Spielarten des Nachtwächterstaats

Die angesichts der phänomenalen Verschiedenartigkeit der Herrschaftssysteme der europäischen Gesellschaften in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts befremdende These, dass für sie alle die konstitutionelle Monarchie Modellcharakter oder paradigmatische Verbindlichkeit beanspruchen kann, gewinnt an Plausibilität, wenn man die Unterschiede als bloße, aus den historischen Bedingungen und empirischen Gegebenheiten der jeweiligen Gesellschaft erklärliche Modifikationen ein und derselben, als Kapitalisierungsprozess maßgebenden Entwicklung ins Auge fasst. So ist etwa beim insularen Konkurrenten Frankreichs der Systemwechsel von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie in der mittels Julirevolution vollzogenen Form nicht praktikabel, weil in England dank maritimen Sonderwegs der Absolutismus schon seit Anfang des achtzehnten Jahrhunderts faktisch abgeschafft und der Monarch zur Marionette der per Whig-Partei herrschenden Bourgeoisie entkräftet ist. Seine Rolle als wieder in Kraft gesetzte, allerdings konstitutionell gebändigte traditionelle Macht übernimmt dort der von der Tory-Partei repräsentierte Landadel, der ein Jahrhundert lang in der politischen Versenkung verschwundene ständische Anhang des ebenso lange schon von der Bildfläche verschwundenen absolutistischen Souveräns.

Mit der Einführung der konstitutionellen Monarchie rehabilitiert die kraft ihrer ökonomischen Macht unwiderruflich zur politischen Wortführerin, Wegweiserin und Entscheidungsfinderin der Gesellschaft avancierte bürgerliche Klasse den absolutistischen Herrn, den sie zuvor außer Kraft gesetzt hat, und überträgt ihm in der gründlich revidierten Gestalt eines Intimus, um nicht zu sagen eingeborenen Sohns der als Souveränin vorgestellten idealen bürgerlichen Gesellschaft und Hüters ihrer Verfassung die Rolle eines Hauptes oder höchsten Organs des als Selbstverwaltungseinrichtung von der bürgerlichen Gesellschaft reklamierten Staatsapparats.

Von der Aufgabe, ihre raison d'être, den Kapitalisierungsprozess, mit den von ihm ebenso sehr unterhöhlten wie für ihn grundlegenden zivilen Verfassungsprinzipien in Einklang zu bringen, überfordert, zieht sich die Kapitalfraktion mitsamt ihrer mittelständischen Klientel hinter die von ihr adaptierte und neu gesetzte alte politische Herrschaft zurück, mit dem dreifachen Effekt, dass sie zum ersten jenen Prinzipien gegenüber denen, die unter der von ihnen gedeckten ökonomischen Praxis leiden, kraft des Anspruchs der retablierten Herrschaft auf Überparteilichkeit eine Authentizität und Glaubwürdigkeit sichert, die sie selber ihnen nicht zu vindizieren vermöchte, dass sie sich zum zweiten im Falle der offenen Konfrontation mit den Opfern des Kapitalisierungsprozesses, die unter dem Eindruck der durch ihn verschuldeten Not jene Verfassungsprinzipien in Frage stellen und um ihre Geltung bringen wollen, hinter ihrem Hüter, dem Monarchen, verstecken und es ihm überlassen kann, letztere mit der ganzen Macht seiner des Parteienstreits überhobenen, weil unmittelbar durch die ideale Souveränin sanktionierten Stellung und notfalls auch mit den Zähnen und Klauen der ihm von der realen Souveränin zu treuen Händen übergebenen polizeilich-militärischen Gewalt zu verteidigen, und dass sie zum dritten jemanden hat, der gegebenenfalls imstande ist, die arbeitsrechtlichen Korrekturen vorzunehmen und sozialpolitischen Konzessionen anzustoßen, die sie aus eigener vom kategorischen Imperativ des kapitalen Verwertungsinteresses diktierter Motivation und beherrschter Kraft nicht ins Werk zu setzen vermag.

Dass wegen der letzteren, dem konstitutionellen Monarchen überlassenen korrektiven beziehungsweise konzessiven Funktion auch große Teile der zur proletarischen Klasse sortierten und homogenisierten lohnarbeitenden Bevölkerung sich mit der solchermaßen neu in Dienst gestellten alten Herrschaft, ungeachtet dessen, dass sie in der Hauptsache ja reaffirmative beziehungsweise repressive Zwecke pro domo des Kapitalisierungsprozesses erfüllt, wenn nicht befreunden, so jedenfalls doch abfinden können und in der geheimen Hoffnung auf eine schließliche Teilhabe an den materialen Früchten und konsumtiven Segnungen des sie industriell exploitierenden und sozial pauperisierenden Kapitalisierungsprozesses eher auf die zweideutig progressiven und integrativen Avancen setzen, die ihnen diese als konstitutionelle Monarchie retablierte alte Herrschaft macht, als auf den eindeutig regressiven und sektiererischen Prospekt zu bauen, den ihnen die dem Kapitalisierungsprozess mit kompromissloser Ablehnung begegnenden frühsozialistischen Gruppen aus ihren eigenen Reihen eröffnen – eben das macht die anstelle der bürgerlichen Republik als Staatsform eingeführte und die alte, absolutistische Herrschaft als wesentliches Funktionselement der neuen, demokratischen Machtausübung zur Geltung bringende konstitutionelle Monarchie zu einem Patentrezept kapitalistisch determinierter gesellschaftlicher Synthesis, dessen Überzeugungskraft sich keine nachrevolutionäre bürgerliche Gesellschaft verschließen kann und das deshalb maßgebende Bedeutung für alle im Wirken der Kapitalfraktion und ihrer mittelständischen Klientel, kurz, in der Existenz der bürgerlichen Klasse ihre leitfossile Bestimmtheit findenden europäischen Staatswesen gewinnt.

Die Behauptung, dass die der französischen Julirevolution entstammende und sich wesentlich durch die Retablierung der alten, nichtbürgerlichen Herrschaft in der dreifachen Rolle einer Hüterin der Verfassung, Verteidigerin der Ordnung und Schlichterin der Konflikte der bürgerlichen Gesellschaft auszeichnende Staatsform, die unter dem Namen konstitutionelle Monarchie firmiert und die, wie oben angemerkt, das Bild vom Nachtwächterstaat treffend charakterisiert, Modellcharakter auch für die anderen, sich kraft Kapitalisierungsprozess verbürgerlichenden Gesellschaften beanspruchen kann und quasi in Reinkultur beziehungsweise als arithmetisches Mittel die Lösung verkörpert, auf die letztere angesichts der durch den Kapitalisierungsprozess heraufbeschworenen verfassungspolitischen Probleme verfallen, muss auf den ersten Blick überraschen. Zu verschiedenartig und divergierend präsentieren sich, was gleichermaßen ihre Chronologie und ihre Phänomenologie, ihre historische Entwicklung und ihre empirische Struktur angeht, die anderen Gesellschaften, als dass die in Sachen Staatsform behauptete Parallele beziehungsweise Vergleichbarkeit unmittelbar einleuchten könnte. Stellt man indes eben jene unterschiedlichen historischen Entwicklungen und empirischen Strukturen in Rechnung und erkennt in ihnen, statt trennende Differenzen beziehungsweise isolierende Divergenzen, vielmehr bloß besondernde Modifikationen beziehungsweise variierende Spezifikationen, wird die Berechtigung unserer Rede vom Modellcharakter der der Julirevolution entspringenden konstitutionellen Monarchie deutlich.

Nehmen wir etwa die zweite große europäische Macht, das mit dem territorialen Frankreich um die Vorherrschaft in Europa konkurrierende insulare England, so beginnt die als Kapitalisierungsprozess apostrophierte historische Entwicklung dort zwar nicht früher als beim kontinentalen Nachbarn, geht aber dank des beschriebenen maritimen Sonderwegs des Inselreichs weit rascher vonstatten und verläuft weit weniger geprägt von absolutistischer Hybris. Tatsächlich ermöglicht es dort der von der Cromwellschen Republik initiierte und per Navigationsakte kodifizierte merkantile, von aller merkantilistischen Bevormundung und Lenkung durch die absolutistische Herrschaft weitgehend entbundene Sonderweg, den das Land einschlägt, der die kommerzielle Funktion betätigenden und deren Kapitalisierung betreibenden und durch die parlamentarische Repräsentanz, die sie dominiert, die politische Macht ausübenden Bourgeoisie fast von Anbeginn an (will heißen, nach dem Intermezzo der restaurierten Stuarts), dem absolutistischen Monarchen alle andernorts von ihm an den Tag gelegte personelle Selbstherrlichkeit beziehungsweise institutionelle Eigenmächtigkeit auszutreiben und ihn, wie in ein konstitutionelles Geschöpf des von ihr beherrschten Regierungssystems zu verwandeln, so auf eine figurative persona, eine Galionsfigur der von ihr, der Bourgeoisie, verfolgten und in einer Interaktion aus Außenhandel und interner Kapitalisierung, kommerziellem Austausch mit den überseeischen Kolonialgebieten und manufaktureller beziehungsweise industrieller Umwälzung der Produktionsbedingungen im Lande bestehenden ökonomischen Entwicklung zu reduzieren.

Unter einem von ihr praktisch zur Marionette ihrer Interessenpolitik zugerichteten und bereits zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts als konstitutionelle Monarchie gesetzten Königtum treibt die politisch als Partei der Whigs, als Gerichtsperückenpartei, Partei des verfassungsgemäßen Rechts figurierende Bourgeoisie auf der Basis florierender Kolonial- und Außenhandelsbeziehungen eine in der Manufakturalisierung beziehungsweise Industrialisierung, sprich Kapitalisierung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse bestehende ökonomische Entwicklung voran, mit der die Insel dem kontinentalen Europa um Jahrzehnte vorauseilt und die das britische Gemeinwesen schon geraume Zeit vor dem Ende des Jahrhunderts an dem Punkt anlangen lässt, den der französische Nachbar erst ein halbes Jahrhundert später erreicht – an jenem in Frankreich durch die Julirevolution markierten Punkt nämlich, an dem, wie beschrieben, der Bourgeoisie und ihrer mittelständischen Klientel angesichts der durch den Kapitalisierungsprozess heraufbeschworenen ökonomischen Nöte, sozialen Verwerfungen und politischen Konflikte das unmittelbar ausgeübte politische Regiment, sprich, die direkte Verantwortung für die Gesetzgebung im Allgemeinen und die Wahrung der Verfassung im Besonderen zu beschwerlich beziehungsweise zu gefährlich wird und an dem sie es deshalb vorzieht, durch eine Retablierung der alten, vorbürgerlichen, aber als bürgerliche Einrichtung neu gesetzten, in ein Organ der Selbstverwaltung der bürgerlichen Gesellschaft umfunktionierten Herrschaft sich selbst von der Regierungsverantwortung nach Möglichkeit zu entlasten und gegen das Risiko, für den von ihr verfolgten ökonomischen Kurs politisch haftbar gemacht zu werden, abzusichern, quasi also einen zugleich als Bürge, Vogelscheuche und Nothelfer brauchbaren politischen Strohmann für ihre ökonomischen Aktivitäten aufzustellen, kurz, anstelle der Republik eine konstitutionelle Monarchie auszurufen.

In der von Frankreich praktizierten Form ist im Inselreich dieses Rezept der Bourgeoisie zur politischen Deckung und Absicherung ihres ökonomischen Treibens freilich nicht anwendbar. Und zwar deshalb nicht, weil das Inselreich ja, wie gesagt, bereits seit einem Jahrhundert über eine konstitutionelle Monarchie verfügt, in deren Rahmen und unter deren Bedingungen der Monarch nichts weiter darstellt als eine von aller absolutistischen Selbstherrlichkeit weit entfernte Kreatur und Figur der qua Whig-Partei herrschenden Bourgeoisie, weshalb er denn auch für die Rolle, die angesichts der dank Kapitalisierungsprozess wachsenden sozialen Probleme und sich verschärfenden politischen Konfrontationen die Bourgeoisie geneigt wäre, ihm zu übertragen, für die Rolle nämlich eines nicht zwar aus der harmonischen Sphäre des Theaterhimmels herabgesandten absolutistischen Deus ex machina, wohl aber des Klassenkampfs und Parteienstreits auf dem bürgerlichen Schauplatz überhobenen konstitutionellen Judex supremus, eines Hüters der Verfassung und ultimativen Schiedsrichters, untauglich erscheint und nicht in Frage kommt. Eben weil der Monarch bereits seit langem nichts als eine Galionsfigur, eine bloße politische Marionette der ökonomisch herrschenden Bourgeoisie ist, fehlt ihm als solchem, als personaler Institution, die Eignung, jene von der letzteren benötigte Funktion einer, wenn auch von der bürgerlichen Gesellschaft gesetzten, so doch kraft absolutistischer Vorausgesetztheit, kraft wieder zum Leben erweckter Vergangenheit sich relativ eigenständig behauptenden Instanz, einer über den Klassen stehenden höheren Macht wahrzunehmen, geschweige denn auszufüllen.

Indes, da ist ja noch das ständische Komplement des Monarchen, die landed gentry, das Corpus adliger Grundbesitzer und Landeigentümer. Als zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts die Bourgeoisie in Verteidigung ihres maritim-merkantilen Sonderwegs gegen den territorialherrschaftlich fundierten Absolutismus der Stuarts mobil macht und den königlichen Herrscher absetzt und vertreibt, um sich vom Kontinent einen anderen, nach ihrem Bilde geformten, besser gesagt, nach der Pfeife ihrer Interessenpolitik tanzenden, als Galionsfigur und willfähriger Repräsentant des Kapitalisierungsprozesses auf Kolonialhandelsbasis, den sie verfolgt, figurierenden Monarchen zu holen, verweigert jener Landadel, jenes territorialherrschaftliche Corpus aus Gutsbesitzern und Landeigentümern der Bourgeoisie die Gefolgschaft, bewahrt dem geschassten König ihre Loyalität und begibt sich damit in eine praktisch ein ganzes Jahrhundert währende Opposition zur herrschenden Politik der sich parlamentarisch als Whigs formierenden und artikulierenden bourgeoisen Partei.

Von seinem ständischen Oberhaupt, das sich die Bourgeoisie in ein willfähriges Werkzeug ihrer ökonomischen Strategie umgemodelt hat, getrennt und in seiner parlamentarischen Erscheinungsform als Verfassungsfeinde, als Räuber, als Tories geschmäht, führt dieser ständische Anhang der durch die Glorious Revolution aus dem Feld geschlagenen absolutistischen Herrschaft ein als kopflose Existenz zu bezeichnendes politisches Schattendasein, aus dem ihn nun, knapp ein Jahrhundert später, die Bourgeoisie erlöst, um ihm die Staatsgeschäfte nebst monarchischer Galionsfigur anzuvertrauen, sprich, ihn in der dem Part, den ein halbes Jahrhundert später der Bürgerkönig in Frankreich spielt, vergleichbaren Rolle eines quasi überparteilichen, dem Klassenkampf, den der Kapitalisierungsprozess entfacht, ständisch-etatistisch enthobenen Hüters, Schützers und notfalls Berichtigers der Verfassung die wie immer auch durch die parlamentarische Etathoheit limitierte beziehungsweise kontrollierte Macht in der bürgerlichen Gesellschaft übernehmen zu lassen.

Indes, so in Kurzform gefasst, lässt sich die gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts, wenige Jahre vor Ausbruch der Französischen Revolution, statthabende Substitution der ein halbes Jahrhundert währenden Regierung der Whigs durch ein fast ebenso lange anhaltendes Regiment der Tories schwerlich schon als Parallelaktion zum Geschehen der Julirevolution in Frankreich glaubhaft exponieren und einleuchtend machen. Aus welchem Grund sollte es der Bourgeoisie gegeben sein, eine derart versprengte, vor einem Jahrhundert ihrer Führung beraubte und seitdem in provinzieller Bornierung und ständischer Opposition verharrende adlige Clique in den Dienst ihrer entwicklungsstrategischen Absichten zu stellen und zu einer quasi arbeitsteiligen politischen Kooperation zu bewegen? Und kraft welcher Bewandtnis sollte diese ihrer Herkunft nach blind reaktionäre Opposition überhaupt imstande sein, den ihr zugedachten Part zu übernehmen und sich als konstitutionelle Sachwalterin, Aufpasserin und Korrektorin einer ohne ihr politisches Zutun avancierten und in Sachen Kapitalisierung den kontinentalen Nachbarn weit vorauspreschenden bürgerlichen Gesellschaft hervorzutun und zu bewähren?

Schließlich gründet beim französischen Nachbarn die Möglichkeit, das Ancien Régime als konstitutionelle Monarchie zu rehabilitieren und mit den geschilderten neuen Aufgaben als eine ebenso klar definierte wie feste Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft zu retablieren, in einem ein halbes Jahrhundert währenden und zwei Revolutionen umfassenden Erfahrungs- und Zurichtungsprozess, in dessen Verlauf und Konsequenz der Monarchie alle absolutistische Eigenmächtigkeit, aller standespolitische Dünkel und alle souveränitätshybriden Mucken ausgetrieben werden und sie es mühsam lernen muss, sich mit den Gegebenheiten der sich als die wahre Souveränin wissenden bürgerlichen Gesellschaft vertraut zu machen und den im Konzept eines nachtwächterstaatlichen Bürgerkönigtums implizierten Anforderungen, die jene zivilgesellschaftlichen Gegebenheiten an sie stellen, gerecht zu werden. Entgegen dem oberflächlichen Anschein ist die Ende des achtzehnten Jahrhunderts im Inselreich die politische Macht übernehmende landed gentry eine sowohl ökonomisch als auch sozial mit der bürgerlichen Klasse strikt vermittelte gesellschaftliche Gruppe. Durch die von ihm dominierte agrarische Produktion repräsentiert dieser Landadel eine wesentliche Bedingung des in den städtischen Ballungszentren vor sich gehenden Kapitalisierungsprozesses. Und dank der Neigung der von seiner Lebensart angezogenen Bourgeoisie, sich durch den Kauf von Landgütern seinen Reihen einzugliedern, entwickelt er sich im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts zu einer gesellschaftlichen Schicht, in der sich aristokratische Lebensart und Gesittung mit bürgerlicher Moral und Gesinnung amalgamiert. Als die in Rente gegangene Bourgeoisie stellt die Gentry sowohl in systematisch-prozessualer als auch in technisch-funktioneller Hinsicht das agrarwirtschaftliche Komplement zu ihrem industriewirtschaftlichen Alterego dar.

Tatsächlich aber zeigt sich, an der französischen Monarchie und ihrem notgedrungenen Bildungsgang gemessen, der ständische Anhang des schon früh abgedankten absolutistischen Herrschers, dem im britischen Inselreich die Bourgeoisie nunmehr wesentliche Teile ihrer politischen Macht zu treuen Händen übergibt und dem sie dazu auch noch ihre königliche Galionsfigur überlässt, also quasi sein verlorenes Haupt wieder aufsetzt, mitnichten so hinterwäldlerisch und mit den Gegebenheiten und Anforderungen der im Kapitalisierungsprozess fortgeschrittenen bürgerlichen Gesellschaft unvermittelt beziehungsweise unvertraut, wie durch die obige Kurzdarstellung und ihre effekthascherische Zuspitzung suggeriert. Auch sie, die dem territorialherrschaftlichen Kontext des restaurativen Stuartregimes entstammende und in Opposition zum bourgeoisen Kapitalisierungsprozess verharrende ständische Grund- und Landbesitzerschicht, die landed gentry, hat, als sie gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts an die Macht gelangt, einen bürgerlichen Bildungsgang, einen Weg der Anpassung an die auf manufaktureller beziehungsweise industrieller Grundlage sich marktwirtschaftlich entfaltende bürgerliche Gesellschaft, hinter sich – einen Bildungsgang oder Anpassungsweg, der im Übrigen weit weniger gewaltsam und notgedrungen, weit flexibler und natürlicher verläuft als der der französischen Monarchie und ihres ständischen Anhangs und der sich in Parallelität auf zwei Ebenen, der ökonomischen und der sozialen, vollzieht.

