Falsches Bewusstsein und Verdinglichung: Zur Entwicklung des Ideologiebegriffs3

Ideologie ist ein neuzeitlicher, um nicht zu sagen moderner Begriff. Als Begriff leitet er sich von den idéologues her, einer Gruppe Wissenschaftler, die sich in der französischen Revolution um den Philosophen Destutt de Tracy gesammelt hatten und die 1799 auch eine allerdings kurzlebige wissenschaftliche Gesellschaft, die Société de l'homme, gründeten. De Tracy hatte sich die Erforschung generell des Menschen und speziell der Grundlagen menschlichen Erkennens vorgenommen. Dabei ging es ihm im Anschluss an den englischen Empirismus und an Condillac um die Identifizierung und Etablierung der menschlichen Erkenntnis, ihrer Formen und Begriffe, als eines im strengen Sinn so zu nennenden Erscheinungswissens, das heißt eines Wissens, das sich mittels Zergliederung insgesamt auf die erscheinende Unmittelbarkeit, die Sinnenwelt, musste zurückführen und durch eben diese Rückführung legitimieren lassen können. Auch wenn durch Berufung auf die empirische Evidenz, den anthropologischen fait positif, de Tracy bereits genauso wie später Comte, dessen Positivismus er vorbereitete, seiner Grundlagenforschung den Anschein einer objektiven Bestandsaufnahme, einer szientifischen Zustandsbeschreibung zu geben suchte, war diese doch alles andere als eine erkenntnistheoretische Statusquo-Bestimmung. Vielmehr war sie – wie alle die im bürgerlichen Theoriebildungsprozess seit Bacon periodisch auftretenden erkenntnistheoretischen Erneuerungsbestrebungen, in deren Tradition sie, formell zumindest, stand – wesentlich ein Programm, eine erklärte Absicht, ein Reformvorhaben, das sich gegen eine anders bestehende Praxis richtete und das also jene Erkenntnisgründe, die es bloß erneut zu erforschen vorgab, ebenso wohl als die neue Grundlage intendierte, auf die es das Erkennen allererst zu stellen galt. Die Erkenntnispraxis, gegen die das Tracysche Reformvorhaben sich richtete, war jene für metaphysisch erklärte traditionelle Reflexion, die bereits Bacon als idolatrisch aufs Korn genommen hatte – eine Reflexionspraxis, der de Tracy den seit Bacon im Prinzip immer gleichen Vorwurf machte, sie sei abstrakt, trage heteronome, bewusstseinsentsprungene Vorurteile in die zu erkennende Sache selbst, die erscheinende Unmittelbarkeit, hinein, arbeite mit vorgegebenen Idealvorstellungen, empirieüberfliegenden Prinzipien, spekulativen Voraussetzungen und betreibe Erkenntnis als das Geschäft einer dogmatischen Identifizierung der Erscheinungen im Kriterium dieser Voraussetzungen, statt die Erscheinungen selbst empirisch zur Darstellung und konkret zu Wort kommen zu lassen. Gegen diese traditionelle, abstraktive Reflexionsform verwahrte sich die Tracysche Erkenntnistheorie, gegen sie suchte sie das Erkennen durch seine unter dem Deckmantel einer anthropologischen Grundlagenforschung betriebene epistemologische Neufassung und Grundlegung als strikt reflektorische Sinneserfahrung, positivistisches Erscheinungswissen zu immunisieren. Dem für die Tracysche Ideologie demnach konstitutiven traditionsfeindlichen Impetus zollte übrigens schon Napoleon I. höchstinstanzlich grollende Anerkennung, indem er die Ideologen in eine Reihe mit den vorrevolutionären Aufklärern stellte und sie als Zerstörer der unter seiner Regierung wiederentdeckten alten Werte und tradierten Prinzipien für den Ausbruch der Revolution verantwortlich machte.

Es war also ein zur metaphysischen Erkenntnispraxis, zum abstraktiven Theoretisieren der Tradition alternatives Erkenntniskonzept, was die Gruppe um de Tracy im Auge hatte. Sie hatte sich nichts Geringeres als ein dem Aufräumen der Revolution im Politischen vergleichbares Großreinemachen auf dem Gebiet der Erkenntnis zum Ziel gesetzt. Sie strebte eine Erkenntnis an, die durch strikte Verankerung der Formen und Inhalte des Erkennens in der Sinneserfahrung, einer experimentell erforschbaren materialen Empirie, sich als ein von Vorurteilen und Pseudoprinzipien freier empiristisch-wirklichkeitsgetreuer Ideenbildungsprozess, ein der "metaphysischen" Verirrungen überhobener materialistisch-wissenschaftlicher Widerspiegelungs- und Abbildungsvorgang zu realisieren vermochte. Sie kultivierte einen Begriff des Erkennens, der sich in streng empiristischer Manier gegen Spekulation, gegen falsche Vermittlung, gegen eine Fremdbestimmung des Erkenntnisprozesses durch Reflexion und deren empirietranszendente Prinzipien richtete und der stattdessen für Observation, für vorurteilsfreie Unmittelbarkeit, für eine strikte empirische Immanenz und induktive Bestimmtheit der Ideenbildung, für die Etablierung des Bewusstseins als nicht mehr eines Horts von abstrakten Wesenswahrheiten, sondern eines Orts für konkretes Erscheinungswissen eintrat. Der Name ist dem alternativen Erkenntnisunternehmen geblieben, und Karriere hat es, zumal dann im 20. Jahrhundert, auch gemacht. Aber den Anspruch einer Alternative hat es mit allem Nachdruck einer förmlichen Charakterkonversion schon vierzig Jahre später unwiderruflich eingebüßt. Schon bei Marx ist aus dem Begriff einer konstitutionell und methodisch adäquaten Ideenbildung, eines kraft seiner Unmittelbarkeit notwendig wahren Erkennens, der Inbegriff einer prinzipiell und systematisch entstellenden Wiedergabe, einer in aller Unmittelbarkeit zwangsläufig falschen Abbildung geworden. Das heißt die Idealvorstellung einer pro materia und im Gewahrsam der grundlegenden Empirie kategorischen Konkretion und Hervorbringung von Positivität hat sich in das Schreckensbild einer pro forma und im Schutz der empirischen Grundlage notorischen Abstraktion und Erzeugung von Schein verwandelt. Dabei besteht die Pikanterie dieser dem Erkenntniskonzept der idéologues widerfahrenden radikalen Ent- oder vielmehr diametralen Umwertung darin, dass es auf diese Weise nicht bloß zum konspirativen Teilhaber, sondern mehr noch zur namengebenden Pars pro Toto eben der als metaphysisch gebrandmarkten Reflexion avanciert, die es doch gerade bekämpfte und zu überwinden suchte. Bei Marx figuriert Ideologie als ein Generalnenner, der sowohl den spekulativen Idealismus eines Hegel, Paradigma der von den idéologues bekämpften metaphysischen Abstraktion, als auch den gemeinen Materialismus eines Feuerbach, Exempel der von den idéologues propagierten empiristischen Konkretion, nicht zwar unterschiedslos, wohl aber gleich entschieden unter sich begreift.

