5. Der Herr des Seins


In der jüdischen Glaubensgemeinschaft entdecken die Hoffnungslosen Geistesverwandte, die indes nicht in Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit leben, obwohl sie einen noch radikaleren und nämlich jeden Wesensbezuges baren ontologischen Trennstrich zwischen transzendentem Sein und immanentem Schein ziehen. Für sie ist die Sphäre des Scheins einschließlich des Menschen eine Wortschöpfung beziehungsweise ein Kunstgebilde des in der Transzendenz bleibenden absolut verschiedenen göttlichen Subjekts und nicht wie im Wesenskult ein Erzeugnis des göttlichen Subjekts, das in ihrer Erzeugung von seinem wahren Sein abgefallen ist und sich in die Immanenz verirrt hat. Während der Wesenskult dem menschlichen Selbst einen göttlichen Funken attestiert, gesteht der jüdische Schöpferglaube der menschlichen Kreatur nur dieses sie von der übrigen Schöpfung unterscheidende Moment von Gottähnlichkeit zu, ein Bewusstsein der ontologischen Kluft zu haben, die sie von ihrem Schöpfer trennt.

Während die Hoffnungslosen nun aber staunend den religiösen Aufruhr der Vielen, ihren synkretistischen Karneval, ihr imperiumsweites Bemühen um kultische Bewahrung oder gnostische Rettung beobachten, stellen sie plötzlich fest, dass sie mit ihrer Klarsicht, ihrer illusionslosen Nüchternheit gar nicht so völlig allein sind, wie sie dachten, und entdecken sie nämlich unter den Vielen, den törichten Heilssuchern, ihresgleichen, andere, die ebenso wie sie von der Erkenntnis der unendlichen Verschiedenheit zwischen irdischem Diesseits und himmlischem Jenseits durchdrungen, vom Bewusstsein der absoluten Kluft zwischen menschlichem Dasein und göttlichem Sein erfüllt sind, ohne deshalb allerdings – und hierin unterscheiden sich letztere von ihnen und behaupten eine aller substanziellen Divergenz zum Trotz intentionale Affinität zu den törichten Gottgläubigen und verblendeten Heilssuchern – in Hoffnungslosigkeit und Resignation zu verfallen.

Was sie mit anderen Worten im Panoptikum des sei's vom weltsüchtigen "Haltet die verlorene Stellung!", sei's vom weltflüchtigen "Rette sich, wer kann!" beherrschten Synkretismus entdecken, ist eine Glaubensgemeinschaft, die ohne den Kernpunkt, den ansonsten verbindlichen Fokus antiker Religiosität, nämlich ohne die Sakralisierung des irdischen Daseins durch die göttliche Macht, ohne die kultische Verwandlung der Welt in einen integrierenden Bestandteil der göttlichen Wirklichkeit auskommt und sich vielmehr ebenso feierlich wie offen zur modallogisch-unendlichen Verschiedenheit der irdischen Immanenz von der eben deshalb gar nicht als solche erscheinenden, sondern als atopisches Überall und Nirgends firmierenden himmlischen Transzendenz bekennt, sich in aller religiösen Form mit der unüberbrückbar-ontologischen Differenz zwischen menschlicher Existenz und göttlichem Sein abfindet, die aber dennoch nicht wie die aus der Götzendämmerung des imperialen Konkurses hervorgegangenen Klarsichtigen und Desillusionierten in Hoffnungslosigkeit und Resignation versinkt, nicht den Lebensmut verliert und die innerweltliche Zuversicht einbüßt, sondern aus ihrer Wahrnehmung der unbedingten Transzendenz einen der Stütze, die die anderen Kulte bieten, durchaus vergleichbaren Halt gewinnt, aus ihrer Beziehung zum göttlich absoluten Sein einen dem Zuspruch, den die übrigen Religionen bereithalten, ohne weiteres ebenbürtigen Trost schöpft.

Und diese religiöse Haltung der in einem Winkel des östlichen Mittelmeerraums und in Gemeinden, die sich von dort aus im Reich verbreitet haben, ihr ebenso unauffälliges wie beharrliches Dasein fristenden jüdischen Glaubensgemeinschaft – denn von ihr ist die Rede! – hebt sich nicht nur dadurch markant von der Einstellung aller übrigen, götter- und opferkultlichen Glaubenssysteme der Antike ab, dass sie als konstitutives Moment ihres dogmatischen Vorstellens und kultischen Vollbringens eben jene Klarsicht und Illusionslosigkeit pflegt, die ansonsten das letzte Ergebnis der allgemeinen Auflösung dogmatischer Überzeugungen und der restlosen Entzauberung kultischer Beschwörungen ist – sie fällt auch und vor allem dadurch aus dem Rahmen herkömmlicher Religiosität, dass sie solche, ihrem Gottesglauben eingeschriebene Klarsicht und Illusionslosigkeit nicht erst in der Konsequenz der wesenskultlichen Brechung einer vorausgegangenen theokratisch-opferkultlichen Tradition gewinnt, sondern sie vielmehr von Anfang ihres frühen Bestehens an und also in media re dieser theokratisch-opferkultlichen Tradition und als veritables Kontrastprogramm zu ihr ausbildet.

In der Tat ist nach allem, was wir wissen und was uns die – freilich erst in der allgemeinen Ära wesenskultlicher Besinnung, sprich zu Beginn der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends, kompilierten und edierten – heiligen Texte der Gemeinschaft, ihre biblischen Bücher, verraten, seit Entstehung der Gemeinschaft in der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrtausends das Bewusstsein von der unüberbrückbar ontologischen Differenz der transzendenten Macht, das Wissen von Gott als von dem kraft seines ausschließlichen Seins die Welt mitsamt allen menschlichen Subjekten zu seiner selbstherrlichen Schöpfung, seinem Bild- und Blendwerk, seinem Kunst- und Phantasieprodukt erklärenden anderen Subjekt grundlegender Bestandteil ihrer dogmatischen Perspektive und kultischen Verhaltensweise. Und in der Tat steht damit diese besondere Glaubensgemeinschaft im diametralen Widerspruch zu sämtlichen theokratischen Kulten, von denen sie umgeben ist und deren zentrales Anliegen ja vielmehr die opferkultliche Überbrückung, wo nicht gar Beseitigung der zwischen göttlicher Transzendenz und menschlicher Immanenz klaffenden Differenz und die Sanktionierung und Sakralisierung des diesseitigen Daseins als einer in Kontinuität mit dem jenseitigen Sein gewahrten Wirklichkeit ist.

Wenn die Theokratien, die opferkultlichen Religionssysteme der alten Welt, etwas gemeinsam haben und auf einen Begriff zu bringen sind, dann ist das – wie an früherer Stelle gezeigt – die Angst vor der Offenbarkeit der modallogisch unbedingten Verschiedenheit, des ontologisch absoluten Andersseins jenes ex improviso gesellschaftlichen Reichtums auftauchenden anderen Subjekts, das die mit ihm geschlagenen Gesellschaften zuerst in die Gestalt eines als irdischer Herrscher affirmativen Herrn des Reichtums zu bannen, dann, nach dessen Verscheiden in die Majestät des Todes, seinem Verschwinden im chthonischen Jenseits, mittels Ahnenkult an die diesseitige Welt zu binden und in sie zu integrieren, und schließlich, nach der Anonymisierung und Atopisierung der Stammesahnen zu den ebenso unverbindlichen wie nichtssagenden Göttern des neuen Staats und der damit heraufbeschworenen Gefahr eines hybriden Rückfalls des irdischen Herrschers in den alten, ihn als Ahnherrn etablierenden Totenkult in dem gegen diese Gefahr aufgebotenen und als Konkretisierung des Verhältnisses zu den Göttern konzipierten Opferkult als die in all ihrer unbedingten Fremdheit, ihrem absoluten Anderssein jäh wieder aufgetauchte Macht zu verdrängen und in der Latenz zu halten bemüht sind.

Aus dieser die Religionsentwicklung leitenden Perspektive einer auf den sukzessiven Stufen wiederkehrenden Verwahrung der Gesellschaft gegen die Indifferenz und Negativität, mit der jenes andere Subjekt ex actu seiner modallogisch-unbedingten Verschiedenheit, seiner absolut-ontologischen Differenz ihr entgegentritt, ist, wie gezeigt, der im Zentrum des theokratischen Systems stehende Opferkult nichts anderes als ein wiederholungsträchtiges Hin und Her zwischen dem sakramentalen Versuch, durch Huldigung an die als wahre Herren des Reichtums zitierten Götter der in der Hybris des irdischen Herrschers und ihren totenkultlichen Folgen drohenden symptomatischen Wiederkehr des anderen Subjekts zu wehren, und dem sakrifiziellen Bemühen, die im Huldigungsakt sich statt dessen ereignende änigmatische Manifestation des anderen Subjekts, seine sakrilegische Epiphanie, wieder aus der Welt zu schaffen.

Und genau aus dieser Perspektive, aus der die Religionsentwicklung als eine im theokratischen System gipfelnde und ebenso fortlaufende wie fruchtlose Anstrengung erscheint, durch Ermäßigung der modallogisch-unbedingten Verschiedenheit und des ontologisch-absoluten Andersseins des anderen Subjekts zur topisch-spezifischen Besonderheit und systematisch-relativen Differenz die unendliche Indifferenz und reine Negativität zu verdrängen, mit der das andere Subjekt die menschliche Welt konfrontiert und kraft deren es diese für im Grunde Schein und so gut wie nichts erklärt, sie mit anderen Worten als Sein fundamental entwertet, als Wirklichkeit radikal negiert – genau aus dieser Perspektive stellt sich nun aber die jüdische Religion als ein Kontrastprogramm par excellence, ein Sprung heraus aus dem theokratischen Verdrängungszusammenhang und hinein in eine theologische Erkenntnis dar, die Gott die Ehre, seiner unverstellten Wahrheit Raum gibt und nämlich diesem von aller sonstigen Religion verdrängten factum brutum sich öffnet, dass vor dem einzigen Sein des anderen Subjekts alles menschliche Dasein zum chronischen Schein vergeht, dass vor der ausschließlichen Wirklichkeit seiner Transzendenz alle erscheinungsweltliche Immanenz zur haltlosen Illusion sich verflüchtigt.

Was die theokratische Religion wie zuvor schon der Toten- und Ahnenkult um keinen Preis wahrhaben will und was sie mit aller Macht, der ganzen Macht ihrer götterkultlichen Sanktionierungslehren und ihrer opferkultlichen Sakralisierungsveranstaltungen, vom Bewusstsein fern zu halten und aus der Welt zu eliminieren strebt, die als grenzenlose Indifferenz, als maßlose Negativität erfahrene nackte Wahrheit nämlich, dass die apriorische Verschiedenheit, das voranfängliche Anderssein, worin das andere Subjekt sich präsentiert, eine als Zeitensprung unheilbar chronologische Lücke, eine als Moduswechsel unüberbrückbar ontologische Kluft aufreißt zwischen ihm in seinem unbedingten Sein, seinem absoluten Jenseits, und dem menschlichen Dasein, das demnach nicht etwa als eine Art Sein aus seinem Sein hervorgeht, sondern vielmehr als bloßer Schein aus ihm herausfällt, das nicht etwa als topisches Diesseits an sein Jenseits anschließt, sondern vielmehr als illusorisches Datum von jenem Jenseits ausgeschlossen ist – diese nackte Wahrheit also macht die jüdische Glaubensgemeinschaft zum affirmativen Ausgangspunkt ihrer Religion, erklärt sie im eklatanten Widerspruch zu aller theokratischen Gepflogenheit zur grundlegenden Tatsache, zur Konstitutionsakte ihres Glaubens.

Und nicht nur ihres Glaubens, ihres dogmatischen Begriffs, sondern auch und ebenso sehr ihres Weltbilds, ihrer mythologischen Anschauung, ihrer Vorstellung davon, wie es zu jenem Schein außerhalb des Seins des anderen Subjekts, zur Erscheinungswelt und dem in sie eingebundenen menschlichen Dasein, überhaupt kommt: Gleich zu Anfang ihrer heiligen Schriften, beim Bericht über die Entstehung der Welt, stellt die Gemeinschaft durch die Art und Weise, wie sie die von den benachbarten Theokratien übernommene Entstehungsgeschichte aufgreift und verändert, ihre radikal neue Perspektive, ihre Entschlossenheit, Gott die Ehre seiner absoluten Transzendenz zu geben, sprich, das andere Subjekt in seiner ganzen ontologischen Exklusivität zur Geltung zu bringen, unmissverständlich klar.

Während die im babylonischen Enuma elisch überlieferte theokratische Version von der Weltentstehung erstens das für die Schaffung der Welt verantwortliche Subjekt als typische, eponymisch bestimmte Gottheit vorführt, das heißt, in einer förmlichen petitio principii mit Persönlichkeitszügen ausstattet, die es als Kind eben der Welt ausweist, die es doch erst schaffen soll, und zweitens und vor allem die zu erschaffende Welt in ihrem Rohzustand als eine Gottheit sui generis, sprich, als ein dem Subjekt, das sie als Welt erschaffen soll, konsubstanzielles Objekt behauptet – während also die theokratische Version von der Weltentstehung dafür Sorge trägt, dass sich Schöpfer und Geschaffenes durch ebenso viel ontologische Kontinuität wie phänomenologische Affinität miteinander verbunden zeigen, strebt die jüdische Schöpfungsgeschichte offenbar das genaue Gegenteil an: Einerseits arbeitet sie durch Reduktion des Ungetüms Tiamat auf das Unding Tohuwabohu zielstrebig darauf hin, dass die Welt in ihrem Rohzustand allen eigenen Seinscharakter, alle materielle Bestimmtheit einbüßt und sich zu einer jeder Formung zugänglichen amorphen Rohmasse, jeder Prägung offenstehenden leeren tabula rasa homogenisiert, sprich, die Natur eines dem göttlichen Subjekt gegenüberstehenden körperlichen Gegenstands oder realen Objekts verliert und die Figur einer dem göttlichen Subjekt vorliegenden räumlichen Entfaltungsebene oder idealen Projektionsfläche hervorkehrt, und andererseits verschlägt sie dem göttlichen Schöpfer so entschieden alle natürlichen Eigenschaften und persönlichen Qualitäten und abstrahiert sein Sein so gründlich von jedem materiellen Dasein, reduziert es so ganz und gar auf den einen und einzigen Äußerungsmodus und Wirkmechanismus des sprachlichen flatus voci, des quasi immateriellen Stimmhauchs, des ausgestoßenen und in der Ausstoßung Geist oder Gespenst gewordenen Worts, dass die mittels dieses einzigen Wirkmechanismus vollbrachte Schöpfung nun nolens volens die Bedeutung eines durch ontologische Kontinuität charakterisierten ursächlichen Handelns, eines substanziell-kausalen Einwirkens hier eines Subjekts auf dort ein Objekt ablegt und vielmehr alle Züge einer durch phantasmagorische Expressivität ausgezeichneten bildnerischen Darstellens, eines imaginären Tuns oder halluzinatorischen Agierens annimmt, bei dem kein eigenständiger Gegenstand bearbeitet, kein äußeres Objekt geschaffen, sondern nur eine dem Subjekt eigene Einbildung hervorgebracht und vorgestellt, nur ein subjektives Projekt als solches objektiviert, sprich, auf der qua Tohuwabohu vorhandenen Projektionsfläche entworfen und sichtbar gemacht wird.