Aus ökonomischer Sicht erfährt sich nämlich diese adlige Landeigentümerschicht durch das manufakturell beziehungsweise industriell unterfütterte kommerzielle Treiben der Bourgeoisie keineswegs einfach ins Abseits gedrängt beziehungsweise ins Hintertreffen gebracht, sondern findet sich im Gegenteil auf ihre Weise engagiert und interessiert, für jenes kommerzielle Treiben in Anspruch genommen und an ihm beteiligt. Teils dadurch, dass die entstehende Manufaktur und Industrie ihm mit der Nachfrage nach für ihren Betrieb nötigen Rohstoffen zu Leibe rückt, teils dadurch, dass die durch Handel und Industrie in die Höhe getriebenen demographischen Wachstumsraten und ins Leben gerufenen urbanen Ballungszentren ihn mit einem steigenden Grundnahrungsmittelbedarf konfrontieren, erweist sich für den großen, ständischen Grund- und Landbesitz die von der Bourgeoisie forcierte kapitalistische Entwicklung als ein ebenso transformierender Motivator wie bestimmender Faktor, der ihn unwiderstehlich dazu antreibt, teils seine agrarische Produktion auf die Nachfrage zum Beispiel nach Wolle und Leder oder den Bedarf etwa nach Brot und Fleisch ein- und umzustellen und sich also mit monokultureller Tendenz auf die Schaf- und Rinderzucht oder den Getreideanbau zu kaprizieren, teils mit Duldung oder gar Unterstützung des von der Bourgeoisie regierten Staats sich zwecks Vergrößerung und rationellerer Bewirtschaftung seiner Weide- und Anbauflächen Brach-, Öd- und Allmendeland anzueignen und durch Einfriedung einzuverleiben. Weit entfernt davon, sein politisches Schattendasein auch ökonomisch als Schmollwinkel oder Abstellgleis zu erfahren, stellt die landed gentry also eine als Akteurin im Hintergrund wesentlich an der kapitalistischen Entwicklung partizipierende und von ihr profitierende Gruppe dar, was nicht zuletzt erklärt, warum sie ihr politisches Schattendasein nicht etwa bloß klaglos zu ertragen, sondern mehr noch mit beispielgebender Lebensart und vorbildlicher Kultur zu führen, um nicht zu sagen, zu zelebrieren vermag.

Damit aber sind wir beim zweiten, sozialen Aspekt des Anpassungsprozesses, den jener ständische Anhang des früh schon geschassten absolutistischen Monarchen, jener auf seinen Gütern und Ländereien sitzengebliebene Adel, hinsichtlich der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft absolviert und durch den sich sein Sitzenbleiben paradoxerweise als eine ebenso integrative wie progressive Motion herausstellt. Dass er nämlich auf Basis des mittels Frondienst oder Verpachtung, sprich, unter vergleichbar geringer persönlicher Mitwirkung erwirtschafteten Naturreichtums, den er der bürgerlichen Gesellschaft in Gestalt von Rohstoffen und Lebensmitteln liefert, ein dem hedonistischen Müßiggang und geselligen Dilettieren geweihtes Leben zu führen, kurz, der Lebensart zu pflegen und Kultur zu entfalten vermag, verleiht jenem Landadel in den Augen der durch den presbyterianischen Terror der Ära Cromwell von der kalvinistischen Fetischisierung des kommerziellen Kapitals als himmlischen Selbstzwecks ein für alle Mal geheilten und in der Weltzugewandtheit ihres anglikanischen Katholizismus bestärkten britischen Bourgeoisie eine beispielhafte Fasson, einen Charakter von Vorbildlichkeit. Das ebenso müßig zugebrachte und gesellig verlebte wie ökonomisch gesicherte und ständisch distinguierte Dasein, das jene Grund- und Landbesitzerschicht genießt, erscheint der von kommerzieller Akkumulation auf der Grundlage manufaktureller beziehungsweise industrieller Lohnarbeit okkupierten oder vielmehr absorbierten Bourgeoisie als ein Zweck, für den zu arbeiten sich verlohnt, ein Ziel, das dem der Akkumulation geweihten professionellen Leben einen von der Tradition geheiligten existenziellen Sinn verleiht.

Und über die Mittel, diesen Zweck zu realisieren, das Vehikel, dieses Ziel zu erreichen, verfügt die Bourgeoisie dank der ebenso raschen wie frühen kapitalistischen Entwicklung, die auf Basis seines maritim-merkantilen Sonderwegs das Inselreich nimmt und die ihre Betreiber riesige Vermögen anhäufen lässt, die groß genug sind, um ihnen zu erlauben, sich, allen ständischen Widerständen und aristokratischen Reservationen zum Trotz, durch den Erwerb von Gütern verarmter Adliger oder erloschener Stammlinien oder auch durch die finanziell vergütete Belehnung mit Ländereien der Krone in jene aristokratische Grund- und Landbesitzerschicht einzukaufen und sich ihr, wie sehr auch in der ersten oder zweiten Generation noch von oben herab behandelt oder gar ausgegrenzt, anzuverwandeln. Unterstützt und sanktioniert durch den als Galionsfigur beziehungsweise willfähriges Werkzeug der Bourgeoisie figurierenden Monarchen, der Adelstitel so großzügig verleiht beziehungsweise überträgt, dass die sich naturgemäß lichtenden Reihen des Erbadels durch Verdienstadelskontingente aufgefüllt und befestigt werden, bildet sich jene biographische Vorgehensweise der Bourgeoisie zu einer gängigen Praxis aus, die das soziale Naturell und kulturelle Gepräge der vom absolutistischen Monarchen unseligen Angedenkens hinterlassenen aristokratischen Grund- und Landbesitzerschicht nachdrücklich und in der Tat von Grund auf verändert.

Was auf den oberflächlich ersten Blick als bloße Anpassung der Bourgeoisie an die aristokratische Lebensweise und Eingliederung in die ständische Tradition erscheinen könnte, erweist sich bei genauerem Hinsehen ebenso sehr als Durchdringung jener aristokratischen Lebensweise und Tradition mit bürgerlichem Geist und kapitalistischer Intention. Schließlich wechselt die Bourgeoisie, wenn sie ihr Vermögen zum Erwerb von herrschaftlichem Grund und Boden nutzt und sich der über den Grund und Boden verfügenden Herrenschicht beigesellt, ja auf kein völlig fremdes Terrain über, sondern in einen Bereich, der, ökonomisch gesehen, als Produzent von Agrarerzeugnissen, Lieferant von Rohstoffen und Nahrungsmitteln, für ihre angestammte Sphäre, die kapitalprozessual organisierten Ballungszentren, von größter faktoreller Bedeutung und insofern mit ihr aufs engste verknüpft ist. Was Wunder, dass sich diese wechselseitige wirtschaftlich-funktionelle Abhängigkeit der aristokratisch-agrarischen und der bourgeois-kapitalistischen Sphären im Sinne einer entsprechenden Wechselseitigkeit der gesellschaftlich-kulturellen Einflussnahme auswirkt und also macht, dass die Assimilation der Bourgeoisie an Lebensweise und Gesittung der Aristokratie, die die Transformation von Kapitalvermögen in Gutsbesitz zur Folge hat, einhergeht mit einer Durchdringung jener aristokratischen Sphäre mit bürgerlicher Moral und Gesinnung.

Das Ergebnis dieser auf dem Terrain oder, wenn man so will, der Bühne territorialen Herrenlebens vor sich gehenden wechselseitigen Anverwandlung und Durchdringung von Aristokratie und Bourgeoisie ist die britische Gentry, eine unverwechselbare Spielart von fundierter Oberschicht, die sich als aus den Reihen der Bourgeoisie heraus separierter Stand, als quasi ein Bürgeradel, der beim kontinentalen Nachbarn neu konstituierten und als bürgerliche Einrichtung gesetzten Monarchie, dem Bürgerkönigtum französischer Machart, ihrer strukturellen Stellung nicht weniger als ihrer funktionellen Bewandtnis nach durchaus vergleichen lässt – nur dass sie ihrer reellen Genese nach nicht Ergebnis einer politisch-systematischen Entscheidung, sondern einer soziologisch-historischen Entwicklung ist und sich nicht nur gemäß diesem ihrem evolutionären Charakter langsamer und umständlicher formiert, sondern dank der merkantilen Sonderwegskonditionen des Inselreichs auch ein halbes Jahrhundert früher ihren Auftritt hat.

Klar ist jedenfalls, dass die gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Gestalt der Tory-Partei mit der Staatsgewalt betraute territoriale Gentry beileibe kein der bürgerlichen Gesellschaft inkubierter Fremdkörper oder erratischer Block, sondern ökonomisch und kulturell vollständig an sie adaptiert und deshalb mit ihr nicht weniger kompatibel ist als beim Nachbarn die ein halbes Jahrhundert später in Person des Bürgerkönigs mit der höchsten Macht im Staate betraute konstitutionelle Monarchie. Und so wahr sie weniger eine politisch verfügte Setzung als ein ökonomisch vermitteltes Sediment der Bourgeoisie, weniger ein von letzterer exponiertes Konstrukt als ein aus ihr selbst gewonnener Extrakt ist, so wahr ist diese bei ihrer Machtübernahme den konstitutionellen Monarchen als Galionsfigur mit übernehmende territoriale Gentry sogar noch besser an die Gegebenheiten und Anforderungen der bürgerlichen Gesellschaft angepasst als das Ancien Régime beim kontinentalen Nachbarn, das mitsamt seinem aus dem Abseits des Exils beziehungsweise der Reaktion hervorgeholten aristokratischen und klerikalen Anhang die Bourgeoisie nach Maßgabe ihrer politischen Strategeme und ideologischen Machinationen profiliert oder, besser gesagt, zurechtstutzt, um es als konstitutionelle Monarchie wieder in Dienst zu stellen.

Die Gentry ist, wenn man so will, nichts anderes als die Bourgeoisie, sie allerdings als biographisches Alterego, als janusköpfiges Komplement ihrer selbst, als aus ihrem tätigen Leben herausgetretene und in den Ruhestand versetzte, kurz, auf Rente gegangene Bourgeoisie. Wäre sie freilich nur dies, erschöpfte sich ihre gegenüber der Bourgeoisie sans phrase behauptete Andersartigkeit im bloßen Rentiersdasein, darin mit anderen Worten, dass sie, statt mit Kapital zu arbeiten, als Marktbetreiber beziehungsweise industrielle Unternehmer tätig zu sein, andere mit dem Kapital, das sie ihnen zur Verfügung stellt, arbeiten lässt, sich darauf beschränkt, als Einleger oder Teilhaber in die kommerziellen beziehungsweise industriellen Betriebe anderer zu investieren – sie wäre schwerlich schon geeignet, jene zwecks Sanktionierung der zivilen Konstitution und Sicherstellung der idealen Souveränität vor Eingriffen der realen Souveränin ihr übertragene Funktion einer über den Parteien der bürgerlichen Gesellschaft stehenden Garantin, Verteidigerin und Regulatorin der prinzipiengetreuen Ordnung des Gemeinwesens überzeugend auszufüllen. Zu unschwer erkennbar in den Kapitalisierungsprozess integriert, zu offensichtlich mit der Bourgeoisie an einem Strang und aus deren Machenschaften ihren Wohlstand ziehend erschiene sie, als dass sie jene Differenz einer aus der vorbürgerlichen Tradition herkommenden und deshalb dem bürgerlichen Betrieb mit unparteiischem Eigensinn auf die Finger zu schauen beziehungsweise notfalls auch zu klopfen alten Macht überzeugend verkörpern, jenen Anschein von Andersartigkeit und aus der Andersartigkeit fließender ordnungsmächtiger Neutralität und richterlicher Unvoreingenommenheit glaubhaft erwecken könnte.

Was die Gentry beziehungsweise die sie politisch zur Geltung bringende Tory-Partei zu dieser Rolle der friedensrichterlichen Ordnungsmacht ertüchtigt, ist eben das mit dem Gentrystatus verknüpfte Attribut des landed, dies, dass sie, unbeschadet aller sonstigen Kapitalbeteiligungen, aller Investitionen in das manufakturelle beziehungsweise industrielle Ausbeutungssystem und aller daraus resultierenden kapitalen Rentenansprüche, einen wesentlichen oder zumindest maßgeblichen Teil ihres im Rahmen jenes Ausbeutungssystems erwirtschafteten Kapitals in Grundbesitz, in Eigentum an agrarisch genutztem Land überführt, aus dem sie keinen als Zins definierten kapitalen Profit, keine Rente sans phrase zieht, sondern aus dem ihr ein als Zehnter tradierter ruraler Ertrag, eine Grundrente zufließt.

Die wenn auch nicht unbedingt vollständige, so jedenfalls doch maßgebliche Überführung ihres Kapitals in Grund und Boden und die daraus resultierende Ersetzung des mit dem Kapital verknüpften Anspruchs auf kommerziellen Profit durch ein im Boden verankertes Anrecht auf naturalen Ertrag, macht aus dem städtischen Rentier den ländlichen squire, aus bürgerlichen Patriziern eine herrschaftliche Gentry, lässt mit anderen Worten einen durch den Kapitalprozess zu Vermögen gekommenen und altersbedingt beziehungsweise vermögensgemäß aus dem bürgerlichen Berufsleben ausscheidenden Teil der Bourgeoisie in einen wirtschaftlichen Zustand und durch ihn determinierten gesellschaftlichen Stand überwechseln, der sich sei's historisch als vorbürgerlich, sei's systematisch als außerbürgerlich suggeriert, sprich, ihr jenes Moment von den Kontext der bürgerlichen Gesellschaft transzendierender Herrschaftlichkeit vindiziert, das es braucht, um sie als über den ökonomischen Gegensätzen und politischen Konfrontationen jener Gesellschaft und der Klassen, aus denen sie sich zusammensetzt, stehende, nicht darein verstrickte und eben deshalb gleichermaßen zur Wahrung der formalen Verfassung, zur Verteidigung der kommunalen Ordnung und zur Entschärfung der sozialen Spannungen der Gesellschaft berufene Instanz erscheinen zu lassen.

Indem der bourgeoise Rentier oder Ruheständler sein angehäuftes Kapital nicht – oder jedenfalls nicht maßgeblich – seinen als Unternehmer weiterhin aktiven Artgenossen überlässt, sondern es vielmehr der Sphäre kommerziell organisierter Manufaktur beziehungsweise Industrie entzieht und in agrarisch genutzten Grund und Boden überführt, indem er also nicht als Investor operiert, sondern sich als Grundherr etabliert, sein Geld nicht in sächliche Produktionsmittel steckt, sondern in natürliches Produktionsvermögen verwandelt, gründet er seinen Anspruch auf gesellschaftlichen Wohlstand nicht mehr auf die bürgerliche Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, sondern auf die herrschaftliche Ausbeutung natürlicher Fruchtbarkeit, nicht auf die kapitalinduzierte Verfügung des Menschen über den Menschen, sondern die gottgewollte Herrschaft des Menschen über die Natur.

Statt bürgerlich von ihm kontraktiv überlassener gesellschaftlicher Arbeit zu profitieren, zieht er herrschaftlich Nutzen aus ihm possessiv zugefallenem Naturreichtum. Damit aber trennt er sich ökonomisch und demzufolge auch sozial von seinen bisherigen Artgenossen, wechselt aus der über Kapital verfügenden Bourgeoisie in die landbesitzende Gentry hinüber und gewinnt als Angehöriger eines der funktionell-bürgerlichen Klasse enthobenen traditionell-herrschaftlichen Standes jene Statur eines über den ökonomischen Klassen und politischen Fraktionen der stricto sensu bürgerlichen Gesellschaft stehenden neutralen Beteiligten, die ihn geeignet erscheinen lässt, die Wahrung und Verteidigung der durch die Konfrontation der Klassen und die Konflikte der Fraktionen bedrohten gemeinschaftlichen Verfassung und öffentlichen Ordnung zu seiner Sache zu machen.

Ob freilich die der Gentry beziehungsweise ihrer politischen Repräsentation, der Tory-Partei, zugestandene soziale Statur mehr als eine fiktionale Figur und also ihre daraus hergeleitete Eignung zum überparteilichen Staatsgeschäft mehr als eine petitio principii ist, will bei genauerem Zusehen als höchst fraglich erscheinen. Schließlich wurde ja oben als Beweis für die Adaptiertheit der die absolutistische Aristokratie ebenso sehr kontinuierenden wie substituierenden Gentry an die von der Bourgeoisie qua Kapitalprozess entfalteten ökonomischen Verhältnisse und für die vollständige Kompatibilität zwischen beiden Sphären deren ökonomische Verknüpfung geltend gemacht, dies mit anderen Worten, dass als Produzentin und Lieferantin gleichermaßen von für die kapitalistische Manufaktur und Industrie erforderlichen Rohstoffen und von für die städtischen Ballungszentren, die Folge des manufakturellen und industriellen Betriebes sind, nötigen Nahrungsmitteln die über die Landgüter und Agrarflächen verfügende Gentry mit ihrem ruralen Wirken eine, wie man will, unabdingbare Voraussetzung oder integrierende Komponente des kapitalen Funktionierens der Bourgeoisie darstellt.

Und nicht nur in systematisch-prozessualer, den Zusammenhang zwischen industrieller und agrarischer Produktion betreffender Hinsicht, sondern auch unter technisch-funktioneller, den Produktionsmodus selbst angehenden Gesichtspunkten zeigen beide Sphären eine weitgehende Übereinstimmung. Schließlich erwirtschaftet, aller unzweifelhaften Differenz zwischen der im Falle der Industrie menschengemacht-artefiziellen und im Falle des Landwirtschaft gottgegeben-naturalen Grundlage der Produktion und aller darauf abzielenden Rede von Naturreichtum oder natürlicher Fruchtbarkeit zum Trotz, auch der gentrifizierte Bürger seinen Wohlstand letztlich mittels Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und nämlich dadurch, dass er sei's direkt durch die Beschäftigung von Landarbeitern und Tagelöhnern, sei's indirekt durch Verpachtung seiner Liegenschaften von der Wertschöpfung derer, die er beschäftigt oder an seiner Statt das Land bestellen lässt, profitiert, und ist also die herrschaftliche Grundrente, die er bezieht, von der bürgerlichen Kapitalrente seiner früheren Artgenossen, auf die er im Übrigen ja zumeist auch noch Zugriff hat, im Grunde, nämlich im Quellpunkt einer kapitalen Wertschöpfung, die die Hervorbringung materialer Güter durch menschliche Arbeit für eine Umverteilung des Anspruchs auf diese materialen Güter zwecks weiterer und erweiterter kapitaler Wertschöpfung nutzt, gar nicht verschieden. Als überparteiliche, die Klassenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft transzendierende Instanz und mithin als geeignete Kandidatin für die Rolle des Verfassungshüters profiliert sich die eigentlich ja in den bourgeoisen Kapitalisierungsprozess bestens integrierte Gentry, weil sie sich ökonomisch durch die Dynamik des merkantilen Sonderwegs Großbritanniens und das Streben der Bourgeoisie nach Freihandel bedroht sieht und deshalb auf kritische Distanz zum entfesselten industriellen Kapitalisierungsprozess geht. So empfiehlt sie sich als Sachwalterin des Gemeinwesens, die den Interessen der beiden Hauptklassen der bürgerlichen Gesellschaft Rechnung zu tragen verspricht.