Wie kommt es nun aber zu diesem Bedeutungswandel, dieser förmlichen Charakterkonversion, die der Ideologiebegriff quasi über Nacht erleidet und die ihn zur Parsprototo, zum Inbegriff prinzipiell gestörter Erkenntnis, systematisch vereitelter Darstellung werden lässt? Die Gründe dafür sind, wie Marx realisiert, ganz und gar objektiver Natur. Sie liegen in eben der erscheinenden Unmittelbarkeit, auf die als auf die Grundlage der von ihnen angestrebten wahren – und das heißt positivistisch wirklichkeitsgetreuen, unmetaphysisch konkreten – Erkenntnis sie sich berufen. Diese erscheinende Unmittelbarkeit ist, wie Marx erkennt, alles andere als ein solides Fundament: Die Unmittelbarkeit ist falsch, die Erscheinung Schein. Erscheinungen in der modernen bürgerlichen Gesellschaft, von der Erscheinung in persona, dem bürgerlichen Individuum, bis zur Erscheinung par excellence, der industriell produzierten Ware, von der Familie bis zu den großen gesellschaftlichen Institutionen, sind, wie Marx erkennt, mit systematischer Zwangsläufigkeit in zweifacher Hinsicht abstrakt, in einer doppelten Abstraktion begriffen. Sie sind abstrakt, abgehoben, von ihrem Grund, ihren konkreten Entstehungsbedingungen, der spezifischen Arbeit, die sie hervorbringt und erhält: Sie stellen sich als Naturerscheinungen dar. Und sie sind abstrakt, abgezogen, von sich selbst, ihren besonderen Gebrauchseigenschaften, den Bedürfnissen, die sich auf sie beziehen und an ihnen befriedigen: Sie haben die Funktion von Wertverkörperungen. Die Erklärung für diese, allen Anschein von Unmittelbarkeit Lügen strafende, doppelte Abstraktion der Erscheinungen findet Marx in dem herrschenden politisch-ökonomischen Modus ihrer Hervorbringung, genauer gesagt, in dem kategorischen Abhängigkeits- und systematischen Ausbeutungsverhältnis, in dem der Grund der Erscheinungen, die gesellschaftliche Tätigkeit, die lebendige Arbeit, sich zu sich selber als vergangener und aufgehobener Arbeit, einer erscheinungsimmanent gesetzten Hypostase, einer zum Wesen geronnenen gegenständlichen Bestimmtheit, gesellschaftlichem Wert, befindet. Marx analysiert, wie es diesem Memento mori früherer Arbeitsprozesse, dieser als Gerinnungsprodukt sich gerierenden metaphysischen Setzung, dieser Wesenheit Wertverhältnis gelingt, durch eine fundamentale Vertauschung, nämlich durch die Identifizierung der lebendigen Arbeit als Lohnarbeit, das heißt dadurch, dass sie die lebendige Arbeit selbst in die Erscheinung Arbeitskraft, eine Ware, einen Wertausdruck, verwandelt, sich deren Hervorbringungen a priori und systematisch zuzueignen und sie selbst in ein Instrument der ebenso permanenten wie kategorischen Wertschöpfung, oder besser gesagt Wertsetzung, umzufunktionieren. Indem diese Abhängigkeit des erscheinungsproduktiven Grunds von einem mittels seiner selbst gesetzten erscheinungsrelativen Wesen, dieses verkehrte Verhältnis, dieser Subjektwechsel zwischen der lebendigen Arbeit und ihrer Hypostase als Wert zur gesellschaftlich herrschenden Voraussetzung, zur quasi transzendentalen Bedingung der Hervorbringung und Erhaltung von Erscheinungen überhaupt wird, etabliert sich das spezielle Wertverhältnis als ein generelles Kapitalverhältnis, erweist sich die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion in dem Sinn als kapitalistische, dass sie unter dem Deckmantel einer Hervorbringung von Erscheinungen, einer Erzeugung von Dingen und Verhältnissen des Gebrauchs, immer schon prinzipiell und wesentlich eine dem Caput mortuum des Wertverhältnisses geschuldete, eine durch ihr hypostatisches Wesen bestimmte ist.

Jenen Deckmantel einer konkreten Hervorbringung allerdings braucht es. Es sind nun einmal Dinge und Verhältnisse des Gebrauchs, konkrete Erscheinungen, was die menschliche Arbeit aus dem Stoffwechsel mit der Natur herausprozessiert, und nicht hypostatische Gerinnungszustände ihrer selbst, reine Wertkörper. Unmittelbar ist deshalb auch die Wertsetzung, zu der die gesellschaftliche Arbeit verurteilt ist, ein in den Erscheinungen nur erst latenter, durch sie als solche kaschierter Vorgang. Soll der in den Erscheinungen latent gesetzt Wert nun auch manifest, soll die an sich vollbrachte Metamorphose der Erscheinungen aus einem ihrem lebendigen Grund zustehenden Bedürfnisbefriedigungsmittel in einen vielmehr dem hypostatischen Wesen des letzteren geschuldeten Sachwert nun auch für sich Wirklichkeit werden, so bedarf es jener weiteren und besonderen Transaktion, die bei Marx als Wertrealisierung figuriert und die ich als zweite Abstraktion, als Abstraktion der von ihrem Grund abstrahierten Erscheinungen von sich selbst, vorgestellt habe: jene Transaktion nämlich, bei der die Erscheinungen durch ihren Austausch, ihre Einlösung gegen eine als Wertverkörperung par excellence gesellschaftlich sanktionierte andere Erscheinung, das Geld, gleichermaßen ihren Wertcharakter unter Beweis stellen und sich als solche hinter ihm zum Verschwinden bringen. Der Punkt, an dem dieser Übergang oder vielmehr Übersprung vom Arbeitsprozess zum Tauschakt, von der latenten Wertsetzung zur manifesten Wertrealisierung sich ereignet, ist die Zirkulation, der Markt. Wie der Markt der Ort ist, an dem die als Wert vergegenständlichte, hypostatisch gesetzte Arbeit und ihre wesentliche Verkörperung, das Geld, allererst in die Erscheinung getreten sind, so ist er es nun auch, der der ihren eigenen substantiellen Grund als Moment ihrer selbst, ihres essentiellen Bestehens, sich vindizierenden Hypostase, dem eben hierdurch zum Kapital sich mausernden Wertverhältnis, systematisch als Umschlagsplatz der Erscheinungen, das heißt als Ort der systematischen Umfunktionierung der Erscheinungen aus materialiter durch Arbeit geschaffenen Produkten in kategorialiter durch den Wert geschöpfte Werte dient. Durch die Zirkulation lässt das Kapital die im Produktionsprozess nur erst latente Trennung der Produkte von den Produzenten manifest werden, abstrahiert es die Erscheinungen von ihrem Grund und lässt sie in jener sinnenfälligen Unmittelbarkeit, naturgegebenen Positivität oder konkreten Anschaulichkeit erscheinen, die in dem Maß, wie der Markt selber zum Erscheinungsort schlechthin avanciert, zum Markenzeichen des Erscheinens überhaupt in der bürgerlichen Gesellschaft zu werden tendiert. Und durch die Zirkulation entlarvt nun aber auch das Kapital diese Unmittelbarkeit, Positivität und Anschaulichkeit der Erscheinungen ebenso wohl als trügerisch, falsch und abstrakt, indem es ihrer als eines bloßen Instruments und verschwindenden Moments sich bedient, die Erscheinungen aus ihrer als konsumtive Relation natürlichen Abhängigkeit vom lebendigen Grund herauszureißen und in eine als reflexives Verhältnis tatsächliche Identifizierung stattdessen mit dem hypostatischen Wesen des Grunds, eben dem Kapital selber, hineinzutreiben.

