierten zu entschädigen gedenkt, ohne die Reichen und Mächtigen einer ernsthaften Enteignungsdrohung auszusetzen, ohne ihnen mit anderen Worten mehr wegzunehmen, als was diese in der jüngsten, entfesselten Phase ihres fortlaufenden Bereicherungsprozesses dem Staat geraubt oder vielmehr mit Hilfe des zum Selbstbedienungsladen degradierten Staats dem Gemeinwesen entwendet und mittels Sklavenarbeit in ein probates Mittel verkehrt haben, die heimischen Bauern und Handwerker massenhaft auszukonkurrieren und vom Markt zu verdrängen, sprich, von ihrer gewohnten Subsistenz und Lebensart abzuschneiden.

Weit davon entfernt mithin, dass es sich bei den ersten tribunizisch bestellten Sachwaltern der auf plebiszitärem Weg etablierten Staatsfunktion, für die Tiberius Gracchus steht, um politische Romantiker und moralische Abenteurer handelte, die eine als archaisch ursprüngliches Regiment dargebotene utopisch neue Ordnung errichten wollen, sind sie vielmehr nichts weiter als konservative Restaurateure und bornierte Traditionalisten, die gegen die jüngste, haltlos dynamisierte, auf quasikapitalistische koloniale Ausbeutung und agrikulturelle beziehungsweise manufakturelle Sklavenarbeit gegründete Phase der imperialistischen Entwicklung der Republik und gegen die ökonomischen Aufspaltungen und sozialen Verwerfungen, die sie mit sich bringt – die also gegen diese, als böse Auswüchse betrachteten neuesten Errungenschaften des ansonsten von ihnen durchaus akzeptierten und affirmierten römischen Imperialismus auf frühere Entwicklungsstadien und deren bewährte Konfliktbewältigungsstrategien und Interessenausgleichsmechanismen pochen, um mit ihrer Hilfe die primären Leidtragenden der jüngsten Entwicklung, die Bauernschaft, dem Schicksal der Pauperisierung und Deklassierung entreißen und mit neuem Lebensraum versehen, quasi unter Artenschutz stellen zu können, ohne deshalb doch die Machtstrukturen und Eigentumsverhältnisse der römischen Gesellschaft radikal angreifen, die politische Position und ökonomische Perspektive der römischen Nobilität grundlegend untergraben zu müssen.

Eben hierin aber, in diesem konservativ gemäßigten Restaurationsversuch, den die ersten Repräsentanten des als Landverteilungskommission definierten plebiszitären Wohlfahrtsausschusses unternehmen, liegt ihr originales Missverständnis, besteht ihre prinzipielle Fehlorientierung.

Und zwar machen sie sich der Fehlorientierung nicht etwa im bereits abgewiesenen Sinne fehlenden Realismus und romantischer Phantasterei schuldig – warum sollte das von ihnen aufgelegte Artenschutzprogramm nicht durchführbar sein? Gründlich in die Irre gehen sie vielmehr mit Rücksicht auf die eigentlichen Intentionen und wirklichen Erwartungen des Volkswillens, den sie vertreten und der ihnen, seinen tribunizischen Verkündern, zu staatsfunktioneller Handlungsvollmacht verhilft, damit sie ihn re publico zur Geltung bringen. Fehlgeleitet durch die konstitutionelle Vereinbarkeit, die Verfassungsmäßigkeit des in Personalunion mit dem Tribunat erscheinenden Ausschusses, den sie plebiszitär als Staatsmacht etablieren, versäumen sie, seinem institutionell revolutionären Charakter, der präzedenzlosen Verhältnislosigkeit, in der er sich zu den übrigen Staatsorganen, zu Senat und Beamtenschaft, behauptet, gebührend Rechnung zu tragen und diese Verhältnislosigkeit als Ausdruck eines vom Volkswillen, der den Ausschuss trägt, geforderten radikalen Neuanfangs wahrzunehmen. Sie versäumen mit anderen Worten, die oben bereits vermerkte Tatsache, das für die ganze weitere römische Geschichte grundlegende fait accompli, zu verstehen, dass die Plebs das auf kolonialer Ausbeutung und Sklavenarbeit basierende politisch-ökonomische System, das sie geschaffen und nämlich die in ihr nivellierten Gruppen um die ökonomische Subsistenz und die soziale Bindung gebracht hat, nicht weniger beschwört als anprangert, ebenso sehr affirmiert wie kritisiert, dass sie dieses System, eh dass sie es als realen Grund ihrer Leidensgeschichte ernstlich zur Kenntnis hat nehmen können, bereits als transzendentalen Rahmen ihrer künftigen Sanierung ins Auge fasst, dass mit anderen Worten der negative Aspekt des Systems, der sie betrifft und auf den sie mit der Existenzialisierung des Bürgerrechts und einer plebiszitären Reetablierung der Staatsfunktion reagiert, sich in actu dieser ihrer Reaktion je schon durch den positiven Aspekt des Systems, von dem die Nobilität profitiert, dem Faszinosum der unermesslichen Beute, die das System letzterer beschert und an der sie, die Plebs, kraft existenzialisierten Bürgerrechts teilzuhaben erwartet, verdrängt und abgelöst zeigt.

