2. "Narrative Organisation" als "genetischer Bestandteil empirischer Erkenntnis": Der historische Relativismus als spätbürgerliche Selbstverständlichkeit

Was immer auch Kant von der zukünftigen Entwicklung erhoffen und mit welcher Zuversicht immer er auf das, was er erhofft, bauen mag: Nichts in der Tat ändert sich dadurch für ihn an dem hier und jetzt ausgemachten, freihändig spekulativen Charakter und prekär exponierten Status jenes – nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge fast schon der Subreption verdächtigen – Assimilations- und Aneignungsverfahrens, unter dessen Auspizien die um die Kontinuität und Legitimität ihrer spezifischen Interessen und Intentionen noch durchaus verlegene Gegenwart sich anheischig macht, dort das empirische Imperfekt eines ans "widersinnig" konkurrierende Präsens unmittelbar fixierten "Aggregats" von Vergangenheit in hier das historische Perfekt eines stattdessen auf die "vernünftige" Gegenwart selber unvermittelt konzentrierten "Systems" der Geschichte mit interpretativer Selbstherrlichkeit und gegen den sei es zu passiver Indolenz, sei es zu aktiver Inkompatibilität eingefleischten Widerstand, den mit der Schwerkraft einer noch definitiv anders sich präsentierenden Faktizität die Vergangenheit leistet, umzufunktionieren.

Dieses Anscheins prekärer Extravaganz und spekulativer Bodenlosigkeit, mit dem Kant das von ihm propagierte Vorhaben einer wenn schon nicht manipulativen, so jedenfalls eigenhändigen Umfunktionierung aggregathaft voreingenommener Vergangenheit in systematisch einvernehmliche. Geschichte vorläufig unabweisbar behaftet und durch den er es im Verhältnis zur umstandslosen Gediegenheit "bloß empirisch abgefasster Historie" vorderhand irreparabel kompromittiert sieht, findet nun allerdings zwei Jahrhunderte später ein historischer Relativismus wie der von Arthur C. Dantos Analytische(r) Philosophie der Geschichte das von ihm protegierte, formell zumindest immer noch gleiche Unternehmen einer als Aneignungsprozedur im Kriterium der Gegenwart durchgeführten Vergangenheitsbewältigung ganz und gar unverdächtig. Was Kant unter der zwischen Bischofshut und Narrenkappe wohlweislich unentschiedenen Camouflage einer "philosophischen Geschichte" noch als mit empirischer Geschichtsschreibung prinzipiell unvereinbares und im Rahmen ihrer exklusiven Bedingungen schlechterdings nicht zu rechtfertigendes Unterfangen sich vor Augen führt, das erscheint jenem Relativismus mittlerweile als gemeinplätzig selbstverständliches Beginnen und bedingungslos integrierendes Moment der empirischen Geschichtsschreibung selbst. Was die Kantische Reflexion als ein ideologisch-historisches Experiment und Probehandeln begreift, das noch nichts weiter als das transzendentale Projekt einer überhaupt anderen als der durch alle empirische Geschichtsschreibung in Anspruch genommenen Organisation der Vergangenheit in Vorschlag bringt, das stellt sich dem Dantoschen Relativismus unterdes als ein doktrinär-geschichtswissenschaftliches Stereotyp und Normalverhalten dar, in dem nichts sonst mehr als die fundamentale Struktur aller auf Organisation der Vergangenheit überhaupt Anspruch erhebenden, empirischen Geschichtsschreibung zum Ausdruck kommt. Und was für Kant mithin noch die krasse, durch die schwerkräftig eigengesetzliche Aggregation des empirisch präsenten Imperfekts ad absurdum einer konstruktivistisch abstrakten Sollbestimmung geführte und um jegliches Ansehen einer, solchem Imperfekt gegenüber, glaubwürdig alternativen Geschichte gebrachte Ausnahme vom Regelzusammenhang einer jeden empirisch determinierten Geschichtsschreibung bildet, das präsentiert sich Danto inzwischen so sehr als der zur Seinsbestimmtheit und zum natürlichen Integral schlechterdings aller Empirie der Vergangenheit avancierte Regelfall und kalt routinierte Grundduktus, dass, eine irgend empirisch orientierte Geschichtsschreibung ohne seine unmittelbar strukturelle Intervention und funktionell vermittelnde Einflussnahme sich vorzustellen, nicht einmal ausnahmsweise mehr möglich scheint.