Indem diese revidierte Fassung von der Entstehung der Welt die Objektivität, aus der die Welt entsteht, zum ebenso nichtssagenden wie bestimmungslosen Rohstoff, zu einer in Formlosigkeit sich erschöpfenden Materie verflüchtigt und das Subjekt, das die Welt entstehen lässt, zu einer absolut verborgenen Macht, zu einem einzig und allein durch seine Stimme präsenten, durch sein Wort offenbaren geheimen Akteur par excellence abstrahiert, legt sie den Grund für eine creatio ex nihilo, bei der, weil die Substanz der Welt reines Substrat, ihr Sein nichts als Supposition und deshalb ihr Erschaffer eigentlich nur Schöpfer, ihr sachkundig-werktätiger Stifter in Wahrheit zauberkräftig-wortmächtiger Erfinder ist, der vorgebliche Produktionsprozess sich vielmehr als schierer Projektionsvorgang, die Bearbeitung als Beschwörung, das Tagwerk als Tagtraum erweist.

Und damit aber hat diese eigentümliche Schöpfungsgeschichte nachgewiesen, quod erat demonstrandum, hat diese die Welt als göttliche Phantasie zu verstehen gebende Genesis vorgeführt, was als der dogmatische Kern der jüdischen Religion, als von Anfang an das Credo der jüdischen Glaubensgemeinschaft, gelten kann: die Einsicht nämlich, dass zwischen der transzendenten Macht, der sie die Ehre gibt, und der immanenten Sphäre, der sie selbst verhaftet ist, keinerlei substanzielle Affinität beziehungsweise reelle Kontinuität besteht, dass vielmehr jenes andere Subjekt, das als der Herr firmiert, und diese eine Welt, die als sein Geschöpf figuriert, modallogisch so unendlich verschieden, ontologisch so absolut unvergleichlich sind, dass selbst schon die Präsentation ihres Verhältnisses in Begriffen der Transzendenz und Immanenz in die Irre geht, und dass also Jahwe seiner Kreatur, er, der seinsmächtig ist, dem, was er wortgewaltig erscheinen lässt, so ewig verschlossen bleibt, wie eben Sein dem Schein, Wirklichkeit der Möglichkeit, Reales dem Imaginären definitiv, weil definitionsgemäß, sich entzieht.

Anders als die theokratische Vorlage, die in der Welt eine göttliche Tatsache, ein durch die Gottheit ebenso mühsam wie handgreiflich produziertes und eben deshalb aber am göttlichen Sein partizipierendes, substanzielles Faktum sehen möchte, gewahrt die diese Vorlage radikal modifizierende monotheistische, Gott als dem, der allein ist, die Ehre gebende, alttestamentarische Version in der Welt nichts als ein von Gott ausgestoßenes Wortgebilde, eine ebenso phantasievoll wie anschaulich explizierte Fiktion und stellt damit sicher, dass der Schöpfer dieses Geisteswerks, der Akteur dieser Tatsache, die nicht Erzeugnis eines realen Herstellungsprozesses, sondern Zeugnis verbaler Vorstellungskraft ist, mit seiner Kreation ebenso wenig in einem chronologischen Zusammenhang steht und eine ontologische Ebene teilt wie ein Sprecher mit den Figuren seiner Rede, ein Autor mit den Gestalten seines Romans, ein Träumer mit den Bildern seines Traums.

Freilich ordnet der jüdische Glaube, indem er die Welt als das Werk der göttlichen Einbildungskraft, als eine Wortschöpfung, eine verbal geäußerte Vorstellung des ihr wie das Leben dem Gedanken, die Wirklichkeit der Illusion entzogen bleibenden und in der absoluten Verborgenheit seines ausschließlichen Seins anwesenden beziehungsweise in der abgründigen Offenbarkeit seiner Schöpfung aus dem Nichts abwesenden anderen Subjekts behauptet, diese als die Schöpfung göttlicher Einbildungskraft offenbare, wortentsprungene Welt dem als ihr Schöpfer in der Verborgenheit seines Seins, in der Absolutheit seiner Lebendigkeit perennierenden, weltentzogenen Subjekt mit solcher Eindeutigkeit zu und legt sie ihm, wenn man so will, mit solcher Ausdrücklichkeit in den Mund und mit solcher Entschiedenheit zur Last, dass damit Verirrungs- und Abfalltheorien von der Art, wie sie die spätere, wesenskultliche Einsicht in den bloßen Erscheinungscharakter der Welt, die ungöttliche Substanzlosigkeit des irdischen Daseins kultiviert, von vornherein ausgeschlossen sind und also auch der Versuchung, die qua Wesensbezug konzipierte Möglichkeit einer Rückkehr aus der Verirrung und einer Revokation des Abfalls ins Auge zu fassen, ein für allemal ein Riegel vorgeschoben ist.

Wenn später in Reaktion auf die Pseudotranszendenz, die der dionysische Naturkult gegen das Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem theokratisch-fronwirtschaftlicher Reichtumsproduktion aufbietet, der aristokratische Wesenskult die wahre Transzendenz des Wesens, des zeitlos vergangenen Seins, das alles, was außer ihm ist, für nichts erklärt, geltend macht und damit nolens volens in Kauf nimmt, dass sub specie dieser Negativität des Wesens die natürliche und gesellschaftliche Welt gleichermaßen, das ganze irdische Dasein, der Irrealisierung und Disqualifizierung verfällt und sich als haltloser Schein und chronisch illusionär entlarvt, dann erscheint diese vergleichbar einer Schöpfung aus dem Nichts irrealisierte und entsubstanzialisierte Welt beileibe nicht als das projektive Werk und imaginative Produkt eines gegenüber dem, was es sich vorstellt, was es verbal hervorbringt, in seinem wirklichen Leben verharrenden, in seinem Sein ewig bleibenden anderen Subjekts – das ist hinter den kultischen Alibis, den falschen Götzen des theokratischen Olymp längst verschwunden und in Vergessenheit geraten! –, sondern diese entwirklichte und entwertete Welt erscheint vielmehr als Resultat und Konsequenz eines Abfalls des anderen Subjekts von sich selbst, einer halluzinatorischen Ausschweifung und scheinerzeugenden Seinsvergessenheit, durch die das andere Subjekt seiner apriorischen Integrität, seiner voranfänglichen Sichselbstgleichheit verlustig geht und sich quasi in seinen eigenen Traum verirrt, sich in sein von Anbeginn falsches, weil ein vor aller Zeit wirkliches Sein um eines chronisch vergänglichen Scheins willen preisgebendes Beginnen verläuft.

Dass es das apriorische Subjekt selbst ist, das uno actu seiner halluzinatorischen Erzeugung der Welt sich dieser ausliefert und in ihr verliert, bedeutet nun zwar einerseits, dass diese Welt zu absoluter Eigenmächtigkeit verselbständigt, vollständiger Gottverlassenheit preisgegeben erscheint und in der Totalität des Scheins, als die sie sich entfaltet, in der illusionären Selbstsetzung, in der sie ihren Grund behauptet, nichts außer sich hat, nichts als das durch den ursprünglichen Abfall im relationslosen Abgrund ontologischer Verschiedenheit verschwundene eine Sein, und auf nichts zurückblickt, auf nichts als auf die durch den vorzeitlichen Sprung aus der Ewigkeit in die Vergänglichkeit zum chronologischen Unding, zum Wesen, verspielte wahre Wirklichkeit. Weil die Welt die Erscheinung des in ihr von sich selbst abgefallenen und mit ihr seines Seins verlustig gegangenen anderen Subjekts ist, ist nun aber andererseits auch dies Moment von unverlierbarer Selbständigkeit in ihr, dies als göttlicher Funke in der Finsternis der Verblendung perennierende Moment von wie immer scheinverfallener Subjektivität oder illusionärer Substanz, an das sich der Glaube an eine Überwindung des Scheins knüpfen beziehungsweise die Hoffnung auf eine Rückkehr ins Sein klammern kann.

Mag der Erzeuger dieser Welt, das von sich selbst, seinem absoluten Anderssein abgefallene Subjekt noch so entschieden sein Sein verloren und zum Schein sich verlaufen haben, solange es, das Subjekt, es ist, das sich verlaufen und sein Sein verloren hat, bleibt es das fortlaufende Unterpfand für eine dennoch denkbare Wiedergewinnung des Verlorenen, der unverlierbare Anhalts- und Wendepunkt für eine dennoch mögliche Rückkehr. Eben weil es ja nur chronisch vergänglicher Schein ist, dem das Subjekt unter Preisgabe seines zeitlos vergangenen Seins verfallen ist, weil es ja nur flüchtige Illusion ist, in die es sich verirrt und um derentwillen es seinen Bestand, seine Wirklichkeit aufgegeben hat, braucht das Subjekt, all seiner Scheinverfallenheit und Illusionssucht zum Trotz, im Grunde nur die Wahrnehmung des Scheins als das, was er ist, als bloße Vorspiegelung von Sein, die Erkenntnis der Illusion als des in der Prätention von Wirklichkeit sich erschöpfenden Gaukelspiels, das sie ist, um den Schein als in Wahrheit nichts, die Illusion als vor der Wirklichkeit verschwindend zu gewahren und sich selbst in das quasi aus dem Nichts offenbare Sein restituiert, in der aus dem Verschwinden unvermittelt auftauchenden Wirklichkeit neu geborgen zu finden.

In der Tat sind es dieser paradoxe Glaube an die prinzipielle Unverlierbarkeit des von seinem eigenen Schwindelunternehmen in Bann geschlagenen, seinem eigenen Verlustgeschäft zum Opfer gefallenen verantwortlichen Subjekts und autorschaftlichen Selbstes und die an dies unverlierbare Selbst sich knüpfende spekulative Hoffnung auf eine im Prinzip immer denkbare und als in eins Bankrotterklärung und Offenbarungseid, Schuldbekenntnis und Vermögensbeweis jederzeit machbare restitutio in integrum der unvergänglichen alten Wirklichkeit oder des ewig neuen Seins – in der Tat sind es dieser Glaube und diese Hoffnung, was der durch die relative, sozialkritische Negativität des dionysischen Naturkults in die Enge getriebenen theokratischen Aristokratie überhaupt nur erlaubt, der Wahrheit die Ehre zu geben und die absolute Negativität, die unendliche Indifferenz des das irdische Dasein als Schein entwertenden, die Welt zur Illusion entwirklichenden Wesens in den Blick zu fassen.

Nur weil das aristokratische Individuum des ausgehenden theokratischen Zeitalters glaubt, durch diesen seinen als essenzielles Selbst firmierenden unverlierbaren Subjektstatus des wahren Seins und ewigen Bestehens wenn schon nicht aktuell mächtig, so jedenfalls doch potenziell teilhaftig zu sein, und nur weil es hofft, durch das Hintertürchen dieses ihm unverbrüchlich gegebenen Reflexions- und Fluchtpunkts dem chronisch vergänglichen Dasein im zeitlos bleibenden Prinzip den Rücken kehren, sich der Welt flüchtiger Erscheinungen in die Sphäre einer nichts als Sein gewahrenden reinen Sichselbstgleichheit entziehen zu können, nur also, weil es auf die reservatio mentalis oder salvatorische Klausel eines identitätslogischen Bezugs zum Wesen baut, der ihm bei aller Verfallenheit ans irdische Dasein und Verstrickung in die Erscheinungswelt doch allemal als Rettungsleine zum Ausstieg aus dem Dasein, als Fluchtroute heraus aus der Erscheinungswelt zur Verfügung steht, nur deshalb kann sich das aristokratische Individuum jene wesenskultliche Kehrtwendung leisten, die das eine Sein ins Nichts einer ontologisch-absoluten Differenz eskamotiert zeigt, die wahre Wirklichkeit in die unendliche Transzendenz entrückt erweist und dementsprechend aber das Dasein zum Scheinzusammenhang entwirklicht, die Immanenz zur Illusionsmalerei entwertet vorstellt.

Von solcher reservatio mentalis weiß der inmitten der theokratischen Ära ausbrechende jüdische Glaube nichts, von solcher salvatorischen Klausel ist er, der im Bannkreis opferkultlicher Sakralität unvermittelt in Erscheinung tritt, himmelweit entfernt! Wie sollte er auch davon etwas wissen, dazu die mindeste Affinität aufweisen können? Schließlich ist aus seiner schöpfungsgeschichtlichen Perspektive die Welt nicht Resultat eines Abfalls des anderen Subjekts von sich selbst, nicht Faktum einer Fehlentwicklung, durch die sich das andere Subjekt selbst aus seinem zeitlos apriorischen Sein in eine chronisch vergängliche Scheinsphäre verirrt, sondern sie ist Produkt eines selbstmächtigen Einfalls des anderen Subjekts, ist dessen wortgewaltige Exposition und einbildungskräftige Projektion, durch die es, in seinem apriorischen Sein, seiner absoluten Transzendenz verharrend, sich – wie man will und je nachdem, wie man sein Engagement bewertet, ob man ihm Ernsthaftigkeit oder Scherzhaftigkeit unterstellt – einen Zeitvertreib sucht, ein Spielzeug ersinnt, einen Traum erfüllt, ein Kunstwerk schafft. Schließlich ist mit anderen Worten das für die Welt verantwortliche Subjekt kein Träumer und Halluzinierer, der sich unter Preisgabe seines wahrhaftigen Seins und wirklichen Lebens in seinem eigenen Traum verwirkt, sich in seinem eigenen Gewirk verirrt, sondern ein Schöpfer und Bildner, der, ohne sein wahrhaftiges Sein aufs Spiel zu setzen und seinem wirklichen Leben Abtrag zu tun, die Welt sich vorstellt, sie als Werk seiner artikulierten Einbildungskraft und Sprachmächtigkeit vor sich erscheinen lässt.

Wie sollte wohl in dieser bloß vorgestellten und von dem, der sie vorstellt, wie Schein vom Sein, Traum von Wirklichkeit, Kunst vom Leben verschiedenen Welt der Vorstellende als solcher enthalten sein, der Schöpfer selbst seine Wohnung haben, so dass, wenn er die Vorstellung verwürfe, seine Schöpfung preisgäbe, er selbst, wie aus einem Traum erwachend oder seinem eigenen Bilde entsteigend, sich in seinem apriorischen Sein restituiert, in seiner unverfälschten Wirklichkeit reaffirmiert fände? So gewiss die Konstruktion dieser Weltentstehungsgeschichte vielmehr auf der klaren Trennung und strikten Verschiedenheit zwischen seiendem Schöpfer, lebendigem Gott, und wortmächtig ersonnener Schöpfung, imaginativ vorgestelltem Werk insistiert, so gewiss ist alles in der Schöpfung bar jeder ontologisch-substanziellen Teilhabe an dem in der Selbstherrlichkeit seines ebenso exklusiven wie alleinigen Seins sie ersinnenden Schöpfer und weist nichts in der weiten Welt die mindeste chronologisch-biographische Kontinuität mit ihrem in der Einzigartigkeit und Absolutheit seines wirklichen Lebens sie als künstliche Apparatur, als quasi wirklichen Mechanismus, als scheinlebendigen Automaten entwerfenden Urheber auf.

Und dieses ontologische Verdikt erstreckt sich auch und ebenso sehr auf den Menschen, der, weit entfernt davon, Träger eines göttlichen Funkens, Verkörperung eines unverlierbar wesenhaften Selbstes, Epiphanie des wie auch immer chronischem Schein verfallenen und an nichtige Illusionen verlorenen Subjektes a priori eines zeitlos vergangenen Seins und einer aus nichts perennierenden Substanz zu sein, vielmehr nur ein Geschöpf unter anderen, ein allen übrigen Geschöpfen gleichgeartetes Traumgebilde, Gedankending oder Kunstprodukt, kurz, Teil der vom anderen Subjekt, dem Herrn des Seins oder lebendigen Gott, wortmächtig vorgestellten oder imaginationskräftig auf der wüsten und leeren Projektionsfläche ins kunstreiche Werk gesetzten Erscheinungswelt ist.