Weil aus der Tiefe ihrer ökonomischen Not und ihres sozialen Elends heraus die Plebs diesen radikalen Perspektivenwechsel vornimmt, die Negativität des imperialistisch-sklavenwirtschaftlichen Systems, das ihre Mitglieder zugrunde gerichtet und damit sie, die Plebs, in ihr armseliges Leben gerufen hat, gar nicht erst auf das zerstörte eigene Sein und Haben der Vergangenheit anklagend zurückzubeziehen, sondern gleich einverständig als den Ausgangspunkt des statt dessen geschaffenen Reichtums und Überflusses der Nobilität, sprich, als die Grundlage einer neuen beispiellosen Positivität, vorzustellen, nimmt in der Tat die kraft existenzialisiertem Bürgerrecht erhobene Forderung nach Befreiung von der Not und Erlösung vom Elend zwangsläufig die Gestalt eines ex cathedra des Reichtums der Nobilität qua Umverteilung zu machenden radikalen subsistenziellen Neuanfangs und integrativen Beginnens, einer sub conditione der neuen Systembedingungen existenziell alternativen Sanierung an. Von einer gegen die Totalität und transzendentale Verbindlichkeit des neuen politisch-ökonomischen Systems durchgesetzten Wiederherstellung alten Seins und früheren Habens, wie sie in konservativer Verkennung des tiefen Bruchs im historischen Kontinuum, den die imperialistisch-sklavenwirtschaftliche Umrüstung der Republik bedeutet, Tiberius Gracchus und seine Mitstreiter ins Auge fassen, will deshalb die Plebs im Grunde ihres noch unartikulierten Volkswillens partout nichts mehr wissen. Die von der Landverteilungskommission betriebene Wiederansiedlung der Entwurzelten auf eigener Scholle und Wiedereingliederung der Deklassierten in kommunales Leben läuft, um das obige Havariebild noch einmal aufzugreifen, auf das Bemühen hinaus, die vom Staatsschiff über den Haufen gefahrenen Schiffbrüchigen in einen neuen Nachen zu setzen oder sie gar an Land zu schaffen und der Schifffahrt den Rücken kehren zu lassen, während sie doch nichts sehnlicher erstreben, als an Bord des Staatsschiffes genommen zu werden und an dessen imperialer Sieges- und luxuriöser Kreuzfahrt teilzunehmen. Auch wenn die Plebs das selber noch gar nicht recht weiß, weil weder ihr tribunizisches Sprachrohr ihrem Willen bereits zur Artikulation verholfen, noch gar ihr kommissarisches Exekutivorgan diesem Willen objektive Geltung verschafft hat: sub conditione des auf der Basis von kolonialer Ausbeutung und Sklavenarbeit geschaffenen neuen Reichtums und Überflusses will sie, die als Opfer dieses neuen Systems der Reichtumsproduktion firmierende Plebs, nicht aus dem System heraus oder hinter es zurück, sondern in es hinein und sich ihm anschließen, will sie, kurz, nicht Ackerland und kommunale Gemeinschaft, sondern koloniales Brot und zirzensische Spiele.

Was Wunder, dass sie ihren ersten Repräsentanten und Vorkämpfern, Tiberius Gracchus und seinen Mitstreitern, die, von der konstitutionellen Form ihres Staatsstreiches, der konservativen Begründung ihrer revolutionären Motion selber hinters Licht geführt, sich eben dieser Fehlorientierung schuldig machen, ihre Anhängerschaft aus dem herrschenden System heraus- und hinter es zurückführen, genauer gesagt, sie auf frühere, in den ökonomischen Aspirationen und politischen Lösungen traditionellere Entwicklungsstufen des Systems zurückversetzen zu wollen – was Wunder also, dass die Plebs ihren Vorkämpfern die Gefolgschaft, die sie ihnen in abstracto des intendierten Umverteilungsprogramms nachdrücklich leistet, in concreto der die Umverteilung als Landzuteilung praktizierenden Ausführung des Programms ebenso nachhaltig verweigert und sie damit vor die Alternative stellt, entweder mit dem ganzen Projekt zu scheitern und zugrunde zu gehen oder aber dem Volkswillen stattzugeben und sich in einem nach dem Trial-and-Error-Prinzip absolvierten Lernprozess dessen wahre Bedürfnisse und wirkliche Absichten zu eigen zu machen. In der Tat ist es also die Plebs, die gegen die Politik des von ihr selbst ex nihilo der republikanischen Konstitution kreierten neuen Staatsmacht, gegen das Tun und Treiben ihres eigenen, mit plebiszitär-tribunizischen Mitteln als Landverteilungskommission etablierten Wohlfahrtsausschusses den Widerstand mobilisiert und damit der gelähmten, durch den Anschein der Verfassungsmäßigkeit, den der plebejische Staatsstreich herauskehrt, ins Bockshorn gejagten Nobilität die Arbeit abnimmt. Mag die Nobilität die programmatische Selbstvereitelung, der die plebejisch-tribunizische Fraktion frönt, noch so sehr passiv gutheißen und unterstützen und mag sie die faktische Vollstreckung des politischen Urteils, das die Plebs über ihre fehlgeleiteten Repräsentanten fällt, noch so bereitwillig übernehmen und aktiv vorantreiben, entscheidend bleibt doch immer, dass sich Tribune aus den eigenen Reihen finden, die ihren Kollegen im Ausschuss das reformerische Handwerk legen, und dass es die Plebs selbst ist, die teils dadurch, dass sie sich auf die Seite jener Gegentribunen schlägt, teils dadurch, dass sie den Reformern die für die Verfolgung ihrer Politik erforderliche plebiszitäre Unterstützung oder Absicherung entzieht, den Boden für den Fall ihrer fehlorientierten, den Volkswillen missverstehenden beziehungsweise noch nicht recht zu deuten wissenden Repräsentanten bereiten. Wenn es noch eines Beweises bedarf, dass der Plebs die von Tiberius Gracchus und seinen Mitstreitern eingeschlagene Richtung im Grund ihres noch unerklärten Willens nicht passt und dass sie anderes anstrebt als die Zuteilung von Land und eine die bäuerliche Existenz restaurierende Neuansiedung und Rekommunalisierung, so liegt er in der Widerstandslosigkeit und Indifferenz, mit der die Plebs zulässt, dass nach dem gewaltsamen Tod des Tiberius die Arbeit der Landverteilungskommission unter dem fadenscheinigen Hinweis auf bundesgenossenschaftliche Rechte ausgesetzt und das ganze Projekt auf Eis gelegt, sprich, sang- und klanglos zu Grabe getragen wird.