Folgt man dem historischen Relativismus Dantos, so erzählt die Geschichte auch und gerade als "empirisch abgefasste Historie" und nicht zwar vielleicht ex cathedra, ganz gewiß aber ex professo dieser ihrer empirischen Okkupation und Beschaffenheit "Geschichten", deren "den Ereignissen unterlegte" erzählerische "Struktur"13 ein und dieselben spezifischen Merkmale aufweist, denen als Charakteristika des unter dem Titel einer "philosophischen Geschichte" von ihm propagierten historiologischen Unternehmens Kant noch selbstredend disponiert ist, wenn nicht die empiriefeindlich repulsive Funktion romanhaft fiktiver Konstruktionsprinzipien nachzusagen, so zumindest aber die gegenempirisch exklusive Bedeutung systematisch projektiver Transzendentalbestimmungen zuzusprechen. "Die Geschichten, die die Historiker erzählen, müssen", Danto zufolge, ,,nicht bloß relativ zu ihrer zeitlichen Lage sein, sondern zugleich auch zu den nicht-historischen Interessen, die die Menschen, als Menschen, haben."14 Eben die gegenwartsorientierte Organisation der Vergangenheit die in specie des von Kant als nur erst möglicher vorgestellten "besonderen Gesichtspunkts der Weltbetrachtung" noch den Charakter eines angesichts des dem empirischen Imperfekt als solchem eigentümlichen Aggregatszustands ganz und gar "ungereimten Anschlags" und allen realistisch-operationalen Aspekts entbehrenden objektivistisch-transzendentalen Systementwurfs15 verrät, beweist nun also in genere einer von Danto als schlechthin notwendig vorausgesetzten universalen Relativität der betrachteten Welt auf den Standort des Betrachters die Eigenschaft einer mit der organisatorischen Kapazität des empirischen Imperfekts selbst koinzidierenden Grundperspektive und in der Tat die primäre Qualität einer für die Aggregation des Einschlags empirischer Daten überhaupt richtungweisenden Kette und haltgebenden Struktur. Und eben die gegenwartsspezifischen Interessen und Intentionen, die im inhaltlich zugespitzten Verstand der für eine "Weltgeschichte, die gewissermaßen einen Leitfaden a priori hat", von Kant in Vorschlag gebrachten "vernünftigen Zwecke" noch höchstens und nur die Bedeutung von ebenso intentionaliter abstrakten wie idealiter systematischen, empirietranszendenten Darstellungsprinzipien beanspruchen können, erringen nun also im formell umfassenden Sinn der als "generischer Bestandteil empirischer Erkenntnis"16 von Danto in Rechnung gestellten, nicht auf die Abfassung von Historie beschränkten, "vorgefassten Begriffe"17 und "vorausgesetzten Grundkonzeptionen"18 des die Vergangenheit organisierenden Historikers die Schlüsselrolle empiriepertinenter "Organisationsschemata"19, ohne die, wie sehr sie auch die Geschichtsschreibung "mit einem unausrottbar subjektiven Faktor (belasten)"20 mögen, "wir uns Geschichte" – kurz und bündig – "nicht denken können"21. So gewiss für Danto die empirische Geschichtsschreibung als solche durch eine "narrative Organisation"22 definiert ist, die im Charakter einer "den Ereignissen unterlegten Struktur" etwas ist, das unser, der Historiker, Werk ist und das in konkurrenzlos monopolistischer Ausschließlichkeit "wir tun"23, und so gewiss kraft dieser ihrer "narrativen Organisation" alle "empirisch abgefasste Historie" unmittelbar bestimmt ist, wie einerseits wesentlich relativ auf unseren, der Historiker, Standort, so andererseits wesentlich abhängig von dem diesem Standort entsprechenden "Bezugsrahmen aus Voraussetzungen"24 zu erscheinen, so gewiss kann da, wo – fern von solch relativistischer Grunderfahrung – Kant noch darauf gefasst sein muss, die von ihm historisch reflektierten, zentralen Absichten und Belange der Gegenwart durch eine, verpflichtend für alle empirische Geschichtsschreibung, ihr substantiell aggregathaftes Corpus produzierende Vergangenheit in die "ekle Höhe" bloßer, der konstitutionsgeschichtlichen Legitimation schlechterdings entratender, philosophischer Ideen und Leitfäden abgedrängt zu sehen, Danto im Gegenteil sicher sein, durch eine, verbindlich für alle Vergangenheit, ihre strukturell systematische Organisation realisierende empirische Geschichtsschreibung welche Absichten und Belange der Gegenwart auch immer in historischer Reflexion wahrgenommen und in der Tat in den unanfechtbaren Rang zentraler Kategorien und Integrationsfiguren erhoben zu finden.