Ist so denn aber das die ständische Grundrente erzeugende Wirtschaften der die bourgeoise Kapitalrente produzierenden Ökonomie ebenso verfahrenstechnisch kongruent wie prozesssystematisch komplementär und bestätigt sich also auf der ganzen Linie die oben erhobene Behauptung, dass, weit entfernt davon, eine atavistische und nach Maßgabe ihres Atavismus mit der bürgerlichen Gesellschaft nicht weniger unvermittelte als unverbundene Gruppe darzustellen, die aus der absolutistischen Aristokratie hervorgegangene Gentry eine mit der bourgeoisen Kapitalfraktion ebenso strukturell kompatible wie funktionell perfekt an sie angepasste rurale Landeigentümerschicht bildet, so ist eigentlich gar nicht einzusehen, warum diese Schicht jetzt plötzlich dazu taugen soll, in den ökonomischen Konfrontationen und politischen Konflikten der bürgerlichen Gesellschaft die Rolle des überparteilichen Ordnungshüters beziehungsweise neutralen Schiedsrichters zu übernehmen, und worauf sie den Anspruch auf die für die Wahrnehmung jener Rolle nötige historische Distanz beziehungsweise systematische Differenz zur bürgerlichen Gesellschaft gründen soll.

Dass sie fast das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch politisch bedeutungslos bleibt und ihr Leben im Schatten der als Whigs die Staatsgeschäfte besorgenden und die königliche Galionsfigur, den absolutistischen Strohmann, vor sich her tragenden Bourgeoisie verbringt, ist ja alles andere als ein Zufall und vielmehr Ausdruck dieser ihrer vollständigen ökonomischen An- und Einpassung, dieser ihrer verfahrenstechnischen Übereinstimmung mit dem von der Bourgeoisie vorangetriebenen Kapitalisierungsprozess und ihrer prozesssystematischen Abhängigkeit von ihm. Mit welchem Recht beziehungsweise aus welchem Grund tritt diese Schicht jetzt plötzlich aus dem ökonomischen Schatten der Bourgeoisie politisch heraus und maßt sich die Rolle einer von der bürgerlichen Gesellschaft ebenso systematisch separierten wie historisch distanzierten und deshalb das Tun und Vollbringen ihres bourgeoisen Alteregos gleichermaßen konstitutionell zu bestätigen, reell abzusichern und kriteriell zu regulieren tauglichen überparteilichen Macht und höchstrichterlichen Instanz an?

Indes, weit entfernt davon, dass es sich dabei um eine Anmaßung handelte und sie sich ein Recht herausnähme beziehungsweise eigens einen Grund suchen müsste, ist es vielmehr, recht besehen, ihr Alterego, die Bourgeoisie selbst, die ihr die Rolle zumisst und ihr den Grund dafür liefert beziehungsweise das Recht dazu verschafft. Wie die den Kapitalisierungsprozess initiierende und betreibende Bourgeoisie es ist, die durch die Umwandlung des absolutistischen Landadels in die landed gentry die An- und Einpassung der territorialherrschaftlichen Sphäre an und in die Erfordernisse und Gegebenheiten des zum kapitalistischen Totum entfalteten marktwirtschaftlichen Systems herbeiführt, so ist sie es nun auch, die eben durch den von ihr vorangetriebenen Kapitalisierungsprozess dafür sorgt, dass diese aus ihren Reihen sedimentierte landed gentry in ein Verhältnis relativer Entfremdung vom kapitalistisch totalisierten marktwirtschaftlichen System gerät und deshalb in eine Haltung ostentativer Reserve ihm gegenüber verfällt, die, als historische Distanzierung beziehungsweise systematische Separation verstanden, ihr die Basis für eine glaubhafte Wahrnehmung jener zu besetzenden Rolle eines überparteilichen Verfassungsschützers und schiedsrichterlichen Ordnungshüters der bürgerlichen Gesellschaft bietet.

Wie die per Transformation der absolutistischen Aristokratie in die landed gentry vor sich gehende Anpassung der territorialherrschaftlichen Sphäre an die kapitalwirtschaftliche Realität ist dabei auch die der Gentry in der Folge vindizierte Entfremdung von dieser Realität und ihr gegenüber induzierte reservierte Haltung ökonomischer Natur und nämlich in dem den Kapitalisierungsprozess befeuernden merkantilen Sonderweg begründet, den das Inselreich auf Basis seiner maritimen Orientierung einschlägt. Wie an früherer Stelle5 gezeigt, besteht dieser Sonderweg im Wesentlichen darin, dass sich das Inselreich auf den kommerziellen Austausch mit überseeischen Gebieten in genere und den von ihm in Übersee gegründeten und bevölkerten Kolonien in specie konzentriert und im Rahmen dieses Austauschs manufakturell und industriell gefertigte Güter nach Übersee liefert, um von dort Rohstoffe und Agrarprodukte zu beziehen.

So förderlich dieser perfekt arbeitsteilige Austausch der manufakturellen und industriellen Entwicklung im Lande ist, so sehr tendiert er dazu, der heimischen Agrarwirtschaft eine unliebsame Konkurrenz zu schaffen, die ihr allmählich den Boden zu entziehen beziehungsweise die Luft abzuschnüren droht. Dank kostengünstigerer Produktionsbedingungen, wie sie Sklavenarbeit einerseits und eine extensive Ausbeutung jungfräulicher Böden und unangetasteter Naturressourcen andererseits darstellen, können die aus den überseeischen Gebieten und Kolonien ins Inselreich gelangenden Agrar- und Naturprodukte die von der heimischen Agrarwirtschaft, den Gütern und Ländereien der Gentry, gelieferten Erzeugnisse allemal preislich unterbieten und vom Markt verdrängen und damit denn aber das Pachtwesen und die aus ihm sich speisende Grundrente, sprich, die von Ackerbau und Viehzucht subsistierende beziehungsweise profitierende Landbevölkerung und die ihren Wohlstand der herrschaftlichen Teilhabe an den Erträgen der Landarbeit schuldende Gentry in ihrem Bestand beziehungsweise ihrer Existenz gefährden.

Je mehr und je schneller dank des arbeitsteiligen Austauschs mit den Kolonien die manufakturelle beziehungsweise industrielle Produktion im Mutterland wächst, umso mehr wachsen auch das Austauschvolumen selbst und die Menge der aus den Kolonien bezogenen Rohstoffe und Lebensmittel, die der heimischen Agrarwirtschaft Konkurrenz machen. Und je profitabler dieser Austausch sich gestaltet, je mehr er wegen der relativ günstigen Produktionsbedingungen in den Kolonien zugunsten der industriellen Produkte des Mutterlands ausfällt, umso mehr erhöht er die Wettbewerbsfähigkeit dieser Produkte und erlaubt ihren bourgeoisen Erzeugern, in den kontinentalen Wirtschaftsraum zu expandieren, sprich, auf die Märkte der europäischen Nachbarn vorzudringen, wo sich der Austausch eben wegen der relativen Überlegenheit der britischen Manufaktur und Industrie ähnlich arbeitsteilig gestaltet wie der mit den Kolonien und also auch von dieser Seite her der heimischen Agrarwirtschaft Ungemach droht, sprich, eine wegen der kraft Fronarbeit und Massenerzeugung günstigeren Produktionsbedingungen erdrückende Konkurrenz erwächst.

Der den manufakturellen beziehungsweise industriellen Kapitalisierungs- prozess vorantreibenden Bourgeoisie bereitet diese Entwicklung keine Probleme, sondern im Gegenteil eitel Freude, weshalb sie für ihre ungehinderte Fortsetzung eintritt. Weil der kommerzielle Austausch teils mit den überseeischen Gebieten und Kolonien, teils und in zunehmendem Maße auch mit den europäischen Nachbarn ihr in der arbeitsteiligen Form, die er wegen der Avanciertheit des Kapitalisierungsprozesses im Inselreich zwangsläufig annimmt, nichts als Vorteile bringt und eine ebenso rasche wie stetige kapitale Akkumulation verspricht, sieht sie keinen Grund, ihn zu regulieren oder gar einzuschränken, und plädiert vielmehr für seine freie Entfaltung und schrankenlose Ausweitung.

Der Landwirtschaft beziehungsweise der sie dominierenden Gentry hingegen macht dieser uneingeschränkte beziehungsweise unregulierte kommerzielle Austausch, dieser der bürgerlichen Kapitalfraktion genehme freie Handel mit der Außenwelt zunehmend zu schaffen: Sie sieht sich durch ihn auskonkurriert, vom Markt verdrängt und damit am Ende ihrer materiellen Subsistenz und sozialen Existenz beraubt beziehungsweise um ihren Wohlstand und ihren gesellschaftlichen Status gebracht.

Nicht dass die Gentry dadurch zu einer Ablehnung und Verwerfung des ganzen, durch die merkantile Ausrichtung des Landes ebenso sehr fundierten wie sie umgekehrt verstärkenden manufakturellen beziehungsweise industriellen Kapitalisierungsprozesses bewogen würde. Sie ist sich sehr wohl bewusst, dass dieser Prozess mit dem durch ihn erzeugten Bedarf an Rohstoffen und Nahrungsmitteln Grundlage ihres ökonomischen Wohlergehens und ihres durch die metamorphotische Verschmelzung mit der territorialherrschaftlichen Aristokratie errungenen ständischen Ansehens ist. Der Unwille der Gentry gilt nicht dem industriellen Kapitalisierungsprozess als solchem, sondern den kommerziellen Konsequenzen, die seine Betreiber aus ihm zu ziehen oder gegebenenfalls um seinetwillen in Kauf zu nehmen bereit sind. Statt sich ausschließlich dem Akkumulationsimperativ und der ihm gemäßen Forderung nach günstigstem Warenabsatz und lukrativstem Austausch zu verschreiben, soll die Formation aus industriellen Unternehmern und kommerziellen Betreibern, kurz, die Bourgeoisie, Rücksicht auf sie, die in zweiter Linie an der kapitalistischen Wertschöpfung beteiligte und von ihr profitierende Gruppe, nehmen und um den Preis notfalls von Gewinneinbußen, sprich, unter Außerkraftsetzung des Akkumulationsimperativs, unter Verzicht auf die Erfüllung des Profitmaximierungsgebots beim Austausch zwischen industrieller und agrikultureller Sphäre an den heimischen Handelspartnern und ihren Produkten festhalten, statt sich auf fremden Märkten bei den günstigsten Anbietern zu bedienen.

Oder vielmehr soll, da sich so viel Rücksicht auf ihr ständisches Alterego, so viel Solidarität mit ihren auf Grundrente gegangenen Artgenossen, von der dem Akkumulationsprinzip unbedingt ergebenen Bourgeoisie schlechterdings nicht erwarten lässt, das Gemeinwesen beziehungsweise der es verwaltende Staat durch gesetzgeberische Maßnahmen, sprich, durch die Erhebung von Schutzzöllen beziehungsweise die Kontingentierung von Argrarimporten für die Beibehaltung der gewohnten Handelsbeziehungen zwischen industrieller und agrikultureller Sphäre, des bewährten kommerziellen Austauschs zwischen Stadt und Land sorgen und so denn aber die durch eine schrankenlose Außenhandelsfreiheit, wie die Bourgeoisie sie propagiert und anstrebt, bedrohten ökonomischen Interessen der landed gentry vertreten und wahren. Wie aber könnte der das Gemeinwesen verwaltende Staat sich dazu verstehen beziehungsweise bequemen, solange er sich in den Händen der Bourgeoisie beziehungsweise der sie repräsentierenden Whig-Partei befindet, die doch uniform auf nichts weiter aus sind als auf eine ungehinderte und, rebus sic stantibus, durch vollständige Handelsfreiheit am besten zu befördernde Kapitalakkumulation?

Eben hieraus ergibt sich für die Gentry beziehungsweise die sie repräsentierende Tory-Partei das Motiv, um nicht zu sagen, die Notwendigkeit zu einem staatlichen Machtwechsel, einer Übernahme der Regierungsverantwortung mit dem Ziel, auf parlamentarisch-gesetzgeberischem Weg für die Wahrung ihrer ökonomischen Interessen, den Schutz der agrikulturellen Sphäre vor dem Ruin, mit dem ein kommerziell entfesselter Kapitalisierungsprozess sie bedroht, Sorge zu tragen. Zu einem Machtwechsel gehören freilich zwei, und welchen Grund sollte die ökonomisch übermächtige Bourgeoisie wohl haben, sich ungeachtet ihrer Übermacht der Gentry politisch unterzuordnen und ihr die Majorität im Parlament und damit die Verantwortung für die Staatsgeschäfte zu überlassen? Rücksicht auf die ökonomischen Interessen der Gentry ist es jedenfalls nicht, was die von der manufakturellen beziehungsweise industriellen Kapitalakkumulation besessene Bourgeoisie zu solch einer Konzession bewegt!

Vielmehr sind es – nicht anders als beim kontinentalen Nachbarn Frankreich – die der Bourgeoisie eigenen, ihr aus ihrem Tun und Vollbringen, dem Kapitalisierungsprozess, erwachsenden Probleme und ihr wohlverstanden eigenes Interesse, dieser Probleme Herr zu werden oder sie sich wenigstens vom Leibe zu halten, was sie dazu bringt, einer relativen Verschiebung der politischen Verantwortung, sprich, einer teilweisen Delegation der bis dahin von ihr monopolisierten politischen Macht zuzustimmen, wo nicht gar aktiv Vorschub zu leisten, was im vorliegenden Falle heißt: die Regierungsverantwortung und höchste Entscheidungsgewalt im Staat, symbolisch genommen: die monarchische Galionsfigur des Staatsschiffs, an die Tory-Partei, die politische Vertretung ihres ständischen Alteregos, der Gentry, abzutreten.

Die ökonomischen Krisen, sozialen Konfrontationen und politischen Konflikte, die sie durch den von ihr betriebenen, die bürgerliche Gesellschaft zunehmend dichotomisierenden, in zwei feindliche Lager, zwei Klassen aufspaltenden Kapitalisierungsprozess heraufbeschwört, die politische Widerstands- beziehungsweise anarchische Sprengkraft, die sie durch die produktive Ausbeutung und kontraktive Unterdrückung, die Pauperisierung und Deklassierung der zur proletarischen Klasse sortierten und homogenisierten lohnarbeitenden Bevölkerung anhäuft – das ist es mit anderen Worten, was die Bourgeoisie auf den Gedanken verfallen lässt, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Allgemeinen und die Wahrung der zivilen Verfassung im Besonderen, mit anderen Worten die Sanktion und den Schutz der als reale Beschaffenheit und ideale Befindlichkeit grundlegenden Strukturelemente der bürgerlichen Gesellschaft, die der Kapitalisierungsprozess für sein Wirken ebenso sehr braucht wie er sie durch es unterminiert – dies beides also nicht mehr mit eigener, durch die Autorschaft in Sachen Kapitalisierungsprozess kompromittierter und diskreditierter Hand zu besorgen, sondern einem zwar dank Konvergenz des kapitalen Interesses und der strukturellen Richtung hinlänglich vertrauenswürdigen und zuverlässigen, aber auch kraft Divergenz des sozialen Anspruchs und des existenziellen Vorbehalts als Alternativinstanz ausreichend glaubhaften und überzeugenden Stellvertreter zu überlassen.

Und für diese Rolle des glaubwürdigen, weil ebenso sehr im existenziellen Anspruch von der Bourgeoisie divergierenden und dissidenten wie im strukturellen Interesse mit ihr konvergierenden und konformen Stellvertreters bieten sich nun also die Gentry und die sie politisch repräsentierende Tory-Partei an. Dass die Gentry eine von pauschaler Ablehnung und Verwerfung kapitalistisch-akkumulativen Wirtschaftens weit entfernte kritische Distanz und Reserve gegenüber solchem Wirtschaften an den Tag legt, dass sie aus der Sicht ihrer ebenso ständisch separierten wie ökonomisch dependenten Existenz zwar den als Quelle ihres eigenen Wohlstands fungierenden Kapitalisierungsprozess will, aber nicht um jeden Preis und jedenfalls nicht um den Preis einer der Logik des Prozesses gemäßen Verarmung und Verelendung ihrer selbst und der ländlichen Sphäre, der sie ihren Wohlstand schuldet – eben das qualifiziert sie für die Rolle eines sich außer- und nach Maßgabe seines territorialherrschaftlichen Nimbus überparteilich gebenden, die Klassenstruktur der bürgerlichen Gesellschaft und deren Konfliktträchtigkeit allem Anschein nach transzendierenden Wahrers der gesellschaftlichen Verfassung, Schützers der öffentlichen Ordnung und Richters über das gemeinschaftliche Wohl, für die Rolle, mit anderen Worten, eines Sachwalters des Gemeinwesens, in dem die Ansprüche und Forderungen der beiden Hauptklassen koinzidieren beziehungsweise auf den sie sich einigen können und der quasi uno actu der bourgeoisen Klasse, der Kapitalfraktion mit ihrem mittelständischen Anhang, die Gewissheit einer sicheren Gewährleistung und ungestörten Fortsetzung ihres essenziellen Vorhabens, des kapitalen Akkumulationsprozesses, vermittelt und der zur proletarischen Klasse sortierten und homogenisierten lohnarbeitenden Bevölkerung Respekt und Vertrauen einflößt und den Eindruck gleichermaßen eines um die Befriedigung ihrer existenziellen Bedürfnisse besorgten ehrlichen Maklers wie eines ihr die Teilhabe an den Früchten ihrer Ausbeutung in wie immer auch vage Aussicht stellenden Hoffnungsträgers macht. Anders als in Großbritannien, wo die territoriale Macht sich in Gestalt der landed gentry in einen der bürgerlichen Gesellschaft ökonomisch integrierten realen Faktor verwandelt, hebt sie sich in Frankreich in der Person des absolutistischen Monarchen in einen bloß politisch adaptierten transzendentalen Akteur auf. Das erweist sich als gravierende Hypothek, weil es die bürgerliche Klasse am Ende zur revolutionären Abschaffung der Monarchie und zum Umweg über die Etappen ausschussdemokratischen Terrors, direktorialrepublikanischer Korruption, militärdiktatorischer Großmannssucht und restaurationsabsolutistischer Borniertheit zwingt, ehe sie mit der Julirevolution endlich Gelegenheit erhält, ihre eigentliche Absicht, den Systemwechsel von der absolutistischen zur konstitutionellen Monarchie, in die Tat umzusetzen. Für die bürgerliche Klasse in Großbritannien erweist sich dieser Systemwechsel dank der als ihr territoriales Alterego bereitstehenden Gentry als leichte Übung, die sie noch vor der Französischen Revolution absolviert, um in der Folge eine markante Immunität gegenüber der das kontinentale Europa erschütternden Verführungskraft der Revolutionsidee an den Tag zu legen.