Nicht nur das Tribunat macht, was den sich allmählich artikulierenden Volkswillen angeht, einen Lernprozess durch, auch die Nobilität stellt sich auf das factum brutum der neuen Plebs und ihrer Forderungen ein. Fortan wetteifern Popularen und Optimaten darin, die Plebs zu umwerben und sie entweder zu einem maßgebenden politischen Faktor zu machen oder aber ihre politische Karriere zu hintertreiben. Den Sabotagebemühungen der Optimaten kommt dabei die dispositionelle Schwäche und die aktuelle Machtlosigkeit der Volksbewegung zustatten.

Dass Tiberius Gracchus und seine Mitstreiter eines gewaltsamen Todes sterben, scheint der obigen Rede von einer Alternative zwischen Scheitern und Anpassung Hohn zu sprechen und die Vorstellung von einem durch die plebiszitären Wahrer der Staatsfunktion zwecks Einstimmung auf den Volkswillen zu durchlaufenden Lernprozess ad absurdum zu führen. Ein allzu strenger Zuchtmeister scheint der Tod, um auch ein guter Lehrmeister heißen zu können. Indes, bezogen nicht sowohl auf die individuelle Person der Repräsentanten des Volkswillens, als vielmehr auf die institutionelle Funktion der Repräsentanz als solcher, behält die Rede vom Lernprozess durchaus ihren Sinn. Den Nachfolgern im Amt kann das fatale Scheitern ihrer Vorgänger sehr wohl zur Lehre dienen und nämlich Antrieb sein, ihren plebejischen Auftraggebern statt in eigener Regie wohlmeinend Gutes, vielmehr in strikter Prokura den wohlverstandenen Willen zu tun, um sich so ihrer bleibenden Unterstützung zu versichern und vor Desavouierung und Verrat zu bewahren. Und nicht nur didaktisch-dispositionell geht der individuelle Tod mit institutioneller Einsicht und Anpassung gut zusammen, er verträgt sich insbesondere bestens mit einem institutionellen Lernprozess, der, wie gesagt, nach dem Trial-and-Error-Prinzip verläuft und inventorisch-propositionellen Charakter hat, der mit anderen Worten nicht einfach darin besteht, den expliziten Willen des Auftraggebers zu vernehmen und in die Tat umzusetzen, sondern bei dem es mehr noch darum geht, diesen Willen der Latenz und Unerklärtheit, in der er sich anfänglich darbietet oder besser gesagt verliert, zu entreißen und interpretativ dingfest zu machen, seinem Inhalte nach zu identifizieren. So gewiss bei diesem Lernprozess der Lernstoff nicht bereits fix und fertig gegeben und übergebbar ist, sondern aus dem Lehrer, der nach Maßgabe seiner existenziellen Not und Begier nur erst blinder Wille ist, maieutisch herausprozessiert und zu Bewusstsein gebracht werden muss und also das einfallsreiche Ingenium und den erfinderischen Spürsinn des Schülers wesentlich voraussetzt, so gewiss ist der Tod, der nach dem Modell der natürlichen Auslese auf jeden gescheiterten individuellen Lern- und Anpassungsversuch mit der Rekrutierung neuer Schüler und ihres frischen Ingeniums, ihrer noch unverbrauchten Lernfähigkeit zu reagieren erlaubt, ein höchst geeignetes Rezept, um in der schnellstmöglichen Zeit und mit dem bestmöglichen Erfolg den institutionellen Lern- und Anpassungsprozeß zu Ende zu führen, sprich, dem Volkswillen im Programm der mit plebiszitär-tribunizischer Vollmacht die Staatsfunktion reetablierenden Kommissare der Plebs gleichermaßen zur Artikulation und zur Durchsetzung zu verhelfen.