Exakt das kühne Projekt einer als gegenwartszentriertes Aneignungsverfahren wohlverstandenen Historisierung der Vergangenheit, das Kant noch nur erst um den Preis eines zum radikalen Wechsel des Metiers und Genres zwingenden Ausschlusses aus der Gemeinschaft der Historiker für durchführbar hält, stellt sich demnach bei Danto in der kalten Routine nicht überhaupt zwar eines historischen Kinderspiels, wohl aber eines typisch geschichtswissenschaftlichen Automatismus vor. Dass diese förmliche Überführung des – die Sache der geschichtlichen Natur ignorierenden – transzendentalprojektiven Experiments in einen – der geschichtlichen "Natur der Sache gemäßen"25 – strukturalprospektiven Automatismus eine tiefgreifende Veränderung, wo nicht eine veritable Konversion, auf der Seite des hier wie dort als Objekt der Übung figurierenden empirischen Imperfekts selber anzeigt und impliziert, liegt auf der Hand. Vergangenheit, als das hier wie dort in Anspruch genommene Medium konstitutionsgeschichtlich-genetischer Reflexion, hat offenbar – dies die objektive Voraussetzung der zugunsten eines umfänglich historischen Relativismus von Danto geltend gemachten Ansprüche! – ihre noch der Kantischen Gegenwart strikt bewiesene Haltung einer zwischen aktivem Widerstand und selbstzufriedener Indifferenz changierenden Reserve aufgegeben und steht mittlerweile einer Gegenwart wie der Dantoschen uneingeschränkt und vorbehaltlos zu Gebote. Und zwar so uneingeschränkt steht sie hiernach der Gegenwart zur Verfügung, dass in der Tat der auf sie im Namen eines bestimmbar wirklichen, politischen Interesses der Gegenwart gezogene, spezifische Wechsel, den sie mit dem Resultat nicht unbedingt zwar der endgültigen Diskreditierung, wohl aber einer definitiven Exkommunikation dieses Interesses aus dem durch sie repräsentierten Zusammenhang historisch geltender Werte bei Kant noch unerbittlich zu Protest gehen lässt, bei Danto nicht etwa nun von ihr als solcher gedeckt und inhaltlich eingelöst, sondern mehr noch und vielmehr in den Blankoscheck einer durch sie im Blick auf kurzerhand alle, unbestimmt möglichen, "übergreifenden Konzeptionen"26 und "organisierenden Schemata"27 der Gegenwart ex officio wahrgenommenen Generalvertretung transformiert und in aller Form aufgelöst erscheint.

Es bedarf gewiss keiner besonderen konjekturalen Kraftanstrengung und spekulativen Glanzleistung, um diesen nachdrücklichen Sinneswandel der Vergangenheit, der sie die Bedeutung einer kraft aggregathafter Voreingenommenheit gegen jedes wirkliche Interesse der Gegenwart als bloß abstrakt "vernünftigen Zweck" sich empirisch verwahrenden Reprobationsinstanz verlieren und die Funktion stattdessen eines dank systematischem Einvernehmen alle möglichen Interessen der Gegenwart als universal verbindliche wesentliche "Faktoren" empirisch sanktionierenden Legitimationsinstruments gewinnen lässt, à conto einer Entwicklung zu schreiben, die die der bürgerlichen Gesellschaft während der zwischen Kant und Danto sich erstreckenden beiden Jahrhunderte ist und deren Leitmotiv und Zentralthema die ökonomisch-politische Karriere ausschließlich jener, mit ihren spezifischen Interessen und Intentionen als der Bezugspunkt und das Kriterium einer "narrativen Organisation" der Vergangenheit von Kant sei's überhaupt nur erst probehalber gesetzten, sei's immerhin bereits paradigmatisch vorausgesetzten, bürgerlichen Gegenwart bildet. Schließlich ist wesentlicher Inhalt dieser Karriere der in einer Umwälzung der gesamten gesellschaftlichen Empirie resultierende Triumph der bürgerlichen Gegenwart über eben den – in der falschen Unmittelbarkeit und Totalität seiner absolutistischen Restauration perennierenden – Gesellschaftszusammenhang feudaler Tradition, dem als ökonomisch kaum weniger als politisch vorherrschendem die geschichtsphilosophische Reflexion eines Kant sich noch offenbar konfrontiert findet und mit Rücksicht auf den sie, unserer Interpretation zufolge, die von ihr im Namen der