Die Akzentverschiebung von der Lautgestalt zur Tonfigur, vom dichterischen Wortwirken zum bildnerischen Formgeben, die der Verfasser der Geschichte dabei vornimmt, indem er alle Kreatur aus zauberisch gewirkter Sprache und nur den Menschen aus künstlerisch geformter Erde hervorgehen lässt, soll dabei nicht etwa einen ontologisch erheblichen Unterschied zwischen dem Menschen und den übrigen Geschöpfen suggerieren, sondern nur der dem Menschen zugesprochenen Gottesebenbildlichkeit oder Ähnlichkeit mit dem Schöpfersubjekt ebenso metaphorisch wie illustrativ Rechnung tragen. Weil anders als die übrige kreatürliche Objektivität der Mensch sich in einem einzigen Punkt als Abbild der Subjektivität des Schöpfers erweist, legt der Verfasser, um die nicht nur in Sachen Objektivität, sondern auch in puncto Subjektivität dennoch fortbestehende absolute Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf deutlich zu machen, den Akzent nicht auf die Unwirklichkeit und Scheinhaftigkeit dieses besonderen Geschöpfes, sondern auf seine Unlebendigkeit und Künstlichkeit.

Der einzige Unterschied zur restlichen Schöpfung, den der in seiner Version von der Entstehung der Welt kodifizierte jüdische Glaube an die unüberbrückbar ontologische Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf dem Menschen zugesteht, ist, wie die folgende Geschichte von der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies zeigt, das Bewusstsein, das der Mensch von der zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen unüberbrückbar bestehenden ontologischen Kluft hat beziehungsweise erwirbt. Anders als die übrigen Geschöpfe weiß der Mensch, was eigentlich nur sein Schöpfer wissen kann, dass nämlich er, der Schöpfer, lebt und im Sein ist, Wirklichkeit hat, während die ganze Schöpfung, der Mensch eingeschlossen, bloß eine bildliche Vorstellung des Lebendigen, eine vom wirklich Seienden wortmächtig imaginierte künstliche Erscheinung ist. Nur im Blick auf dieses Bewusstsein von der eigenen bildlichen Unwirklichkeit und apparathaften Künstlichkeit, das er mit seinem Urheber teilt, lässt sich vom Menschen sagen, dass ihn sein Schöpfer sich zum Bilde, gottähnlich, geschaffen hat. Eine Lehmfigur, die weiß, dass sie bloße, von einem lebendigen Künstler geschaffene Lehmfigur ist und dass sie an der Lebendigkeit ihres Bildners ebenso wenig teilhat wie alle seine anderen Bildwerke, ist doch zugleich im Punkte dieses Selbstbewusstsein von allen anderen Bildwerken unterschieden und ihm, dem ex origine seiner Lebendigkeit mit Selbstbewusstsein, mit dem Wissen von der ontologischen Differenz zwischen sich und seiner Schöpfung, zwischen Leben und Kunst, Wirklichkeit und Einbildung begabten Schöpfer, ähnlich und vergleichbar.

Freilich eben nur in diesem einen Punkte, in diesem reflexiven Moment des Bewusstseins von der Lebendigkeit und Wirklichkeit des Kreators und der Künstlichkeit und imaginären Beschaffenheit der Kreatur ist der Mensch dem lebendigen Gott ähnlich, dem Herrn der Welt vergleichbar; ansonsten ist er durch eben das, was ihm sein Bewusstsein anzeigt, durch seine Kreatürlichkeit, seine bildwerkhafte Künstlichkeit, seine vor dem lebendigen Gott offenbare Unlebendigkeit, unendlich von letzterem getrennt. Mag ihm sein Schöpfer auch einen Atem, eine Seele einblasen, eine Art von Lebendigkeit einhauchen, im Vergleich mit dem unvergleichlichen Schöpfer selbst bleibt er doch immer ein Wirklichkeit imitierendes Phantasiegebilde und Kunstprodukt, ein Lebendigkeit simulierender Automat und Golem.

Sein Selbstbewusstsein, das, was den Menschen gottähnlich macht, erweist sich so zugleich als bloßer Schattenriss des Selbstbewusstseins des Schöpfers, als Vexierbild göttlicher Sichselbstgleichheit: Es ist Bewusstsein von der eigenen Unselbständigkeit und Substanzlosigkeit, Bewusstsein vom Selbst als dem unvermittelt anderen, dem absolut fremden Subjekt. Eben die als Selbstverhältnis bestimmte Reflexionsform, die als solche Inbegriff des Zusichkommens und Beisichseins, Siegel gediegener Identität, ist, erweist sich beim Menschen, weil sie ihn sich nicht als Wesen sui generis, als substanzielle Wirklichkeit zu Bewusstsein bringt, sondern als Hirngespinst eines alter idem, als akzidentielles Machwerk vorstellig werden lässt, weil sie ihn mit anderen Worten nicht seiner Natürlichkeit, seines Hervorgegangenseins aus einer aus sich heraus zu einer ganzen Welt sich entfaltenden Objektivität, sondern seiner Kreatürlichkeit, seiner Geschaffenheit durch ein die ganze Welt als sein Gedankenspiel imaginierendes Subjekt versichert – eben diese Reflexionsform erweist sich nun also bei der menschlichen Kreatur als die Negativfolie des Selbstverhältnisses dieses als sein Kreator firmierenden anderen Subjekts und lässt ihn mithin unendlich außer sich geraten, lässt ihn Identität als absolute Entfremdung erfahren.

So gesehen scheint denn aber auch, was den Menschen von aller übrigen Kreatur trennt und was ihn vor ihr auszeichnet, das ihm wie Gott verfügbare Bewusstsein von sich selbst, einzig und allein zu seinem Unglück ersonnen, nur und ausschließlich ihm zum Tort verhängt. Relative Gottähnlichkeit gewinnt er nur, damit er seiner absoluten Gottunähnlichkeit gewahr wird, Selbstbewusstsein schenkt ihm sein Schöpfer nur, damit er erkennen kann, dass er kein Selbst hat oder, besser gesagt, dass sein Selbst das in sich reflektierte, in unmittelbarer Lebendigkeit verhaltene und ihn, den Menschen, als seelenlose Nachbildung, mechanischen Apparat, kunstreichen Automaten aus sich heraussetzende und von sich ausschließende Selbst seines Schöpfers ist. Eben das, was dem Geschöpf Mensch unter den anderen Geschöpfen seine Sonderstellung gibt, ihm seine Unverwechselbarkeit, seine Identität verleiht, macht es zum Monstrum, zu einem ins Bild gebannten identitätslosen Doppelgänger oder entfremdeten Reflex dessen, der das Bild gemalt beziehungsweise geformt hat, zu einer Laune nicht der Natur, sprich, der Leinwand, sondern des Meisters und seines als Pinsel fungierenden Wortes beziehungsweise seiner figürlich gestaltenden Hand, einer Ausgeburt, die vielmehr Hirngespinst ist, weil sie keinem fruchtbaren Schoß, sondern einem sinnreichen Kopf entspringt.


Als verantwortlich für die Erkenntnis der ontologischen Differenz führt die Schöpfungsgeschichte die sexuelle Erfahrung und das ihr gegebene Ineins von Erfüllung und Vernichtung an. Aber gleichzeitig dementiert die Geschichte auch diese Version und bringt die menschliche Arbeit in Zusammenhang mit dem Differenzbewusstsein, allerdings nicht in ihrer wahren Funktion als Reichtum produzierende und auch nicht als für jenes Bewusstsein konstitutiven Faktor, sondern bloß als durch das Bewusstsein verschuldetes indikatives Faktum.

So sieht es jedenfalls die der Geschichte von der creatio ex nihilo unmittelbar folgende Parabel vom Sündenfall des Menschen und seiner Vertreibung aus dem Garten Eden. Solange der Mensch das ihn auszeichnende Bewusstsein seiner bloßen Geschöpflichkeit, sprich, seiner angesichts dessen, der ist, des lebendigen Gottes, offenbaren substanzlosen Künstlichkeit und haltlosen Unwirklichkeit noch nicht erworben beziehungsweise aktualisiert hat, lebt er im Einklang mit der übrigen Schöpfung, im Stande der Unschuld, im Paradies. Was ihn dieses Bewusstsein von seiner bloßen Kreatürlichkeit erwerben und seine Unschuld verlieren, zum im Punkte des Wissens von seiner absoluten Gottunähnlichkeit relativ gottähnlichen Menschen werden lässt, ist, der Parabel zufolge, seine Sexualität, dies, dass der Schöpfer ihn als ein Mann und ein Weib erschafft. Sein Geschlechtsleben, die Vereinigung der Geschlechter im Liebesakt, versetzt den Menschen in einen Zustand lustvoller Befriedigung, umfassender Erfüllung, der ihn für einen Augenblick der Mangelhaftigkeit seines empirischen Daseins entreißt, aus der Hohlheit seiner erscheinungsweltlichen Verfasstheit heraustreibt und der Erfahrung einer seinem empirischen Dasein unbekannten Wirklichkeit teilhaftig werden, zum Erlebnis eines seiner erscheinungsweltlichen Verfasstheit als solcher verschlossenen Seins erhebt.

Dieser Augenblick orgastischer Wirklichkeitserfahrung, den das Geschlechtsleben beschert, dieses Moment orgiastischen Seinserlebens wird zum Index wahrer Wirklichkeit, zur Chiffre des göttlichen Seins. Uno actu seines indikativen Eintretens aber erweist er sich auch als definitives Verdikt über das empirische Dasein, als kategorisches Urteil über die Hohlheit und Vergänglichkeit der erscheinungsweltlichen Existenz, die ihn, den Augenblick sexueller Befriedigung und Erfüllung, erlebt. Als Moment substanziellen Bestehens, Augenblick zeitloser Ewigkeit vermittelt der Liebesakt ein Bewusstsein der wahren Wirklichkeit, die Erkenntnis des göttlichen Seins, aber so gewiss er hierbei das substanzielle Bestehen auf ein verschwindendes Moment im akzidentiellen Zusammenhang des empirischen Daseins reduziert zeigt, die zeitlose Ewigkeit in einen flüchtigen Augenblick im zeitlichen Kontinuum überführt erscheinen lässt, so gewiss spricht er das vernichtende Urteil über das empirische Dasein und entpuppt er sich als der Reflexions- und Umschlagspunkt, in dem die erscheinungsweltliche Existenz, der wahren Wirklichkeit und des göttlichen Seins für einen Wimpernschlag in sexu ansichtig, vielmehr der eigenen Unwirklichkeit und Scheinhaftigkeit inne wird und also die Erfahrung der Wirklichkeit mit dem Bewusstsein des kategorischen Ausgeschlossenseins von ihr büßt, das Erlebnis des Seins mit der Erkenntnis seiner ontologischen Trennung von ihm bezahlt.

So gesehen, behalten beide Gewährsleute des Sinns der Parabel, beide parabelinternen Interpreten, die göttliche Stimme und die verführende Schlange, recht: Weil er im Augenblick sexueller Erfüllung die Erfahrung wahrer Wirklichkeit macht, das Bewusstsein des einen Seins erlangt, wird der Mensch wie Gott, ist er dem Schöpfer ähnlich, Abbild des Herrn des Seins; weil aber wegen ihrer Augenblickshaftigkeit und Flüchtigkeit diese Erfahrung ihn vom Erfahrenen vielmehr kategorisch ausschließt und auf seinen Mangel an Wirklichkeit zurückwirft, seines des Seins entbehrenden Scheincharakters überführt, bezahlt er das Erleben des göttlichen Lebens mit dem Sterben des eigenen Todes und geht sein erwachendes Selbstbewusstsein als beseligendes Bewusstsein von der Substanz und Ewigkeit des als Schöpfer reklamierten anderen Subjekts Hand in Hand mit der trostlosen Einsicht in die Substanzlosigkeit des eigenen Daseins, die Vergänglichkeit seiner selbst als bloßer Erscheinung. Und so gesehen, erweist sich der Liebesakt als Akt der Erkenntnis: der Erkenntnis der ontologischen Differenz zwischen Schöpfer und Schöpfung, zwischen dem ewigen Wohlstand des Seienden und dem chronischen Übelstand seiner Erscheinungen, zwischen der Wirklichkeit und Lebendigkeit dessen, der ist, und der Künstlichkeit und Hinfälligkeit derer, die er erschafft.

So ungefähr scheint sich der Verfasser der Parabel die Entstehung des Bewusstseins, das den Menschen aus der Reihe der anderen Geschöpfe heraussprengt und ihn uno actu des Moments von Gottesebenbildlichkeit, das es ihm verleiht, ins Unglück stürzt, seiner kreatürlichen Unschuld beraubt, aus dem Paradies vertreibt, vorzustellen. Glückserfahrung und unglückliches Bewusstsein, Eintritt in die Gottesebenbildlichkeit und Auszug aus dem paradiesischen Naturzustand, Menschwerdung und Vernichtung erscheinen in dem zum Akt der Selbsterkenntnis geratenden Akt geschlechtlichen Erkennens untrennbar miteinander verquickt.

Angesichts dieser Zuverlässigkeit, mit der sich der Mensch durch sein gottgegebenes Dasein, zu dem nach dem Willen des Schöpfers auch die Sexualität gehört, über die andere Kreatur erhebt und dabei sein eigenes Grab schaufelt, wirkt es wie schnöde, des allmächtigen Schöpfersubjekts ganz und gar nicht würdige Rachsucht, wenn dieses nun unter dem Vorwand, den Ungehorsam des Menschen, seine Missachtung der göttlichen Warnung vor der Erkenntnis der ontologischen Differenz zwischen göttlicher Lebendigkeit und menschlicher Künstlichkeit, zwischen urheberschaftlichem Sein und kreatürlichem Schein bestrafen zu müssen, die unparadiesischen Zustände, in die sich der erkennende Mensch verstoßen findet, die irdischen Lebensverhältnisse, für die der Verlust der paradiesischen Unschuld ihm die Augen öffnet, noch eigens unwirtlich gestaltet und nämlich, wie das Weib dazu verdammt, im Kindsbett zu laborieren, so den Mann dazu verurteilt, auf einem zur Unfruchtbarkeit verfluchten, mit Disteln und Dornen bewachsenen Acker Landarbeit zu betreiben und im Schweiße seines Angesichts sein dem kargen Boden abgewonnenes Brot zu essen. Es wirkt, als wolle der Schöpfer seinen Konstruktionsfehler bei der Fertigung der menschlichen Tonfigur dadurch überspielen und vergessen machen, dass er der Puppe selbst ihre resultierende Fehlleistung als ein Vergehen gegen die eigene Gebrauchsanleitung zur Last legt.

Lassen wir die Frage nach der Berechtigung beziehungsweise dem Sinn dieser Bestrafungsaktion aber erst einmal beiseite, so ist immerhin festzustellen, dass es modo obliquo oder quasi im Windschatten der fragwürdigen Reaktion des Schöpfers dem Verfasser der Vertreibungsparabel immerhin gelingt, einen Faktor in die Geschichte einzuführen, den er bis dahin offenkundig außer Acht gelassen hat und der doch nach allem, was unsere vielseitigen Entwicklungen und mehrbändigen Ausführungen erbracht haben, für die als Gotteserfahrung apostrophierbare Wahrnehmung des anderen Subjekts und die ontologischen Spaltungen beziehungsweise chronologischen Verwerfungen, die damit einhergehen, von entscheidender Bedeutung ist: die im Interesse der Selbsterhaltung geübte gesellschaftliche Arbeit nämlich als eine die geschlechtliche Aktivität zum Zwecke der Arterhaltung ebenso sehr fundierende und strukturell einschließende, wie ihr funktionell komplementäre und durch sie komplettierte menschliche Praxis. Wenn alle unsere bisherigen Überlegungen nicht völlig abwegig sind, ist entscheidend für die Erfahrung einer im ontologischen Sprung oder chronologischen Bruch das Kontinuum der natürlich-menschlichen Welt widerlegenden und mit einem Sein, das nicht von dieser Welt ist, einer diskreten Größe, die dem irdischen Kontinuum a priori entzogen ist, konfrontierenden göttlichen Macht, ist entscheidend für das Erlebnis des kraft seiner unbedingten transzendenten Wirklichkeit, seines absolut apriorischen Seins die natürlich-menschliche Welt als vermeintlich feste Gegebenheit irrealisierenden und als vorgeblich letzte Wahrheit disqualifizierenden anderen Subjekts die im Dienste der Selbsterhaltung geleistete gesellschaftliche Arbeit und der dank der kooperativ-arbeitsteiligen Produktivität der Arbeit hervorgebrachte materiale Reichtum und alles bloß subsistenzielle Bedürfnis übersteigende Überfluss.