Das Rezept bewährt sich über Erwarten gut. Ein Jahrzehnt später hat der jüngere Bruder des Tiberius, Gaius Gracchus, die Lektion bereits gelernt und zeigt sich der Plebs perfekt zu Willen, hat sich ihren von ihm hellsichtig interpretierten Bedürfnissen, ihrem von ihm zum Programm erhobenen Interesse auf der ganzen Linie angepasst und eröffnet ihr die Perspektive eines Lebens in staatlicher Fürsorge und hauptstädtischer Geborgenheit, bietet ihr statt Äckern und Olivenbäumen Korn und Öl, statt eines auskömmlichen Kolonistendaseins und munizipialer Betätigung kommunale Wohlfahrt und urbane Unterhaltung. So genau entspricht er damit dem Volkswillen, so sehr trifft und realisiert er die plebejische Intention, dass er dank der einhelligen Zustimmung und kraft der rückhaltlosen Unterstützung der Plebs in Handumdrehen eine fast unbeschränkte Macht im Staat erringt, die Staatsfunktion quasi diktatorisch ausüben und fast nach Belieben Gesetze durchbringen, die Beschränkung der tribunizischen Amtszeit aufheben lassen, eine regelmäßige hauptstädtische Getreideverteilung einführen, die gesetzgeberische und richterliche Macht des Senats beschneiden kann.

Angesichts dieser Machtfülle und reformerischen Durchsetzungskraft, die Gaius Gracchus seine intuitiv erreichte und interpretativ artikulierte Übereinstimmung mit dem Volkswillen beschert, mutet es fast schon wie eine Ironie des Schicksals, ein tragikomischer Familienroman, an, dass er nicht nur wie sein älterer Bruder gewaltsam zu Tode kommt, sondern dass ihn mehr noch das gleiche Vorhaben, ein Landverteilungs- und Neuansiedlungsprojekt, ins Verderben stürzt. Auf den sensationslüstern ersten Blick möchte sich einem die reizvoll romanhafte Vermutung aufdrängen, brüderliche Pietät oder familienidiosynkratische Fixierung lasse den Jüngeren wider alle Vernunft des mit dem Volkswillen zu wahrenden Konsenses an dem von der Plebs verworfenen Lieblingsprojekt des Älteren festhalten, und dieses erratische Stück Fehlorientierung, dieser Rest von systemfeindlich konservativem Restaurationsversuch bereite ihm den Untergang. Ein zweiter Blick genügt indes, um deutlich werden zu lassen, dass der Anschein von Parallelität trügt und dass das Ansiedlungsprojekt, weit entfernt davon, die schicksalhafte Ursache für das Scheitern des jüngeren Gracchus zu sein, vielmehr nur die zufällige Gelegenheit bietet, dieses völlig anders als beim älteren Gracchus gewirkte Scheitern in Szene zu setzen. Nicht nämlich Mangel an Gelehrigkeit, die hinsichtlich der Ansprüche und Intentionen seiner plebejischen Gefolgschaft der tribunizische Führer an den Tag legte, sondern ein Übermaß an Lernfähigkeit, die eine aus ihrer anfänglichen Lähmung erwachte Nobilität im Blick auf den Umgang mit dem Volkswillen und die Möglichkeiten seiner Manipulation unter Beweis stellt, ist es in Wahrheit, was dem Jüngeren den Garaus macht.

Tatsächlich steht in den Formen und Dimensionen, in denen Gaius Gracchus das Kolonisierungsvorhaben seines Bruders wiederaufgreift, dieses durchaus im Einklang mit den Ansprüchen und Intentionen der Plebs und ist weit entfernt davon, deren Widerstand und Abfall zu provozieren. Eingebettet in das neu gestiftete System staatlicher Fürsorge und hauptstädtischer Wohlfahrt und aus einem generellen Stadtflucht- und Umsiedlungsprogramm zu einem speziellen Landkommune- und Koloniegründungsprojekt zurechtgestutzt, entspricht das Vorhaben den Bedürfnissen nicht zwar der Plebs in toto, wohl aber eines von Landhunger oder Abenteuerlust getriebenen kleineren Teils ihrer, und ist, insofern es auch dieser unruhigen oder unzufriedenen Minderheit Befriedigung zu schaffen verspricht, eher geeignet, die Unterstützung der Plebs für das Gesamtprogramm ihrer staatsfunktionell-kommissarischen Sachwalter aus dem Tribunat zu verstärken, als, wie beim älteren Bruder der Fall, den Widerwillen der Plebs gegen eine als ganze der plebejischen Projektion zuwiderlaufende Perspektive zu erregen. Wenn sein Kolonisierungsvorhaben dem Gaius Gracchus dennoch zum Stolperstein wird, dann also nicht etwa, weil es bei der Plebs auf Ablehnung stieße (dass in der Folge solche Kolonisierungspläne von den tribunizischen Volksvertretern immer wieder aufgegriffen und sogar in die Tat umgesetzt werden, beweist das Gegenteil), sondern vielmehr, weil das Vorhaben sich mit einer konkurrierenden Initiative konfrontiert findet, die es in den Schatten stellt und bei der Plebs aussticht und deren Urheber ausgerechnet die senatorische Partei und die sie tragende Nobilität sind.