Es ist im Prinzip die gleiche Rolle, die ein halbes Jahrhundert später in Frankreich die Bourgeoisie dem Monarchen zuspielt, nur eben mit dem Unterschied, dass dort der als überparteilicher Hüter der gesellschaftlichen Verfassung und Garant der öffentlichen Ordnung, als eine Art staatliches Überich figurierende konstitutionelle Monarch eine durch die bürgerliche Klasse systematisch gesetzte und introduzierte Instanz ist, wohingegen beim britischen Nachbarn das Tory-Regime, das diese staatliche Überich-Rolle übernimmt, beziehungsweise die als Gentry firmierende ständische Gruppe, die das Regime stellt, eine aus der bürgerlichen Klasse historisch gewachsene und sedimentierte Institution bildet. Mag die französische Bourgeoisie und ihr mittelständischer Anhang den von ihr freihändig eingesetzten Monarchen noch so sehr ihren Absichten unterwerfen und ihren Ansprüchen anpassen – er bleibt die wie immer umfunktionierte alte Macht, ein vorbürgerlich gegebener Fremdkörper, wohingegen die britische Bourgeoisie das Gentry-Regime, dem sie satzungsgemäß den Platz räumt, sprich, die Macht im Staat überlässt, sie selber in verfremdet traditioneller Gestalt, ihr eigenes ständisch verfasstes Alterego ist.

Das ist kein geringfügiger Unterschied, und er erklärt sich aus dem merkantilen Sonderweg, den das Inselreich einschlägt und der seiner Kapitalfraktion, seiner Bourgeoisie, gleichermaßen die Gelegenheit verschafft und die Zeit lässt, die historische Voraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft, die territorialherrschaftliche Grundlage, der sie entspringt, ökonomisch zu infiltrieren und von innen heraus zu transformieren, sie in ein bürgerliches Eigengewächs, einen integrierenden Faktor ihres eigenen Bestehens aufzuheben, kurz, sie in ein angestammtes Strukturelement des kapitalistischen Systems zu überführen. In Frankreich, dem als dem Musterbeispiel kontinentaler Territorialität und agrarisch fundierter Souveränität solch eine zur via regia bürgerlichen Aufbruchs entfesselte merkantile Perspektive fehlt, bleibt der Kapitalfraktion, der Bourgeoisie, gar nichts anderes übrig, als ihr ökonomisches Avancement vollständig an die politische Karriere des sich als absolutistischer Souverän etablierenden königlichen Herrschers zu knüpfen, will heißen, davon abhängig zu machen, dass jene als feudale Herrschaftsordnung erscheinende historische Voraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft sich, wenn auch unter dem magisch-indirekten Einfluss der ökonomischen Entwicklung, so doch aber aus praktisch eigenem Antrieb ihrer feudalen Strukturen entledigt und in eine dem bürgerlichen Kapitalisierungsprozess wenn schon nicht unbedingt genehme, so jedenfalls doch halbwegs gemäße politische Rahmenbestimmung oder zureichende Bedingung transformiert.

Wohlgemerkt, bloß in eine politische Rahmenbestimmung, eine zureichende Bedingung des bürgerlichen Kapitalisierungsprozesses überführt sich hier die aus autonomem Antrieb, wenn auch unter heteronomem Einfluss agierende territorialherrschaftliche Voraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft, wohingegen beim britischen Nachbarn jene territorialherrschaftliche Voraussetzung kraft des maritim-merkantilen Sonderwegs, den die bürgerliche Gesellschaft beschreitet, durch den Kapitalisierungsprozess selbst unterwandert und in einen ökonomischen Bestandteil, ein tragendes Element des neuen manufakturellen beziehungsweise industriellen gesellschaftlichen Reproduktionssystems transformiert wird. Dort, im britischen Inselreich, findet sich mit anderen Worten die territorialherrschaftlich-feudale Grundlage der marktwirtschaftlich-bürgerlichen Gesellschaft durch den das marktwirtschaftliche System totalisierenden Kapitalisierungsprozess in einen als landed gentry firmierenden unionistisch integrierten realen Faktor der neuen ökonomischen Ordnung verwandelt, während sich hier, im kontinentalen Frankreich, jene historische Grundlage zwar unter dem kausalgesetzlich-unentrinnbaren Einfluss der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Entwicklung, aber doch in quasi parallelweltlicher Synchronizität zu ihr eigenhändig zurichten muss und dabei in einen als absolutistische Herrschaft figurierenden transzendentalen politischen Akteur der neuen ökonomischen Ordnung umgestaltet.

Diese Rolle als äußere Rahmenbestimmung oder politisch zureichende Bedingung, kurz, als transzendentaler Akteur der bürgerlichen Gesellschaft, die im kontinentalen Frankreich der territorialherrschaftlichen Macht zufällt, erweist sich in der Folge als gravierende Hypothek und letztlich unerträgliche Belastung. Nicht dass die in den transzendentalen Akteur der bürgerlichen Gesellschaft umgerüstete, zum absolutistischen Souverän abstrahierte territorialherrschaftliche Macht nicht guten Willens wäre und alles daransetzte, der die bürgerliche Gesellschaft per Kapitalisierungsprozess in Szene setzenden Bourgeoisie allen nur möglichen Sukkurs und Vorschub zu leisten. Aber eben weil sie sich nicht in einen der bürgerlichen Gesellschaft ökonomisch integrierten, realen Faktor verwandelt, sondern bloß zu einem ihr politisch adaptierten transzendentalen Akteur aufhebt, behält und behauptet sie als diese transzendentale Instanz eine Art von politischer Richtlinienkompetenz für die Gesellschaft, die sie gemäß ihrer ökonomischen Unvermitteltheit und ständischen Abstraktheit nutzt, um ihr Engagement für die Sache der Bourgeoisie nicht weniger von Selbstherrlichkeit als von gutem Willen bestimmt sein zu lassen, sprich, ihren politischen Einsatz für den kapitalistischen Prozess und seine kommerziellen Erfordernisse eher äußerlich-dekretorisch und heteronom-präskriptiv, kurz, bürokratisch, als im Sinne einer Rezeptur des Laissez-faire oder Hilfe zur Selbsthilfe, kurz, liberalistisch zu gestalten – mit dem geschilderten Ergebnis eines staatlich ebenso sehr gegängelten wie konzipierten kapitalistischen Entwicklungsprozesses, dessen kommerzielle, in der Erschließung neuer Märkte bestehende Triebkraft nicht wie im britischen Inselreich original merkantiler Natur ist und den von staatlicher Seite höchstens sekundierten Expansionsmechanismen des Marktes selbst entspringt, sondern eben bloß regal merkantilistische Form hat und dem von Staats wegen dem Markt gemachten Avancen und gebahnten Wegen geschuldet ist.

Nicht genug damit, dass diese staatlich verfügten, merkantilistischen Fördermaßnahmen wegen der transzendentalen Starre, sprich, wegen der ökonomischen Unvermitteltheit und ständischen Abstraktheit der sie ins Werk setzenden politischen Instanz weit weniger effektiv, zuverlässig und nachhaltig ausfallen als die beim britischen Nachbarn zum Zuge kommenden situationsbedingt merkantilen Entwicklungsmechanismen, ihre ökonomische Unvermitteltheit und ständische Abstraktheit sorgt mehr und schlimmer noch dafür, dass die politische Instanz, die absolutistische Herrschaft, sich mit jenen merkantilistischen Fördermaßnahmen als mit einer unverbrüchlichen, für alle Zeiten zureichenden Leistung zufrieden gibt und im Stolz und Vertrauen auf sie und ihre Haltbarkeit zunehmend das Interesse an ihnen verliert und sich immer ausschließlicher ihren aristokratisch eigenen Okkupationen zuwendet und ihren konsumpraktisch eigentlichen Neigungen widmet: dem Streben nach kriegerischer Machtentfaltung und der Lust an verschwenderischer Hofhaltung.

Statt das einmal begonnene Wirtschaftsförderungswerk fortzusetzen und sich als ein politischer Sekundant zu bewähren, der im wohlverstanden eigenen Interesse die Unterstützung und Absicherung des kapitalistischen Akkumulationsprozesses als ständige und dem prozessualen Fortschritt immer neu anzupassende Aufgabe begreift und wahrnimmt, ruht sich die als transzendentaler Akteur figurierende absolutistische Herrschaft auf ihren Lorbeeren aus und beschränkt sich darauf, den ökonomischen Lohn für ihre anfänglichen und dem Fortschreiten des Prozesses gemäß zunehmender Obsoletheit verfallenden politischen Dienste einzufordern, wobei angesichts der steigenden Erträge, die auch ohne ihre tätige Mitwirkung und ihr konstruktives Engagement der Prozess kraft der ihm eigenen Dynamik abwirft, ihre Begehrlichkeit wächst und sie sich auf Basis ihrer bürokratisch dominanten Stellung zu steuerpolitischen Eingriffen und finanzpolitischen Manipulationen hinreißen lässt, die den Prozess immer ernsthafter belasten, sein Entwicklungspotenzial immer gravierender beeinträchtigen.

Das schließliche Resultat dieser zunehmenden Entzweiung und Kluft zwischen der den ökonomischen Prozess vorantreibenden bürgerlichen Klasse und der in ihrer politischen Sekundantenrolle erstarrten und dysfunktionalisierten absolutistischen Herrschaft ist die Revolution, der gewaltsame Sturz der letzteren durch die mittels ihrer aufklärerischen Intellektuellen einen ebenso durchschlagenden wie kurzlebigen Schulterschluss mit der breiten Volksmasse zustande bringende erstere. So unabweislich beziehungsweise unabwendbar die Revolution unter den gegebenen Umständen, sprich, nach Maßgabe der zwischen bürgerlicher Klasse und königlichem Regime vorgefallenen und mit dem Begriff ,,Entzweiung" noch euphemistisch beschriebenen Fehlentwicklung aber auch sein mag, für die bürgerliche Klasse selbst erweist sie sich als ein zweischneidiges Schwert und in der Tat als ein Unglück, weil sie in ihrer nicht zuletzt dem Dogmatismus der eigenen Intellektuellen geschuldeten entfesselten Konsequenz beziehungsweise haltlosen Konsequenzzieherei die absolutistische Herrschaft nicht nur in ihrer Eigenschaft als absolutistische stürzt, sondern gleich auch in ihrem Selbstsein, sie als Herrschaft, liquidiert, sie mit anderen Worten nicht nur politisch entmachtet, sondern gleich auch faktisch beseitigt.

Damit aber schüttet sie in der vollen Bedeutung der Metapher das Kind mit dem Bade aus und eliminiert, statt nur die absolutistischen Schattenseiten der überkommenen, territorialherrschaftlich-königlichen Macht, vielmehr diese selbst und als solche, womit sie sich eines politischen Leuchtturms beziehungsweise Leitsterns beraubt, der, so sehr er in der absolutistischen Vergangenheit finstere Seiten hervorgekehrt und dunkle Schatten geworfen haben mag, dennoch für die parlamentarische Zukunft, sprich, im Blick auf die durch ihr, der bürgerlichen Klasse, ökonomisches Procedere provozierten sozialpolitischen Krisen und klassengesellschaftlichen Konflikte wegweisende Bedeutung zu gewinnen und sich als die Klippen und Untiefen, in die der Kapitalisierungsprozess hineinführt, jedenfalls zu überstehen dienendes Apotropäon beziehungsweise notfalls zu vermeiden behilfliches Navigationsinstrument zu bewähren verspricht.

Indem die bürgerliche Klasse den als absolutistischer Souverän abstrakt transzendentalen politischen Akteur, zu dem sich die territorialherrschaftliche Macht unter dem Einfluss des sich kapitalistisch totalisierenden Marktes, wie man will, zugerichtet oder aufgehoben hat, wegen gleichermaßen seines Mangels an wirtschaftspolitischer Anpassungsfähigkeit und seines Übermaßes an finanzpolitischer Eigenmächtigkeit nicht nur entthront, sondern im Eifer der revolutionären Aktion, sprich, in nicht zuletzt durch ihre eigenen Ideologen entfesselter Konsequenzzieherei gleich auch entleibt, begibt sie sich der durch ihr eigenes Tun und Vollbringen, den Kapitalisierungsprozess, zum dringenden Erfordernis gemachten Möglichkeit, den als Deus ex machina der feudalen Ordnung abgedankten absolutistischen Souverän als konstitutionellen Monarchen, sprich, als Spiritus rector der neuen bürgerlichen Verfassung zu restituieren und wieder in Dienst zu stellen, und schickt sich stattdessen auf jenen revolutionsentsprungenen Irrweg einer mit dem Krieg Politik treibenden und folgerichtig in einer imperialen Militärdiktatur endenden Republik, auf dem sie erst Jahrzehnte später und nach ihrer abschließenden Läuterung durch die Restauration, eine zum Satyrspiel verkürzte Wiederholung des Ancien Régime, an einen Punkt zurückkehrt, an dem sie Gelegenheit findet, ihren absolutistischer Borniertheit und revolutionärer Konsequenzzieherei geschuldeten anfänglichen Fauxpas wenigstens halbwegs wiedergutzumachen und, wenn auch eher auf artefiziell-dezisionistischem Wege, mittels parlamentarischem Dekret, als auf traditionalistisch-habituelle Weise, durch politischen Usus, die vergangene Macht, die territoriale Herrschaft in der den Erfordernissen der bürgerlichen Gesellschaft oder vielmehr ihrer dominanten Klasse angepassten neuen Funktion einer für Kontinuität im Wandel stehenden und in diesem Sinne die Zukunft sichernden konstitutionellen Konstante, eines den bürgerlichen Gesellschaftsvertrag ohne Rücksicht auf seine ökonomischen Fallstricke politisch sanktionierenden, die gemeinschaftliche Idealität aller gesellschaftlichen Realität zum Trotz hochhaltenden Fanals zu retablieren.

Darin, dass sich die bürgerliche Klasse der in den sozialen Wirren und politischen Stürmen, die sie durch ihr ökonomisches Treiben entfacht, als über die Klassen bannkräftig erhobene gesellschaftsvertragliche Schwurhand, als eine Art konstitutioneller Totempfahl brauchbaren territorialherrschaftlich-monarchischen Macht nicht erst umständlich auf artefiziell-dezisionistischem Wege bemächtigen muss, sondern ohne viel Umstände auf traditionalistisch-habituelle Weise zu versichern vermag, liegt, was die Einführung des auf die Aufgabe, die Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft zu hüten, ihre Ordnung zu verteidigen und ihre Konflikte zu schlichten, beschränkten Nachwächterstaats betrifft, der wesentliche Unterschied des Inselreichs zu seiner kontinentalen Konkurrentin. Weil in Großbritannien die territorialherrschaftlich-monarchische Macht kein auf den Kopf reduzierter und der bürgerlichen Gesellschaft absolutistisch oktroyierter transzendentaler politischer Akteur, sondern ein um den Kopf gekürzter und der bürgerlichen Gesellschaft unionistisch integrierter realer ökonomischer Faktor ist, muss dort das Bürgertum sie auch nicht erst wie in Frankreich vom Sockel oder vielmehr Thron stoßen, um sie nach allerlei direktorialrepublikanischen Eskapaden beziehungsweise militärdiktatorischen Parforceritten schließlich in Person eines von ihr als gespenstischem Revenant mit letzter Lebenskraft sekretierten Bürgerkönigs als künstliche politische Setzung ins ihr zugedachte Amt zu hieven, vielmehr braucht das Bürgertum einzig und allein diese territorialherrschaftlich-aristokratische Macht als die durch den Kapitalprozess zu ökonomischer Gleichzeitigkeit aufgehobene historische Voraussetzung, als die sie sich präsentiert, sprich, als der industriellen Kapitalfraktion korrespondierendes agrikulturelles Alterego, als aus der Bourgeoisie selbst sukzessive sedimentierte Gentry aus der, wie man will, politischen Versenkung oder ständischen Rumpelkammer zu holen und in Gestalt ihrer politischen Repräsentanz, der Tory-Partei, mit dem besagten, für die Wahrung konstitutioneller Kontinuität, ziviler Ordnung und sozialer Einheit zuständigen Amt zu betrauen.

Aus dieser markant anderen Verlaufsform des Übergangs von der zentralistischen Territorialherrschaft zum Nachwächterstaat beziehungsweise vom absolutistischen Souverän zur konstitutionellen Monarchie erklärt sich auch die auf den ersten Blick überraschende Indifferenz, um nicht zu sagen Immunität, die das britische Inselreich gegenüber der Französischen Revolution und ihrer im gesamten Kontinentaleuropa spürbaren Verführungskraft, dem, salopp gesagt, Sexappeal beweist, den sie auf weite Kreise der kontinentaleuropäischen Gesellschaften ausübt. Überraschen kann diese Indifferenz und Immunität der bürgerlichen Gesellschaft im Inselreich nur, wenn man die Ideologie der Revolution, ihr behufs Schulterschlusses mit der Volksmasse von der bürgerlichen Intelligenz proklamiertes Selbstverständnis ernst nimmt und in ihr ein Unternehmen gewahrt, das darauf zielt, eine grundlegend neue, von ihrer territorialherrschaftlichen Vergangenheit, ihrer historischen Voraussetzung befreite, rein bürgerliche Gesellschaft ins Leben zu rufen, statt sie als einen von Fehlschlägen heimgesuchten Versuch beziehungsweise eine in ihrer Umständlichkeit, um nicht zu sagen Umwegigkeit, zur regelrechten Irreführung geratende Methode zu begreifen, dem im Fortgang des Kapitalisierungsprozesses der bourgeoisen Kapitalfraktion und ihrer mittelständischen Klientel aufstoßenden Bedürfnis nach einer Rekrutierung und Funktionalisierung jener als historische Vergangenheit perennierenden territorialherrschaftlichen Macht für Zwecke einer Sicherung der zivilen Verfassung, Verteidigung der kommunalen Ordnung und Schlichtung sozialer Konflikte Genüge zu leisten.

Grund für die fehlleistungshafte Umständlichkeit der in Frankreich praktizierten revolutionären Methode zur Umfunktionierung des königlichen Amtes ist, wie erläutert, die transzendentale Fasson der zum absolutistischen Souverän aufgehobenen territorialherrschaftlichen Macht, ihre Stellung als der bürgerlichen Gesellschaft aus eigener Machtvollkommenheit oktroyierter, sprich, zwar politisch den Bedürfnissen und Anforderungen des Kapitalisierungsprozesses angepasster, ökonomisch aber mit ihnen unvermittelter und ihnen in der Tat widerstreitender Deus ex machina, die es nötig werden lässt, diese transzendentale Macht erst einmal ihrer Transzendentalität zu entkleiden, diese politische Gottheit erst einmal als solche zu demontieren, um sie überhaupt geschaffen und geschickt für das ihr qua konstitutionelle Monarchie, qua Verfassungshüterin von Volkssouveräns Gnaden zugedachte neue Amt zu machen.

Diese Entkleidungsaktion oder Demontage aber schlägt fehl und endet in der revolutionären Terreur, sprich, in der Liquidation des königlichen Transzendentals durch die bürgerliche Empirie beziehungsweise im Opfer der politischen Gottheit auf dem Altar der republikanischen Nemesis, womit die monarchologische Umfunktionierungsveranstaltung erst einmal im buchstäblichen Sinne gegenstandslos geworden ist und der lange Marsch und Probelauf durch alternative, aber sich letztlich als untauglich erweisende staatssystematische Optionen beginnt.