Die der menschlichen Arbeit entspringende, vom Menschen in gemeinschaftlicher Anstrengung erzeugte Objektivität ist es, die, wie am Paradigma heroenmythologischer Konstruktionen gezeigt, den Menschen selbst als eigentlich handelndes Subjekt und wirklich maßgebenden Referenten widerlegt, indem sie ein anderes Subjekt auf den Plan ruft, ex improviso ihres Entstehens ein alternatives personales Wesen zur Geltung bringt, das die ebenso kruzifikatorische wie paradoxe Logik exerziert, gleichermaßen als der a priori wahre Herr und unvordenklich wirkliche Eigner dieser vom Menschen geschaffenen Objektivität zu erscheinen und kraft der unbedingten Indifferenz und absoluten Negativität, die es ihr beweist, diese Objektivität aber als bloßen Widerschein, bloßes Abbild eines ihr ewig entzogenen wahren Seins, ihr zeitlos vorausgesetzten wirklichen Habens zu entlarven und so denn also diese ganze Objektivität mitsamt dem Produktionsprozess, aus dem sie hervorgeht, und den Menschen, die diesen Prozess veranstalten, der Irrealisierung und Disqualifizierung einer einzigen großen Scheinbewegung und illusionären Anstrengung zu überantworten, sprich, als einen Weltlauf offenbar werden zu lassen, der nur symbolisch, nur in effigie, bei dem Sein und der Wirklichkeit anlangt, die es, das andere Subjekt, vor allem Weltlauf faktisch besitzt, in actu seiner aller Scheinbewegung überhobenen Ewigkeit genießt.

Diese vom Menschen als sein Werk in specie und als seine Welt in genere hervorgebrachte Objektivität, dieser von Menschenhand geschaffene beziehungsweise von Menschensinn ersonnene und die Natur, den Lebensraum der menschlichen Spezies, ins menschliche Zuhause, in eine zweite Natur des Menschen, sein Milieu, umgestaltende Zustand der Fülle und des Überflusses also ist es, was jene Erfahrung des als ein Zugleich von Subjektwechsel und Wechsel der Seinsebene erscheinenden absolut anderen Subjekts provoziert, die auch dem Konzept des alttestamentarischen Schöpfergottes zugrunde liegt – nur dass dem anderen Subjekt in seiner Rolle als Schöpfergott, aller objektiven Indifferenz und strukturellen Negativität zum Trotz, mit der es de abscondito seines wahren Seins und wirklichen Lebens der Schein- und Kunstwelt der menschlichen Subjekte begegnet, diese jedenfalls doch als seine, einer wie immer flüchtigen Laune stattgebende Kreation, sein, eine wie immer müßige Phantasie in Szene setzendes Werk attestiert und vorgehalten wird.

Dass für die Erfahrung jenes Zeit von Ewigkeit auflösenden chronologischen Subjekt- und Schein vor dem Sein verschwinden lassenden ontologischen Zustandswechsels, für die in der Geschichte vom Sündenfall als Akt der Vertreibung aus dem Paradies verstandene und als negative Selbsterkenntnis, als Bewusstsein fremden Heils und eigener Heillosigkeit, vorgestellte Erfahrung also der absoluten Differenz zwischen lebendigem Gott und menschlicher Tonfigur – dass für diese Erfahrung die Reichtum erzeugende gesellschaftliche Arbeit im Interesse der Selbsterhaltung grundlegend ist und nicht schon die Lust gewährende geschlechtliche Aktivität im Dienste der Arterhaltung die Basis liefert – davon hat auch der Verfasser der Parabel vom Sündenfall offenbar eine Ahnung, weshalb er jene eigentümliche Volte macht, den durch seine sexuell vermittelte Selbsterkenntnis seiner Unschuld beraubten und eigentlich schon aus dem Paradies vertriebenen Menschen unter dem Vorwand, ihn für seine Missachtung der plötzlich als Verbot gehandelten göttlichen Konsumwarnung bestrafen zu müssen, vom Schöpfer noch einmal eigens aus dem Paradies vertreiben und nämlich der beschriebenen unparadiesischen, weil ebenso schweißtreibenden wie ertragsarmen Arbeit auf unfruchtbaren Äckern überantworten zu lassen.

Wie wenig er dem sexuellen Lusterleben tatsächlich zutraut, jene negative Selbsterkenntnis, jenes Bewusstsein von der unendlichen Kluft zwischen lebendigem Schöpfer und künstlicher Kreatur, zwischen ewigem Sein und vergänglichem Schein, eindeutig und dauerhaft zu begründen, verrät er durch das Beiseite, das er dem Schöpfer in den Mund legt und in dem er diesen die Feststellung der vom Menschen nunmehr erreichten und im obigen Sinne zu verstehenden Gottähnlichkeit mit der Befürchtung verknüpfen lässt, der Mensch könne gar noch einen Schritt weiter tun und durch den Erwerb ewigen Lebens seinem Schöpfer vollständig gleich werden. Eben das Ereignis geschlechtlicher Lust, das als "Brechen vom Baum der Erkenntnis" dem empirischen menschlichen Individuum das Bewusstsein seiner Sterblichkeit und Vergänglichkeit, sprich, sein im Vergleich mit der Lebendigkeit und Seinsfülle des anderen Subjekts manifesten Künstlichkeit und Scheinbarkeit, vermitteln soll, kann demnach im genauen Gegenteil auch als erster Schritt zu einer im nächsten Schritt zu erreichenden und mit der Metapher eines "Brechens vom Baum des Lebens" umschriebenen neuen Bewusstseinslage verstanden werden, die dem Menschen erlaubt, "ewiglich zu leben", sprich, das Verhängnis des Todes abzuschütteln und in einen dem Sein des lebendigen Gottes nicht mehr nur ex negativo vergleichbaren, sondern positiv gleichgearteten Zustand überzuwechseln.

So paradox diese Volte des Verfassers der Parabel anmutet, wenn wir sie buchstäblich nehmen und als These von der Möglichkeit einer ontologischen Gleichstellung der Kreatur mit ihrem Schöpfer auffassen, so sinnvoll stellt sie sich dar, wenn wir sie als metaphorischen Ausdruck der Einsicht ansehen, dass, aller Selbstentzweiung und Entfremdung zum Trotz, die das Erlebnis sexueller Erfüllung für das in den Mängeln und Deprivationen seines empirischen Daseins befangene Individuum bedeuten mag, die Erfahrung einer unüberbrückbaren Kluft zwischen diesem empirischen Dasein und jenem Erfüllungszustand, sprich, eine der Todeserfahrung der Parabel vergleichbare Entwirklichung und Entwertung des empirischen Daseins, doch keineswegs die unvermeidliche Folge sein muss, da bei aller Fremdheit oder Exzentrik, die der Erfüllungszustand dem Individuum beweist, er ihm doch allemal subjektlos, als ein objektiver Seinsmodus, begegnet und deshalb nichts das Individuum davon abhalten kann, unter Inkaufnahme eines zuerst vielleicht als Selbstverlust erscheinenden Außersichseins zu jenem Erfüllungszustand überzulaufen, mit anderen Worten, sich unter Preisgabe seiner qua empirisches Dasein behaupteten alten Identität jenem anderen Seinsmodus als in ihm seine neue Sichselbstgleichheit findendes Subjekt anzuschließen.

Mag das Erlebnis des mit der Funktion der Arterhaltung verknüpften Lustzustands das gewohnte Dasein des empirischen Individuums noch so sehr transzendieren und es in seiner ganzen Defizienz und Substanzlosigkeit noch so schonungslos bloßstellen, es noch so sehr als bloßen Widerschein des generischen Seins, als bloßes Schattenbild der Wirklichkeit der Gattung bewusst werden lassen – weil jedenfalls das empirische Individuum selbst es ist, das jenen, wie immer als fundamental different sich präsentierenden Lustzustand erlebt, kann nun auch nichts es daran hindern, sich mit dem differenten Zustand zu identifizieren und, statt im Unterschied oder Gegensatz zu ihm auf seinem eigenen Dasein zu beharren und dafür dessen Entwirklichung und Entwertung zum akzidentiellen Ausdruck der generischen Substanz oder zum flüchtigen Moment des Bestehens der Gattung zur Kenntnis nehmen zu müssen, statt also seine abstrakte Selbstbehauptung mit dem Bewusstsein von der Unhaltbarkeit und Scheinhaftigkeit des so behaupteten Selbstes zu bezahlen, vielmehr einen nicht minder fundamentalen Paradigmenwechsel zu vollziehen und sein Dasein in eben jenem sexuellen Erfüllungszustand, eben jenem Erleben substanzieller Wirklichkeit seine Erfüllung und wahre Realität finden zu lassen, sprich, sich vorbehaltlos in den Dienst der Arterhaltung zu stellen, ihr als selbstloses Instrument, willfähriges Vehikel, als ein Selbst, das es selbst nur in der Entäußerung an sie, in der Aufopferung des empirischen Daseins an seinen generischen Zweck sein kann, zur Verfügung zu stehen.

Nichts hindert mit anderen Worten das empirische Individuum, jenes in der Hingabe an den generischen Zweck bestehende ewige Leben zu erringen, von dem der Verfasser der Parabel spricht und das, so wenig es auch dem Leben des lebendigen Schöpfers ontologisch gleich zu achten ist und so sehr es als das ewige Leben einer vom Schöpfer mit der Replikationsfähigkeit, dem Vermögen, sich fortzupflanzen, begabten Kunstfigur dem Leben des lebendigen Gottes nur im metaphorischen Sinne an die Seite zu stellen ist, in diesem metaphorischen Sinne des zwischen Subjekt und Substanz, empirischem Individuum und generischem Zweck erzielten Einklangs doch jedenfalls eine über alle bloße bewusstseinslogisch-negative Ähnlichkeit mit Gott hinausgehende seinsanalog-positive Gottesebenbildlichkeit darzustellen beanspruchen kann.

Damit die als Vertreibung aus dem Paradies firmierende rein negative Selbsterkenntnis, das Bewusstsein von der unendlichen Kluft zwischen ewigem Sein und vergänglichem Schein wirklich und unwiderruflich Platz greift, braucht es mehr als den durch geschlechtliche Aktivität zum Zwecke der Arterhaltung erzeugten Zustand sexueller Erfüllung: Es braucht vielmehr den durch gesellschaftliche Arbeit im Interesse der Selbsterhaltung hervorgebrachten Zustand materieller Fülle! Die Situation materieller Fülle, eine vom Menschen selbst, von ihm als arbeitsteilig-kooperativem Individuum, als Mitglied einer Gesellschaft produzierte Objektivität, und nicht schon der Zustand sexueller Erfüllung, eine dem Menschen als Organ, als phänotypischem Funktionsträger einer genotypischen Erbmasse, als Exemplar einer Gattung widerfahrende Realität – sie ist es, die im Augenblick des toto coelo anderen Lebens, das sie ihren Produzenten eröffnet, ihnen ein regelrechtes Gegenindividuum als den Konsumenten dieses Lebens, ein ganz und gar anderes Subjekt als denjenigen, dem dieses andere Leben vorbehalten bleibt, präsentiert und die ihnen kraft dieser ihrer unvermittelten Präokkupation durch ein anderes Subjekt, kraft dieses von ihr inszenierten Subjektwechsels jede Möglichkeit verbaut, nach dem Muster der im metaphorischen Sinne ewiges Leben verheißenden Identifizierung mit dem sexuellen Erfüllungszustand zu ihr, der Situation materieller Fülle, als zu einem das alte Dasein für abgetan erklärenden neuen Sein zu konvertieren, sich in ihr als in einer das bis dahin gewohnte Leben als solches zum vergleichsweise hohlen Schein erklärenden substanziellen Wirklichkeit gründlich verwandelt wiederzufinden.

Und nicht nur die Möglichkeit, zu ihr überzulaufen, verbaut diese als materielle Fülle, als gesellschaftlicher Reichtum geschaffene Objektivität ihren arbeitsteilig-kooperativen Produzenten durch jenen Subjektwechsel, dadurch also, dass sie ex improviso ihres Entstehens als ihren wahren Herrn und wirklichen Eigner ein toto coelo anderes Subjekt erscheinen lässt, sie lässt auch nicht einmal zu, dass die Produzenten diesen ihnen in die Quere kommenden, um nicht zu sagen, als Knüppel zwischen die Beine geworfenen alternativen Konsumenten wenigstens als privilegierten Ihresgleichen, als begünstigten Vertreter ihrer Art erkennen, dass sie ihn mit anderen Worten qua Identifikation mit dem Aggressor als ihren Repräsentanten, ihr Alter-Ego gelten lassen können, weil sie, die materielle Fülle, wie eingangs unserer Geschichte entwickelt, mit Grund, mit einer der reinen Willkür entzogenen Art von Logik jenem absolut anderen Subjekt sich ja nur unter der kruzifikatorischen Bedingung zueignen kann, dass sie sich zur bloßen nachbildlichen Reproduktion oder symbolischen Repräsentanz eines wahren Seins und wirklichen Habens entwirklicht und entwertet zeigt, das je schon das des anderen Subjekts, sein apriorisches Eigen ist und das in dem Augenblick, in dem sie, die materielle Fülle, es in effigie reproduziert, symbolisch präsent werden lässt und hierbei unvermeidlich auch seinen wahren Herrn und wirklichen Eigner, das andere Subjekt, auf den Plan ruft, von letzterem als seine von jeher alleinige Wirklichkeit reklamiert, sein a priori absolutes Eigentum restituiert wird. Genau dieser mit dem Subjektwechsel Hand in Hand gehende Seinswechsel, dieses Zugleich von ex improviso des Reichtums auftauchendem anderem Subjekt einerseits und Entwirklichung und Entwertung der Reichtumssphäre zum bloßen Abbild und Symbol einer mit dem anderen Subjekt vielmehr untrennbar verbundenen unbedingt differenten Wirklichkeit und absolut transzendenten Seinsfülle andererseits, erklärt ja die Indifferenz und Negativität, mit der das andere Subjekt dem menschlichen Werk in specie und der irdischen Welt in genere entgegentritt, und begründet das in solcher Indifferenz und Negativität seinen subjektiven Ausdruck findende objektive Dilemma der modallogisch ebenso unheilbaren Zäsur wie ontologisch unüberbrückbaren Kluft, die das menschliche Dasein vom Sein des anderen Subjekts trennt und ausschließt.