Es ist dies die Erscheinungen aus dem Mittel einer natürlich konsumtiven Grundrelation ins Instrument einer hypostatisch reflexiven Wertrealisierung konvertierende Zwangsverhältnis, diese die Erscheinungen als den Umschlagsplatz einer systematischen Verwandlung der Arbeit in Kapital arretierende Konstitution, diese Einbindung der Erscheinungen in einen als Selbstverwertung des Werts beschreibbaren objektiven Umfunktionierungsprozess, diese alle erscheinende Unmittelbarkeit als falsch, als in einer doppelten Abstraktion begriffenen Schein widerlegende politisch-ökonomische Bestimmtheit der Erscheinungen, was das an sie als solche sich nach wie vor haltende traditionelle Denken, die auf sie sich verlassende, ihnen aufsitzende gewohnheitsmäßige Reflexion nolens volens zum falschen Bewusstsein, zur Ideologie in der Marxschen pejorativen Bedeutung werden lässt. Indem das Denken seine tradierte Metaphysik, seine hergebracht wesentlichen Bezugspunkte, seine gewohnten Reflexionsbestimmungen an die erscheinende Unmittelbarkeit heranträgt, können die ersteren gar nicht verfehlen, zu mimetischen Figuren, zu Ersatzausdrücken eben des abstraktiven Vermittlungsprozesses, eben der objektiven Reflexion zu werden, worin die letztere selbst begriffen ist. So gewiss das, was die Erscheinungen in all ihrer falschen Positivität objektiv bestimmt, jene von Marx analysierte Realabstraktion ist, die die Erscheinungen ihrem Grund entfremdet, zur Unmittelbarkeit ihm gegenüber verhält, nur um sie dem hypostatischen Wesen des Grunds sich zueignen, ins Mittel der Selbstverwertung des kapitalen Werts sich konvertieren zu lassen, so gewiss ist alles traditionell wesentliche Denken, alles gewohnt abstraktive Reflektieren, wie fern ihm auch immer das gesellschaftliche Wesen der Erscheinungen sein, wie wenig es auch immer der politisch-ökonomischen Metaphysik der Erscheinungen gewahr sein mag, dazu verurteilt, sich als ein unwillkürlicher Nachvollzug, ein spontanes Nachbild eben jener die Erscheinungen bestimmenden und beherrschenden Realabstraktion zu verhalten. Die Reflexion ist, in Marx' Worten, dazu verurteilt, zu "Reflexen und Echos" eben der "wirklichen Lebensprozesse" zu verkommen, die sie ignoriert, mithin Ideologie zu werden. Dabei schließt, dass das gewohnt wesentliche Denken zur überdeterminierten Fehlhandlung, das traditionell philosophische Reflektieren zur zwanghaften Ersatzleistung gerät, keineswegs aus, dass die "Reflexe und Echos", die es produziert, mit Rücksicht auf die in ihnen widerklingenden "wirklichen Lebensprozesse" eine ernstlich repräsentative Bedeutung und entschiedene Wiedergabequalität gewinnen können. Das hervorstechendste Beispiel dafür, wie sehr das traditionelle Reflektieren von der Erfahrung jener objektiven Reflexion, die es bewusstlos imitieren muss, weil und insofern es sie nicht bewusst zu intendieren vermag, zugleich doch gesättigt und das heißt nicht bloß symptomatisch durchsetzt, sondern systematisch bestimmt sein kann, liefert die Hegelsche Logik, die sich über Strecken wie eine in traditionelle Kategorien gewandete Analyse und Darstellung des Kapitalprozesses liest. Aber dennoch bleiben nach Marx alle diese auf das Wesen der Erscheinungen als solcher reflektierenden Bemühungen bloße Reflexe, prinzipiell ideologisch, wesentlich abstrakt – nämlich abstrakt von jener realen Abstraktion, die dem Erscheinen als solchem gleichermaßen zugrunde liegt und innewohnt und die die erscheinende Unmittelbarkeit selbst je schon als das Mittel, als den Träger eines ganz anderen, ihr als transzendental verbindliche Ultima ratio sich oktroyierenden Wesens, eben des kapitalen Werts, figurieren lässt.

Und es ist diese wesentliche Abstraktheit des traditionellen philosophischen Denkens, des gewohnt "metaphysischen" Reflektierens, was der Kritik der idéologues an ihm, der Auseinandersetzung eines Feuerbach mit ihm ihr formelles Recht verleiht. Allerdings eben ein bloß formelles Recht, das heißt ein Recht, das sich im gleichen Augenblick auch schon ins materielle Unrecht dessen verkehrt, der der Kritik, die er rechtens übt, selber in der Potenz verfällt. Indem Feuerbach das abstrakte Denken kritisiert, kritisiert er es nicht etwa im Blick auf jene von Marx analysierte Realabstraktion, der als der objektiv herrschenden Reflexionsform die habituelle Reflexion ebenso bewusstlos wie unwillkürlich nachsinnt und mit Rücksicht auf die sie sich zugleich abstrakt, als bloßer Reflex verhält, sondern er übt seine Kritik im Namen der erscheinenden Unmittelbarkeit, der positiven Anschauung, der sinnlichen Konkretion. Feuerbach totalisiert seine spezielle Kritik des abstrakten Denkens unter der Hand zu einer generellen Kritik des Denkens des Abstrakten, er nutzt seine Verwerfung des metaphysisch falschen, ideologisch-abstrakten Reflektierens zu einer Verleugnung auch und gerade jener gesellschaftlichen Metaphysik und objektiven Reflexion, sub specie deren dies Reflektieren allererst als falsch und abstrakt sich darstellt. Feuerbach sucht den Erscheinungen dadurch zur wahren Unmittelbarkeit zu verhelfen, dass er uno actu der Kritik, die er an ihrer falschen Vermittlung im Bewusstsein übt, zugleich auch jene gesellschaftlich wirkliche Vermittlungsprozedur dem Bewusstsein verschlägt, der als einer förmlichen Umfunktionierungsveranstaltung sie um den Preis ihrer selbst unterworfen sind. Er sucht den Erscheinungen dadurch fraglose Positivität zu sichern, dass er unter dem Deckmantel einer an ihrer Reflexion durchs Denken geübten Symptomkritik zugleich die objektiv reflexive Krankheit, die an ihnen zehrt, als solche dementiert. Er sucht den Erscheinungen dadurch eine unfehlbare Konkretion zu sichern, dass er, unter dem Vorwand eines Kampfs gegen das essentialistische Abstrahieren von ihnen, auch und gerade von der realen Abstraktion abstrahiert, die in ihnen selber steckt, die ihr gesellschaftliches Wesen ausmacht, die sie selber sind.