bürgerlichen Gegenwart als deren Geschichte reklamierte Vergangenheit empirisch jedenfalls und de facto der ihr zugedachten Funktion eines nurmehr legitimierend historischen Perfekts noch ebenso sehr widerstreiten, wie in der unwillkürlichen Rolle eines geradezu legitimistisch gegengeschichtlichen Imperfekts sich behaupten sieht. Das heißt, das, was die bürgerliche Gegenwart nicht bloß im Zuge, sondern gleichermaßen im Interesse dieser ihrer Karriere unternimmt, im – konkrete Verarbeitung nicht weniger als abstrakte Überwindung intendierenden – Doppelsinn des Wortes aufzuheben und nämlich ebenso sehr in eine nach ihrem eigenen Bilde geschaffene neue Welt sozialer Bestimmungen und Verhältnisse umzuformen, wie durch dies in Geltung gesetzte, neue Bestimmungs- und Verhältnissystem kurzerhand aus der Welt zu schaffen, ist eben der, nicht sowohl traditionell herrschende als vielmehr in absolutistischer Zuspitzung herrschsüchtig konservierte feudalgesellschaftliche Kontext, den als ein mit der Gegenwart um die Vergangenheit anschaulich-handgreiflich konkurrierendes Präsens wir zuvor meinten, als den Realgrund jener empirieimmanenten Widerstände und sachspezifischen Abwehrmechanismen dingfest machen zu können, denen mit Rücksicht auf den von ihm propagierten, konstitutionshistorischen Versuch einer gegenwartsorientierten Geschichtsschreibung Kant noch begegnet und die er höchstens und nur zu Topoi einer naturhaften Absichts- und Ziellosigkeit theoretisch zu entschärfen vermag. Was liegt unter solchen Umständen näher als anzunehmen, dass für jenen, ihr Verhältnis zur Gegenwart angehenden, konstitutionsgeschichtlich radikalen Gesinnungswandel der Vergangenheit diese, das Verhältnis der Gegenwart zu sich selbst als zu ihrem unmittelbar empirischen Dasein betreffende, realpolitisch triumphale Veränderung wenn nicht überhaupt den Beweggrund und die direkte Ursache bildet, so jedenfalls aber die causa sufficiens und zureichende Bedingung darstellt. Die absolut naturhafte Indifferenz, die im spekulativen Projekt des historisch reflektierenden, politischen Philosophen Kant die als substantiell empirisches Imperfekt unbeirrt sich behauptende Vergangenheit den ihr als idealer "Leitfaden" angebotenen "vernünftigen Zwecken" der Gegenwart bezeigt, schien uns selbstverständlich bedingt durch das factum brutum jener Empirie, die die aufkommende bürgerliche Gegenwart nicht zwar in der vorausgesetzt unmittelbaren Gestalt der feudalen Tradition, wohl aber in der reaktiv gesetzten Form ihrer absolutistischen Restauration vorfindet und die als dies Vorgefundene in der Tat die Bedeutung eines in eifersüchtiger Wahrnehmung seiner nicht weniger unerledigt als ungleichzeitig anderen Absichten und Bedürfnisse den spezifischen Interessen und Intentionen der Gegenwart noch ebenso machtvoll wie bestimmt widerstrebenden und auf der ganzen Linie also der ihm als der Verstand seines Daseins eigenen intentionalen Verfassung mit der Gegenwart konkurrierenden Präsens hat. Muss dann aber nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit die relativ natürliche Zuneigung, die im analytischen Konstrukt des zeitgenössisch relativierenden, philosophischen Historikers Danto die stattdessen nunmehr zum funktionell historischen Perfekt allzeit bereite Vergangenheit den ihr als strukturale "Organisationsschemata" zugemuteten "übergreifenden Konzeptionen" der Gegenwart beweist, uns als strikt vermittelt gelten durch das unterdes geschaffene fait accompli der Auslösung jener Empirie aus der formvollendeten Negativität dieses durch spezifisch andere Absichten und Bedürfnisse determinierten, restaurativ kompletten Gegensystems und mit der Gegenwart absolutistisch konkurrierenden Präsens und ihrer Verwandlung in den prätentionslos reaffirmativen Inhalt eines ausschließlich durch die Interessen und Intentionen der Gegenwart selber konstituierten und in der Sichselbstgleichheit eines der Gegenwart eigenen corpus civile etablierten Erfahrungszusammenhangs?