Mittlerweile nämlich ist die Nobilität aus der Betäubung und Ohnmacht, in die sie der verfassungsmäßige Staatsstreich der plebiszitären Ermächtigung des Tribunats zu einer alternativen staatlichen Exekutive hat fallen lassen, erwacht und geht gegen diese, ihren traditionellen staatlichen Organen den Rang ablaufende alternative Staatsfunktion in die Offensive. Ihre Offensive trägt sie nach Maßgabe dessen vor, was die bisherige Entwicklung des zum staatsfunktionellen Ausschluss bevollmächtigten Tribunats, jener als die staatliche Macht schlechthin sich gerierenden neuen Macht im Staate, sie gelehrt hat. Lernen konnte sie, dass die plebiszitär konstituierte, vom Volkswillen getragene neue Macht eine schlechterdings unwiderstehliche Wirksamkeit entfaltete und dass erst der ans Zerwürfnis grenzende perspektivische Dissens mit dem Volkswillen, in den die neue Macht ihre konservative Restaurationspolitik hineintrieb, ihr, der Nobilität, beziehungsweise den von ihr gestellten staatlichen Organen die Möglichkeit zur gewaltsamen Intervention, zum tödlichen Zuschlagen eröffnete. Diese für den Sturz des plebiszitären Wohlfahrtsausschusses unabdingbare innere Spaltung zwischen Volk und Führung, diese eigenhändige Zerrüttung der Volksbewegung durch eine dem Volkswillen nicht entsprechende oder nicht Genüge leistende Volksregierung – sie sucht nun also die durch Erfahrung klug gewordene Nobilität mittels Intrige und Manipulation und zu erreichen. Sie verwandelt sich mit anderen Worten aus dem zufälligen Begünstigten und passiven Nutznießer eines internen Zerwürfnisses beim politischen Gegner in den planmäßigen Anstifter und aktiven Betreiber des Zerwürfnisses. Die Gelegenheit zu solchem Rollenwechsel bietet ihr das Kolonisierungsprojekt des Gaius Gracchus. Indem die Nobilität einen der tribunizischen Kollegen des Gaius dafür gewinnt, dessen Projekt zu übertrumpfen und der Plebs die weit verlockendere, wenn auch wenig realistische Offerte eines Zinserlasses für zugewiesene Bauernstellen und vor allem einer Verlagerung der in Aussicht genommenen Koloniegründungen von fernen Gestaden und aus Provinzregionen in inneritalische, nahe der Hauptstadt gelegene Landschaften zu machen, gelingt es ihr, dem gekauften Tribunen die Gunst der Plebs zu sichern und ihn bei der Wiederwahl ins Tribunat den Gaius ausstechen zu lassen. Des aus dem Amt entfernten und damit des Schutzes seines verfassungsmäßigen Amtes beraubten unliebsamen Volksführers entledigt sie sich schließlich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit und das heißt, unter dem ersten besten Vorwand verfassungwidrigen Verhaltens, den der in die Enge einer mit seinem politischen Tatendrang unvereinbaren Privatiersexistenz Getriebene ihr liefert, mit der gleichen exekutiven Gewalttätigkeit, der schon der Bruder zum Opfer gefallen ist.

Mit dieser initialen Gegenoffensive ist im wesentlichen bereits die Strategie entwickelt, mittels deren es der Nobilität gelingt, sich noch fast ein Jahrhundert lang der plebejischen Forderungen nach wohlfahrtsstaatlicher Versorgung, nach staatlich organisierter Partizipation an dem durch koloniale Ausbeutung und Sklavenarbeit akkumulierten Reichtum zu erwehren. Das Trauma der gracchischen Machtergreifung und plebiszitären Neufundierung der Staatsfunktion hat die Nobilität gelehrt, dass an der Plebs als politischem Faktor kein Weg mehr vorbeiführt: Will sie sich den materialen Forderungen und sozialen Ansprüchen widersetzen, die auf Basis eines existenzialisierten Bürgerrechts die Plebs durch ihr als Staatsfunktion etabliertes Exekutivorgan, das Tribunat, erhebt, so muss sie dafür die Unterstützung der Plebs selbst gewinnen, das heißt, sie muss diese hinlänglich mit den Vertretern des als kommissarisches Staatsorgan eingesetzten Tribunats entzweien, um deren Absetzung oder Diskreditierung erwirken und anschließend die aus dem Amt Vertriebenen oder um die Würde des Amtes Gebrachten der Rache der nach Maßgabe der Diskreditierung der Volksvertretung rehabilitierten traditionellen Exekutive des Staates ausliefern zu können. Wie aber soll die Nobilität einen Keil zwischen die Plebs und die plebiszitäre Führung treiben, wenn nicht in der Weise, dass sie direkt, durch eigene Initiativen, oder indirekt, durch gekaufte Volksvertreter, mit der letzteren um die Zustimmung und die Gefolgschaft der ersteren konkurriert, dass sie mit anderen Worten durch materiale Offerten an die Plebs und Beweise sozialen Engagements für sie die plebiszitäre Führung in der Volksgunst aussticht? So paradox dies auf den ersten Blick anmuten mag, dass die Nobilität sich den materialen Forderungen und sozialen Ansprüchen der Plebs nur verweigern kann, wenn sie der Plebs materiale Offerten macht und sich sozial für sie engagiert, so genau spiegelt das scheinbare Paradox doch eine Situation wider, in der nicht nur das von der Nobilität ins Werk gesetzte Reichtumsbeschaffungssystem für die Plebs und ihr Dasein die Bedeutung einer kategorialen Rahmenbestimmung und transzendentalen Grundperspektive gewinnt, sondern in der auch umgekehrt die Plebs und ihr Dasein sich der Nobilität als eine aus jenem Reichtumsbeschaffungssystem weder wegzuschaffende, noch überhaupt wegzudenkende intentionale Bedingung und reale Verpflichtung präsentiert.