Das ebenso sehr verfehlte wie eigentlich anvisierte Ziel des revolutionären Systemwechsels ist demnach die Umfunktionierung der traditionellen königlichen Macht in eine konstitutionelle, sprich, auf den Schutz, die Verteidigung und die Regulierung der bürgerlichen Verfassung reduzierte und vereidigte Monarchie, die Rekrutierung der an der neuen, bürgerlichen Gesellschaft haftenden alten, territorialen Herrschaft für die Aufgabe eines ersterer gleichermaßen verfassungspolitisch die Sanktion erteilenden Spiritus rector und ordnungspraktisch zur Hand gehenden Hauswarts oder Nachtwächters. Und die revolutionäre Form, die in Frankreich der Systemwechsel annimmt, ist folglich nichts weiter als Ausdruck seines der absolutistischen Selbstherrlichkeit der Monarchie, ihrer Aufführung als transzendentaler politischer Akteur geschuldeten Scheiterns, Ausdruck mit anderen Worten der Tatsache, dass dort die zum absolutistischen Souverän aufgehobene territorialherrschaftliche Macht nicht bloß an der bürgerlichen Gesellschaft haftet, sondern mehr noch schwer auf ihr lastet, nicht nur alimentarisch an ihr hängt, sondern sie mehr noch hypothekarisch bedrängt.

Damit die Monarchie umfunktioniert werden kann, muss sie erst einmal dysfunktionalisiert, ihrer offenbaren Fehlfunktion beziehungsweise funktionellen Hypertrophie entkleidet werden, und weil im Eifer der dafür angewandten revolutionären Methode das Entkleiden zum Entleiben und also die Dysfunktionalisierung zur Liquidierung gerät, katapultiert sich die bürgerliche Gesellschaft auf jenen Irr- oder jedenfalls Umweg, der sie die Etappen ausschussdemokratischen Terrors, direktorialrepublikanischer Korruption, militärdiktatorischer Großmannssucht und restaurationsabsolutistischer Borniertheit zu durchlaufen zwingt, ehe er sie an den als Julirevolution apostrophierten Punkt gelangen lässt, an dem sie endlich ihr ursprüngliches Vorhaben in die Tat umsetzen kann: die Überführung der traditionellen, als historische Voraussetzung der bürgerlichen Gesellschaft firmierenden und aus politischem beziehungsweise ökonomischem Eigeninteresse mit ihr paktierenden beziehungsweise kohabitierenden territorialen Herrschaft in eine konstitutionelle, als politische Setzung der bürgerlichen Gesellschaft deren Interesse sich gänzlich zu eigen machende und nämlich in der Aufgabe, die ideale Verfassung der bürgerlichen Gesellschaft zu hüten und ihre soziale Ordnung zu verteidigen, aufgehende, sprich, ihren einzigen Sinn und ihre volle Erfüllung findende Monarchie.

Dieser revolutionäre Um- und Irrweg bleibt dem britischen Inselreich erspart. Weil, wie gesagt, die für die neue Aufgabe einer Hüterin der idealen Verfassung und Verteidigerin der sozialen Ordnung vorgesehene territorialherrschaftliche Macht dort kein zum absolutistischen Souverän exaltierter und der bürgerlichen Gesellschaft oktroyierter politisch-transzendentaler Akteur, sondern ein zur unionistischen Gentry sedimentierter und der bürgerlichen Gesellschaft integrierter ökonomisch-realer Faktor ist, erweist es sich für die bürgerliche Klasse als eine leichte Übung, diese durch die bürgerliche Gesellschaft ebenso sehr ökonomisch zum Komplement faktorisierte wie ständisch zum Alterego integrierte territorialherrschaftliche Macht aus der Versenkung zu holen, ihr als Wahrzeichen ihrer wiedererlangten politischen Bedeutung die königliche Galionsfigur zu übergeben und sie auf Basis ihrer von der kapitalprozessualen Strategie der Bourgeoisie ebenso existenziell divergierenden wie strukturell mit ihr konformen Interessenlage als eine Art überparteiliches, über den Egoismen der bürgerlichen Klassengesellschaft stehendes und eben deshalb zur Wahrung der Integrität und Kontinuität der letzteren berufenes Schutz- und Schiedskollektiv die Staatsführung übernehmen zu lassen.

Nachdem gemäß ihrem kapitalprozessualen Entwicklungsvorsprung die bürgerliche Gesellschaft in Großbritannien bereits vor Ausbruch der Revolution in Frankreich zügig und ohne viel Aufhebens diese Umfunktionierung der traditionellen, territorialherrschaftlichen Macht in eine konstitutionelle Garantin und Agentin der zivilgesellschaftlichen Verfassung und Ordnung erreicht hat, gibt es für sie nicht den geringsten Grund, sich für die Revolution und deren überschwängliche Ideale, ihre der Notwendigkeit eines Schulterschlusses mit der Volksmasse gegen eine ungebärdige absolutistische Herrschaft geschuldeten fundamentalistischen Vergesellschaftungsprinzipien zu begeistern oder auch nur zu erwärmen. Stattdessen konzentriert sie sich unter tatkräftiger Führung der qua Toryherrschaft in ein Konstitutiv der bürgerlichen Gesellschaft, ein staatstragendes Element überführten territorialen Gentry darauf, den aufgrund der Entscheidung der Republik für die militärische Option zunehmend offensiven revolutionären Elan der Nachbarin einzudämmen beziehungsweise ihrer anschließenden militaristisch-imperialen Expansions-, Okkupations- und, bezogen auf das britische Inselreich selbst, Isolationsstrategie zu trotzen und den Schneid abzukaufen – womit sie, wenn auch eher unfreiwillig und, wie die Restauration des Ancien Régime nach dem Untergang des Imperiums zeigt, sogar wider Willen einen wesentlichen und vielleicht sogar entscheidenden Beitrag dazu leistet, dass die bürgerliche Klasse in Frankreich ihr mittels Revolution angestrebtes eigentliches und durch die Eigendynamik der Revolution aber aus dem Blickfeld geratenes und anderen Aspirationen geopfertes Ziel am Ende doch noch erreicht und in einem zweiten, ebenso kursorischen wie theatralischen Revolutionsakt die im ersten, ebenso ausführlichen wie dramatischen Akt als transzendentaler Akteur der bürgerlichen Gesellschaft demontierte absolutistische Herrschaft als konstitutionelle Monarchie, sprich, als ihr, der bürgerlichen Gesellschaft, vollständig assimiliertes ziviles Organ, zu retablieren vermag. In den mehr oder minder in den Fußstapfen der französischen Herrschaft wandelnden Anrainerstaaten Frankreichs versetzt die Revolution größere Gruppen der bürgerlichen Gesellschaft in Aufbruchsstimmung beziehungsweise Aufruhrbereitschaft. Die politische Entwicklung in Frankreich verhindert zwar ein Übergreifen der Revolution auf die Anrainerstaaten und lässt deren absolutistische Ordnung fortbestehen, allerdings wird diese durch den Einfluss der Hegemonialmacht derart ausgehöhlt, dass dort nach dem Sturz des napoleonischen Regimes konstitutionellere Regierungsformen möglich, wenn auch nicht zwangsläufig wirklich, werden als im restaurierten Frankreich. Die östlichen Flächenstaaten des kontinentalen Europa ergreifen zur Sicherung ihrer absolutistischen Herrschaft reaktionäre Maßnahmen und repressive Vorkehrungen, die angesichts der offensichtlichen Ungefährdetheit dieser Herrschaft durch die unentwickelten bürgerlichen Gesellschaften ihrer Territorien auf den ersten Blick überraschen und nur einen Sinn gewinnen, wenn man sie als Reaktion auf das herrschaftseigene notgedrungene reformprogrammatische Tun und entwicklungspolitische Beginnen begreift.

Der umstandslose Wechsel von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie, wie ihn das britische Inselreich vollzieht, und die Indifferenz, mit der letzteres demgemäß der revolutionären Spielart des Übergangs begegnet, beziehungsweise die Immunität, die es hinsichtlich der Ausstrahlungskraft und Virulenz dieser revolutionären Spiel- art beweist, bleiben eine dem Sonderweg des britischen Kapitalisierungsprozesses geschuldete Ausnahme, ein Unikum mit anderen Worten, das sich der Tatsache verdankt, dass sich im Inselreich ein elaborierter Absolutismus erübrigt, weil die zentralistischen und merkantilistischen Promotionsleistungen, die andernorts die territorialherrschaftliche Macht im Interesse des bürgerlichen Avancements mehr schlecht als recht erbringt, dank der maritim-merkantilen Dynamik, die hier die Bourgeoisie von sich aus entfaltet, entweder früh schon entfallen können oder sich überhaupt erübrigen.

Im übrigen Europa dagegen übt der revolutionäre Irr- beziehungsweise Umweg Frankreichs eine mehr oder minder starke Anziehungskraft oder Faszination aus und bringt die kontinentalen Nachbarstaaten des Landes in dem Maße in die Bredouille beziehungsweise in Harnisch, wie er ihre bürgerlichen Gesellschaften beziehungsweise größere Gruppen von ihnen in Aufbruchsstimmung oder gar Aufruhrbereitschaft versetzt. Das ist auch kein Wunder, da ja in der Zeit vor der Revolution die Staaten auf dem europäischen Kontinent durchweg nach dem Bilde der französischen Vormacht geschaffen sind und deren als absolutistische Herrschaft beispielgebende Staatsform mehr oder minder getreulich imitieren. Durch die absolutistische Herrschaftsübung und deren finanzpolitische Unverantwortlichkeit, ihre Großmanns- und Verschwendungssucht, ähnlich gebeutelt und bedrückt wie ihr französisches Pendant, können die anderen bürgerlichen Gesellschaften im kontinentalen Europa gar nicht anders, als dem revolutionären, auf den Sturz der absolutistischen Herrschaft zielenden Treiben in Frankreich Beifall zu zollen und es in eben dem Maße für nachahmenswert zu halten, wie ihre jeweiligen Landesfürsten dem Absolutismus der französischen Monarchie nacheifern.

Das gilt besonders für die Anrainerstaaten Frankreichs, wo teils aufgrund der Tatsache, dass sich der ökonomische Fortschritt und der Kapitalisierungsprozess ohnehin von Anfang an und noch das ganze achtzehnte Jahrhundert hindurch auf den Westteil des Kontinents konzentriert, teils dank des Umstands, dass unter dem ökonomischen, politischen und kulturellen Einfluss der absolutistischen Großmacht Frankreich die Nachbarn schon zwei Jahrhunderte lang einem kontinuierlichen Anpassungsdruck ausgesetzt sind, vergleichsweise starke bürgerliche Klassen entstanden sind, die im Bewusstsein der für das Staatswesen relativ grundlegenden bürgerlichen Gesellschaftsstrukturen, die sie ins Werk gesetzt haben, dem revolutionären Anspruch auf politische Macht und auf eine konstitutionelle, im Souveränitätswechsel von der königlichen Person aufs bürgerliche Kollektiv und in der Hypostasierung der zivilen Verfassungsprinzipien zu einer Art von mosaischem Gesetz implizierte Ordnung höchst aufgeschlossen gegenüberstehen.

Dabei erspart die ebenso militaristisch-aggressive wie republikanisch-radikale Wendung, die unter dem als Vorwand genutzten Eindruck der ausländischen Interventionsversuche und gegen das Land geschmiedeten Koalitionen das französische Gemeinwesen nimmt, der bürgerlichen Klasse in den Anrainerstaaten die Notwendigkeit, es der benachbarten Republik aus eigener Kraft nachzutun und Revolution zu machen, weil die Republik die Anrainerstaaten als ihr strategisches Vorfeld, ihr Glacis betrachtet und behandelt und sie bald schon sei's politisch vollständig dominiert, sei's kurzerhand militärisch okkupiert. Eine Republikanisierung der Gesellschaft nach französischem Vorbild bleibt hier freilich die Ausnahme beziehungsweise erschöpft sich in kurzlebigen Experimenten. In dem Maße, wie die Republik sich direktorial konsolidiert, um sich schließlich zugunsten einer imperialen Militärdiktatur abzuschaffen, setzt sich die von Anfang an vorherrschende Sicht von den Anrainerstaaten als politischen Vasallen und militärischen Vorwerken ganz und gar durch und wächst dementsprechend auch die Unlust, sie sich in den Vorgängen in Frankreich vergleichbare Wirren und Umwälzungsprozesse stürzen zu lassen, und die Bereitschaft, sich mit ihren traditionellen Herrschaften, ihren absolutistischen Fürsten, zu arrangieren und in der Tat mit ihnen zu paktieren.

Der Eindruck freilich einer vollständigen Kehrtwendung der in die napoleonische Militärdiktatur konvertierten Republik, sprich, einer in den Anrainerstaaten betriebenen Politik der planen Reaffirmation der alten absolutistischen Regime und des offenen Verrats an den auf Konstitutionalisierung zielenden Interessen der bürgerlichen Klasse, wie ihn etwa der mit den deutschen Anrainern geschlossene Rheinbund vermitteln könnte – dieser Eindruck trügt. Erstens nämlich lässt sich die Begünstigung der absolutistischen Fürsten jener Staaten durch das französische Protektorat, ihre Standeserhöhung und vor allem ihr Machtzuwachs mittels einer konsequenten Mediatisierungspolitik, im Rückblick als eine per Crashkurs erreichte Vollendung des von den Fürsten selbst nur inkonsequent betriebenen beziehungsweise aus Mangel an Durchsetzungskraft nicht zum Abschluss gebrachten Entfeudalisierungs- und Zentralisierungsprozesses und somit als systematische Erledigung der den Fürsten gestellten historischen Aufgabe, sprich, als prozesslogische Voraussetzung für den Systemwechsel, die Umfunktionierung der absolutistischen Herrschaft in eine konstitutionelle Monarchie verstehen.

Zweitens geht diese scheinbare Bestätigung und gar Bekräftigung des absolutistischen Status quo Hand in Hand mit einer Übernahme der im napoleonischen Frankreich Norm gewordenen zivilen Gesetzgebung und Verwaltungspraxis in den betreffenden Staaten und also mit einer Durchdringung des öffentlichen Lebens der letzteren mit den für eine – kantisch gesprochen – allgemein das Recht verwaltende bürgerliche Gesellschaft, die sich von der absolutistischen Herrschaft emanzipiert und als autonomer Organismus konstituiert, die, wenn man so will, Selbstbeherrschung übt, grundlegenden zivilisatorischen Strukturen und bürokratischen Prozeduren.

Und drittens und nicht zuletzt desavouiert der dynastische Ringelpiez, den der selbsternannte Kaiser in seinem unmittelbaren Einflussbereich veranstaltet, unterminieren die mafiose Besetzung alter oder auch die Schaffung neuer Fürstentümer für beziehungsweise durch Mitglieder seiner Sippe sowie die willkürlichen Eingriffe in die tradierte Standeshierarchie, insonderheit die freizügige Vergabe des Königstitels, die Sakrosanktheit und Unantastbarkeit des ständischen Herrschaftssystems als ganzen und bereiten dadurch den Boden für eine so tiefgreifende Umfunktionierung des Herrscheramts durch die bürgerliche Gesellschaft und Anpassung an deren politische Agenden und ideologische Vorgaben, wie sie die Überführung des der bürgerlichen Gesellschaft als Deus ex machina sich oktroyierenden absolutistischen Souveräns in den von ihr als Spiritus rector etablierten konstitutionellen Monarchen ohne Frage darstellt.

Als die Allianz der anderen europäischen Mächte dem imperialen Treiben Frankreichs nach vielen vergeblichen Versuchen und Fehlschlägen schließlich ein Ende setzt, haben deshalb die unter französischer Herrschaft beziehungsweise Hegemonie, allen das Staatswesen als ganzes heimsuchenden Requisitionen und Kontributionen zum Trotz, in ihrer ökonomischen Entwicklung vorangetriebenen und in ihrer politischen Bedeutung entsprechend gestärkten bürgerlichen Klassen in den Anrainerstaaten im Prinzip keine Mühe, die von der Reaktion, wie sie sich mittels Wiener Kongress artikuliert, angestrebte Rückkehr zur absolutistischen Tagesordnung zu unterlaufen und in ihren Gemeinwesen Verfassungen durchzusetzen, die der – im Zweifelsfall allerdings noch eher ständisch sektionierten als bereits ökonomisch sortierten – bürgerlichen Gesellschaft als eigentlicher Souveränin Geltung verschaffen und insofern den politischen Systemwechsel von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie effektiver und glaubwürdiger vollziehen, als das dem von den Siegermächten unter Kuratel gestellten und zu einer wenn auch unvollkommenen Restauration des Ancien Régime gezwungenen Mutterland der Revolution fürs erste möglich ist.

In einzelnen Staaten, die wegen ihrer peripheren Lage von geringem strategischem Interesse für die als restaurative Bewegung formierte Reaktion sind beziehungsweise in denen die bürgerliche Klasse bereits eine besonders starke Position einnimmt, wie etwa im Schweden oder im Großherzogtum Baden, kommt es dabei zur Etablierung ebenso dauerhafter wie funktionsfähiger Frühformen konstitutioneller Herrschaft. Andernorts freilich, wie etwa in Spanien oder im Vereinigten Königreich der Niederlande, scheitert der nach der napoleonischen Herrschaft von der bürgerlichen Klasse durchgesetzte Konstitutionalismus an der mangelnden Homogenität der betreffenden bürgerlichen Gesellschaft, ihren durch Ungleichzeitigkeit in der ökonomischen Entwicklung sprengkräftig gemachten regionalen, kulturellen oder konfessionellen Differenzen – mit dem Ergebnis, dass dort soziale Konflikte und Separationstendenzen entstehen, die einem unter dem Vorwand, gegen die disruptiven Tendenzen die Einheit des Staats beziehungsweise der Nation bewahren zu müssen, fortgesetzten beziehungsweise wiedererstarkten und mit den Prinzipien einer konstitutionellen Monarchie unvereinbaren autokratischen Absolutismus Vorschub leisten, der den Zerfall beziehungsweise das Auseinanderbrechen des Staatswesens letztlich doch nicht verhindern oder nur mit wachsender militärischer Gewalt aufhalten kann.

Einem raschen und reibungslosen Systemwechsel von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie vor allem aber hinderlich ist der relativ unangefochtene Fortbestand der unter strikt absolutistischer Herrschaft stehenden großen Territorialstaaten im Osten des Kontinents – Russland, Österreich und Preußen –, die auf dem Wiener Kongress gemeinsam mit dem britischen Inselreich über die Neuordnung Europas entscheiden und deren wesentliches Interesse der Aufrechterhaltung der Grundstrukturen des Ancien Régime, des absolutistischen Paradigmas politischer Herrschaft im europäischen Rahmen gilt, die mit anderen Worten dafür sorgen wollen, dass in den politischen Verhältnissen des Kontinents nach der Bewältigung der bürgerlichen Revolution und ihrer imperialen Folgen das vorrevolutionäre, bürokratisch-zentralstaatliche Format im Prinzip das herrschende bleibt und nicht – oder jedenfalls nicht in nennenswertem Maße oder auf breiter Front – durch die von der bürgerlichen Revolution ebenso gründlich verfehlte wie eigentlich angestrebte parlamentarisch-zivilgesellschaftliche Ordnung verdrängt und ersetzt wird.