Indem so aber Feuerbach unter der Camouflage einer Befreiung der Erscheinungen vom abstrakten Denken, vom metaphysischen Reflektieren, vielmehr bloß das Bewusstsein vom Denken der die Erscheinungen determinierenden gesellschaftlichen Realabstraktion, vom Reflektieren der sie beherrschenden objektiven Metaphysik dispensiert, verhält er sich in einem anderen, aber weiß Gott nicht weniger kritikwürdigen Sinn als die traditionelle Philosophie ideologisch. Anstelle von "Reflexen und Echos" der "wirklichen Lebensprozesse" produziert er jene durch und durch "verdrehte Auffassung" von der Wirklichkeit, die es fertigbringt, durch ein unter dem Vorgeben aufklärerischer Kritik gegen die gesellschaftliche Metaphysik, gegen das abstrakte Wesen der Erscheinungen erlassenes Denkverbot den kraft dieser Metaphysik erzeugten Schein von Sinnenfälligkeit, die durch dies abstrakte Wesen gesetzte falsche Unmittelbarkeit als das unmittelbar Wahre, als die lautere Wirklichkeit zurückzubehalten, als eine Unmittelbarkeit, die in dem Maß, wie sie nach der Seite ihres gesellschaftlichen Wesens, ihres kapitalen Werts, als absoluter Selbstzweck, reflexionslose Sinnenfälligkeit auftritt, sich nun auch nach der Seite ihres gesellschaftlichen Grunds, der produktiven Arbeit, als reine Naturgegebenheit, relationslose Positivität darbietet. So sehr die Ideologie eines Feuerbach sich der Abstraktion des Bewusstseins vom gesellschaftlichen Wesensverhältnis der Erscheinungen, ihrer als Reflexionsprinzip kapitalen Konstitution verdankt, so sehr bedeutet sie zugleich eine Abdichtung des Bewussteins gegen die gesellschaftliche Grundbeziehung der Erscheinungen, ihre unter Lohnarbeitsbedingungen entfremdete Produktion. In der Tat hat ja unter der Bedingung der durchs Kapitalverhältnis kraft Wertsetzung vollzogenen Abstraktion der Erscheinungen von ihrem produktiven Grund die qua Wertrealisierung durchgesetzte Reflexion der Erscheinungen in eben dies Kapitalverhältnis den paradoxen Charakter einer quasi posthumen Rehabilitation des betrogenen Grunds. Den von ihm selber zu falscher Unmittelbarkeit abstrahierten Erscheinungen gegenüber betätigt sich das Kapitalverhältnis als die Nemesis der durch die Abstraktion geprellten Arbeit; als vergegenständlichte Arbeit, als der hypostasierte Grund selbst sucht das Kapital an den Erscheinungen den in ihnen zugrunde gegangenen produktiven Grund, die in ihnen spurlos verschwundene lebendige Arbeit auf seine Art heim. Insofern übt die Ideologie eines Feuerbach durch ihr scheinaufklärerisches Absehen vom reflexiven Wesen der Erscheinungen am produktiven Grund der Erscheinungen den doppelten Verrat einer Sanktionierung und Verewigung jenes ersten Verrats, den die Erscheinungen in ihrer unreflektierten Gesetztheit, ihrer falschen Unmittelbarkeit als solche darstellen.

Als Bedingung der Möglichkeit dieser Ideologie à la Feuerbach, dieser "verdrehten Auffassung" der Erscheinungen, erkennt Marx eine bestimmte gesellschaftliche Stellung, eine definierte Klassenzugehörigkeit ihrer Vertreter. Definiert ist diese Stellung wesentlich durch die Distanz der Betroffenen zur Arbeitssphäre, durch ihre relative Abgelöstheit von dem zur Wertsetzungsveranstaltung entfremdeten Produktionsprozess der Erscheinungen. Ideologie als "verdrehte Auffassung" der Erscheinungen ist ein Phänomen und Problem der bürgerlichen Klasse – jener Klasse von Menschen, die – soweit sie nicht in der Rolle von Organisatoren beziehungsweise Kontrolleuren der Produktion als die Agenten des Kapitals, als Unternehmer, fungieren, soweit sie also nicht als Bourgeoisie in der zugespitzten Marxschen Bedeutung direkt auf der Seite des Kapitals stehen, das Kapital als solches vertreten – in dem als Lohnarbeit organisierten Wertsetzungsprozess nicht engagiert, jedenfalls keine Lohnarbeiter sind und die aber dessen ungeachtet über genug Wertverkörperung verfügen, vom Kapital auf anderen, sei's direkten, sei's indirekten Wegen mit genug Wertäquivalent ausgestattet sind, um beim marktmäßig betriebenen Wertrealisierungsakt, beim Akt der Abstraktion der Erscheinungen von sich selbst und ihrer reflexiven Verwandlung in reinen Wertkörper, Geld, eine gewichtige, um nicht zu sagen tragende Rolle zu spielen. Weil die bürgerliche Klasse nicht in der als Wertsetzungsprozess bestimmten Grundrelation der Lohnarbeit befangen ist, bleibt ihr die allen Schein von Unmittelbarkeit a priori zerstörende fundamentale Entfremdungserfahrung der die Erscheinungen im Prinzip ihrer Hervorbringung existentiell konstituierenden, reflexiven Hypostase oder essentiell okkupierenden, abstraktiven Wertnatur erspart und kann sie sich den Luxus leisten, den Erscheinungen die voraussetzungslose Naturwüchsigkeit und sinnenfällige Gediegenheit eines fait positif zuzubilligen. Und weil der bürgerlichen Klasse diese fundamentale Entfremdungserfahrung einer Setzung der Erscheinungen als abstraktiv wesentliches Verhältnis, ihrer reflexiven Konstitution als Wert, erspart bleibt, ist es ihr nun auch möglich, die Realisierung dieses wesentlichen Verhältnisses der Erscheinungen auf dem Markt, die Manifestation des in den Erscheinungen nur erst latenten Werts in der ihm eigenen Verkörperung, der Geldform, als eine den Erscheinungen äußerliche Transaktion, als eine die Erscheinungen als solche nicht berührende Austauschhandlung, statt als einen die Erscheinungen als solche betreffenden Transformationsakt, einen sie im Kern tangierenden Einlösungsvorgang wahrzunehmen. Der Lohnarbeiter muss kraft seiner in der Produktion gemachten Grunderfahrung von der im Prinzip des Produzierens gesetzten und für schlechterdings alles Erscheinen konstitutiven wahren Natur oder Wertnatur der Erscheinungen jeden Kaufakt, den er tätigt, als ein die Entfremdung besiegelndes Opfer, als eine seinen Selbstverlust krönende Entäußerung, als Wertrealisierung im strengen Sinn, nämlich als einen kriteriellen Vorgang begreifen, bei dem er, der Lohnarbeiter, durch den Einsatz seines Lohns dem latenten Wert der Erscheinungen zur Manifestation, zu seiner wahren Gestalt und selbständigen Existenz verhilft, um als Entgelt dafür die Erscheinung in abstracto, das heißt als die abgestreifte Larve und leere Hülse des Werts, als vom Wert nach seiner Metamorphose, nach seiner epiphanischen Verkörperung zurückgelassene sterbliche Hülle in Empfang zu nehmen. Der Bürger hingegen kann dank der ihm fehlenden Grund- und Entfremdungserfahrung von der Wertnatur der Erscheinungen die Wertrealisierung als eine Transaktion ansehen, bei der durch eine in der Geldform erbrachte und mit den Erscheinungen selber unvermittelte Ersatzleistung, durch den Einsatz eines im Gesellschaftsspiel des Austauschs gültigen und gegenüber den Erscheinungen als solchen indifferenten Äquivalents, er sich in den Besitz der vom Austausch unberührten, in ihrem Selbstsein, ihrer Sinnenfälligkeit, ihren Gebrauchseigenschaften ungebrochenen Erscheinungen zu setzen vermag.