Die gesellschaftliche Arbeit im Interesse der Selbsterhaltung und ihr Resultat, die materielle Fülle, also sind es, denen jenes Bewusstsein der menschliches Dasein und göttliches Sein scheidenden modallogisch unbedingten Zäsur oder ontologisch absoluten Kluft entspringt, dessen Entstehung auch der Verfasser der alttestamentarischen Parabel von der Vertreibung aus dem Paradies nachforscht und das er fälschlich der geschlechtlichen Aktivität zum Zwecke der Arterhaltung und ihrer Konsequenz, der sexuellen Erfüllung, zuschreibt. Es ehrt die Intelligenz und Wahrheitsliebe des unbekannten Verfassers, dass er seinen Irrtum erkennt oder jedenfalls ahnt, dass er realisiert, wie sehr die Sexualität dem empirischen Individuum mit der Todeserfahrung, die sie ihm als solchem vermittelt, doch zugleich die Möglichkeit eröffnet, sich durch Identifizierung mit ihrem generischen Zweck in eine Art von Ewigkeitsperspektive, von unverbrüchlichem Leben, hinüberzuretten, und dass er mit wie immer blinder Zielsicherheit auf die Arbeit als auf den einzigen Faktor rekurriert, der durch sein Resultat, den Reichtum, jenes Bewusstsein vom irdischen Dasein als Schein und vom wahren Sein als dem eines toto coelo anderen Subjekts dem Menschen definitiv mitteilen, sprich, die Vertreibung aus dem Paradies unschuldigen Beisichseins unwiderruflich bewerkstelligen kann.

Weniger allerdings scheint seine Intelligenz und vor allem seine Wahrheitsliebe die Art und Weise zu ehren, wie er nun diesen durch die Erzeugung von Reichtum für das kriterielle Bewusstsein der Scheinhaftigkeit und Unwirklichkeit irdischen Daseins konstitutiven Faktor Arbeit in die Geschichte einführt. Tatsächlich führt er die Arbeit ja gar nicht als den konstitutiven Faktor, der sie ist, ein, sondern kommt zum Schluss der Geschichte auf sie als auf etwas selbstverständlich Vorausgesetztes, quasi eine Naturgegebenheit, ein fragloses Faktum menschlicher Existenz zu sprechen, nur um zu zeigen, wie übel sich das nach seiner Version nicht durch sie, sondern auf anderem Wege, dem der Sexualität, gewonnene kriterielle Bewusstsein dank des merkwürdigen Entschlusses des Schöpfers, den Menschen für dies fatale Bewusstsein, das er gewonnen hat, noch einmal eigens zu strafen, auf sie, die Arbeit, auf ihre Modalität, ihre äußeren Umstände und aktuellen Bedingungen auswirkt. Mutmaßlich in der Absicht, die gesellschaftliche Arbeit und ihr Produkt, die materielle Fülle, als eigentliche Ursache für das Bewusstsein jener ontologischen Differenz zwischen dem Menschen und dem anderen Subjekt, das der Mensch durch sein Tun auf den Plan ruft, nachzuweisen, sie im Nachhinein als wirklichen Grund für ein kriterielles Bewusstsein geltend zu machen, das sich durch die statt dessen bemühte Erfahrung sexueller Erfüllung offenbar nicht hinlänglich begründen lässt, gibt der Autor der Schöpfungsgeschichte diese seine mutmaßliche Absicht in dem Augenblick, in dem er sie fasst, auch schon wieder auf und beschränkt sich darauf, die Arbeit als bloß indikatives Faktum, als nach Maßgabe ihrer dornigen Ineffektivität und schweißtreibenden Mühseligkeit demonstratives Symptom für das Vorhandensein des auf ganz andere Weise zustande gekommenen kriteriellen Bewusstseins ins Spiel zu bringen.


Das Bewusstsein der ontologischen Differenz zwischen dem lebendigen Gott und seiner Kreatur nutzen die armen, an die Peripherie vertriebenen, halbnomadischen Stämme, die sich zur jüdischen Glaubensgemeinschaft formieren, um es den reichen, zivilisierten Nachbarn, die es verdrängen, entgegenzuhalten und sich durch es, wenn auch nicht praktisch zu sanieren, so immerhin doch theoretisch zu salvieren. Wie Jahrhunderte später die Schöpfer des Wesenskults steht aber die neue Glaubensgemeinschaft vor dem Problem, sich mit der sie selbst nicht weniger als die Nachbarn ontologisch vernichtenden Wahrheit ins Benehmen zu setzen, wobei in ihrem Fall das Problem sich zu der Aufgabe spezifiziert, ein Verhältnis zu dem lebendigen Gott zu gewinnen, den ihr Differenzbewusstsein bezeugt.

So wenig auf den ersten Blick diese vom Verfasser der Schöpfungsgeschichte vorgetragene phänomenologische Darstellung und systematische Einordnung der gesellschaftlichen Arbeit ihrer tatsächlichen Bedeutung für jenes menschenspezifisch-kriterielle Bewusstsein, die differenzielle Erkenntnis von Sein und Schein, aber auch gerecht werden mag, ein zweiter Blick auf die Lebensverhältnisse, unter deren Eindruck der Verfasser seine Geschichte konzipiert, genügt, um immerhin zu erklären, wie er zu solch einer fehlgeleiteten Darstellung und sachwidrigen Einordnung gelangt. Tatsache nämlich ist, dass zur Zeit der mutmaßlichen Abfassung der Schöpfungsgeschichte in genere und der Parabel vom Sündenfall in specie die Stammesgruppen, die sich zu einer Glaubensgemeinschaft um den als Schöpfergott, als Creator ex nihilo, konzipierten Herrn des Seins zusammenfinden und in denen jene Versionen vom Anfang der Welt und Beginn des Menschseins entstehen, reichtumserzeugende Arbeit, Arbeit, die dank eigener Produktivität und natürlicher Produktionsbedingungen einen permanenten Überfluss erzeugt, der auf fronwirtschaftlicher Basis kultisch sanktionierte Herrschaft und ihr gemäßen zivilisatorischen Wohlstand ermöglicht – dass diese Gruppen also Arbeit im emphatischen Sinne einer Subsistenz in Reichtum überführenden Aktivität, einer Tätigkeit, die durch den Stoffwechsel mit der Natur, das mit ihr praktizierte Geben und Nehmen, eine zweite Natur hervortreibt, die dem, für den sie da ist, dem Anschein nach nurmehr und unerschöpflich gibt, – dass diese Gruppen so geartete Arbeit schlicht und einfach nicht kennen.

Als eine staatlich ebenso unorganisierte wie zahlenmäßig unbedeutende Sammlung halbnomadischer Sippenverbände eingeklemmt zwischen den theokratischen Großreichen des Zweistromlandes, des Niltals und der kleinasiatisch-nordsyrischen Region sowie den reichen, handelsstädtischen Kleinstaaten entlang der mittelmeerischen Küste und dazu noch den die fruchtbaren Flusstäler okkupierenden kanaanitischen Stämmen an Größe und Durchsetzungskraft hoffnungslos unterlegen, findet sich diese quantité négligeable des palästinensischen Raums an die äußerste Peripherie, in die Randzonen der Wüsten und semiariden Regionen verdrängt und dort zu einer kümmerlichen Existenz verurteilt. In ihrem unfruchtbaren Lebensraum betreiben sie auf der Grundlage von Schaf- und Ziegenherden und einer auf die feuchten Frühlingsmonate beschränkten, ebenso kursorischen wie sporadischen Landbestellung eine Subsistenzwirtschaft, die ihnen in der Tat nur das nackte Überleben sichert und so weit entfernt von aller Reichtumserzeugung ist, dass es schon gelegentlicher Räubereien, kleinerer Einfälle in die gesegneteren Siedlungsgebiete ihrer kanaanitischen Nachbarn, das Land, wo Milch und Honig fließt, bedarf, um ihnen eine Ahnung von Überfluss zu verschaffen.

Wie sollten wohl diese armen Schlucker, die bald auf ihren mehr Steine als Brot liefernden und mangels Fruchtbarkeit jährlich wechselnden Äckern schuften müssen, bald als Viehhirten unstet ihre Trockenregionen nach den letzten noch nicht verdorrten Resten pflanzlicher Nahrung zu durchstreifen gezwungen sind, über Erfahrung in Sachen produktiver Arbeit und jenes durch die Arbeit hervorgetriebenen Zustands materieller Fülle verfügen, der die Basis des in ihrer Schöpfungsgeschichte von ihnen bemühten kritischen, zwischen dem Sein des der Fülle entsprungenen anderen Subjekts und dem Schein des eigenen irdischen Daseins im Sinne einer unüberbrückbar ontologischen Differenz unterscheidenden Bewusstseins ist.

Tatsächlich erklärt sich ja wohl aus der Unproduktivität ihrer Arbeit und der Kargheit und Armut des mittels ihrer gefristeten Lebens, warum diese am Rande der Wüste vegetierenden halbnomadischen Gruppen zur Begründung jenes Bewusstseins von Sein und Schein, das sie in ihrer Parabel vom Sündenfall reklamieren, die in der Rolle der Frau, im Symbol der Schlange und in der Fruchtmetaphorik kodifizierte sexuelle Erfahrung und das mit ihr einhergehende Befriedigungs- und Erfüllungserlebnis bemühen. Eben weil diese Gruppen die produktiver Arbeit entspringende und für die Erkenntnis der ontologischen Differenz zwischen dem Herrn des Seins und den Geschöpfen des Scheins grundlegende materielle Fülle gar nicht kennen, greifen sie auf die geschlechtliche Erfüllung als auf das einzige ihnen bekannte Phänomen zurück, das dem Erlebnis materieller Fülle in etwa vergleichbar scheint, machen sie die sexuelle Lust in der Funktion eines Reichtums der armen Leute, eines Habens der Habenichtse geltend.

So gesehen wäre denn, dass diese Gruppen die Erkenntnis der ontologischen Differenz auf die Erfahrung der geschlechtlichen Vereinigung zurückführen, auch gar nicht einfach nur ein Fehlgriff oder Irrtum; vielmehr hätten wir es hier mit Menschen zu tun, die auf jene Erkenntnis unbedingt Anspruch erheben, sie um jeden Preis für sich reklamieren wollen und die sich, weil ihre Lebensverhältnisse gar nicht den für die Erkenntnis nötigen Grund und Anlass hergeben, gezwungen sehen, einen zur Begründung wenigstens halbwegs tauglichen kompensatorischen Auslöser, eine dem wahren Grund wenn schon nicht ihrer materiellen Beschaffenheit, ihrer objektiven Disposition, so immerhin doch ihrer funktionellen Wirksamkeit, der durch sie bewirkten subjektiven Emotion nach analoge Ersatzempirie geltend zu machen.

Mag aber auch das dringende Bedürfnis nach dem Besitz einer Erkenntnis, die aus der Empirie der eigenen Lebensverhältnisse gar nicht zu gewinnen ist, erklären, warum diese Gruppen in ihrer Parabel von dem als Sündenfall firmierenden Gewinn jener Erkenntnis die fehlende Empirie materieller Fülle durch die Erfahrung sexueller Erfüllung ersetzen – das Bedürfnis selbst und die Dringlichkeit, mit der es auftritt, sind damit keineswegs erklärt. Warum sollten sich diese Gruppen um ein Bewusstsein reißen, das als Bewusstsein des Seins eines anderen Subjekts und des Scheins der eigenen Existenz denen, die seiner teilhaftig werden, doch nichts weiter bringt als eine fundamentale Irrealisierung ihrer gesamten Wirklichkeit, eine radikale Disqualifizierung ihres ganzen Daseins, und das deshalb all die Gesellschaften, in denen es authentisch auftritt und nämlich aus den tatsächlichen Lebensverhältnissen resultiert, den als gesellschaftlicher Überfluss erscheinenden Früchten ihrer unter günstigeren natürlichen Bedingungen geübten arbeitsteilig-kooperativen Aktivität entspringt, im Gegenteil eiligst mit dem beschriebenen Repertoire heroologischer und theokratischer Redinterpretation verdrängen beziehungsweise in eine reaffirmative, die Wirklichkeit der Wirklichkeit sanktionierende Sichtweise ummünzen.

Während sämtliche den kleinen halbnomadischen Sippenverband umgebenden, um nicht zu sagen einkreisenden, reichen und demgemäß mächtigen Völker größten Wert darauf legen und eifrig bemüht sind, das aus ihrer gesellschaftlichen Praxis sich objektiv ergebende vernichtende Bewusstsein von der Außerweltlichkeit des Seins und vom Schein der Welt so rasch wie möglich wieder aus der Welt herauszuschaffen beziehungsweise höchstens und nur in der revidierten Fassung des Bewusstseins von einem überweltlichen Sein zuzulassen, das kraft Opferkult die weltlichen Erscheinungen als seine eigene Wirklichkeit bezeugt und reaffirmiert – während also die Völker des Erdkreises, die Nationen ringsum, dieses Bewusstsein vom ontologischen Offenbarungseid der Erscheinungswelt scheuen wie der Teufel das Weihwasser, sollte umgekehrt dieser kleine Sippenverband, der mangels entsprechender Lebensverhältnisse nicht einmal imstande ist, jenes Bewusstseins originär oder aus eigener Kraft teilhaftig zu werden, derart erpicht darauf sein, es zu kultivieren, dass er, um sich in seinem Besitz zu zeigen, sogar bereit ist, sich eine alternative Methode zu seiner Gewinnung einfallen zu lassen und es als Resultat einer in der Substitution der Erfahrung materieller Fülle durch das Erlebnis sexueller Erfüllung bestehenden Ersatzempirie zu reklamieren?

So abenteuerlich und geradezu widersinnig diese Bestrebung auf den ersten Blick anmutet – wie schon bei der handgestrickten Art und Weise ihrer Realisierung genügt ein zweiter Blick auf die bedrängte Lage, den Notstand derer, die so handeln, um die Sache verständlich werden zu lassen. Schließlich ist es der materielle Reichtum, den die umgebenden Völker mit ihrer bewässerungs- und anbautechnisch avancierten agrarischen Produktion den von ihnen okkupierten fruchtbaren Gebieten abgewinnen, was ihnen ihre soziale und politische Macht verleiht und ihnen erlaubt, nomadische Gruppen wie jene hebräischen Sippenverbände aus ihren vormaligen ertragreichen Weidegründen zu vertreiben beziehungsweise von ihnen fernzuhalten und zu ihrer kümmerlichen, halbnomadischen Existenz an den Rändern der Wüstenregionen zu verdammen. Und schließlich ist es das solchem materiellen Reichtum unverhofft entspringende Bewusstsein von der Außerweltlichkeit des Seins und dem Schein der Welt, ist es die ex improviso solchen Reichtums sich machende Erfahrung vom transzendenten Sein des anderen Subjekts und seinem vernichtenden Verdikt über das immanente Dasein als Schein, was, wenn schon nicht politisch-ökonomisch, so allemal doch kultisch-ideologisch diese in ihrem materiellen Reichtum bestehende Seinsfülle und Machtbasis der Völker für nichts erklärt und als vor dem wahren Sein des anderen Subjekts, vor seiner ewigen Wirklichkeit vergehende kursorische Täuschung oder chronische Illusion offenbar werden lässt, ist es also jenes Bewusstsein vom Sein, das nicht von dieser Welt ist, und vom Schein, in dem diese Welt sich erschöpft, was dem Hab und Gut der Völker und ihrer darauf fußenden Kraft und Herrlichkeit, wenn schon nicht die faktenstiftend-suggestive Attraktivität und Eindrücklichkeit, so jedenfalls doch die beispielgebend-normative Substantialität und Verbindlichkeit verschlägt.