Hat, wie wir meinen, die von Kant wahrgenommene und für seine besondere geschichtsphilosophische Reflexion bestimmende naturhafte Zurückhaltung, mit der die Vergangenheit der frühbürgerlichen Gegenwart und ihren "vernünftigen Zwecken" begegnet, ihren Grund und Bezugsrahmen in eben dem absolutistisch reaktivierten, feudalgesellschaftlich traditionellen Kontext, den zum Verschwinden zu bringen und vielmehr aufzuheben, offenbar eine conditio sine qua non der Karriere der "aus dem Untergang der feudalen Gesellschaft hervor (gehenden) modernen bürgerlichen Gesellschaft"28 ist, so kann die von Danto registrierte und für seinen allgemeinen historischen Relativismus maßgebende, natürliche Aufgeschlossenheit, in der demgegenüber nun die Vergangenheit der entwickelten bürgerlichen Gegenwart und ihren "übergreifenden Konzeptionen" sich präsentiert, schwerlich überraschen. Was sonst soll diese – die entwickelte bürgerliche Gegenwart im Allgemeinen betreffend- unmittelbare Zuneigung und dies – ihre "Voraussetzungs-Komplexe"29im einzelnen berührend – spontane Entgegenkommen der Vergangenheit sein, wenn nicht das Resultat der unterdes vollzogenen Überführung jener die frühbürgerliche, "empirisch abgefasste" Geschichtsschreibung dominierenden Empirie aus dort der Heterogenität eines mit der Gegenwart konkurrierenden, alternativen Präsens in hier die Sichselbstgleichheit eines durch die Gegenwart selber konstituierten, integrativen Erfahrungszusammenhangs. Wie jene Empirie es ist, die in Gestalt der der bürgerlichen Gesellschaft vorausgesetzten, feudalgesellschaftlich-absolutistischen Realität der Vergangenheit eine von aktivem Widerstand kaum unterscheidbare, unbestimmt negative, naturhafte Zurückhaltung speziell gegenüber den von der frühbürgerlichen Gegenwart in Vorschlag gebrachten "vernünftigen Zwecken" auferlegt, so ist sie es nun auch, die, transformiert mittlerweile in die systematisch gesetzte Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft selbst, der Vergangenheit vielmehr die Haltung einer pauschal affirmativen, natürlichen Aufgeschlossenheit in Ansehung überhaupt aller, von der hoch- und spätbürgerlichen Gegenwart in Mode gebrachten "übergreifenden Konzeptionen" eingibt. Und wie sie es ist, die durch die charakterologische Figur dort der von ihr der Vergangenheit auferlegten Zurückhaltung unfreiwillig den reflexionistisch vorgestellten Mechanismus der Aneignung provoziert, dem gemäß der Geschichtsphilosoph Kant die historische Legitimation der "vernünftigen Zwecke" partout und gerade der bürgerlichen Gegenwart durch die apriorische Konstruktion einer im schroffen Widerspruch zu aller "bloß empirisch abgefassten Historie" sich entfaltenden, spezifisch gegenwartsorientierten "philosophischen Geschichte" sicherstellen will, so ist sie es denn auch, die in der phänomenologischen Form hier der stattdessen von ihr der Vergangenheit eingegebenen Aufgeschlossenheit zielstrebig den relativistisch wahrgenommenen Automatismus der Zueignung erzeugt, dank dem der Geschichtsphilosoph Danto die historische Reaffirmation der "übergreifenden Konzeptionen" auch und natürlich der bürgerlichen Gegenwart durch die fundamentale Struktur einer aller empirischen Abfassung der Historie als solcher eingeschriebenen, unspezifisch gegenwartsbezogenen "narrativen Organisation" garantiert finden kann.