Als eine durch seine reale Erfahrungssituation, seinen Mangel gleichermaßen an Prozess- und Entfremdungserfahrung bedingte ist die "verdrehte Auffassung", die Ideologie des Bürgers objektiv und insofern notwendig falsches Bewusstsein. Zugleich hat sie ihre objektive und insofern notwendige Grenze da, wo die Erfahrungssituation eine andere ist, die Entfremdungserfahrung gemacht wird: in der Sphäre der unter Lohnarbeitsbedingungen vor sich gehenden Produktion. Der proletarische Lohnarbeiter ist, Marx zufolge, frei von der "verdrehten Auffassung" des Bürgers, immun gegen die bürgerliche Ideologie. Wohlgemerkt, im Sinn einer einfachen Fehlanzeige frei von der bürgerlichen Ideologie, nicht etwa im Sinn einer positiven Alternative, eines richtigen Bewussteins mit einer anderen, besseren Ideologie versehen. Die Rede von der proletarischen Weltanschauung, dem korrekten Bewusstsein, der richtigen Ideologie, verdankt sich einer Verschiebung der Perspektive, an der Marx selber nicht unschuldig ist. In der Konsequenz dieses Perspektivenwechsels ist die bürgerliche "Auffassung" von den Erscheinungen "verdreht", das heißt ideologisch, nicht mehr allererst mit Rücksicht auf das die Erscheinungen okkupierende kapitale Wesen, sondern bereits im Hinblick auf das Bewusstsein der unter den Bedingungen dieses kapitalen Wesens die Erscheinungen produzierenden Lohnarbeit. Aber die hierin gelegene Anerkennung des Bewusstseins des Lohnarbeiters als des positiven Maßes und wahren Kriteriums für die Korrektur der "Verdrehtheit" der bürgerlichen "Auffassung" ist problematisch und in der Tat fatal. Ist nämlich auch das Bewusstsein des Lohnarbeiters ein von der bürgerlichen Ideologie freies und in dieser Bedeutung denn also kein falsches Bewusstsein, so ist es deshalb doch noch lange kein wahres, kein mit einem vernünftigen Begriff von der Wirklichkeit begabtes Bewusstsein. Zwar ist es vor der Gefahr, den Erscheinungen in der ihnen durch das kapitale Wesen induzierten falschen Unmittelbarkeit aufzusitzen, geschützt, aber weil das, was es davor schützt, nur eben die in der Produktion gemachte Erfahrung des kapitalen Wesens ist, bleibt es insofern auch an dessen hypostatische Existenz gebunden. Es ist frei von Ideologie, im Sinne nicht eines emphatischen Verhältnisses zum wirklich Wahren, sondern eines realistischen Verhältnisses zum falsch Wirklichen. Es ist kein unter dem faktischen Eindruck der qua Grundentfremdung abstrakten Voraussetzungslosigkeit der Erscheinungen phänomenologisch "verdrehtes" Bewusstsein, aber doch allemal noch ein durch den objektiven Zwang zur qua Wertschöpfung vorausgesetzten Abstraktion der Erscheinungen hypostatisch "verkehrtes" Bewusstsein. Wer dieses, zwar von ideologisch-phänomenologischer Verdrehtheit freie, aber doch allemal noch empiriologisch-ontologisch verkehrte Bewusstsein als paradigmatisches Maß, als das emphatisch richtige Bewusstsein zu behaupten sucht, setzt sich dem Verdacht aus, das für seine Verkehrtheit konstitutive Verhältnis, eben die kapitale Hypostase selbst, als verbindliche Erfahrungsgrundlage, als Transzendental der Erscheinungen zu akzeptieren und eben hiermit, wie den praktischen Realismus jenes Bewusstseins zu faktischem Zynismus erstarren zu lassen, so in der Tat das Bewusstsein selbst in eine bloße Spielart bürgerlich ideologischen Bewussteins zu verwandeln – eine Spielart, deren einziger Unterschied zu letzterem darin besteht, dass bei ihr an die Stelle der sinnlichen Erscheinungen die kapitale Hypostase als solche, an die Stelle der Emphase der Versinnlichung das Pathos der Versachlichung, an die Stelle des abstrakten Lustgewinns das nicht minder abstrakte Werk-Tätigen tritt.

Nicht also zwar positiv frei zu einer richtigen, proletarischen Ideologie, immerhin aber negativ frei von per definitionem falscher, bürgerlicher Ideologie ist, Marx zufolge, das Bewusstsein des Lohnarbeiters. Aber gilt diese Feststellung, angenommen, sie hat zu Marx' Zeiten gegolten, heute überhaupt noch? Hat nicht vielmehr jene ideologisch "verdrehte Auffassung" à la Feuerbach längst eine klassenüberschreitende Bedeutung gewonnen, gesamtgesellschaftliche Dimensionen angenommen? Jene "verdrehte Auffassung", die als ihre Ideologie Marx noch der bürgerlichen Klasse vorbehalten sieht, hat, folgt man Ideologietheoretikern des 20. Jahrhunderts wie Lukács und Adorno, mittlerweile offenbar Karriere gemacht, sich zu einer ebenso qualitativ verbindlichen wie quantitativ umfassenden Attitüde entwickelt, eine jede klassenspezifische Erfahrung und jede daraus möglicherweise resultierende Reserve des Bewusstseins sei's ignorierende, sei's nivellierende Generalität gewonnen. Auch Ideologie in der oben genannten anderen Bedeutung, die Marx dem Terminus gibt, nämlich nicht schon als "verdrehte Auffassung", sondern nur erst als "Reflex und Echo" der "wirklichen Lebensprozesse" hat übrigens Karriere gemacht, und zwar dergestalt, dass in dem Maß, wie ein als Kritik der politischen Ökonomie sich artikulierendes systemkritisches Bewusstsein vom realabstraktiv herrschenden Wesensverhältnis, von der die Gesellschaft dominierenden kapitalen Hypostase, sich herausgebildet hat, die Reflexionsprodukte des traditionellen, metaphysischen Denkens den Charakter von bloßen, unwillkürlichen "Reflexen und Echos" auf dies kapitale Wesensverhältnis verloren und die Bedeutung stattdessen einer willentlichen Abwehrreaktion auf und zielstrebigen Ersatzbildung für eben jenes systemkritische Bewusstsein dieses kapitalen Wesensverhältnisses gewonnen haben. Indem das traditionelle Denken in den Klassenkampf hineingezogen und auf der bürgerlichen Seite fixiert wird, tritt an die Stelle von Hegel oder Schelling ein Nietzsche, Bergson oder Heidegger und wird der unwillkürliche Reflex der Sache, der unfreiwillige Tribut an die objektiven Verhältnisse zu einer gegen die Reflexion der Sache sich richtenden, dezidierten Konterreflexion, zu einer mit der Kritik der objektiven Vehrältnisse konkurrierenden absichtsvollen Alternativversion. Diese in den Blut-und-Boden-Ideologien des Faschismus kulminierende Alternativreflexion oder Konterkritik erweist sich als ineins verwirrungstiftend und überzeugungskräftig genug, um am Ende Reflexion überhaupt dem Ideologieverdacht verfallen zu lassen, um also rückwirkend auch und gerade die Reflexion des Kapitals als eine einfach andere als die bürgerliche, nämlich marxistische Ideologie, auch und gerade die Kritik der politischen Ökonomie als eine egal von der kapitalistischen verschiedene, kommunistische Ideologie identifizierbar werden zu lassen.