Eben weil das ex improviso ihrer ertragreichen Arbeit, ihrer Reichtumsproduktion, auftauchende andere Subjekt und das seiner Erfahrung entspringende Bewusstsein einer absolut ontologischen Differenz wie ihren Reichtum in specie, so ihre von letzterem geprägte Welt in genere mit Entwirklichung und Entwertung bedroht und als hohle Einbildung, als schlechthin eitel zu entlarven Miene macht, eben deshalb beeilen die Völker sich ja, diese Erfahrung mitsamt dem Bewusstsein, das ihr entspringt, zu verdrängen und durch die geschilderten, anfangs heroologischen und dann theokratischen Konstruktionen von überweltlichen Mächten zu ersetzen, die durch ihre dogmatische Anerkennung als Herren und Eigner gleichermaßen des menschlichen Reichtums und der irdischen Welt und durch ihre kultische Versorgung mit Stücken des Reichtums, mit weltlichen Gütern, kurz, durch Opfer, dazu gebracht werden können, entgegen der in ihnen als Repräsentanten des anderen Subjekts latenten Indifferenz und Negativität gegenüber menschlichem Reichtum und irdischer Welt Anteilnahme an der auf Reichtum gegründeten menschlichen Existenz zu beweisen und eine affirmative Haltung gegenüber dem in der Welt sich etablierenden irdischen Dasein einzunehmen.

Was Wunder dann aber, dass jene als die Leidtragenden des Etablierungsprozesses der Völker dastehenden halbnomadischen Gruppen, jene versprengten Sippenverbände, die sich als die Verlierer im Gewinnspiel einer auf fronwirtschaftlichem Reichtum gründenden herrschaftlichen Staatenbildung begreifen müssen und die sich ebenso sehr empirisch-historisch durch die auf die Reichtumsproduktion abgestellten agrarischen Aktivitäten der Völker von den fetten Weiden vertrieben und an die wüsten Ränder gedrängt, sprich, um ihr Erbe gebracht und der Verarmung ausgeliefert, wie systematisch-zivilisatorisch durch den Reichtum selbst, der das Habet der anderen ist, gesellschaftlich degradiert und ins kulturelle Abseits gestellt, sprich, nicht nur arm und bedürftig, sondern auch klein und erbärmlich gemacht finden – was Wunder dass jene Gruppen, die sich gleichermaßen als Opfer der Reichtumsproduktion und als vom Leben im Überfluss Ausgeschlossene sehen, diese dem Reichtum unverhofft entspringende Erfahrung seiner Eitelkeit und Substanzlosigkeit, die die mit ihm gesegneten Völker verdrängen, im Gegenteil zu schätzen wissen und unbedingt festzuhalten beziehungsweise, da sie ihnen in ihrer Armut und Erbärmlichkeit ja eigentlich gar nicht zuteil wird, um jeden Preis, auch um den ihrer künstlichen Herleitung und surrogathaften Begründung, zu gewinnen trachten.

Was Wunder, dass jene an der Peripherie der Sphären des Reichtums ihr kümmerliches Leben fristenden Gruppen das, wovon die reichen Völker beziehungsweise deren vom Reichtum profitierende Führungsschichten als von einer den Bestand und die Wirklichkeit ihres annehmlichen Status quo unterminierenden schrecklichen Wahrheit partout nichts wissen wollen, eben deshalb, weil letztere davon nichts wissen wollen, vielmehr zur wichtigsten aller Einsichten und schlechterdings maßgebenden Erkenntnis erklären und alle ihre Selbstbestimmungsanstrengungen, alle ihre Bemühungen, sich gegenüber den glücklicheren Nachbarn, den reichen Völkern, eine behauptungsfähige Identität, eine haltbare Eigenheit als Volk sui generis, zu verschaffen, um das organisierende Zentrum dieser Wahrheit kreisen lassen. Was Wunder, dass sie quasi die Leiche aus dem Keller ihrer ebenso übermütigen wie übermächtigen Nachbarn holen und das von letzteren als Augenblick der Wahrheit verdrängte andere Subjekt auf eigene Verantwortung als quicklebendigen Gott wiederauferstehen lassen, um mit seiner Hilfe die Nachbarn in die Schranken ihres anmaßenden Auftretens zu weisen und nämlich der chronischen Flüchtigkeit und ontologischen Hohlheit, kurz, der sub specie des wahren Seins ausgemachten Nichtigkeit all dessen zu überführen, worin sie sich groß dünken und worauf sie ihre Macht und Herrlichkeit gründen.

Nicht, dass solche, von ein paar armen, gottverlassenen Halbnomaden als fundamentale theologische Wahrheitsfindung, als alles entscheidender Akt der Gotteserkenntnis inszenierte Konfrontation der glücklicheren Nachbarn mit der hinter ihren Götterlehren und Opferkulten versteckten vernichtenden Wahrheit vom Sein des anderen Subjekts, das in seiner Transzendenz alle Immanenz als Schein entlarvt, alles Dasein entwirklicht und entwertet, an der militärisch abgesicherten politisch-ökonomischen Überlegenheit und Vorherrschaft der Nachbarn das mindeste änderte! Nicht einmal, dass solche Konfrontation mit der verdrängten Wahrheit ihres Daseins, dem latenten Fokus all ihrer Religionen von den hinter ihren Götterlehren und Opferkulten fest verschanzten Nachbarn überhaupt zur Kenntnis genommen, geschweige denn als zur Ein- oder gar Umkehr bewegendes Verdikt gelten gelassen würde! Und nicht also, dass der Rekurs auf den hinter den Göttermasken und kultischen Spiegelfechtereien der Völker verborgenen Herrn des Seins und lebendigen Gott den armen Schluckern, die zu ihm ihre Zuflucht nehmen, mehr bringen könnte als das ideologisch-psychoökonomische Erfolgserlebnis, das gesteigerte Selbstwertgefühl, das ein wider den Stachel der allgemeinen Verblendung löckendes besseres Wissen, ein Durchblick, der die der Intelligenz gesteckten habituellen oder konventionellen Wahrnehmungsschranken durchbricht, dem, der darauf Anspruch erheben kann, beschert!

Immerhin aber ist dies bessere Wissen, dieser intellektuelle Durchblick durch die falschen Adressen und irreführenden Beschwörungen der von den Völkern verehrten Götter und zelebrierten Kulte etwas, woran man sich festhalten und als an einer Selbstbewusstsein verbürgenden oder Identität stiftenden Leistung erbauen, ist ein Stecken und Stab, an dem man sich aufrichten kann. Mögen die reichen Nachbarn auch noch so sehr reüssieren und triumphieren, mögen sie sich mit ihrer materiellen Fülle und mit ihrer sozialen Organisation noch so dominant und überwältigend in Szene setzen, mögen sie ihren armen Vettern am Rande der Wüste noch so sehr das Leben schwer machen und den Eindruck vermitteln, nichts weiter als Spreu vor dem Sturm der Geschichte, eine ebenso gesichtslose wie erbärmliche quantité négligeable in der Haupt- und Staatsaktion des von den Völkermassen aufgeführten welthistorischen Dramas zu sein – so gewiss die armen Vettern kraft ihres Durchblicks auf das in der Negativität seines wahren Seins, der Indifferenz seiner alleinigen Wirklichkeit alles, was auf Erden ist und qua Dasein erscheint, für Schein und Nichts erklärende andere Subjekt in jener ebenso raumgreifenden wie auftrumpfenden Aufführung ihrer reichen, mächtigen Verwandten, jener Haupt- und Staatsaktion der Völker, nichts als Theater, schiere Schaumschlägerei erkennen können, so gewiss sind sie, wenn auch beileibe nicht praktisch saniert oder empirisch im mindesten besser gestellt, so jedenfalls doch theoretisch salviert und nämlich systematisch, sprich, aufs Ganze der sub specie des anderen Subjekts restrukturierten Konstellation gesehen, in eine ihnen durch keine materielle Not und soziale Bedrängnis zu nehmende Vorzugsstellung gebracht.

In der allgemeinen Verblendung, in der die reichtumsproduzierenden Gesellschaften dieser Welt agieren und sich entfalten, in dem Taumel von Wichtigtuerei und Selbstüberschätzung, zu dem ihr materieller Überfluss und ihre darauf gegründete soziale Verfügungsmacht die über diese Gesellschaften herrschenden Großen hinreißt, sind sie, die ihr halbnomadisch-kümmerliches Leben am Rande der Wüste fristenden Sippenverbände, die einzig Klarsichtigen und Nüchternen, stellen sie allein sich der Wahrheit jenes im apriorischen Vorhinein oder abgründigen Grunde allen irdischen Daseins perennierenden Herrn des Seins und lebendigen Gottes, vor dem dies Dasein mit allen seinen unermesslichen Schätzen und gewaltigen Werken sich als nichtiges Blendwerk, als substanzloses Kunstgebilde erweist. Wie sollte wohl dieses Monopol auf die Wahrheit, das sie besitzen, und die besondere Stellung, die es ihnen verleiht, den vom Schicksal menschlicher Geschichte Gebeutelten keinen Trost spenden und keinen Halt geben, wie könnte es wohl verfehlen, ihnen, auch wenn es an ihrer praktischen Notlage kein Jota ändert, ihnen politisch-ökonomisch nicht im mindesten aufhilft, doch aber zu einer theoretischen Neubewertung ihrer Situation zu verhelfen, die ihnen deren Misslichkeit leichter erträglich werden lässt, beziehungsweise eine moralisch-ideologische Hebung ihrer Selbstwertgefühls zu ermöglichen, die ihnen gar gestattet, ihr ökonomisches Elend und ihre soziale Desolatheit als die Lebensgrundlage, auf der jenes sie auszeichnende Bewusstsein der Wahrheit gedeiht, zu akzeptieren, wo nicht gutzuheißen?

Um allerdings das Wundersame ihres Verhaltens nicht gar zu eilfertig weg- und letzteres nicht gar zu bereitwillig als eine allgemeinmenschliche Reaktion gutzureden: Jene hebräischen Sippenverbände, jene ins Abseits der zivilisierten Welt gedrängten Halbnomaden, behaupten hiermit das Monopol auf eine Wahrheit, die schrecklich genug ist, um jeden Menschen das Fürchten zu lehren, und von der sie selbst ja nicht weniger betroffen sind als die Nachbarvölker, denen gegenüber sie sie demonstrativ hochhalten beziehungsweise gegen die sie sie offensiv geltend machen. Dass die Welt Schein und das Sein nicht von dieser Welt ist, dass menschliches Dasein Illusion und die Wirklichkeit die eines toto coelo anderen Subjekts ist – diese furchtbare Wahrheit trifft die Völker ins Zentrum ihrer festgegründeten, wohlgeordneten Existenz, entwirklicht und entwertet von Grund auf alles, worauf sie bauen und was sie besitzen. Aber sie tangiert im Prinzip nicht weniger auch die kümmerliche Existenz der armen Vettern am Rande der Wüste, entwirklicht und entwertet genauso sehr auch deren irdisches Dasein, das Leben, das diese Armen und Besitzlosen im Schweiße ihres Angesichts fristen. So gewiss die Wahrheit vom anderen Subjekt, das allein ist, vom lebendigen Gott, dem alle Wirklichkeit zukommt, aufs ontologisch Ganze eines dadurch zum eitlen Schein disqualifizierten irdischen Daseins und zur nichtigen Illusion irrealisierten menschlichen Lebens zielt, so gewiss ist die dieser Wahrheit huldigende jüdische Glaubensgemeinschaft von deren vernichtendem Verdikt ebenso betroffen wie alle anderen Gesellschaften und bleibt ihr das Bewusstsein unbedingter Entwirklichung und absoluter Entwertung, das in solchem Verdikt impliziert ist, nicht schon deshalb erspart, weil sie im Unterschied zu den anderen Gesellschaften das Verdikt zur Kenntnis nimmt.

Warum also, wenn sich alle anderen Gesellschaften jener schrecklichen Wahrheit vom anderen Subjekt, das der Herr des ausschließlichen Seins und der allein lebendige Gott ist, entziehen und Zuflucht zu ihren das andere Subjekt seiner Indifferenz und Negativität entkleidenden und in eine Vielzahl von ebenso sanktionsmächtigen wie objektspezifischen Herren der Erscheinungswelt und Eignern ihrer Reichtümer umfunktionierenden opferkultlichen Religionen nehmen – warum also entschließt sich diese eine, ebenso gottverlassene wie armselige Gemeinschaft im semiariden Niemandsland, jener schrecklichen Wahrheit im Gegenteil ins Auge zu schauen und sie zum Fokus all ihrer religiösen Aktivitäten zu machen – ausgerechnet sie, die doch jener Wahrheit nicht einmal von Haus aus teilhaftig ist, sie nicht einmal aus eigener Anschauung gewinnen kann, sondern sie sich, um sie reklamieren und geltend machen zu können, auf dem geschilderten Weg einer Substitution der Erfahrung materieller Fülle durch das Erlebnis sexueller Erfüllung erschleichen muss?

Der bisherigen Argumentation oder vielmehr Suggestion zufolge ist der Grund für dieses radikal abweichende Verhalten die Instrumentalisierung jener Wahrheit zu einem Werkzeug der Profilierung und Selbstbehauptung, sprich, der Versuch der in jeder Hinsicht benachteiligten und unterlegenen Gemeinschaft, sich gegenüber den reichen Nachbarn, den übermächtigen Völkern durch jene ihnen als Leiche aus dem Keller entwendete und dann als quicklebendiges Corpus entgegengehaltene Wahrheit wenn schon keinen ökonomischen Wohlstand, so jedenfalls doch einen kultischen Gegenstand, und wenn auch keinen politischen Status, so immerhin doch eine ideologische Statur zu verschaffen. Weil die Gemeinschaft den sie umgebenden Gesellschaften an materiellem Reichtum und sozialer Organisation nichts entgegenzusetzen hat und sich vielmehr in beiderlei Hinsicht eines absoluten Armutszeugnisses überführt findet, sucht sie den reichen und mächtigen Nachbarn mit jener von ihnen verdrängten und unter den Lehm- und Steinmassen ihrer Zikkurate, Pyramiden und Tempel verschütteten furchtbaren Wahrheit, vor der sich überhaupt jegliches Materielle als verschwindender Schein, schlechterdings alle Organisation als eitle Illusion erweist, in die Parade zu fahren und die Stirn zu bieten.

Angesichts der im Prinzip absoluten Negativität jener von der jüdischen Glaubensgemeinschaft zum Selbstbehauptungsmittel instrumentalisierten Wahrheit, ihrer alles, auch sie, die Gemeinschaft selbst, der Entwirklichung und Entwertung überantwortenden unendlichen Enthüllungs- und Desillusionierungskraft würde das dann allerdings bedeuten, dass die Gemeinschaft ihre Selbstbehauptung in selbstzerstörerischer Form betriebe, dass sie für ihre Profilierung sogar die eigene Demontage in Kauf nähme. Um es den stolzen Völkern zu zeigen, um den hochfahrenden Nachbarn ihren Übermut und ihre Bosheit heimzuzahlen, wäre sie bereit, ein Gericht zu halten, das auch mit ihr selbst kurzen Prozess machte, ein Autodafé zu veranstalten, dem auch sie selbst zum Opfer fiele.

Nicht, dass ein solches, rein instrumentelles Glaubensbekenntnis, eine solche von schierem Ressentiment, bloßer Vergeltungssucht getriebene kultische Entscheidung nicht vorstellbar wäre! Nicht, dass eine Situation höchster Not und Verzweiflung der von ihr betroffenen Gemeinschaft nicht den Gedanken eingeben könnte, die ihr zugetragene Kenntnis von dem grundlegenden Konstruktionsfehler des Weltbaus oder babylonischen Turms, in dem sie ein so marginales und erbärmliches Leben fristet und sich so ganz und gar nicht zu Hause oder fehl am Platze fühlt, zu einer Generalabrechnung mit seinen sich im Glanz ihrer herrschaftlichen Wohnungen sonnenden und in der Sicherheit ihrer gefüllten Vorratskammern wiegenden glücklicheren Bewohnern zu nutzen und um den Preis sogar der eigenen Zertrümmerung und Verschüttung das ganze Gebäude durch Aufdeckung seines fundamentalen Defekts wenn auch nicht empiriologisch-praktisch, so jedenfalls doch ideologisch-moralisch zum Einsturz zu bringen!