In der Tat löst sich das scheinbare Paradox, stellt man die Lehre in Rechnung, die die Nobilität aus dem Gracchischen Staatsstreich zieht und durch die allein sie eine relative Handlungsfähigkeit zurückgewinnt: dass nämlich angesichts der schlechterdings nicht wegzudenkenden Faktizität der Plebs und ihrer in der Staatsverfassung angelegten politisch-faktorellen Bedeutung Widerstand gegen die Ansprüche, die kraft eines existenzialisierten Bürgerrechts die Plebs erhebt, nurmehr im Bezugsrahmen eben dieser Ansprüche und auf dem Boden eines sie im Prinzip sanktionierenden gesellschaftlichen Konsenses vorstellbar ist, dass es also auch für die Nobilität nicht mehr darum gehen kann, die mit diesen Ansprüchen verknüpfte plebejische Perspektive zu ignorieren und sich ihr kurzerhand zu verschließen, sondern höchstens darum, sie zu modifizieren und mit dem Interesse an einer ungebrochenen Fortsetzung der politisch-ökonomische Vorherrschaft der traditionellen Führungsschicht in Einklang zu bringen, dass, kurz, auch für die Nobilität nicht mehr in Frage steht, dass den teilhaberschaftlichen Forderungen der Plebs irgendwie entsprochen werden muss, sondern nur eben, wie und in welcher Form ihnen entsprochen werden muss. Und in der Tat ist dies die Gemeinsamkeit, die während des an den verfassungskonformen Staatsstreich der Gracchen anschließenden knappen Jahrhunderts die streitenden Parteien miteinander verbindet und in einen nicht weniger konspirativen als konfrontativen, nicht weniger reaktiv gebundenen als entfesselt initiativen Pas de deux hineinzwingt: dass die fortan als Optimaten firmierenden senatorischen Repräsentanten der Nobilität geradeso wie die demgegenüber als Popularen figurierenden Vertreter der Plebs die letztere als ausschlaggebenden politischen Faktor in Rechnung stellen und ihren bürgerrechtlich begründeten Anspruch auf eine unmittelbare, systemkonforme, die politisch-ökonomischen Verhältnisse so, wie sie sind, nicht antastende Gewährleistung individueller Subsistenz und sozialer Integration, sprich, auf Teilhabe an dem durch kolonialistische Ausbeutung und Sklavenarbeit akkumulierten Reichtum, im Prinzip anerkennen.

Der Unterschied ist nur, dass die Vertreter der Plebs, die Popularen, danach streben, die Teilhabe am Reichtum der Nobilität zum Staatsanliegen zu erklären und institutionell zu verankern, sprich, zum Anlass einer wesentlich auf Zwecke der Umverteilung, der Wohlfahrt der Plebs abgestellten Reorganisation des gesamten Staatswesens zu nehmen, während sie, die Vertreter der Nobilität, die Optimaten, nach Möglichkeit alles beim alten belassen und die Zuwendungen an die Plebs sei's durch die bewährten Kanäle des Klientelwesens und der um der Karriere oder des Ansehens willen geleisteten privaten Aufwendungen für das Gemeinwesen fließen lassen, sei's dem durch die historische Situation herausgeforderten oder auch durch politische Taktik motivierten Ermessen der Oberschicht selbst anheim stellen, sprich, unterhalb der Ebene organisiert staatlichen Handelns und verbindlich institutioneller Prozeduren verhalten wollen. Oder vielmehr ist – da dies ja keine echte Alternative darstellt und die Entscheidung der Plebs, wenn sie frei zwischen den beiden Optionen wählen könnte, nicht zweifelhaft wäre – der Unterschied besser so gefasst, dass die Popularen ihr politisches Programm einer staatlich institutionalisierten und organisierten ökonomischen Versorgung und sozialen Integration als quasispontane Aktion, als dem Volkswillen entspringende Initiative betreiben, wohingegen die ökonomischen Zuwendungen und sozialen Engagements der Optimaten stets als Reaktion auf solch popularistische Initiativen erscheinen und als ein Köder und Ablenkungsmittel dienen, das den Zweck verfolgt, den Volkswillen an seiner plebiszitär-eigenen Initiative hinlänglich irre werden zu lassen, sprich, die Plebs mit ihrer tribunizisch-eigenen Vertretung hinlänglich zu entzweien, um mit der Macht der von der Nobilität kontrollierten traditionellen Staatsorgane die jeweilige Initiative durchkreuzen, die jeweilige Volksvertretung niederknüppeln zu können.