Die Motive der in dieser Absicht alliierten Großmächte sind dabei gänzlich verschieden. Während das britische Inselreich darauf aus ist, den ökonomischen Konkurrenten Frankreich politisch zu paralysieren oder jedenfalls in Schach zu halten und dafür zu sorgen, dass der restliche Kontinent in der provinziellen Rückständigkeit und industriellen Unentwickeltheit verharrt, die ihn ebenso sehr als Absatzmarkt für Industriegüter und technische Dienstleistungen britischer Provenienz profiliert, wie daran hindert, der merkantilen Expansion des Inselreichs, seinem Auf- und Ausbau eines weltweiten Handelssystems in die Quere zu kommen, geht es den territorialen Herrschaften im östlichen Europa darum, die Stabilität und Kontinuität ihrer absolutistischen Regime zu sichern und die im Westteil des Kontinents auch nach der Niederschlagung der bürgerlichen Revolution und der Beseitigung ihrer imperialen Folgen fortdauernden und sich quasi als Selbstläufer erweisenden konstitutionalistischen Bewegungen, sprich, die Bestrebungen der dortigen bürgerlichen Gesellschaften, sich als Souveränin zu etablieren und den Monarchen auf einen Hüter der von ihr geschaffenen Sozialordnung zu reduzieren, im Zaum beziehungsweise sich und ihren Untertanen vom Leibe zu halten.

Aber so verschieden die Motive der Beteiligten an dieser Allianz, die nicht erst durch die Mitwirkung Großbritanniens das Eponym ,,heilig", das sie sich zulegt, Lügen straft – so verschieden die Motive auch sein mögen, die Allianz erfüllt ihren Zweck, wie die bis zur Julirevolution währende bleierne politische Ruhe beweist, die sich über den Kontinent senkt, und wie beispielhaft die seit dem Dreißigjährigen Krieg als Voraussetzung für die Entwicklung der neuen absolutistischen Mächte an der Peripherie in Kleinstaaterei versunkene Mitte des Kontinents, das deutsche Reichsgebiet, demonstriert, wo in vexierbildlicher Entsprechung zum Rheinbund, den sich das Napoleonische Imperium zulegt, um die östlichen Territorialmächte Preußen und Österreich einzuschnüren und unter Kontrolle zu halten, der Deutsche Bund gegründet wird, um unter der Aufsicht eben jener beiden Territorialmächte seine Mitglieder, wenn nicht von jeglichem Systemwechsel abzuhalten, sie aller konstitutionalistischen Bewegung und Bestrebung zu entziehen (dafür ist es bereits zu spät), so doch dergestalt außenpolitisch an die Kandare zu nehmen beziehungsweise machtpolitisch unter Druck zu setzen, dass die zivilen Verfassungen, die sie sich geben und durch die sie ihren Fürsten bürgerliche Fesseln anlegen, entweder überhaupt praktisch bedeutungslos, realpolitisch wirkungslos oder wenigstens in ihrer Bedeutung und Wirkung auf das Territorium des jeweiligen Kleinstaats beschränkt bleiben und nicht auf die Nachbarn ausstrahlen.

Dabei scheint es auf den ersten Blick so, als hätten die östlichen Territorialmächte diese ebenso kontrollsüchtige wie repressive Politik à la Metternich, die sie betreiben, gar nicht nötig und müssten sich um die Stabilität und Integrität ihrer zentralistisch-bürokratisch verwalteten Gesellschaften im Allgemeinen und um die Sicherheit und Kontinuität ihrer ständisch-autokratisch geübten Herrschaft im Besonderen nicht weiter Sorgen machen. Schließlich ist ihre im Vergleich mit den westeuropäischen Mächten ebenso markante provinzielle Rückständigkeit wie massive ökonomische Unentwickeltheit Folge und Ausdruck der Tatsache, dass sie über das für die Entstehung zentralistischer Gesellschaftsstrukturen und die Ausbildung absolutistischer Herrschaftsformen erforderliche Mindestmaß an kommerzieller Systematik und industrieller oder wenigstens manufaktureller Dynamik, kurz, an kapitalistischer Prozessualität nicht oder kaum hinausgelangt sind und dass dementsprechend die bürgerlichen Gruppen, die sie als ihr dynamisches Zentrum und ihren formativen Fokus in sich tragen und denen sie letztlich ihre Existenz verdanken, noch hinlänglich embryonal oder rudimentär sind, um sich widerspruchslos in die Rolle von paternalistisch geführten beziehungsweise merkantilistisch geförderten nützlichen Untertanen zu fügen und aus ihren bescheidenen ökonomischen Aktivitäten und Leistungen keine politischen Machtansprüche, keine Forderungen nach Mitwirkung an den absolutistisch monopolisierten Staatsgeschäften oder gar nach einer Ablösung der absolutistischen Herrschaft durch eine konstitutionelle, parlamentarisch vermittelte Monarchie, kurz nach einem Wechsel der Souveränität von der königlichen Person auf die bürgerliche Gesellschaft abzuleiten.

Mangels ökonomischer Stärke derart bar des politischen Selbstbewusstseins und ihrer absolutistischen Herrschaft untertänig zeigt sich die bürgerliche Gesellschaft dieser Territorialstaaten, dass bei ihr, anders als in den Anrainerstaaten der Grande Nation, die Sirenengesänge der Revolution weitgehend unbeachtet verhallen beziehungsweise ihre animierende Wirkung auf unerheblich kleine Kreise bürgerlicher Intellektueller beschränkt bleibt und dass die Niederlagen und Demütigungen, die in der Folge das Napoleonische Imperium den Staaten zufügt, ihre bürgerlichen Gruppen einzig und allein motivieren, sich in staatsbürgerlicher Loyalität um ihre durch Leid geadelten Souveräne zu scharen, und dem Gros der bürgerlichen Intelligenz, der sich die Rückständigkeit und Desolatheit ihrer Gemeinwesen aufdrängen will, zum Anlass werden, sich von der politischen Reflexion pauschal zu verabschieden und ihr Heil in einem Eskapismus zu suchen, der ihm erlaubt, mittels einer Kombination aus ironischer Distanzierung und romantischer Verklärung ihrer rückständigen Lebenswelt und desolaten Wirklichkeit Lebbarkeit, wo nicht gar Wohnlichkeit zu vindizieren.

Warum angesichts dieser durch die relative Unentwickeltheit und Schwäche ihrer bürgerlichen Gesellschaften bedingten Unangefochtenheit und Stabilität der absolutistischen Herrschaft in den östlichen Territorialstaaten letztere sich zu so viel repressiver Kontrolle im Innern und präventiver Paktiererei nach außen bemüßigt fühlen, erscheint auf den ersten Blick rätselhaft.

Tatsächlich aber sind es weder ihre heimischen, in der obrigkeitsstaatlichen Hörigkeit, die merkantilistischer Abhängigkeit entspringt, befangenen bürgerlichen Gesellschaften noch die für den Systemwechsel, die Einführung konstitutioneller Verhältnisse aufgeschlossenen Staaten in der den westlichen Teil Mitteleuropas einschließenden Westhälfte Europas, was den absolutistischen Herrschaften im Osten Angst macht und eine geradezu paranoische, Gespenster an die Wand malende Abwehrpolitik und Präventionsstrategie eingibt, sondern sie reagieren damit nur auf ihr eigenes notgedrungenes reformprogrammatisches Tun und entwicklungspolitisches Treiben, das eben jene Gespenster heraufbeschwört und plane Wirklichkeit werden zu lassen verspricht und das sie insofern vom Vorwurf paranoischen Projizierens entlastet, freilich bloß, um sie stattdessen dem Verdacht schizophrenen Agierens auszusetzen.

Notgedrungen sind ihre reformerischen Anstrengungen und Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftliche Restrukturierung im buchstäblichen Sinne: Sie sind der Not der militärischen Niederlagen geschuldet, die ihnen das aus der Revolution hervorgegangene republikanische und später imperiale Frankreich beibringt, und der politischen Abhängigkeit, in die es sie versetzt, sowie der requisitorischen und kontributorischen Ausplünderung, der es sie unterwirft – einer Not, die sie handgreiflich spüren lässt und ihnen schmerzhaft zu Bewusstsein bringt, auf welch tönernen Füßen beziehungsweise hohlem Fundament ihre scheinbar so fest gegründete absolutistische Herrschaft steht, wenn sie sich, und sei's selbst in Allianz mit ihresgleichen, mit einem Regime messen muss, dessen Basis eine kapitalprozessual vergleichsweise avancierte, von Kastendenken und ständischen Bornierungen relativ emanzipierte und vom ökonomisch-strategischen Kalkül und militärisch-technischen Genie, die der auf die Verwertung sächlicher und menschlicher Ressourcen fixierte Kapitalprozess mobilisiert, getriebene bürgerliche Gesellschaft bildet.

Die absolutistischen Herrschaften haben erfahren müssen, dass ihnen eben jene vom Ingenium und der Rationalität des kapitalen Verwertungsprinzips erfüllte bürgerliche Gesellschaft fehlt beziehungsweise in nur erst rudimentär anfänglicher Gestalt und mithin in unzulänglichem Maße zu Gebote steht und dass, solange sie ihnen fehlt beziehungsweise bloß in unentwickelten Frühformen zu Gebote steht, sie, die absolutistischen Herrschaften selbst, im Wettstreit der Staaten, sprich, in außen- und handelspolitischen Konkurrenzsituationen oder gar bei machtpolitischen Konfrontationen und militärischen Auseinandersetzungen hoffnungslos unterlegen sind und in akuter Gefahr stehen, ökonomisch zu Entfaltungsräumen und Absatzgebieten und damit politisch zu Einflusssphären und Protektoraten der westeuropäischen Mächte herabzusinken, deren tragende Säulen oder gar handelnde Subjekte kapitalprozessual avancierte bürgerliche Gesellschaften sind.

Wollen sie dieser Gefahr entrinnen und sich im Konzert der europäischen Großmächte behaupten, so müssen sie – dies die schmerzhafte Lehre aus den Revolutionskriegen und der napoleonischen Herrschaft! – aktiv werden und ihren zurückgebliebenen bürgerlichen Gesellschaften Beine machen, sprich, ihnen jede nur denkbare staatliche Hilfestellung und Förderung angedeihen lassen, damit sie den Vorsprung, den bei der qua Industrialisierung der Produktionssphäre ins Werk gesetzten Kapitalisierung der gesellschaftlichen Arbeit ihre westlichen Pendants gewonnen haben, aufzuholen und, was ökonomische Leistungskraft und technischen Entwicklungsstand angeht, zu jenen aufzuschließen vermögen.

Nicht dass staatliche Hilfestellung und Förderung für die bürgerliche Gesellschaft im Allgemeinen und ihre Kapitalfraktion, ihre kommerziell beziehungsweise manufakturell oder industriell treibende Kraft, im Besonderen etwas Neues und absolutistischer Herrschaft von Haus aus fremd wären. Tatsächlich sind sie, wie bereits mehrfach konstatiert, wesentlicher Bestandteil, um nicht zu sagen Grundartikel, des zwischen absolutistischer Herrschaft und bürgerlicher Gesellschaft beziehungsweise deren kapitaler Agentur geschlossenen Kohabitationsvertrags beziehungsweise Kollaborationspakts, dem erstere ihre Befreiung aus den Banden des Feudalsystems und ihren Aufstieg zu absolutistischer Macht und letztere ihre marktsystematische Entfesselung und ihr Avancement zu kapitalistischer Produktivität verdankt.

Und das gilt auch und durchaus für die östlichen Flächenstaaten, in denen, eben weil es an den im Westteil Europas gegebenen historischen Voraussetzungen, ökonomischen Grundlagen und kolonialistischen Perspektiven für eine eigeninitiative und im Prinzip selbsttragende bürgerliche Entwicklung mehr oder minder fehlt, weil zudem ethnisch geprägte oder feudalistisch versteinerte Machtstrukturen in den mehr schlecht als recht zentralisierten und bürokratisch erfassten Territorien einer solchen Entwicklung zusätzlich Steine in den Weg legen und weil, kurz, Stagnation und Rückständigkeit diese östlichen Territorialstaaten von Anfang der bürgerlichen Neuzeit an heimsuchende Plagen sind, ihre absolutistischen Herrschaften, wie ein Peter, ein Friedrich oder ein Joseph zeigen, gelegentlich sogar spezielle Anstrengungen unternehmen, um ihren Bürgerschaften auf die Beine zu helfen und dafür zu sorgen, dass sie nicht ganz und gar den Kontakt zu ihren westlichen Pendants verlieren und im Sumpf ihrer unter der absolutistischen Herrschaft ebenso paralysierten wie behüteten Untertanenexistenz versinken.

Aber da sie sei's einer rein autokratischen Willkür, sei's einer bestenfalls paternalistischen Dogmatik entspringen und da diejenigen, die sie unternehmen, bürgerlichem Geiste denkbar fern stehen und im Zweifelsfall von den ökonomischen Triebkräften und sozialen Organisationsbedingungen, die einer zivilen Gesellschaft zum Leben verhelfen, kaum eine Ahnung haben, bleiben die Reformprogramme, die jene Anstrengungen zeitigen, ebenso selektiv und idiosynkratisch wie unsystematisch und ineffektiv, können hinsichtlich des eigentlichen Mangels, an dem die Bürgerschaften leiden, hinsichtlich ihrer mittlerweile erdrückenden merkantilistischen Fixierung beziehungsweise Gängelung und ihrer dementsprechend fehlenden kapitalistischen Perspektive beziehungsweise Initiative, keine Abhilfe schaffen, erschöpfen sich in Flickschusterei beziehungsweise in immer schon wieder verspäteten und überholten Adaptionen und können weder verhindern, dass die Kluft zwischen den bürgerlichen Gesellschaften im östlichen und denen im westlichen Europa, die evolutionäre Ungleichzeitigkeit zwischen beiden, wächst, statt sich zu verringern, noch das schließliche Debakel der östlichen Territorialstaaten abwenden, die sich von ihrem kontinentalen Konkurrenten im Westen, den seine bürgerliche Gesellschaft erst revolutionär umkrempelt und dann imperial aufrüstet, militärisch überrannt, politisch dominiert und ökonomisch exploitiert finden.

Die Landwirtschaft, das kommunale Leben, die militärische Organisation und das Bildungssystem betreffende Strukturreformen, die die absolutistische Herrschaft der östlichen Flächenstaaten in die Wege leitet, sollen die Entwicklung einer den Verhältnissen in den westeuropäischen Staaten entsprechenden bürgerlichen Gesellschaft vorantreiben und damit der jeweiligen absolutistischen Herrschaft die Basis liefern, um sich im Konzert der europäischen Mächte behaupten zu können. Dass sie damit nolens volens ihrer Entmachtung Vorschub leisten und nämlich den Weg in eine konstitutionelle Regierungsform beschreiten, verursacht den absolutistischen Herrschaften Albdrücken und gibt ihnen ihre mit dem Namen Metternich verknüpfte ebenso repressive wie reaktionäre Politik ein. Dass sich am Ende in den östlichen Flächenstaaten die konstitutionelle Monarchie dennoch nicht recht durchzusetzen vermag beziehungsweise dass die schließliche Durchsetzung mit der Abschaffung des monarchistischen Systems als solchen koinzidiert, ist aber nicht dieser repressiven Politik geschuldet, sondern dem Widerstand, den in jenen Staaten die vergleichsweise gut erhaltenen Mächte tribaler, territorialer und feudaler Provenienz den Reformbestrebungen der absolutistischen Herrschaft leisten.

Die umfassende Niederlage, die der westliche Konkurrent den östlichen Territorialstaaten beibringt und die deren Unterlegenheit in allen für den zwischenstaatlichen ökonomischen Wettstreit und politischen Machtkampf entscheidenden Belangen offenlegt, hat nun freilich die heilsame Folge, dass ihre absolutistischen Herrschaften erkennen, welch grundlegende Bedeutung einer avancierten bürgerlichen Gesellschaft auf ihren Territorien zukommt, wie wichtig für ihren eigenen Stand und Fortbestand die freie Entfaltung und das ungestörte Gedeihen dieser Gesellschaftsform ist. Und der Vergleich mit dem triumphierenden staatlichen Konkurrenten im Westen macht ihnen klar, dass es, um einer solchen, für den Erhalt und die internationale Konkurrenzfähigkeit ihres Staatswesens unabdingbaren florierenden bürgerlichen Gesellschaft den Boden zu bereiten und Raum zu geben, nicht damit getan ist, ihr autokratisch auf die Beine zu helfen, sondern dass es vielmehr nottut, ihr sozialreformerisch Beine zu machen, ihr, wie man so sagt, auf die Sprünge zu helfen, dass es nicht ausreicht, ihr paternalistisch-dirigistisch Nachhilfeunterricht zu erteilen, sondern dass eine initiatorisch-liberalistische Hilfe zur Selbsthilfe erfordert ist.

Wollen die absolutistischen Herrschaften – dies die ihnen vom westlichen Lehrmeister förmlich eingeprügelte Einsicht! –, wenn nicht die Macht im Staate, ihre Stellung im Innern, so jedenfalls doch die Staatsmacht als solche, ihren Bestand nach außen, erhalten beziehungsweise überhaupt erst wiedergewinnen, so müssen sie umfassende soziale und institutionelle Strukturreformen und Entwicklungsprogramme in die Wege leiten und durchführen. Und unter dem Zwang der äußeren Verhältnisse tun sie das auch oder treffen jedenfalls Anstalten dazu.

Eine Agrarreform mit dem Effekt der Befreiung der Landbevölkerung aus frondienstlicher Hörigkeit und ihrer Überführung in staatsbürgerliche Eigenständigkeit und dem ebenso zynischen wie unwillkürlichen Nebeneffekt der Schaffung eines um seiner Subsistenz willen an die städtische Industrie verwiesenen ländlichen Proletariats; eine Bildungsreform mit dem Ziel einer klassenübergreifenden Volkserziehung und Mobilisierung schriftgesellschaftlicher Fertigkeiten, humanwissenschaftlicher Kompetenz und polytechnischer Fähigkeiten; eine Militärreform zur Schaffung eines der ständischen Apartheit entzogenen Volks in Waffen, das sich neben seiner machtpolitischen Funktion als Disziplin und Gemeinschaftsgefühl vermittelnde Schule der Nation bewährt; schließlich und nicht zuletzt eine Kommunalreform, die die Selbstverwaltung der bürgerlichen Gemeinden auf Basis einer von allen Zunftbeschränkungen befreiten Gewerbefreiheit einführt – all diese in Angriff genommenen Reformen verfolgen den Zweck, die politische beziehungsweise soziale Infrastruktur für die überfällige ökonomische Entfaltung des Bürgertums, die von letzterem getragene und nach dem Vorbild der erfolgreichen Konkurrenten im Westen zum Industrialisierungsprozess fortschreitende Kapitalisierung, zu schaffen und damit einer die Stellung des einzelnen in der althergebracht-sozialen Komposition der Gesellschaft durch seine Rolle in ihrer neuentwickelt-realen Reproduktion oder die Herrschaft des possessiven Status durch die Macht des produktiven Vermögens, das Kriterium der persönlichen Abstammung und Zugehörigkeit durch das Kalkül des sächlichen Eigentums und Mitwirkens, kurz, die traditionell gesetzten Stände durch materiell bestimmte Klassen substituierenden bürgerlichen Gesellschaft den Boden zu bereiten oder jedenfalls den Weg zu ebnen.