Die Empirie also, die dort als das factum brutum eines der bürgerlichen Gesellschaft widerständig vorausgesetzten, anderen sozialen Organismus die Umfunktionierung des an sie fixierten empirischen Imperfekts in gegenwartsorientiert interessierte Geschichte hintertreibt respektive nur im unverbindlichen Medium des empirielos fiktiven Aneignungsmechanismus der von Kant propagierten "philosophischen Geschichte" passieren lässt, ist es nun auch, die hier nach ihrer eigenen Transformation ins fait accompli eines durch die bürgerliche Gesellschaft eigenständig gesetzten, identischen corpus civile diese Umfunktionierung der Vergangenheit sua sponte besorgt oder vielmehr zu dem unwiderstehlich unmittelbaren, im empirischen Imperfekt selber wirksamen Zueignungsautomatismus der von Danto registrierten "narrativen Organisation" aufhebt. Dies als die augenscheinlich zentrale Voraussetzung des qua Relativismus konstatierten neuen Verhältnisses zur Vergangenheit ins Auge gefasst, scheint auf den in der Kantischen Perspektive verhaltenen, ungebrochen ersten Blick die jenem Zueignungsautomatismus entspringende und mit der phänomenologisch guten Miene rückhaltloser Aufgeschlossenheit gegenüber den "übergreifenden Konzeptionen" der Gegenwart sich vollbringende, unmittelbare Relativität des empirischen Imperfekts als solchen in ganz und gar affirmativer Bedeutung in der Tat synonym mit dem vollständigen Triumph eben des erklärten Bedürfnisses, das als Bedürfnis der bürgerlichen Gegenwart nach Herstellung einer konstitutionsgeschichtlichen Kontinuität mit der Vergangenheit die geschichtsphilosophische Konstruktion Kants zwar durch und durch motiviert, dessen wirkliche Befriedigung diese Konstruktion indes bloß erst in der exzentrischen Figur "unserer späten Nachkommen", denen, die Vergangenheit "nur aus dem Gesichtspunkte dessen, was sie interessiert,... (zu) schätzen", "ohne Zweifel" einmal vergönnt sein wird, beschwörerisch zu antizipieren vermag. Schließlich ist ja der Mangel der zur Befriedigung eines so prononcierten Bedürfnisses von Kant in Vorschlag gebrachten "philosophischen Geschichte" dies, dass sie, entsprechend der tatsächlichen Unvermitteltheit der durch sie verfochtenen "vernünftigen Zwecke" der Gegenwart mit dem factum brutum einer der Gegenwart ebenso naturhaft widerstehenden wie naturwüchsig vorausgesetzten, feudalen Empirie, in diskriminierender Diskrepanz zu jeder irgend "empirisch abgefassten Historie" ihre idealisch fiktive Bahn beschreiben muss. Und dementsprechend scheint denn auch die als Bedürfnisbefriedigungsmittel von Danto stattdessen in Rechnung gestellte "narrative Organisation", die unübersehbar dadurch gerade sich auszeichnet, dass sie entsprechend der Verankerung der mit ihr zur Geltung gebrachten "übergreifenden Konzeptionen" der Gegenwart im fait accompli einer durch die Gegenwart selber ebenso natürlich beherrschten wie naturgemäß gesetzten, zivilen Erfahrung, für eine jede, irgend "empirisch abgefasste Historie" das strukturell automatische Kernstück bildet, sonnenklarer Beweis der Behebung jenes Mangels und authentischer Ausdruck einer im Gegenteil dem Bedürfnis nunmehr zuteil werdenden vollkommenen Genugtuung. Hat die um jenes Desiderats einer Aneignung der Vergangenheit durch die bürgerliche Gegenwart willen von Kant projektierte transzendentalphilosophische Reflexivität ihre konstitutionelle Unzulänglichkeit und ihre, sie einer bloß illusorischen Wirksamkeit verdächtig machende, entscheidende Schwäche darin, dass ihr schlechterdings nicht gegeben ist, eine gegenwartsorientiert und das heißt, "vernünftig" interessierte Geschichte hervorzubringen, die zugleich und im mindesten auf empirischer Grundlage "abgefasste Historie" wäre, so kann und muss eine empiriologische Relativität wie die von Danto demgegenüber realisierte, deren Bestimmung es im genauen Gegenteil ist, keine auf empirischer Grundlage "abgefasste Historie" mehr zu kennen, die nicht kraft eben dieser ihrer empirischen Abfassung zugleich und zur Gänze "begrifflich" und das heißt, gegenwartsbezogen interessierte Geschichte wäre, in der Tat als die reife Frucht und das süße Fazit eines im Sinn der Erfüllung jenes Desiderats durchschlagenden Erfolgs erscheinen.