Aber entscheidender als die zur totalen inneren Auflösung der Reflexion überhaupt führende Karriere dieser einen Form von Ideologie, die Marx am Beispiel Hegels als "Reflex" des Denkens beschreibt, ist, Lukács oder Adorno zufolge, die in der pauschalen Abdichtung gegen die Reflexion als solche resultierende Karriere jener anderen Form von Ideologie, die Marx am Beispiel Feuerbachs als "Verdrehtheit" des Bewussteins charakterisiert. In der Tat so viel entscheidender wirkt die letztere Karriere, dass sie die erstere zu einer bloßen Randbestimmung, einem mehr oder weniger unerheblichen Beiwerk, einem ebenso bedeutungslosen wie fakultativen Zusatz herabzusetzen tendiert. Jene in scheinaufklärerischer Kritik an der ersten Form von Ideologie sich etablierende zweite Ideologieform scheint, wie gesagt, einem Lukács oder Adorno mittlerweile zu einem generellen Bewusstseinsschicksal geworden. Das heißt sie scheint eine Verbindlichkeit und Suggestionskraft gewonnen zu haben, gegen die keine differente Klassenlage, keine durch die gesellschaftliche Position bedingten alternativen Erfahrungen noch ankommen und etwas auszurichten vermögen. Der Lohnarbeiter, rhetorisch zum Lohnempfänger einerseits und Arbeitnehmer andererseits entmischt und entschärft, scheint mittlerweile gegenüber der bürgerlich "verdrehten Auffassung" nicht weniger anfällig als der Bürger selbst, die Klasse der Lohnarbeiter scheint nachgerade mit der bürgerlichen Klasse ein und dasselbe, an der falschen Unmittelbarkeit der Erscheinungen sich ideologisierende Bewusstsein gemein zu haben, eine große, um nicht zu sagen totale Bewusstseinsgemeinschaft zu bilden. Den entscheidenden Grund dafür sehen Lukács und Adorno in einer fortschreitenden eigentümlichen Entwertung oder Entwirklichung aller und auch und gerade der qua Klassenlage oder gesellschaftliche Determination zu machenden Erfahrung. Einer Entwirklichung, die im Wesentlichen in dem besteht, was Lukács "Verdinglichung" nennt und was er zum "zentralen ideologischen Phänomen" überhaupt erklärt. Dabei meint "Verdinglichung" eine sekundäre Infiltration und Okkupation der Erscheinungen durch die sie beherrschende Hypostase, das sie dominierende Wesensverhältnis, in deren Konsequenz die Erscheinungen alle qua Abstraktion bis dahin noch gewahrte Distanz zum Wesensverhältnis, jedes qua falsche Unmittelbarkeit immerhin noch vorhandene Moment von Indifferenz gegen die Hypostase preisgeben und sich in die höchsteigene Verkörperung der letzteren, ihr repräsentatives Symbol, ihren quasi persönlichen Ausdruck verwandeln. Was im Zuge dieser die primäre Aneignung vollendenden, sekundären Durchdringung der gesetzten Erscheinungen durch die vorausgesetzte Hypostase zum Verschwinden gebracht wird, ist eben jene Entfremdungserfahrung, die die Erscheinungen nicht zwar dem ihnen aufsitzenden Bürger, wohl aber dem sie hervorbringenden Lohnarbeiter bis dahin noch vermitteln – jene Entfremdungserfahrung, die den konkreten Produktions- beziehungsweise Zirkulationsvorgang als einen vielmehr abstraktiven Verwertungs- beziehungsweise Wertrealisierungsprozess sichtbar werden lässt und die angesichts einer phänomenalen Wirklichkeit, die wesentlich nur in dieser Abstraktion von sich selbst besteht und bei sich ist, in der Tat als die einzig noch verbleibende wirkliche Erfahrung gelten kann. In dem Maß, wie der kapitalen Hypostase gelingt, aus der relativen Verschiedenheit eines ebenso heteronom-äußerlichen wie kategorial-verbindlichen Bezugs- und Fluchtspunkts der Erscheinungen auszubrechen und den Erscheinungen zur relativen Sichselbstgleichheit eines ihnen ebenso sinnbildlich eingefleischten wie sie eigentümlich durchdringenden Bestimmungs- und Reflexionspunkts sich zu innervieren, wird jene Erfahrung obsolet. An die Stelle der den ganzen Prozess mit Rücksicht auf sein materiales Versprechen Lügen strafenden resultativen Entfremdung tritt die den ganzen Prozess einer Revision sub specie seines hypostatischen Zwecks unterwerfende prinzipielle Verdinglichung.

Wo und in welcher Sphäre allerdings dem Lohnarbeiter mit dem Ergebnis einer Totalisierung des bürgerlich ideologischen Bewusstseins zur gesamtgesellschaftlich herrschenden Anschauungsform seine Entfremdungserfahrung entscheidend verschlagen und ein per se hypostatisches Verhältnis zu den Erscheinungen beigebogen wird, ob das im Geheimen der Produktionssphäre in einer speziell auf den Arbeiter abgestellten Aktion oder aber in der Öffentlichkeit der Zirkulation in einem auf alle Mitglieder der Gesellschaft gemünzten Pauschalverfahren geschieht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Bei Lukács ist es vornehmlich der Entstehungsprozess der Erscheinungen, der konkrete Arbeitsprozess selbst, der jener als Verdinglichung charakterisierten sekundären Bearbeitung und Durchdringung durch die kapitale Hypostase unterliegt und in dem deshalb der auf eine Tilgung allen Entfremdungs- und Heteronomisierungsbewusstseins zielende Ausgleich zwischen konkret und abstrakt, Erscheinung und Wesen, im Interesse der Herstellung eines die Erscheinungen in die Figur des Wesens konvertierenden durchgängigen Ausdrucks- und Signifikationsverhältnisses statthat. Das Stichwort heißt Rationalisierung, gemeint ist der Taylorismus einer Auflösung und Detaillierung des Arbeitsprozesses in eine Reihe von Wertsetzungsmomenten, in einzelne, direkt auf den Endzweck der Wertbildung bezogene und an ihm gemessene sächliche Bedingungen. Bei Adorno hingegen ist es hauptsächlich der Erscheinungsort der Erscheinungen, der mittlerweile zu einem einzigen gigantischen Ausstellungsraum, einer sphärischen Totalität, einem Supermarkt aufgeblasene Markt, wo die Erscheinungen in Figuren des Wesens, die Waren bis in den Kern ihrer Gebrauchseigenschaften hinein in Kapitalsymbole umgemünzt werden. Das Stichwort heißt Reklame, gemeint ist die von Adorno auf den ebenso unexplizierten wie verkürzten Begriff einer Kulturindustrie gebrachte Tendenz zur Umfunktionierung der Erscheinungen aus scheinbar bloßen Bedürfnisbefriedigungsmitteln in tatsächliche Instrumente einer Indoktrination und Reorganisation des Bewusstseins. Es ist die Tendenz, mittels der als Bedürfnisbefriedigungsmittel erscheinenden Waren oder Wertverkörperungen ein neues zentrales Bedürfnis nach der Ware selbst, nach dem verkörperten Wert als solchem, nach einer durch die Erscheinungen selber angezeigten und immer bloß metaphorisch repräsentierten Metarealität zu erzeugen, mithin aber die Tendenz, die qua Wertrealisierung für das Kapital konstitutive Abstraktion von den Erscheinungen als Bedürfnis der wahrnehmenden Subjekte selbst beziehungsweise als die innerste Figürlichkeit der Erscheinungen als Erscheinungen durchzusetzen.