Freilich verstricken sich damit die absolutistischen Herrschaften in einen unheilbaren und ihnen als regelrechtes Dilemma aufstoßenden Widerspruch: Um der Erhaltung ihrer außenpolitischen Macht oder staatlichen Stärke willen betreiben und befördern sie die Entstehung ökonomischer Verhältnisse, die gar nicht verfehlen können, ihrer innenpolitischen Alleinherrschaft Grenzen und ihrer absolutistischen Verfügungsgewalt ein Ende zu setzen. In dem Maße, wie ihnen gelingt, durch die Reform und Entwicklung gesellschaftlicher Strukturen und staatlicher Einrichtungen eine bürgerliche Klasse auf den Plan zu rufen, die nach dem Muster ihrer westlichen Pendants die als Industrialisierungsprozess funktionierende Kapitalisierung der gesellschaftlichen Produktionsweise zum Paradigma gesellschaftlicher Reproduktion, zum nicht nur maßgebenden, sondern mehr noch alles andere ausschließenden ökonomischen Verfahrensmodus avancieren lässt und die sich auf Basis der wirtschaftlichen Macht und des gesellschaftlichen Einflusses, die sie dadurch erringt, ihre westlichen Pendants zum Vorbild nimmt und nicht nur Forderungen nach parlamentarischer Mitwirkung erhebt, sondern mehr noch auf einen Souveränitätswechsel, sprich, auf die Anerkennung der von ihr gestifteten Sozialformation, der bürgerlichen Gesellschaft, als der wahren, den Monarchen in ihren Intimus und Aufpasser umfunktionierenden Souveränin dringt – in dem Maße, wie dies geschieht, erweist sich die Strategie als doppelbödig und bewahrheitet sich die obige These von der Modellhaftigkeit und tatsächlich unentrinnbaren Verbindlichkeit des mit der Julirevolution in der Reinkultur einer politischen Grundsatzentscheidung vorexerzierten Systemwechsels zur konstitutionellen Monarchie.

Um außenpolitisch an der Macht oder überhaupt im Amt zu bleiben, müssen sich die absolutistischen Herrschaften der Flächenstaaten im Osten des Kontinents zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Reformen und am westeuropäischen Standard orientierten Anpassungsleistungen verstehen, mit denen sie sich ihr eigenes Grab schaufeln, weil sie damit in Gestalt der bürgerlichen Kapitalfraktion und ihres mittelständischen Anhangs höchst lebendige Geister auf den Plan rufen und in Gang setzen, die sie ihrer vermeintlichen Meisterschaft entkleiden, sie als vorgebliche Herren der Lage gründlich desavouieren und früher oder später zu der qua konstitutionelle Monarchie beschriebenen Verkehrung der Machtverhältnisse führen, in deren Konsequenz sie sich als die eigentlichen Akteure beziehungsweise Regisseure der Haupt- und Staatsaktion etablieren und ihre absolutistischen Herrschaften in eine dem bürgerlichen Puppenspieler zur Hand gehende Marionette, besser gesagt, einen dem kapitalistischen Unternehmer aus der Hand fressenden Wachschutz verwandeln.

Es ist dieses Bewusstsein von der ihren Absolutismus betreffenden Fatalität ihres ihnen durch die europäischen Verhältnisse diktierten staatspolitischen Tuns und Treibens, das Bewusstsein davon, dass am Ende ihres um des außenpolitischen Machterhalts willen zwingend gebotenen Reformweges nichts anderes als eine ökonomisch selbstverschuldete innenpolitische Entmachtung beziehungsweise konstitutionalistische Domestikation ihrer harrt, was den absolutistischen Herrschaften Albträume macht und was sie dazu bringt, parallel zu ihren auf die Sozialstruktur und die institutionellen Rahmenbedingungen ihrer Gesellschaften gemünzten Reformbestrebungen und im krassen Missverhältnis dazu jene mit dem Namen Metternich verknüpfte, politisch ebenso repressive wie ideologisch reaktionäre Strategie zu verfolgen, die mittels einer polizeilichen Verfolgung oppositioneller Tendenzen, eines gesetzlichen Verbots von Vereins- und Parteigründungen und einer bürokratischen Zensur des Geisteslebens und der Meinungsbildung Bedrohungen der monarchischen Souveränität und Gefahren für die staatliche Stabilität zu wehren beziehungsweise vorzubeugen sucht, die auf ihren Territorien und bei ihren Untertanen tatsächlich gar nicht oder jedenfalls nicht in nennenswertem Maße vorhanden sind – eine Strategie also, die angesichts der im Gegenteil offenkundigen Sattelfestigkeit dieser Herrschaften und innenpolitischen Unangefochtenheit ihres Regimes eines an Paranoia grenzenden Mangels an Realismus verdächtig wäre, fände sie nicht ihren guten oder vielmehr bösen Grund in besagtem Bewusstsein von der gesellschaftspolitischen Gefahrenträchtigkeit und Bedrohlichkeit, mit dem ihr eigenes, ökonomisch motiviertes staatliches Handeln die Herrschaften erfüllt.

Freilich scheint sich, schaut man auf den weiteren Verlauf, auch dieses die Herrschaften zur Reaktion und Repression verhaltende Bewusstsein von einer durch die sozialen und institutionellen Reformen, die sie um der Entwicklung der bürgerlichen Ökonomie willen unternehmen, heraufbeschworenen Gefahr ihrer politischen Entmachtung nicht eben durch sonderlichen Realismus auszuzeichnen. Tatsächlich legt in allen drei östlichen Flächenstaaten das absolutistische Regime eine überraschende Widerstandsfähigkeit und Durchhaltekraft an den Tag, und erweist sich der kraft jener Reformen im Prinzip eingeschlagene Weg zu einer parlamentarisch fundierten, sprich, konstitutionellen Monarchie als so beschwerlich und langwierig, dass er sein Ziel letztlich gar nicht erreicht und an seinem mit dem Ausgang des Ersten Weltkriegs deckungsgleichen Ende das absolutistische Regime sich nur um den Preis verabschiedet, dass es gleich auch sein demokratisch beziehungsweise republikanisch modifiziertes Alterego, die konstitutionelle Monarchie, in seinen Untergang mit hinabreißt und also der politische Systemwechsel den monarchischen Rahmen überhaupt sprengt und zur revolutionären Erneuerung der Staatsform gerät.

Oberflächlich betrachtet, liegt es nahe, zur Erklärung dieses Ausgangs eben jene ebenso reaktionäre wie repressive Strategie, die ihre politische Angst vor der eigenen ökonomischen Courage den absolutistischen Herrschaften eingibt, zu bemühen und zu vermuten, die angstdiktierte Rechnung der letzteren, ökonomische Entwicklung mit politischer Stagnation beziehungsweise gesellschaftsstrukturelle Reformen mit staatsbürgerlicher Restriktion zu verbinden, sei aufgegangen. Diese Vermutung indes führt in die Irre. Wären jene die Landwirtschaft, das kommunale Leben, die militärische Organisation und das Bildungssystem betreffenden Strukturreformen ohne Abstriche beziehungsweise mit dem gebotenen Nachdruck in die Tat umgesetzt worden und hätte der neue Strukturrahmen es der bürgerlichen Klasse tatsächlich ermöglicht oder jedenfalls erleichtert, die volle Dynamik des von ihr der Gesellschaft angesonnenen modus procedendi, der kapitalistischen Produktionsweise, zum Tragen und damit die jenem modus procedendi entspringende Sozialformation, die bürgerliche Gesellschaft, zu einer den westlichen Vorbildern vergleichbaren Entfaltung zu bringen, keine noch so restriktiven Vorkehrungen und repressiven Maßnahmen hätten den ökonomisch fundierten Aspirationen der bürgerlichen Klasse auf politische Mitwirkung in genere und parlamentarische Mitsprache in specie einen Riegel vorschieben und damit die absolutistische Herrschaft vor ihrer Entmachtung und Umfunktionierung, ihrer Transformation in eine konstitutionelle Einrichtung der bürgerlichen Gesellschaft bewahren können.

Die Erklärung für das Beharrungsvermögen der absolutistischen Herrschaft und für die den Systemwechsel statt als epischen Übergang am Ende als dramatischen Abgang inszenierende Verzögerung ihrer Konstitutionalisierung, ihrer Transformation in einen integrierenden Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft, liegt vielmehr in der Tatsache, dass eine konsequente beziehungsweise rasche Durchführung jener Reformen, die sie zwecks Entwicklung ihrer Volkswirtschaft, zwecks Ankurbelung beziehungsweise Beschleunigung des Kapitalisierungsprozesses in die Wege leitet, nicht zustande kommt. Und das wiederum erklärt sich aus dem kompromisslerischen beziehungsweise janusköpfigen Charakter, den in den östlichen Flächenstaaten die absolutistische Herrschaft selbst annimmt. Weil, wie oben vermerkt, es dort zu Beginn der neuzeitlichen Entwicklung an den historischen Voraussetzungen, ökonomischen Grundlagen und kolonialistischen Perspektiven für die Entstehung und Ausbildung einer den kommerziellen Eliten und Kapitalfraktionen im Westteil des Kontinents an marktwirtschaftlicher Dynamik und Durchschlagskraft vergleichbaren Bourgeoisie mangelt, fehlt auch der königlichen oder fürstlichen Gewalt die ökonomische Basis beziehungsweise die soziale Antriebskraft, um sich auf eine dem Vorgehen ihrer westlichen Pendants vergleichbar effektive Weise gegen die traditionellen Mächte territorialer, feudaler oder tribaler Provenienz durchzusetzen und mit ihrem Anspruch auf absolutistische Souveränität zur Geltung zu bringen.

Vielmehr muss sie sich mit jenen tribalen, territorialen und feudalen Mächten arrangieren und deren Interessen und Vorbehalten – dies ihre Janusköpfigkeit, die weit über die Doppelsinnigkeit oder Überdeterminiertheit hinausgeht, die auch ihre westlichen Pendants auszeichnet und die in der Tat das spezifische funktionelle Charakteristikum dieser Herrschaftsform ist! – ebenso gewiss und durchgängig Rechnung tragen, wie sie sich um ihrer selbst, ihrer absolutistischen Herrschaft, willen für die Interessen und Aspirationen der die neue Ökonomie, die Fundament ihres autokratischen Regimes ist, tragenden bürgerlichen Klasse stark machen muss. Weil die Interessen dieser beiden Bezugsgrößen der absolutistischen Herrschaft, ihres bürgerlichen Protegés und ihres territorialen Anhangs, divergieren beziehungsweise die des letzteren denen des ersteren stracks zuwiderlaufen, ist die Folge dieser Janusköpfigkeit oder intentionalen Gespaltenheit der Herrschaft jene anhaltende oder gar fortschreitende ökonomische Unentwickeltheit und politische Verkümmerung der bürgerlichen Klasse, ihre Verhaltung im Zustand eines ebenso initiativlosen wie untertänigen Hoflieferanten- und Intendantentums, die wiederum die Herrschaft zu den erwähnten, aber in ihrer autokratischen Willkür beziehungsweise paternalistischen Dogmatik sich selbst widersprechenden und deshalb weitgehend ins Leere laufenden Reformanstrengungen, ihren Versuchen motiviert, der bürgerlichen Klasse durch Veränderung der lebenspraktischen Rahmenbedingungen und sozialen Verkehrsformen den für die Entfaltung marktwirtschaftlicher Dynamik und industrieller Initiative nötigen Freiraum beziehungsweise Ansporn zu schaffen.

Nach der katastrophalen Niederlage, die das revolutionäre beziehungsweise imperiale Frankreich ihnen beibringt, bleibt aber nun den absolutistischen Herrschaften, wollen sie vermeiden, dass ihre Staatswesen lang- oder gar mittelfristig zu Satrapien oder Kolonien der westlichen konstitutionellen Monarchien auf bürgerlicher Grundlage herabsinken, gar nichts anderes übrig, als besagte umfassende und nach Möglichkeit systematische soziale und institutionelle Strukturreformen und Entwicklungsprogramme anzupacken, die nötig sind, damit die bürgerliche Klasse in ihrem Land mit Erfolg die Kapitalisierung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse vorantreiben und ihren Staaten die industrielle Wirtschaftskraft und kommerzielle Konkurrenzfähigkeit verleihen kann, die diese brauchen, um im Konzert der europäischen Mächte zu überleben. Freilich erweisen sich die in den östlichen Flächenstaaten vergleichsweise gut erhaltenen und virulenten tribalen, territorialen und feudalen Mächte, die durch ihre Fortexistenz die absolutistische Herrschaft kompromittieren und im Sinne janusköpfiger Unentschiedenheit deformieren, auch wenn sie nicht stark und vielleicht nicht einmal borniert genug sind, um sich jenen institutionellen Reformanstrengungen und sozialen Entwicklungsbemühungen des Souveräns überhaupt zu verweigern und mit allen Mitteln zu widersetzen, doch aber als in Verfolgung ihrer partikularistischen Interessen und in der Geltendmachung ihrer atavistischen Vorbehalte als eine dauerhafte Hypothek beziehungsweise als ein beständiger Hemmschuh und schaffen es, in mehrfacher Hinsicht den Reformanstrengungen den Schneid abzukaufen und Sand ins Getriebe der Entwicklungsbemühungen zu streuen.

Erstens und vor allem sorgen sie, wenn nicht gar für eine Verschleppung, so jedenfalls doch für eine mehr oder minder erhebliche Verzögerung der Strukturreformen und Entwicklungsprogramme, so dass, wenn diese unter dem Druck außenpolitischer Erfordernisse und außenwirtschaftlicher Beeinträchtigungen sich schließlich doch noch Bahn brechen und gegen alle Widerstände zum Tragen bringen, es zu akut strukturellen Spannungen und unkontrolliert stürmischen Entwicklungen kommt, die mangels der für ökonomische Anpassungsprozesse und soziale Ausgleichsverfahren nötigen Zeit eine Gemengelage schaffen, bei der ein äußerer Auslöser wie die militärische Niederlage im Ersten Weltkrieg genügt, um die Gesellschaft zusammenbrechen zu lassen und in offenen Klassenkampf und blutigen Bürgerkrieg zu stürzen.

Zweitens provozieren die den Strukturreformen und Entwicklungsprogrammen pro domo der bürgerlichen Gesellschaft, wenn nicht geradezu feindlichen, so jedenfalls doch massiv hinderlichen territorialen, tribalen und feudalen Mächte die absolutistischen Herrschaften zu Ersatzhandlungen und Ablenkungsmanövern traditionell imperialer, auf territoriale Expansion gerichteter Natur, weil solche Eroberungs- und Landnahmestrategien jenen sie vornehmlich militärisch betreibenden und bürokratisch ins Werk setzenden traditionellen Mächten das Bewusstsein einer staatstragenden Funktion und sinnvollen Beschäftigung vermitteln und sie im buchstäblich topischen wie auch im übertragen praktischen Sinne vom eigentlichen politischen Schauplatz, der bürgerlichen Gesellschaft und den sie betreffenden Strukturreformen und Entwicklungsprogrammen, entfernen beziehungsweise fernhalten. Tatsächlich aber verzetteln durch Ablenkungsmanöver dieser Art die absolutistischen Herrschaften ihre organisatorisch-dispositionellen Kräfte ebenso wie ihre inventarisch-finanziellen Mittel und bemühen sich, statt sich auf den Kern ihrer Staatsmisere, die mangelnde Wirtschaftskraft und die Schaffung der strukturellen Voraussetzungen für die Behebung der Misere, zu konzentrieren, um die Errichtung eines territorialen Kolosses, der mangels ihn substantiierender Wirtschaftskraft auf tönernen Füßen steht und deshalb den schließlichen gesellschaftlichen Zusammenbruch, der Folge der Verschleppung der Reformen und Verzögerung der Entwicklung und der dadurch hervorgerufenen ökonomischen Verwerfungen und sozialen Spannungen ist, beileibe nicht verhindern kann, sondern ihm höchstens und nur zusätzliche Dramatik und das Format eines spektakulären Einsturzszenarios verleiht.

Drittens und nicht zuletzt hat der anhaltende Einfluss und determinierende Vektor jener durch die absolutistische Herrschaft nur unvollkommenen domestizierten beziehungsweise dem Staatswesen integrierten traditionellen Mächte zur Folge, dass die absolutistische Herrschaft selbst eine Relevanz und Virulenz behält, die ihr, wenn es mit rechten Dingen zuginge, gar nicht mehr zukommen dürfte und die sie nämlich in dem Maße, wie ihre Strukturreformen und Entwicklungsprogramme greifen und die bürgerliche Klasse den durch letztere ihr eröffneten Entfaltungsraum nutzt und zur das Staatswesen wesentlich bestimmenden Kraft avanciert, einbüßen und gegen die beschränkte Bedeutung der ihr durch eine bürgerliche Gesellschaft, die das Sagen hat, zugewiesene Nachtwächterrolle eintauschen müsste. Wie jene in den östlichen Flächenstaaten eine relative Kontinuität ihrer Position und Funktion beweisenden traditionellen Mächte in den Hochzeiten der absolutistischen Herrschaft diese, was ihre eigentliche Aufgabe, die politische Geburtshelferrolle für die als ökonomisch neues Corpus ins Leben tretende bürgerliche Gesellschaft betrifft, in ihrer Wirksamkeit und Durchsetzungskraft beeinträchtigen und behindern, so verleihen beziehungsweise erhalten sie der absolutistischen Herrschaft nun, da es für sie an der Zeit wäre, als solche abzutreten und sich mit der Wahrnehmung repräsentativer und höchstenfalls regulativer Pflichten zu begnügen, eine mit solcher Abdankung beziehungsweise Bescheidung unvereinbare zentrale Bedeutung und reale Amtsgewalt.

Weil wegen jener all ihrer zentralistischen Modifikationen und bürokratischen Adaptionen das Staatswesen immer noch prägenden und im Blick auf die bürgerliche Identität, der es zustrebt, heteronomisierenden alten Mächte die absolutistische Herrschaft nach wie vor unentbehrlich ist, um gegen deren anhaltenden Einfluss und determinierenden Vektor die für solche bürgerliche Identität nötigen sozialen Strukturen und institutionellen Rahmenbedingungen durchzusetzen beziehungsweise, wenn sie denn endlich nach langer Verschleppung oder endloser Verzögerung durchgesetzt sind, in Kraft zu erhalten, verwickelt sie, die absolutistische Herrschaft, sich in einen eigentümlichen Widerspruch zwischen ihrer auf die Selbstaufhebung zur konstitutionellen Monarchie gerichteten politisch-strategischen Praxis und ihrer um dieser Praxis willen erforderlichen Aufrechterhaltung und Bekräftigung ihres autokratisch-autoritären Regimes, ihres absolutistischen Status, und reißt mit anderen Worten eine immer tiefere Kluft auf zwischen ihrem funktionellen Tun und ihrem existenziellen Sein, ihrer gesellschaftlichen Rolle und ihrer staatlichen Stellung.

Während sie gesellschaftspolitisch alles tut, um die bürgerliche Klasse voranzubringen und sich selbst zurückzunehmen und in eine konstitutionelle Monarchie zu verwandeln, muss sie doch aber, um das überhaupt tun zu können, wegen der traditionellen Mächte, die ihr als ihre eigene unbewältigte Vergangenheit anhängen und die ihrem Tun, wenn nicht widerstreiten, so jedenfalls immer wieder in die Quere kommen, ihre machtpolitische Position behaupten und imstande sein, sich, allem Schein von konstitutioneller Beschränkung zum Trotz, jederzeit absolutistisch zur Geltung zu bringen. Sie muss sich mit anderen Worten die Möglichkeit vorbehalten, die parlamentarische Willensbildung durch den autokratischen Willensakt zu substituieren, also gegebenenfalls kraft selbstherrlich-persönlichen Dekrets statt aufgrund körperschaftlich-parteilicher Deliberation zu entscheiden.