So gesehen, ist also der Unterschied zwischen den innen- und sozialpolitischen Maßnahmen der Popularen und der Optimaten theoretisch ein Unterschied ums Ganze, nämlich der Unterschied zwischen Sein und Schein, zwischen Vorsatz und Verstellung, zwischen der Absicht, etwas zu tun, um etwas zu erreichen, und der Absicht, etwas zu tun, um Tun zu vereiteln und nichts zu erreichen – während zugleich doch praktisch der ganze Unterschied eingeebnet erscheint, weil ja der Schein der Optimaten eben darin besteht, das Sein der Popularen zu simulieren, ihre Vereitelung des popularistischen Tuns eben dadurch funktioniert, dass sie ein vermeintlich vergleichbares Tun an seine Stelle setzen und weil insofern also das allem Anschein nach gleiche Tun der beiden Parteien sich nur darin unterscheidet, dass es im einen Fall programmatisch-initiativ, das heißt, als eine staatlich organisierte Aktion, im anderen Falle hingegen unsystematisch-situativ, das heißt, als körperschaftlich lancierte Reaktion, geübt wird.

Dass die Optimaten, die Repräsentanten der Nobilität, mit dieser auf die zerstörerische Simulation wirklichen wohlfahrtsstaatlichen Handelns abgestellten Ködertechnik und Bauernfängerei überhaupt Erfolg haben, ist dabei einer dispositionellen Schwäche der Plebs geschuldet, die zugleich erklärt, warum die Optimaten nicht etwa nur das eine oder andere Mal mit ihrer Sabotagetechnik durchkommen, sondern fast ein Jahrhundert lang ihre Position zu behaupten und die plebiszitäre Neubegründung der Staatsfunktion zu hintertreiben, sprich, das unabwendbare Ende der Republik hinauszuschieben, imstande sind. Diese Schwäche der Plebs ergibt sich aus dem Prozess ökonomischer Entwurzelung und sozialer Deklassierung, dem sie als gesellschaftliche Formation ihr Entstehen verdankt, und findet ihren Ausdruck in fehlender programmatischer Disziplin und perspektivischer Durchhaltekraft. Vom Verlust ihrer subsistenziellen Grundlage und ihrer assoziativen Bindungen demoralisiert, bringt die Plebs im Zweifelsfall, dem Fall einer ihr von der senatorischen Partei in Aussicht gestellten oder vorgegaukelten raschen Vergünstigung oder Befriedigung, nicht die Kraft auf, an der von ihren tribunizischen Vertretern vorgegebenen längerfristigen Perspektive festzuhalten und deren nur mittels Kampagne, mittels einer Strategie, die Rückschläge und Frustrationen, Grabenkämpfe und Umwege einschließt, in die Tat umzusetzendes politisches Programm unbeirrt mitzutragen. In ihrer Desolatheit bar jeder Frustrationstoleranz, greift sie vielmehr nach dem ersten besten Strohhalm der sich ihr bietet und der im Zweifelsfall ein Köder ist, und lässt jene im Stich, die ihr die Umsicht einer politisch handelnden Klasse und die Voraussicht einer programmatisch planenden Partei abverlangen.

Tatsächlich ist sie in ihrer Not und in ihrem Elend so blind egoistisch und so kopflos begierig, dass es im Zweifelsfall der senatorischen Bauernfängerei gar nicht erst bedarf, sondern dass schon ein sie vermeintlich oder wirklich von der unmittelbaren Befriedigung abhaltender, vom Fleischtopf, an den sie sich klammert, vorübergehend entfernender zukunftsorientierter Eingriff und auf lange Frist berechneter Schachzug ihrer tribunizischen Vertreter genügt, um sie mit letzteren auseinander zu bringen und als leichte Beute der Manipulation der Optimaten auszuliefern. Auch in diesem Punkte setzen die mit dem Namen der Gracchen verknüpften Ereignisse bereits die Maßstäbe: Entscheidend nämlich für den Fall des Gaius Gracchus ist nicht erst der Streit um das Wie und Wo der geplanten Koloniegründungen – dieser Streit ist bloß der Anlass, der den Sturz besiegelt. Entscheidend vielmehr ist der vorangegangene Versuch des Gaius, den italischen Bundesgenossen Roms das Bürgerrecht zu verschaffen und so die soziale Basis für seine Reformpolitik zu verbreitern. Weil die römische Plebs sich kurzfristig in ihrer privilegierten Position als Hätschelkind der wohlfahrtsstaatlichen Bemühungen der Römischen Republik bedroht und in Gestalt der italischen Genossen von ihresgleichen als von einer unliebsamen Konkurrenz bedroht sieht, überwirft sie sich mit ihren tribunizischen Vertretern, schließt zur Abwehr der auf lange Sicht die Sache der Popularen fördernden Einbürgerungsmotion, die sie kurzsichtig als Gefahr wahrnimmt, einen Pakt mit dem senatorischen Gegner und bereitet so den Boden für den schließlichen Sturz ihrer eigenen Führung.