Wie Rationalisierungs- und Reklamethese, die These von der Hypostasierung im Produktionsprozess und die These von der Hypostasierung am Erscheinungsort, sich systematisch zueinander verhalten, ob sie einander ergänzen oder einander widersprechen, ob das eine sich auf das andere zurückführen oder als der Reflex des anderen entlarven lässt, das sind Fragen, deren ausführliche Behandlung den Rahmen dieses Abrisses sprengen würde. Ich möchte deshalb hier nur die Behauptung aufstellen, dass Lukács, wenn er der Rationalisierung im Produktionsprozess die neue Qualität eines Verdinglichungsphänomens statt bloß die Bedeutung einer Eskalation und Zuspitzung des Entfremdungsverhältnisses nachsagt, sich fragwürdig analogiebildnerisch verhält und dass in Wahrheit die Hypostasierung auf der Zirkulationsebene auch die für seine Neufassung des Ideologiebegriffs maßgebliche Erfahrung darstellt. Indiz dafür ist, dass auch er seine Erörterung der Verdinglichung ganz selbstverständlich von einer Analyse der Warenform ihren Ausgang nehmen lässt. Wenn er die Verdinglichungserfahrung aus der Zirkulationssphäre auf die Darstellung der Produktionssituation überträgt, so deshalb, weil er der dogmatischen Überzeugung aufsitzt, dass nur das bestimmende und gesellschaftlich verbindliche Erfahrung sein kann, was durch die Produktionssphäre, die gesellschaftliche Basis, vermittelt und verbürgt ist, und weil er ein Verhältnis zur Kenntnis zu nehmen sich scheut, bei dem in quasi-schizophrener Manier dem Erfahrungssubjekt die auf der produktiven, "realen" Ebene gemachte Entfremdungserfahrung auf der zirkulativen, "ideologischen" Ebene wieder verschlagen und ausgetrieben wird. Die Weigerung, Verdinglichung als das Ergebnis einer sekundären Bearbeitung und aktiven Zensur der Erfahrungen aus der Produktion durch den zirkulativen Schein gelten zu lassen, und die Zurückführung der Verdinglichung auf den Primärprozess der Produktion selbst hat außerdem für Lukács den Vorteil, dass sich unter der Oberfläche einer nolens volens dann doch als Entfremdungsverhältnis vorgestellten, primär produktionseigentümlichen "Verdinglichung" leichter ein trotz alledem revolutionäres Subjekt imaginieren lässt als hinter der Fassade einer sekundär zirkulationsinduzierten Verdinglichung.

Eins muss jedenfalls klar sein: Auch wenn, wie ich meine, ideologisches Bewusstsein sich nach wie vor nicht in der Arbeitssphäre, sondern in der Sphäre des Tauschs, nicht am Entstehungs-, sondern am Erscheinungsort der Erscheinungen bildet, bedeutet die These von der Verdinglichung als dem "zentralen ideologischen Phänomen" der Moderne eine nachdrückliche Neufassung des Ideologiebegriffs selbst. Das ideologische Bewusstsein entspringt dann nicht mehr einer falschen Unmittelbarkeit, sondern im Gegenteil einer falschen Vermitteltheit der Erscheinungen, die "Verkehrtheit" seiner "Auffassung" besteht dann nicht mehr darin, dass es von der kapitalen Abstraktion abstrahiert, der die Erscheinungen unterliegen, die zweite Natur ignoriert, der sie als einem äußerlichen Schicksal verfallen, sondern dass es dieses äußere Schicksal der Erscheinungen in ihre immanente Bestimmung reflektiert und verklärt, dass es diese zweite Natur zum innersten Anliegen der Erscheinungen geworden, diese Abstraktion in die den Erscheinungen eigenste Perspektive verwandelt wahrnimmt. Das heißt das ideologische Bewusstsein der Moderne präsentiert sich als das Resultat einer formellen Vermittlung, eines faulen Kompromisses zwischen ideologisch bürgerlichem Unmittelbarkeitsbewusstsein und nichtideologisch proletarischer Entfremdungserfahrung. Das bürgerliche Unmittelbarkeitsbewusstsein nimmt das proletarische Entfremdungsverhältnis in sich auf, integriert es sich, aber so, dass es dies Verhältnis unter den transzendentalen Bedingungen seines eigentümlichen Objekt- und Erscheinungsbegriffs revidiert und vielmehr umfunktioniert. Das Entfremdungsverhältnis verwandelt sich in eine objektspezifische Dimension, eine erscheinungsimmanente Perspektive, die nicht mehr dazu dient, die falsche Unmittelbarkeit der Erscheinungen in den Grund und Boden der für sie konstitutiven wesentlichen Abstraktheit zu kritisieren, sondern deren reklametechnisch elaborierter Sinn es im Gegenteil ist, dieser falschen Unmittelbarkeit durch eine präventive Umfunktionierung der Erscheinungen in Demonstrationsobjekte, Anschauungsmaterial der ihnen zugrunde liegenden Abstraktheit, durch eine als Selbstnegation zynische Mimesis der Erscheinungen an die Negativität, die sie konstituiert, einen ebenso sinnenfälligen wie täuschenden Bestand zu verleihen. Zweifellos wird durch diese kraft reklameförmiger Hypostasierung der Erscheinungen vollbrachte Einarbeitung der proletarischen Entfremdungserfahrung in den Kontext bürgerlich falscher Unmittelbarkeit eine Universalisierung des bürgerlich ideologischen Bewusstseins erreicht. Aber der Preis für solche Universalisierung ist eine Totalisierung bürgerlicher Blindheit zu gesellschaftlicher Verblendung, wenn nämlich von Verblendung da zu reden ist, wo das Falsche die schier unerschütterliche Fasson der unter seinen Bedingungen und in seiner Form erscheinenden Wahrheit gewinnt.

Nachbemerkung

Dieser Versuch einer Rekonstruktion des Ideologiebegriffs steht in einem implizit polemischen Verhältnis zu den um den Topos der "ideologischen Mächte" zentrierten Versuchen einer Neubestimmung des Ideologiekonzepts, wie sie gegenwärtig von verschiedenen Gruppen auf der Linken unternommen werden. Dort ist das Bestreben, das Problem der Ideologiebildung in einen allgemeineren gesellschaftstheoretischen und umfassenderen politisch-historischen Zusammenhang zu stellen, um auf diesem Weg zu neuen Formen der praktischen Kritik von Ideologie und zu umfänglicheren Möglichkeiten des politischen Bündnisses gegen sie zu gelangen. Demgegenüber wird hier auf dem entschieden bürgerlich-klassenspezifischen Charakter und der eigentümlich politisch-ökonomischen Genese von Ideologie insistiert. Ideologie wird – nicht zuletzt auch gegen den generalisierenden Gebrauch des Begriffs, zu dem auf dem Boden einer allgemeinen Theorie eines Historischen Materialismus Marx selber neigt – in der spezifischen Funktion eines im 19. Jahrhundert unter industriekapitalistischen Bedingungen entstehenden bürgerlichen "Erscheinungswissens" bestimmt und in der Entwicklung dieser ihrer Funktionsbestimmung skizziert. Dabei wird im Anschluss an Lukács und Horkheimer/Adorno als gegenwärtiger Stand der Ideologieentwicklung eine der "Aufhebung" der Kapitalbedingungen zu "Sachzwängen" geschuldete Totalisierung des bürgerlichen "Erscheinungswissens" zum allgemeinen Bewusstseinsschicksal diagnostiziert.