Immer aber bliebe doch ein solches, wesentlich von Neid und Rachsucht motiviertes Vorgehen eine selbstzerstörerische, in der Demontage auch und nicht zuletzt der eigenen Position und Perspektive resultierende Aktion! So gewiss die Gemeinschaft die Indifferenz und Negativität des ex improviso des Reichtums der Nachbarn auftauchenden und von diesen indes mit allen Mitteln ihres Kultus eskamotierten anderen Subjekts rein kalkulatorisch ins Spiel brächte, sie ausschließlich geltend machte und verwendete, um den Nachbarn ihre anmaßlich unanfechtbare Distinktion und ihre vermeintlich unerschütterliche Positivität um die Ohren zu schlagen, so gewiss also die Gemeinschaft selbst zu jenem anderen Subjekt keine andere als zweckrational-zynische Beziehung unterhielte, so gewiss müsste sie sich von dessen Indifferenz und Negativität im Prinzip ebenso betroffen fühlen wie diejenigen, denen sie sie um die Ohren schlüge, und zöge aus ihrem Vorgehen nichts weiter als den bitteren Triumph und die finstere Genugtuung, die stolzen Nachbarn am Ende doch und ideologisch-moralisch zumindest auf das Niveau der eigenen Nichtigkeit heruntergebracht, sie in die Pfanne der Perspektivlosigkeit und Sinnlosigkeit des eigenen Daseins gehauen zu haben.

Ein positiver Glaube, ein affirmativer Kult ließen sich auf eine solche, von Ressentiment und Rachsucht beherrschte Instrumentalisierung der Wahrheit vom anderen Subjekt ganz gewiss nicht gründen! Eine Lebensaufgabe oder Daseinsberechtigung, die über das destruktive Erfolgserlebnis der ums Leben Betrogenen, den abstrakten Triumph der Entrechteten, dass auch das Leben der anderen sinnlos, auch ihr Dasein nichts wert ist, hinausginge und eine richtungweisende Identität, eine selbsttragende Kontinuität stiftete, ließe sich daraus ganz sicher nicht gewinnen! Genau diesen positiven Glauben und affirmativen Kult, dieses alle selbstzerstörerische Religionskritik neutralisierende, wo nicht gar integrierende religiöse Selbstwertgefühl aber besitzt ja offenbar jene eben deshalb von Anbeginn ihres historischen Erscheinens an sich als Glaubensgemeinschaft par excellence und mustergültige Kultgemeinde präsentierende Gruppe. Wie kann das sein, wenn anders die Annahme zutrifft, dass treibendes Motiv und praktischer Zweck ihrer Gotteswahl eine böse Absicht, nämlich die Konfrontation der glücklicheren Nachbarn mit jener von ihnen verdrängten Wahrheit ist, die all ihr erfülltes Dasein als nichtig, ihr ganzes pralles Leben als eitel entlarvt?

Tatsächlich stehen diese, in ihrer erbärmlich-marginalen Existenz sich wenigstens ideologisch zu behaupten und ihre Moral zu wahren bemühten halbnomadischen Sippenverbände vor im Prinzip dem gleichen Problem, vor dem Jahrhunderte später die aristokratischen Oberschichten ihrer territorialherrschaftlich-theokratischen Nachbarn stehen werden, wenn sie, um der naturkultlich-dionysischen Sozialkritik der Unterschichten Paroli zu bieten oder vielmehr die Spitze abzubrechen, die das Negationspotenzial jener sozialkritischen Naturmacht unendlich in den Schatten stellende modallogisch unbedingte Indifferenz oder ontologisch absolute Negativität des reichtumsentsprungen anderen Subjekts ins Auge fassen und der Wahrheit seines alles Dasein als Schein enthüllenden uneinholbar apriorischen Seins, seiner die ganze Welt für Illusion erklärenden unüberbrückbar transzendenten Wirklichkeit die Ehre geben – dem Problem nämlich, wie sie sich diesem apriorischen Sein stellen können, ohne selbst seinem über alles Aposteriorische verhängten vernichtenden Verdikt zu verfallen, wie sie sich zu dieser transzendenten Wirklichkeit verhalten können, ohne ihrerseits der Entwertung zu erliegen, der sie alles, was außerhalb ihrer erscheint, ausliefert.

Die Lösung der Aristokratie für dieses mit ihrer Instrumentalisierung des anderen Subjekts und seines Seins zum Mittel ideologischer Refutation und politischer Selbstbehauptung einhergehenden existenziell-persönlichen Problems besteht, wie gesehen, im Wesenskult und in dem darin kodifizierten Anspruch, aller qua ontologische Differenz absoluten Verschiedenheit zum Trotz dennoch einen geheimen und wie immer in den erscheinungsweltlichen Bezügen und Bindungen, in der Totalität des Scheins, verschwindenden Anteil an jenem apriorischen Sein des anderen Subjekts zu haben. Indem die Aristokratie das sub specie des Seins des anderen Subjekts als schieren Schein und reine Illusion entlarvte eigene Dasein als Konsequenz einer das andere Subjekt selbst ereilenden und in die nichtigen Einbildungen, die da Erscheinungswelt heißen, verstrickenden Verirrung begreift, als Resultat eines Abfalls des anderen Subjekts von sich selbst und Sichverlierens in die eitlen Traumgebilde, die sich für Wirklichkeit ausgeben, interpretiert und indem sie dies in den eigenen Wahn verstrickte Selbst, dies in seine Projektion verlorene Subjekt als ihre im tiefsten Grunde des eigenen Daseins, quasi in dessen Nullpunkt, perennierende Identität supponiert, als den ebenso unsichtbaren wie unscheinbaren Kern des Scheingebildes, das die eigene Person ist, quasi als den in aller personalen Differenz und Entäußerung unveräußerbar und also unverlierbar bleibenden Indifferenzpunkt annimmt, gelingt es ihr, eine Beziehung zu jenem apriorischen Sein des anderen Subjekts herzustellen oder jedenfalls zu behaupten und mehr noch eine Option auf Rückkehr in jenes apriorische Sein geltend zu machen oder jedenfalls anzumelden, wodurch sie sich tatsächlich, wenn auch beileibe nicht in die Länge und Breite ihres weltlichen Daseins, ihrer empirischen Person, so immerhin doch in diesem einen, entscheidenden Punkte ihres in die Welt verirrten Selbstseins, ihrer wie sehr auch an den Schein verlorenen Identität vom Verdikt des anderen Subjekts ausgenommen und seiner Indifferenz und Negativität im Sinne einer nicht etwa als Identifikation mit dem Aggressor, sondern als Regress auf die schiere Sichselbstgleichheit zu verstehenden restitutio in integrum seines hinter aller Indifferenz und in aller Negativität verborgenen scheinlosen Seins entzogen wissen darf.

Eben weil das gesamte irdische Dasein nur eine illusionäre Veranstaltung, eine Phantasmagorie des seiner Wirklichkeit vergessenden und sich in seinen eigenen Traum verirrenden anderen Subjekts, der ganze chronologische Weltlauf nur die Scheinbewegung oder Projektion eines Subjekts ist, das, seines Seins uneingedenk, sich quasi im chronischen Koma, in einem Zustand referenzloser, frei flottierender Bewusstheit befindet, bleibt dies dem traumverlorenen Subjekt entfallene Sein die ausschließliche substanzielle Wirklichkeit, das allzeit präsente Wesen, das, wie es durch nichts als traumverlorene Selbstvergessenheit, halluzinatorisches Außersichgeraten verloren ging, so aber auch durch bloßes Erwachen, einfaches Zusichkommen wiederzugewinnen ist. Und weil und insofern die Aristokratie sich mit diesem in seine Projektion verirrten, in seinen Traum verlorenen Selbst, als das das andere Subjekt im Rahmen der Erscheinungswelt ist und vielmehr erscheint, zu identifizieren, in ihm zu erkennen und auf seinen Standpunkt zu stellen vermag, beansprucht sie selbst den Wesensbezug und reserviert sich kraft dieses als ihre Identität behaupteten wesensbezogenen Selbstes die in modallogischer Paradoxie in specie ihres Daseins, das Schein ist, als bloße Möglichkeit und sub specie eines Nichts, das vielmehr Sein ist, als schiere Wirklichkeit firmierende Chance, auf dem Wege der Weltflucht, sprich, durch eben die unbedingte Indifferenz und absolute Negativität, die das andere Subjekt, sofern es als solches ist, dem Dasein beweist, in das zeitlose Sein, aus dem sie phantasmagorisch herausgefallen ist, zurückzukehren und die alleinige Wirklichkeit, von der sie sich chronisch ausgeschlossen hat, wiederzufinden.

Der Wesensbezug, den die Aristokratie durch Identifikation mit dem von sich, seinem wahren Sein, abgefallenen anderen Subjekt erwirkt, ist die reservatio mentalis, die sich aus Sicht eben jenes das eigene Dasein als bloßen Schein entlarvenden und also eine modallogische Umkehrung des ganzen Verhältnisses sollizitierenden wahren Seins vielmehr als reservatio realis erweist und so die salvatorische Klausel bildet, die ihr erlaubt, gegen das sozialkritische Potenzial des dionysischen Naturkults, gegen seine Kraft, nein zu sagen, die unbedingte Indifferenz und absolute Negativität des ontologischen Wesenskults ins Feld zu führen, ohne selbst zum ersten Leidtragenden und vornehmsten Opfer seines alles, was von dieser Welt ist, vernichtenden Verdikts zu werden.

Von solcher salvatorischen Klausel sind nun aber die Jahrhunderte zuvor das andere Subjekt und sein ausschließliches Sein instrumentalisierenden und nämlich als schlagendes Argument im Rahmen sozialer Auseinandersetzungen ins Spiel bringenden Juden himmelweit entfernt. Für sie ist jenes toto coelo andere Subjekt, das sie ja gar nicht aus eigener, mit der Reichtumsproduktion Hand in Hand gehender Erfahrung kennen und von dem sie sich vielmehr mittels eines Erfahrungssurrogats, eines aus eigener Erfahrung genommenen und den reichen Nachbarn, den Zivilisationen im Umkreis bloß als universale conditio humana supponierten unbestimmt pleromatischen Bewusstseins ein Bild zu machen suchen, nichts, womit sie sich identifizieren, auf dessen ebenso erhabenen wie entrückten Standpunkt sie sich stellen und zu dessen apriorischem Sein und exklusiver Wirklichkeit sie also eine dem aristokratischen Wesenbezug im mindesten vergleichbare Affinität oder Kontinuität behaupten könnten.

Für sie verharrt das andere Subjekt mitsamt seinem einzigen Sein strikt in der Außerweltlichkeit und Zeitlosigkeit, der Transzendenz und Apriorizität, der gegenüber oder im Unverhältnis zu der jegliches irdische Dasein sich als chronischer Schein entlarvt, die ganze Welt sich als von jenem unverhältnismäßig anderen, jener Wirklichkeit sans phrase, wie Traum vom Wachen, Vorstellen vom Wirken, Einbilden vom Tun verschiedene Illusion enthüllt und die zugleich ein salvatorisches Konzept, wie es später die Aristokratien der reichen Nachbarn entwerfen, das Konzept eines im menschlichen Selbstsein resultierenden weltkonstitutiven Abfalls des anderen Subjekts von seiner wahren Wirklichkeit, einer, wie man will, das Leben als Traum oder den Traum des Lebens kreierenden ursprünglichen Seinsvergessenheit des anderen Subjekts in der Person des Menschen selbst, ebenso systematisch wie empirisch ausschließt.

Will heißen: nicht nur deshalb, sprich, empirisch ausschließt, weil es ja das nicht der eigenen Erfahrung, sondern der der benachbarten Völker entspringende andere Subjekt ist, auf das sie den Blick richten und das ihnen folglich in der gleichen, jeden Annäherungs- und Vermittlungsversuch konterkarierenden überwältigenden Distanziertheit und majestätischen Unnahbarkeit vor Augen tritt wie die herrschaftliche Oberschicht der reichtumsproduzierenden Gesellschaften, deren Erfahrungshorizont sie es entlehnen! Sondern auch und mehr noch deshalb, sprich, systematisch ausschließt, weil es ja vordringliches Ziel und jedenfalls anfänglich treibendes Motiv der armen Schlucker vom Rande der Wüste ist, jenes andere Subjekt als alles vernichtende und für eitel erklärende Macht gegen eben die herrschaftlichen Oberschichten der reichen Nachbarn, deren Erfahrungshorizont sie es entlehnen, ins Feld zu führen, es zu nutzen, um jene herrschaftlichen Oberschichten ihrer auf Basis ihres Reichtums anmaßenden Eigenmacht und vorgeblichen Selbstbestimmtheit zu entreißen und auf das alles nivellierende Niveau, die alles egalisierende Gleichartigkeit der göttlichem Wort und göttlicher Einbildungskraft entsprungenen vollständig heteronomen Kreatur und absolut substanzlosen Kunstfigur einzuschwören, und weil jeder Versuch, durch einen salvatorischen Schachzug à la Wesenskult der vernichtenden Wahrheit die Spitze abzubrechen, zuerst und vor allem diesen Aristokratien zugute käme, in deren Erfahrungshorizont das andere Subjekt und sein als schiere Negativität erscheinendes Sein originär auftauchen, weil er primär und ausgerechnet ihnen einen Schlupfwinkel oder Fluchtweg eröffnete, der ihnen erlaubte, sich der vollen Wucht der Nivellierung und Egalisierung, mit der sie sich kraft der durch keinen Begriff vom Wesen modifizierten Negativität des anderen Subjekts konfrontiert finden, auf ähnliche Weise zu entziehen, wie sie sich Jahrhunderte später mittels Wesenskult der ihnen sozialkritisch-naturkultlich angesonnenen ökonomischen Enteignung und politischen Entmachtung entziehen.

Für sie, die versprengten und gebeutelten Halbnomaden jenseits jeder Reichtumserfahrung und außerhalb aller zivilisatorischen Herrlichkeit bleibt deshalb aus systematischen ebenso wie aus empirischen Gründen das ex improviso gesellschaftlichen Reichtums auftauchende andere Subjekt die in ihrer uneinholbaren Wirklichkeit, ihrem unvordenklichen Sein absolut transzendente Macht, der in seiner Negativität verschwindende Gott, deus absconditus, der, weit entfernt davon, sich in diese Welt, die sein Projekt oder Artefakt ist, auf irgendeine Weise selbst verirrt oder an dieses irdische Dasein, das seiner Wortmacht oder Einbildungskraft entspringt, in irgendeinem Punkte quasi persönlich verloren zu haben, vielmehr zu ihr in der unvermittelt ontologischen Differenz des Sprechers des Worts oder Künstlers des Werks verharrt, zu ihr die unüberbrückbar modallogische Distanz des wirklichen Urhebers der Phantasie oder des das projektive Gebilde imaginierenden lebendigen Subjekts wahrt.

Für sie bleibt das andere Subjekt der Autor oder seiende Ursprung, der, aus Sicht seiner Figuren, seiner Kreatur wahrgenommen, der Schöpfer oder lebendige Gott ist und dem sie, die mit ihm hausieren gehen und ihn gegen die Anmaßung und Selbstherrlichkeit der Großen und Mächtigen dieser Schein- und Kunstwelt geltend machen, um kein Jota weniger ausgeliefert und auf Gedeih und Verderb unterworfen sind, als eben jene Reichen und Mächtigen, gegen die sie ihn zur Geltung bringen, dessen unerforschlichem Ratschluss, dessen absoluter Macht, sie vor seinem Angesicht bestehen und gewähren zu lassen oder sie in Gedankenschnelle, im Handumdrehen aus seinem Angesicht zu tilgen und als nichts zu erweisen, sie, die ihm die Ehre gebenden armen Schlucker, geradeso sehr unterliegen wie jene, die sich im Glanze ihrer ihn verdrängenden Götzen das falsche Ansehen selbsttragender Positivität, fragloser Substanzialität geben.