Dass dieser im Widerspruch zum bürgerlichen Konstitutionalismus, auf den die Strukturreformen und Entwicklungsprogramme der absolutistischen Herrschaft abzielen, fortdauernde herrschaftliche Leviathanismus, zu dem ihre unbewältigte territoriale Vergangenheit sie zwingt, mit dem Erstarken der bürgerlichen und dem Anwachsen der von deren Produktionsweise abhängigen proletarischen Klasse, kurz, mit der wie immer auch verzögerten und verspäteten Entstehung einer den westlichen Vorbildern vergleichbaren kapitalistischen Industriegesellschaft, die oben erwähnten sozialen Spannungen und politischen Konflikte, die der Verzögerung und Verspätung als solcher geschuldet sind, noch verstärken muss und ein weiteres Handikap für einen gelingenden, will heißen, nicht durch die Abschaffung der monarchischen Regierungsform selbst durchkreuzten beziehungsweise durch den Zerfall überhaupt des Staatswesens obsolet werdenden Übergang von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie darstellt, liegt auf der Hand. Am stärksten wirken sich die hemmenden Faktoren im Riesenreich Russland aus. Im Habsburgerreich ist es die nicht so sehr regionalistisch-feudale als vielmehr partikularistisch-tribale Heterogenität des Staatswesens, die trotz ökonomischer Fortschritte den nur durch die leviathanische Herrschaft des Monarchen hinausgeschobenen politischen Zerfall unausweichlich werden lässt. Im Flächenstaat Preußen überdauert das absolutistische Moment aus zweierlei Gründen: erstens, weil der preußischen Herrschaft parallel zu ihren geburtshelferischen Bemühungen um die bürgerliche Gesellschaft die Aufgabe der Reichseinigung zufällt, und zweitens, weil der Übergang von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie seiner Verspätung wegen zeitlich mit einem europaweiten Paradigmenwechsel zusammenfällt, dem Übergang vom Nachtwächterstaat zum starken Staat.

Am nachteiligsten für den Vollzug des weniger innen- und gesellschaftspolitisch als außen- und machtpolitisch gebotenen Systemwechsels, den Übergang von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie, erweisen sich die drei genannten Handikaps im Falle des Riesenreichs Russland, dessen überkommene regionalistisch-feudale Strukturen außerhalb der wenigen und zudem noch wesentlich residenziell geprägten, vom Landadel als städtischer Zweitsitz mit Beschlag belegten urbanen Zentren so fest im geographischen Gigantismus des Landes verankert sind und sich gegen ihre zentralistisch-bürokratische Vereinnahmung und Umgestaltung so weitgehend zu behaupten vermögen, dass die Verschleppung der Reformen, die territorial-expansiven Ablenkungsmanöver und die leviathanische Überdeterminierung der zaristischen Herrschaft fast das ganze neunzehnte Jahrhundert hindurch das Feld behaupten und dass, als es dann gegen Ende des Jahrhunderts weniger aufgrund staatlicher Reformbemühungen und Entwicklungsprogramme als kraft des direkten ökonomischen Einflusses der avancierten europäischen Nationen und teils des kommerziellen Austauschs, teils der militärischen Konfrontation mit ihnen eine stürmische Industrialisierung, sprich, Kapitalisierung des Landes einsetzt, die Zeit für einen Abbau beziehungsweise eine Schlichtung der dadurch zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und den territorialen Mächten erzeugten sozialen Spannungen und der innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft selbst geschürten Klassenkonflikte nicht mehr ausreicht und die Niederlage im bald darauf ausbrechenden Weltkrieg genügt, um das Land in eine das Kind mit dem Bade ausschüttende und nämlich nicht nur der monarchischen Herrschaft als solcher den Garaus machende, sondern gleich auch deren Ablösung durch ein demokratisches beziehungsweise republikanisches Regime, kurz, einer Machtergreifung durch die bürgerliche Klasse, den Boden entziehende Revolution zu stürzen.

Im Habsburgerreich, das sich im Resultat der territorialen Transaktionen und Arrondierungen des Wiener Kongresses aus Mitteleuropa zurückzieht und als Donaumonarchie zum östlichen Flächenstaat ohne Wenn und Aber wandelt, kommt es anders als im Russischen Reich und ungeachtet aller mit dem Namen Metternich verknüpften ideologisch reaktionären Maßnahmen und politisch repressiven Vorkehrungen dank staatlicher Strukturreformen und entwicklungsprogrammatischer Hilfestellung relativ rasch zu Fortschritten bei der qua Industrialisierungsprozess ins Werk gesetzten Kapitalisierung der gesellschaftlichen Reproduktion und zur Entstehung städtischer Ballungszentren, in denen sich die bürgerliche Klasse als ökonomisch maßgebender Faktor und die bürgerliche Gesellschaft als sozial grundlegendes Faktum formieren und die deshalb im Prinzip den Boden für den Übergang von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie bereiten beziehungsweise die Basis dafür bieten.

Wenn dennoch der Systemwechsel nur schleppend vorankommt und die beschriebenen Handikaps auch hier eine mehr oder minder nachhaltige Wirksamkeit entfalten, dann wegen der nicht so sehr regionalistisch-feudalen als vielmehr partikularistisch-tribalen Heterogenität und Zerrissenheit des Staatswesens. Sie sorgt teils für eine gravierende Ungleichzeitigkeit beziehungsweise Unausgewogenheit in der Entwicklung der Landesteile, die dazu führt, dass in den nördlichen und westlichen Regionen bürgerliche Produktionsverhältnisse und Sozialisierungsformen gedeihen, während im Süden und Osten die alten territorialen Mächte im Wesentlichen das Feld behaupten, teils hat sie zur Folge, dass auch die neuen Zentren bürgerlichen Wirtschaftens und urbaner Vergesellschaftung durch ethnische und kulturelle Schranken voneinander getrennt sind, die nicht bloß einen unter dem Panier des Konstitutionalismus geführten gemeinsamen Kampf der bürgerlichen Klasse und der von ihr ins Leben gerufenen Gesellschaft um politische Rechte und soziale Maßstäblichkeit unmöglich machen, sondern die mehr noch den Keim des Separatismus und des Zerfalls in sich tragen.

Der Monarch figuriert unter diesen Umständen als der ebenso ohnmächtige wie einzige, leviathanische Garant der Einheit des Staatswesens, der um dieser Einheit willen die in den einzelnen ethnisch-nationalistisch separierten Landesteilen die auf politische Selbstbestimmung und kulturelle Selbstbehauptung dringenden konstitutionalistischen Bewegungen der verschiedenen Ethnien beziehungsweise Nationalitäten bekämpfen und unterdrücken muss, ohne doch verhindern zu können, dass die von unüberwindlichem Misstrauen gegeneinander erfüllten Ethnien, die rückständig-territorialen nicht weniger als die fortschrittlich-kommunalen, die Wahrung ihrer jeweiligen Interessen und ihr besonderes Glück und Gedeihen in die Befreiung aus den Banden der nurmehr von ihrem autokratischen Oberhaupt zusammengehaltenen Vielvölkerfamilie setzen und die erste Gelegenheit, nämlich die gravierende Niederlage, die das Staatswesen im Ersten Weltkrieg erleidet, nutzen, um sich aus der Familie zu absentieren und damit die im Zusammenhalt der Familie ihren wesentlichen und in der Tat einzigen Zweck findende monarchische Herrschaft selbst gegenstandslos und entbehrlich werden zu lassen.

Am konsequentesten und zügigsten vollzieht sich ungeachtet aller Verschleppungen und Verzögerungen der die bürgerliche Gesellschaft als maßgebliche Klassengesellschaft auf den Plan rufende Industrialisierungs- alias Kapitalisierungsprozess im Territorialstaat Preußen. Hier steht der alten, ostelbisch-aristokratischen Macht, der Macht der provinzialistisch-territorialen Junker, die durch die Arrondierungen und Gebietsgewinne im Gefolge des Wiener Kongresses noch wesentlich gestärkte neue, bourgeoise Kraft in den westlichen Teilen des Staatswesens gegenüber und hält ihr die Waage beziehungsweise kauft ihr allmählich den Schneid ihres den industriellen Fortschritt retardierenden oder gar sabotierenden Einflusses ab. Wenn auch um etliche Jahrzehnte verspätet, erreicht das Land so den Punkt, an dem der Systemwechsel, der Übergang von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie als das Naturgegebene, sprich, das durch das industriegesellschaftliche Avancement der bürgerlichen Klasse und das Übergewicht der Klassengesellschaft, die von ihr begründet und organisiert wird, zwingend Gebotene erscheint.

Wenn dennoch auch hier die Entwicklung mit gravierenden Folgen für ihren Ausgang, ihre Kulmination im Ersten Weltkrieg, von dem durch die westeuropäischen Staaten – wiewohl im Phänotyp durchaus variabel – vorgegebenen Paradigma abweicht und inmitten der sich etablierenden konstitutionellen Ordnung ein Moment von absolutistischer Herrschaft beziehungsweise autokratischer Willkür eine schier unausrottbare Präsenz und Virulenz behauptet, dann im Wesentlichen aus zwei Gründen, einem historisch-äußeren und einem systematisch-inneren.

Zum einen nämlich geht der durch die absolutistische Herrschaft in Gestalt der preußischen Monarchie nolens volens, um nicht zu sagen, wider Willen betriebene kapitalprozessuale Aufstieg der bürgerlichen Klasse, ihre ökonomische Machtergreifung, wegen der, wie an früherer Stelle gezeigt, durch den Dreißigjährigen Krieg besiegelten und die conditio sine qua non für die Entwicklung des Kapitalismus in Westeuropa bildenden deutschen Kleinstaaterei, wegen der staatlichen Zersplitterung also des mitteleuropäischen Wirtschaftsraums, einher mit der Notwendigkeit einer politisch-militärischen Vereinigung dieses Raums, der als Reichsgründung deklarierten, sprich, zur Wiederherstellung des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation verklärten Schaffung eines ein hinlängliches Maß an bürokratischem Zentralismus und institutioneller Homogenität aufweisenden deutschen Einheitsstaats. Parallel beziehungsweise komplementär zu dem Erfordernis, die für die Entstehung einer bürgerlichen Industriegesellschaft unabdingbaren Strukturreformen und Entwicklungsprogramme ins Werk zu setzen, fällt also der preußischen Monarchie, nachdem es ihr gelungen ist, das nicht nur als begriffliche contradictio in adjectum offensichtliche, sondern auch und vor allem mit dem Konzept des Einheitsstaats unvereinbare Konstrukt einer Doppelspitze zu Fall zu bringen, sprich, die habsburgische Konkurrenz auszuschalten und aus dem Deutschen Bund, der Gießform des Vereinigungsprozesses, zu verdrängen, die Aufgabe zu, ihrem Herrschaftsgebiet die übrigen Fürstentümer, in die das zentraleuropäische Terrain zerfällt, anzugliedern beziehungsweise einzuverleiben.

Dass sie aber demnach als Einheitsstifterin und Architektin der neuen staatlichen Totalität figuriert, verleiht ihr ein politisches Gewicht und eine ideologische Bedeutung, die sich mit der ihr letztlich zugedachten Rolle der bloßen Verfassungshüterin und Garantin der bürgerlichen Ordnung schlecht vertragen und die ihr in die Ära des konstitutionellen Systems hinein eine die neue Souveränin, die bürgerliche Gesellschaft, und ihren repräsentativ-parlamentarischen Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess wenn nicht überhaupt konterkarierende, so jedenfalls doch kompromittierende quasiabsolutistische Verfügungsgewalt und Entscheidungsmacht sichern.

Fast könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich die Geschichte wiederholt und dass sich die mit der Zusatzaufgabe einer zur Reichsgründung verklärten Vereinigung des deutschen Wirtschaftsraums betraute preußische Monarchie als eine ähnlich entwicklungsstörende und systemdeformierende Kraft erweist wie drei Jahrhunderte zuvor das um die Aufrechterhaltung eines nurmehr nominellen und bereits illusionären Imperiums bemühte habsburgische Kaisertum. Während dort, so könnte es scheinen, das Bemühen um die Erhaltung der imperialen Einheit sich in dem Sinne als systemdeformierend auswirkt, dass es die Ausbildung eines starken und progressiven zentralstaatlichen Absolutismus verhindert und stattdessen in den das deutsche Reichsgebiet zersplitternden und zur Manövriermasse europäischer Großmachtpolitik machenden Dreißigjährigen Krieg führt, hat hier der zur Stiftung eines neuen Kaiserreichs überhöhte Vereinigungsprozess den systemdeformierenden Effekt, dass er die Ausbildung eines eigenständigen und verantwortlichen staatsbürgerlichen Parlamentarismus hintertreibt und letztlich in dem das deutsche Staatswesen ruinierenden und in den Wahnsinn einer Republik ohne politisch funktionsfähige bürgerliche Klasse treibenden Ersten Weltkrieg resultiert.

Die Dinge liegen indes komplizierter. Dafür sorgt der andere und am Ende wesentlichere Grund für das Überdauern eines absolutistischen Moments inmitten des Konstitutionalismus, der sich dank der von Staats wegen fundierten und promulgierten industriekapitalistischen Karriere der bürgerlichen Klasse am Ende, sprich, seit der Mitte des Jahrhunderts, auch auf dem Territorium und in der Machtsphäre des Flächenstaats Preußen als Paradigma staatspolitischer Ordnung durchsetzt. Diesen Grund für den bleibenden absolutistischen Zug der sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts etablierenden preußischen und dann gesamtdeutschen konstitutionellen Monarchie bildet eben die Tatsache, dass letztere wegen der Verschleppung beziehungsweise Verzögerung des Industrialisierungs- alias Kapitalisierungsprozesses aufgrund des anhaltenden Widerstands des als die alte Macht virulenten provinzialistisch-territorialen Junkertums sich erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu etablieren vermag. Damit nämlich fällt der zu guter Letzt auch von Preußen vorgenommene und in seinem Machtbereich zur Geltung gebrachte Systemwechsel von der absolutistischen Herrschaft zur konstitutionellen Monarchie zeitlich zusammen mit einem Paradigmenwechsel, den mittlerweile die avancierten westeuropäischen Staaten vollziehen und der sich als Übergang vom Nachtwächterstaat zum starken Staat apostrophieren lässt.

Dem zunehmenden Drängen teils der Industriebourgeoisie nach neuen Absatzmärkten, teils der sich organisierenden proletarischen Klasse nach Teilhabe am kapitalistisch erzeugten Wohlstand gehorchend, übernimmt um die Mitte des Jahrhunderts in den beiden führenden konstitutionellen Monarchien Westeuropas der Staat die neue, ebenso autoritative wie initiative, gedoppelte Rolle eines nach außen imperialen Bahnbrechers und Welterschließers und eines im Innern sozialen Ausgleichers und Gemeinschaftsstifters. Und kaum dass die absolutistische Herrschaft Preußens ihre mit dem deutschen Vereinigungsprozess synchrone, um nicht zu sagen, synonyme Transformation vollendet und sich als konstitutionelle Monarchie des deutschen Reichs etabliert hat, muss sie nun also teils in Reaktion auf die ebenso expansive wie aggressive Politik der sich als starker Staat gerierenden westeuropäischen Mächte, teils und vor allem unter dem Druck der sozialen Konflikte, die der durch die politische Vereinigung des Wirtschaftsraums eskalierte Kapitalisierungsprozess heraufbeschwört, sich ihrerseits diese neue Rolle zu eigen machen und sie nach Kräften ausfüllen.

Noch ehe die preußische Monarchie sich als konstitutionelle recht hat einrichten können, ist sie als nunmehr gesamtdeutsche zu jener eine radikale Umorientierung gleichermaßen der außenpolitischen Strategie und der sozialpolitischen Einstellung implizierenden Charakterkonversion gezwungen, die ihre westlichen Konkurrenten so überzeugend und zur Nachahmung zwingend vorexerzieren. Nicht dass die Konversion ihr sonderlich schwer fiele! Schließlich hat der oben genannte erste Grund für das Perennieren eines den Konstitutionalismus, dem der preußische Staat unaufhaltsam zustrebt, deformierenden Moments von Absolutismus, die Verknüpfung nämlich der Aufgabe, dem Kapitalisierungsprozess Beine zu machen, mit der Notwendigkeit, ihm einen einheitlichen Wirtschaftsraum zur Verfügung zu stellen, durch die territorial annexionistischen Leistungen und sozial integrativen Anstrengungen, die letzteres erfordert, das monarchische Regime bereits in gewisser Weise in die ihm jetzt abverlangte Aufgabe, sich als starker Staat zu beweisen, eingeübt und auf sie vorbereitet!

Keine Frage aber, dass es eine gänzlich neue Rolle ist, die auf dem Boden des gegründeten Reichs und des durch die Reichsgründung losgetretenen rasanten ökonomischen Wandels die konstitutionelle Monarchie, dem Beispiel ihrer westlichen Konkurrenten folgend, übernimmt, und dass das Moment von Selbstherrlichkeit und unkontrollierter Entscheidungsgewalt, das diese neue Rolle ihr verleiht, zu dem alten absolutistischen Moment, das sie kraft Reichsstiftungsprozesses konserviert, nicht einfach hinzutritt, sondern letzteres überlagert beziehungsweise überfrachtet und es zu neuem gespenstischem Leben erweckt, es mit neuer, pathologischer Energie auflädt. Während der im Monarchen verkörperte starke Staat im Westen eine Kreatur der bürgerlichen Gesellschaft beziehungsweise ihrer Hypostasierung zur nationalen Gemeinschaft ist, eine Kreatur, die eben deshalb, weil sie bloß Geschöpf der bürgerlichen Gesellschaft ist, auch gar keine monarchische Gestalt haben muss, sondern ebenso wohl als großer Staatsmann oder populistischer Führer figurieren kann, etabliert er sich in Deutschland kraft des per Reichsgründungsprozess kontinuierten Moments von absolutistischer Herrschaft, mit dem er sich amalgamiert und dem er sich innerviert, als ein von der bürgerlichen Gesellschaft weniger geschaffenes als heraufbeschworenes leviathanisches Monstrum.

Dieses aus moderner Bestimmtheit und archaischer Beschaffenheit, Fossilität und Funktionalität amalgamierte und im Schoße der konstitutionellen Ordnung fortexistierende Moment absolutistischer Willkür erweist sich als ein vom bürgerlichen Zauberlehrling nicht im Zaum zu haltender wasserträgerischer Faktor, der in dem Maße, wie gleichzeitig die ökonomische Rechnung der bürgerlichen Klasse aufgeht und das geeinte Deutschland zu einer führenden kapitalistischen Macht avanciert, durch die weltpolitischen Ansprüche, die ihm solch ökonomische Macht eingibt, und die nationalpolitische Großmannssucht, für deren Befriedigung er sie einsetzt, einen entscheidenden Beitrag zur Sturzflut des Ersten Weltkriegs, zum katastrophalen Kräftemessen der auf dem Boden des absolutistischen Staatensystems entfalteten und dessen traditionellen politisch-militärischen Wettstreit zum mobilmacherischen Showdown und zur technischen Materialschlacht aktualisierenden bürgerlichen Volkswirtschaften leistet.

Genug aber von den territorialherrschaftlichen Nebenerscheinungen und absolutistischen Nachgeburten der auf den starken Staat zusteuernden konstitutionellen Monarchie und zurück zur Haupt- und Staatsaktion, zum Werdegang des in der konstitutionellen Monarchie sich entwickelnden und aus ihr hervorgehenden starken Staats selbst!

Fußnoten

... Stelle 5
Siehe Reichtum und Religion, Viertes Buch: Die Macht des Kapitals, Erster Band: Der Weg zur Macht, 5. Kapitel.