Es ist diese Totalisierung des Ideologischen zur gesamtgesellschaftlich verbindlichen Perspektive, was die oben genannten Bemühungen um eine Neubestimmung von Ideologie ebenso problematisch wie erklärlich werden lässt. Mit ihrer Suche nach "ideologischen Mächten" reagieren jene Bemühungen auf das für die Totalisierung des Ideologischen konstitutive "Verschwinden" der ideologiebildenden Macht Kapital. Das heißt sie reagieren darauf, dass die fürs Ideologische verantwortlichen politisch-ökonomischen Bedingungen sich der durch sie bedingten Erscheinungswelt als scheinbar objektive Bestimmungen oder ideologiefreie Sachzwänge anverwandeln und eben damit das auf die bürgerliche Klasse beschränkte "Erscheinungswissen" zum klassenübergreifenden Sachverstand "aufheben". Aber sie reagieren mit falscher Unmittelbarkeit darauf, nämlich so, dass sie dieses "Verschwinden" der für Ideologie verantwortlichen Kapitalmacht als ein fait accompli akzeptieren und von der akzeptierten Voraussetzung aus nach möglichen anderen Verantwortlichen beziehungsweise neuen Schuldigen zu fahnden beginnen. Die wesentliche "ideologische Macht", auf die ihre Fahndung sie hierbei stoßen lässt, ist die Staatsmacht. Dieser Fund ist ebenso aktuell relevant wie tendenziell irreführend. Tatsächlich ist der Staat die derzeit manifeste "ideologische Macht", aber er ist es als Funktion der latenten, in ihren eigenen Erscheinungen "verschwundenen", "versachlichten" Kapitalmacht.

Gleichzeitig mit und parallel zu der "Versachlichung" der Kapitalmacht verändert im 20. Jahrhundert auch der bürgerliche Staat sein Gesicht. Er verwandelt sich aus einem halbwegs bürgerlichen Klassenstaat in einen pseudorevolutionären Volksgemeinschaftsstaat, aus einem relativ heteronomen Instrument bürgerlicher Interessen in einen relativ autonomen Kapitalagenten. In dieser Eigenschaft eines per definitionem seines pseudorevolutionären Charakters faschistischen Instituts dient der Staat der Suspendierung der vorhandenen sozialrevolutionären Kräfte und ihrer mit revolutionärem Elan vollzogenen Rückorientierung auf und Rückbindung an die Kapitalmacht. Rückbindung aber an eine Kapitalmacht, die unter dem gleichen Eindruck revolutionärer Bedrohungen nun eben jenem Prozess der "Versachlichung" unterliegt, in deren Verlauf aus erscheinungsäußerlichen kapitalistischen Bedingungen erscheinungsspezifische technizistische Zwänge werden. Wie politisch-dynamisch der zur "revolutionären" Massenorganisation faschistisch alterierte Staat die von der bürgerlichen Klasse sich zu emanzipieren drohenden revolutionären Massen substituiert, so tritt ökonomisch-strukturell an die Stelle der von der Kapitalmacht sich abzulösen drohenden gesellschaftlichen Erscheinungen die in den gesellschaftlichen Erscheinungen als solchen zur objektiven Bestimmung sich verflüchtigende Kapitalmacht. Dem "neuen" Staat fällt die Aufgabe zu, diese "neue" ökonomische Macht politisch zur Geltung zu bringen und gesellschaftliche Verbindlichkeit gewinnen zu lassen. Als die politische Funktion eines ökonomischen Subjekts, dessen Überlebensstrategie und Selbstbehauptungslogik gerade in seiner technizistischen Verflüchtigung, seiner "Versachlichung" besteht, kehrt dabei der moderne Staat naturgemäß selber einen Schein von Subjektqualität hervor, nimmt er die Züge eines selbstherrlichen Agenten beziehungsweise selbstmächtigen Verwesers dieser seiner "objektivierten" Identität an. Aus dem politischen Prokuristen der im Fluchtpunkt der Erscheinungen manifesten Kapitalmacht wird der gesellschaftliche Intendant der in den Erscheinungen sich zur Latenz verflüchtigenden kapitalen Herrschaft, aus dem politischen Handlanger des alten ökonomischen Subjekts wird der gesellschaftliche Generalbevollmächtigte der neuen ökonomischen Identität. Der Schein von Subjektautonomie und wirklicher gesellschaftlicher Urheberschaft, den auf diese Weise der moderne Staat gewinnt, wird noch dadurch bekräftigt, dass nach der Durchsetzung der "versachlichten" Kapitalherrschaft und nach seiner eigenen konsequierenden Rückverwandlung aus einem aktuell faschistischen Krisenmanager in einen formell demokratischen Geschäftsführer ihm die Aufgabe zufällt, die "neue" Kapitalherrschaft als solche sicherzustellen und das heißt auch und vor allem gegen ihre fortlaufend eigenen Tendenzen zur Dissoziation und Verselbständigung, zur Wiederherstellung ihres vorherigen, krisenhaft manifesten Ausbeutungs- und Gewaltcharakters zu verteidigen. Wie als faschistischer Volksgemeinschaftsstifter, so hat auch als marktwirtschaftlicher Sozialpartnerschaftsgarant der moderne Staat die doppelte Aufgabe, das "neue" ökonomische Subjekt, dem als politische Funktion er dient, nicht bloß gegen alle ihm von "unten" drohende revolutionäre Gefahr, sondern ebenso wohl gegen die diesem Subjekt eigene "innere" Neigung zum Rückfall in seine alte asoziale Ausbeutungspraxis und zur Remanifestation seiner krisenproduzierend wahren Natur abzusichern.

Je mehr indes dies letztere dem Staat den Anschein einer originären gesellschaftlichen Macht verleiht, umso wichtiger wird es, das auch und gerade ihm zugrunde liegende und hinter ihm als politischer Funktion sich verbergende ökonomische Subjekt festzuhalten. "Ideologische Macht" kann sub specie dieses ökonomischen Subjekts der moderne Staat einzig und nur in dem Verstand sein, dass er als der erscheinende politische Substitut dieses in den Erscheinungen sich verbergenden ökonomischen Subjekts die Rolle einer für die Erscheinungstotalität wesentlichen Haupt- und Staatserscheinung übernimmt. Als "ideologische Macht" in der – gegen alle Grammatik gebrauchten – Bedeutung einer selber ideologiebildenden, selber Erscheinungen produzierenden Macht kann der Staat nur dem erscheinen, dem dieses in den Erscheinungen zur Latenz sich bringende ökonomische Subjekt tatsächlich aus dem Blick gerät und – ganz im Sinne der Strategie des letzteren – nichts mehr im Gesichtskreis bleibt als das mit der Aufgabe der Erhaltung des Latenten in seiner Latenz betraute manifeste Alibi Staat.

Fußnoten

... Ideologiebegriffs 3
Habilitationsvortrag aus dem Jahr 1982, der 1987 in Ilse Bindseil/Ulrich Enderwitz, Der Wahnsinn der Wirklichkeit – Ideologiekritische Essays, tende Verlag, in erweiterter Fassung erschien.
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