Und zu dieser dispositionellen Schwäche der Plebs kommt nun noch erschwerend der aktuelle Mangel der Volksbewegung an exekutiv-staatlicher beziehungsweise exaktiv-militärischer Durchsetzungskraft hinzu. Hat die tribunizische Führung auf plebiszitärem Weg ein Reformprojekt in die Welt gesetzt, so hat sie zur Durchsetzung ihres Projekts nichts als den ebenso unsteten wie machtvollen und ebenso amorphen wie gebieterischen Volkswillen auf ihrer Seite, während sie sich dem gleichermaßen organisierten und artikulierten Gegenwillen der traditionellen staatlichen Macht, der vom Senat gewählten Beamtenschaft und ihren Institutionen, allen voran dem der konsularisch-prätorischen Funktion unterstellten Militärapparat, konfrontiert findet. Und gelingt es gar der Partei der Nobilität, zwischen den Volkswillen und seine tribunizischen Repräsentanten einen Keil zu treiben und ersteren zum Abfall von letzteren zu bewegen, so stehen diese ohne jeden Rückhalt da und erfahren, wie vermessen es war, die Staatsfunktion bloß auf der Grundlage eines verfassungsmäßigen Staatsstreiches und ohne alle Verfügung über wirkliche Staatsgewalt ausüben, anders gesagt, das Staatswesen ohne Rücksicht auf den empirischen Staatsapparat systematisch umgestalten zu wollen – wobei sie diese Erfahrung, wie bei dem tragischen Grundzug solcher Vermessenheit nicht anders möglich, im Normalfall mit dem Tode bezahlen.

In der Tat muss unter den Bedingungen dieser dispositionellen Schwäche der durch ihr Not und ihr Elend demoralisierten plebejischen Masse und dieses aktuellen Mangels der tribunizischen Bewegung an politisch-militärischem Gewaltpotential der Griff des Volkstribunats nach der Staatsmacht, der Versuch der Popularen, die Staatsfunktion neu und unabhängig vom senatorischen Selbstbedienungsladen der Optimatenpartei zu etablieren, nolens volens Prätention bleiben und mit der gleichen Zuverlässigkeit, mit der die Krise des Staatswesens immer wieder auf ihn hindrängt, auch stets wieder vor den Fall seiner organisatorischen Bodenlosigkeit und seiner institutionellen Haltlosigkeit kommen. Und in der Tat ist auch gar nicht ohne weiteres erkennbar, wie solch dispositioneller Schwäche und solch aktuellem Mangel abgeholfen werden kann. Schließlich scheint die Schwäche des Volkswillens nur zu beheben, wenn es gelingt, die Plebs aus der unmittelbaren Not und dem bedrängenden Elend herauszuführen, die ihr jede Frustrationstoleranz und perspektivisache Urteilskraft verschlagen, ihr damit alle programmatische Ausrichtung und strategische Disziplin verunmöglichen und sie so zum Spielball der politischen Bauernfängerei der Nobilität machen. Das heißt, die Behebung der als dispositionelle Schwäche erkannten Disziplinlosigkeit der Plebs setzte eben den Zustand ökonomischer Subventionierung und sozialer Konsolidierung bereits voraus, der doch umgekehrt nur unter der Voraussetzung einer bereits disziplinierten Plebs erreichbar erscheint.

Und auch um die Beseitigung der als aktueller Mangel realisierten Machtlosigkeit der Volksbewegung scheint es auf den ersten Blick nicht besser bestellt. Zu fest sind die traditionellen Staatsorgane in den Händen der Nobilität, zu vollständig wird dank des Wahlrechts des Senats und der personellen Verflechtung der Beamtenschaft mit der Optimatenpartei der römische Verwaltungsapparat von den Reichen und Mächtigen besetzt und kontrolliert, als dass die Popularen hoffen könnten, über die normalen politischen Selektionsprozesse und Karriereleitern einen hinlänglichen Anteil an der Staatsmacht und Einfluss auf die Staatsgeschäfte zu erringen, um entweder zu verhindern, dass der traditionelle Staatsapparat die plebiszitär-tribunizischen Vorstöße immer wieder mit bürokratisch-militärischen Mitteln abfängt und niederschlägt, oder um gar den traditionellen Staatsapparat in ein Instrument zur Unterstützung und Durchsetzung dieser plebiszitär-tribunizischen Motionen umzufunktionieren. Zumal das Gewaltmonopol scheint dank der konsularisch-prätorischen Verfügung über das Heer und den Militärapparat fest in der Hand der aus Patriziern und Rittern kombinierten und durch den Römischen Senat repräsentierten Nobilität; ein diesem letzten Garanten der Macht der Nobilität Paroli zu bieten oder gar den Rang abzulaufen geeignetes Gewaltpotential aufzubauen oder zu erwerben, scheint für die Volksbewegung und ihre tribunizische Führung unter den gegebenen Umständen der römisch-republikanischen Umständen schlechterdings unmöglich.

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