Entsprechend dieser, ganz und gar in der Konsequenz der Kantischen Perspektive gelegenen Lesart, der zufolge die im historischen Relativismus registrierte unmittelbare Relativität der Vergangenheit allem Anschein nach nichts weiter darstellt als das Ergebnis der auf der Grundlage anderer empirischer Verhältnisse erfolgreichen Ersetzung dort einer in formal projektiver Aneignungsarbeit nur erst symbolischen Wunscherfüllung durch hier eine in material effektiver Zueignungstechnik entschieden wirkliche Bedürfnisbefriedigung, scheint nun aber auch der dies Ergebnis registrierende historische Relativismus selber eigentlich gar nichts anderes sein zu können als triumphierende Feststellung und höchstens noch genussvolle Begutachtung des demnach auf der ganzen Linie eben jenes Verlangens der bürgerlichen Gegenwart nach konstitutionsgeschichtlicher Selbstvergewisserung errungenen Siegs. Das heißt, es scheint mit dem Fug und Recht der durch den Kantischen Blick auf eine Nachkommenschaft, der, die Vergangenheit "nur aus dem Gesichtspunkte dessen, was sie interessiert,... (zu) schätzen", zu guter Letzt "ohne Zweifel" vergönnt sein wird, eindeutig definierten, anfänglichen Zielsetzung vom historischen Relativismus selber dies erwartet werden zu können, dass in dem Maß, wie im Moment jener für sein Entstehen konstitutiven Relativitätserfahrung er einerseits offenkundig bestimmt ist, nur die mittlerweile tatsächlich erreichte, empirisch-objektive Vermitteltheit der Vergangenheit mit den "übergreifenden Konzeptionen" der bürgerlichen Gegenwart zum Ausdruck zu bringen, er nun aber auch andererseits sich dazu versteht, die aus solcher Vermitteltheit der Vergangenheit resultierende, automatisch interessierte Geschichte als das gesetzte Ziel und den realisierten Zweck der Veranstaltung sich gefallen zu lassen.

Fußnoten

... "Struktur"13
Arthur C. Danto, Analytische Philosophie der Geschichte, Frankfurt a. M. 1974, S. 215.
... haben."14
Ebd., S. 33-34.
... Systementwurfs15
Dass hier die einschlägige Kantische Unterscheidung zwischen "transzendental" und "ideal", zwischen gesetzgebender Konstitutions- und richtungweisender Regulationstätigkeit vernachlässigt beziehungsweise verwischt wird, könnte befremden. In der Tat weist die von Kant vorgetragene "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" alle Züge einer regulativen Idee, nicht den Charakter eines transzendentalen Konstitutivs auf. Aber so wesentlich im Rahmen der Kantischen Kritik dieser Unterschied sein, so sehr er eine (am Ende zur ontologischen geratende) Differenz nicht bloß im Modus der Organisation, sondern mehr noch im Wesen des Machens von Erfahrung bezeichnen mag – im Blick auf das factum brutum einer "empirisch abgefassten Historie" bleibt er nichtsdestotrotz vernachlässigenswert. Gegenüber der Naturwüchsigkeit und falschen Unmittelbarkeit unkritisiert traditioneller Empirie beziehungsweise unaufgeklärt habitueller Positivität bleibt die ideengebende Regulation nicht weniger als die gesetzgebende Konstitution, bleibt eine die Erfahrung inspirierende nicht weniger als die die Erfahrung bestimmende Reflexionstätigkeit ein projektiv-planender und das heißt, ein transzendentalprogrammatischer Akt.
... Erkenntnis"16
Danto, a.a.O., S. 182.
... Begriffe"17
Ebd., S. 176.
... Grundkonzeptionen"18
Ebd.
... "Organisationsschemata"19
Ebd., S. 182.
... (belasten)"20
Ebd., S. 230-231.
... können"21
Ebd., S. 183.
... Organisation"22
Ebd., S. 230.
... tun"23
Ebd.
... Voraussetzungen"24
Ebd., S. 171.
... gemäßen"25
Ebd., S. 183.
... Konzeptionen"26
Ebd., S. 190.
... Schemata"27
Ebd., S. 183.
... Gesellschaft"28
Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, Werke, Bd. 4, Berlin 1974, S. 463.
... "Voraussetzungs-Komplexe"29
Danto, a.a.O., S. 171.