Um der Negativität des lebendigen Gottes zu entrinnen, müssen sich die Gläubigen in einem radikalen Konversionsakt zu seinem selbstverleugnenden Zeugen oder selbstvergessenen Spiegel machen. Die von Grund auf neue Gegenwart, die sie daraus gewinnen, erfordert aber auch eine entsprechende Revision der Vergangenheit, wie sie die Geschichte von Kain und Abel entwirft. Die Geschichte erklärt zugleich, warum die Erkenntnis des lebendigen Gottes nicht als Wissen von Sein und Schein, sondern je schon als Unterscheidung zwischen Gut und Böse erscheint, zwischen Annahme der die Vertreibung aus dem Paradies bedeutenden Erkenntnis und ihrer qua Ausharren im Zustand kreatürlicher Blindheit praktizierten Verleugnung.

Wissen so aber sie, die aus allem Zusammenhang zivilisatorischen Wohlstands verdrängten Zeugen des anderen Subjekts, die an den Rand der Wüste versprengten Bekenner des in absoluter Transzendenz perennierenden Herrn des Seins sich selbst als geradeso sehr in seine Wortschöpfung gebannte flüchtige Schemen und substanzlose Schattenrisse beziehungsweise in seine Spielzeugwelt eingesetzte Kunst- und Lehmfiguren wie die Nachbarvölker, die sie durch die Berufung auf ihn vor den Fall der Bodenlosigkeit ihrer vorgeblich so festgegründeten Existenz bringen, in die Pfanne des haltlos Illusionären ihrer vermeintlich so gediegenen Wirklichkeit hauen wollen – was bleibt ihnen dann eigentlich noch für ein Ausweg aus der vollständigen Irrealisierung, der rückhaltlosen Disqualifizierung, der sie mitsamt den Nachbarvölkern, mitsamt der ganzen Welt dieses Wissen überantwortet, welche Möglichkeit haben sie dann überhaupt noch, eine der salvatorischen Klausel des Wesenskults vergleichbare Befreiung vom vernichtenden Verdikt zu erwirken, das der lebendige Gott über seine künstliche Schöpfung, zu der sie gehören, nolens volens verhängt?

Ist nicht dies Wissen von der absoluten Transzendenz des Herrn des Seins, von der unüberbrückbar ontologischen Differenz, in der er gegenüber dem Wortgebilde oder Figurenkabinett perenniert, das er in seinem unerforschlichen Ratschluss vorzustellen oder zu formen beschließt, der unanfechtbare Garant dafür, dass es für sie, die ihn bezeugen und bekennen, keine der Wesensbeziehung irgend vergleichbare Dispensation vom allen und jedem gemeinsamen Schicksal ontologischer Entwertung und modallogischer Entwirklichung geben kann? Erfüllt dies Wissen nicht den Tatbestand des oben, in der Parabel vom Sündenfall, beschriebenen und als allgemeine conditio humana ausgegebenen negativen Selbstbewusstseins, demzufolge der Mensch zwar die Erkenntnis des als Herr des Seins oder lebendiger Gott perennierenden Selbstes, das ist, oder Subjekts, das lebt, erwirbt, diesen Erkenntnisgewinn aber mit einem unendlichen Verlust bezahlt und nämlich damit erkauft, dass er sich selbst als demgegenüber nichts, als im Verhältnis oder vielmehr Unverhältnis zum lebendigen Gott und seinem Sein artefizielles Gebilde und illusionären Schemen gewahrt?

Als reines Verlustgeschäft will freilich der Verfasser der Parabel vom Sündenfall, der als Sprecher jener den Herrn des Seins bezeugenden, testamentarischen Glaubensgemeinschaft auftritt, diese Erkenntnis, die dem Menschen als Testament seiner vor allen andren Geschöpfen privilegierten Stellung zuteil wird, nicht verstanden wissen. Schließlich gewinnt der Mensch ja eine wirkliche Erkenntnis, eine substanzielle Einsicht – oder vielmehr gewinnt er nichts Geringeres als die Erkenntnis des allein Wirklichen, die Einsicht in die Substanz, die ist. Er gewinnt mit anderen Worten einen reflexiven Bezug, den eigentlich nur das Subjekt, das die Wirklichkeit hat, haben kann, erlangt ein Selbstverhältnis, das an sich dem, der selbst die Substanz ist, vorbehalten bleibt. Eben deshalb lässt der Verfasser ja auch die Schlange dem Menschen prophezeien, er werde durch die Erkenntnis "sein wie Gott", und lässt Gott selbst die in diesem einen Punkte zumindest untadelige Ehrlichkeit der Schlange bestätigen, indem er ihm, nachdem der Mensch vom Baum der Erkenntnis gegessen hat, die Worte in den Mund legt, Adam sei "geworden wie unsereiner"!

In puncto seines Wissens, im Moment seines reflexiven Bezugs also ist der Mensch gottgleich, hat er die ontologische Differenz zum gottähnlichen Sein überwunden, die unendlich chronologische Kluft zur Wirklichkeit des anderen Subjekts überbrückt: So wahr der Mensch den alles andere für seine Einbildung erklärenden Herrn des Seins, den die Welt als sein Kunstwerk erschaffenden lebendigen Gott weiß, so wahr hat sein Bewusstsein denselben Inhalt wie das göttliche, ist er als reflexives Geschöpf das seinem Schöpfer eigene Selbstbewusstsein. Was ihm dieses Wissen vergällt und, statt als wahrhaftiges Innewerden, als Selbstfindung par excellence, vielmehr als grenzenlose Entäußerungserfahrung, gnadenloses Entfremdungserlebnis vorkommen lässt, ist einzig und allein dies, dass uno actu des vom Sein erfüllten Bewusstseins auch das Bewusstsein des vom Sein ausgeschlossenen eigenen Selbstes sich einstellt, dass der Mensch im gleichen Augenblick, in dem er das wirkliche Subjekt, den lebendigen Gott wahrnimmt, sich als den Golem, als Kunst- und Lehmfigur erkennt, dass er, kurz, in jenes negative Selbstbewusstsein verfällt, bei dem die Erkenntnis des Seienden selbst und wahren Subjekts fatal mit der Einsicht in die Substanzlosigkeit und Vergänglichkeit, die Nichtigkeit und Unwahrheit seiner, des Erkennenden selbst, gepaart ist.

Oder besser gesagt, besteht das Fatale, über den Erkennenden das Todesurteil seiner Kreatürlichkeit, seiner Scheinnatur, Verhängende dieser Erkenntnis von Sein und Schein ja eigentlich nur darin, dass der Mensch, statt in der Erkenntnis dessen, der ist, zu verharren, statt sich im Angesicht des als lebendiger Gott toto coelo anderen Subjekts als dessen reiner Reflektor oder getreulicher Spiegel zu bewähren, vielmehr zu sich, der dem lebendigen Sein zur Kurzweil und zu keinem anderen Zweck geschaffenen künstlichen Apparatur abirrt, auf sich, die dem wirklichen Subjekt als Spiegel dienende und, für sich genommen, sinnlose Projektionsfläche reflektiert.

Würde der Mensch in der Erkenntnis des göttlichen Seins bleiben und der Versuchung widerstehen, seine menschliche Nichtigkeit zwanghaft dagegen zu halten, ließe er sich von dem lebendigen Akteur, den er schaut,
ganz in Anspruch nehmen und okkupieren, statt sich, die vom lebendigen Akteur entworfene Kulisse, das von ihm geschaffene Requisit, immer neu ins Spiel zu bringen und als vermeintlich mitwirkende Person in Betracht zu ziehen, nur um dabei der maskenhaften Hohlheit und figürlichen Künstlichkeit dieser seiner Personalität inne zu werden, er könnte sich jenes die Wahrnehmung des seienden Selbstes mit der Einsicht in die eigene Unselbständigkeit und Nichtigkeit bezahlende negative Selbstbewusstsein, das ihn der paradiesischen Unschuld entreißt, wenn auch nicht im Prinzip ersparen, so doch in der Folge vom Halse schaffen, könnte die reine Positivität, die er außer sich und als das absolut Fremde gewahrt, zu einem als identifikatorisches Zusichkommen erfahrenen Außersichsein oder Verzückungszustand, einer ins Konversionserlebnis umschlagenden Kapitulation nutzen, statt sie durch die ständig dagegen gehaltene eigene Nichtigkeit, die demgegenüber immer wieder geltend gemachte persönliche Hohlheit und Schemenhaftigkeit zum Gegenstand heilloser Frustration, zum Pfahl im Fleisch eines qualvollen Entfremdungsbewusstseins verkommen zu lassen.

Damit zeichnet sich nun aber auch ab oder ist vielmehr bereits klar, welche Möglichkeit der jüdischen Glaubensgemeinschaft bleibt, eine dem aristokratischen Wesensbezug irgendwie vergleichbare Dispensation von der Entwirklichung und Entwertung zu erwirken, mit der die Inanspruchnahme des als der Herr des Seins erkannten anderen Subjekts für Zwecke der Herstellung gesellschaftlicher Identität und der historischen Selbstbehauptung sie selbst bedroht, welchen Weg sie also einschlagen kann, um sich selbst dem vernichtenden Verdikt, dem sie die reichen Nachbarn, die Völker, durch die Anrufung des alles für eitel, für ebenso illusorisch wie artefiziell erklärenden lebendigen Gottes ausliefert, zu entziehen und eine dem Wesensbezug vergleichbare Art von salvatorischer Klausel zu sichern. Der Weg, der ihr bleibt, lautet Identifikation mit dem Aggressor oder vielmehr, da ja angesichts der unbedingten Indifferenz und absoluten Negativität des anderen Subjekts von Aggression schlechterdings nicht die Rede sein kann und in der Wahrheit dessen, der allein ist, nichts als ein in wortmächtige Gebilde oder kunstreiche Werke ausbrechendes selbstherrliches Imaginieren oder selbstbestimmtes Agieren statthat, Identifikation mit dem Actor, dem Creator.

Statt sich vom Wissen dieses als der alleinige Urheber wirklichen Täters, dieses als exklusiv handelndes Subjekt seienden Schöpfers immer neu in die Reflexion treiben und das Bewusstsein der eigenen Unwirklichkeit und Nichtigkeit vindizieren zu lassen, muss mit anderen Worten die menschliche Kreatur Selbstverleugnung treiben oder besser noch Selbstvergessenheit üben, muss im Angesicht des lebendigen Gottes ganz und gar außer sich geraten, im Gewahrsam dessen, der ist, rückhaltlos aufgehen. Statt sich von der Erkenntnis des Herrn des Seins und allmächtigen Schöpfers seiner erbärmlichen Kreatürlichkeit, seines quasi Nichtseins überführen zu lassen, muss der Mensch sich in einem verzweifelten Sprung, einer Art von Autodafé auf den Standpunkt dieser seiner einen, entscheidenden Erkenntnis stellen, darf er von seinem kreatürlichen Dasein, von sich selbst, nichts mehr wissen wollen als dieses, ebenso selbstvergessen wie exzentrisch auf den Schöpfer konzentrierte und in ihm seine ebenso exklusive wie ekstatische Sichselbstgleichheit findende Bewusstsein. Statt sich durch die Erkenntnis des im Sein perennierenden anderen Subjekts auf die von vornherein als verlorene Stellung erscheinende Bastion der zum Schein existierenden eigenen Person zurückwerfen zu lassen, muss der Mensch sich vielmehr zu der Vorwärtsverteidigung verstehen, diese ganz und gar unhaltbare Bastion zu räumen oder, besser gesagt, als solche aufzugeben, um sie vollständig von jenem als der lebendige Gott allmächtigen Gegner besessen, restlos von ihm erfüllt sein zu lassen, kurz, sie zu einem Gefäß zu machen, das nichts mehr als ihn enthält, zu einem Werkzeug, das zu nichts anderem mehr taugt, als dazu, ihn zu bezeugen.

Nicht, dass dadurch der ontologische Status des Menschen sich im mindesten änderte! Nicht, dass nur deshalb, weil sich der Mensch rückhaltlos auf den Standpunkt seines Wissens von einem toto coelo Anderen stellt, sich zu einem Bewusstsein instrumentalisiert, das nach Möglichkeit nichts erfasst als die Wirklichkeit, die er selbst nicht ist oder die im genauen Gegenteil als in der Positivität ihres unendlichen Urteils nicht er selbst ist, weil sie in dem defizienten Modus, den er ihr zu vindizieren scheint, in Wahrheit gar nicht vorkommt, sondern ausschließlich sie selbst, reine, in absoluter Differenz von ihm perennierende Wirklichkeit ist – nicht also, dass der Mensch durch diesen radikalen Konversionsakt im mindesten an Wirklichkeit gewänne, dem Sein, in dessen Bewusstsein er nunmehr aufzugehen beansprucht, im entferntesten näher käme! Auch nach seiner Konversion zum selbstlosen Spiegel des einen Gottes, auch nach seinem Entschluss, selbstvergessenes Bewusstsein des toto coelo Anderen zu sein, der allein ist, bleibt der Mensch das, als was er sub specie jenes Anderen erscheint: ein aller Wirklichkeit entbehrendes Werk der Einbildung, ein allen Eigenwerts ermangelndes Sinnbild, künstliches Geschöpf des lebendigen Schöpfers, substanzlose Projektion der Substanz, die an ihr selber Subjekt ist.

Was der Mensch durch sein den Anderen zum ausschließlichen Inhalt seines Bewusstseins, zu dessen ekstatisch-eigenstem Selbst erhebendes Autodafé gewinnt, ist demnach nicht etwa eine ontologische Vereinigung, sondern bloß die epistemologische Übereinstimmung mit dem Anderen, keine lebenspraktische Einheit, sondern bloß ein erkenntnistheoretischer Einklang mit ihm. Was der Mensch erringt, ist nicht etwa ein Selbst, kraft dessen er am göttlichen Sein partizipiert, sondern nichts weiter als ein Bewusstsein, das er mit dem göttlichen Selbst teilt. Dieser epistemologische Einklang mit dem anderen Subjekt, diese Teilhabe am Selbstbewusstsein des lebendigen Gottes befreit nun allerdings den Menschen von den Dissonanzen, die er durch jede Reflexion auf sich selbst, sein nichtiges Bestehen, seinen Schein von Substanz ins Spiel bringt, entbindet ihn von den Trennungs- und Verlustängsten, die ihn heimsuchen, sobald er in Selbstvergewisserungsabsicht vom Bewusstsein des göttlichen Selbst abirrt und diesen Abfall aber wie einerseits mit der Gewissheit büßt, gegenüber dem göttlichen Sein ein ontologisches Nichts zu sein, so andererseits mit der Entäußerungs- und Entfremdungserfahrung bezahlt, die ihm das Bewusstsein des göttlichen Seins hiernach bedeutet.

Und so gesehen, ist diese Identifikation mit dem Creator, auch wenn sie beileibe keine ontologische Einheit mit ihm schafft, sondern höchstens und nur eine Gleichheit des Bewusstseins erzielt, durchaus geeignet, die Entwirklichung und Entwertung, mit der der Schöpfer sein ihn erkennendes Geschöpf konfrontiert, wenn auch mitnichten der Sache nach zu entkräften und objektiv zu widerlegen, so jedenfalls doch in ihren Konsequenzen zu entschärfen und zu etwas werden zu lassen, womit das menschliche Subjekt sehr wohl leben kann. So gewiss der Mensch sich durch das Bewusstsein des als das göttliche Selbst außer ihm Seienden zur Selbstvergessenheit als nämlich zum Vergessen der eigenen Nichtigkeit hinreißen lässt, so gewiss er sich jeder reflexiven Selbstbehauptung gegenüber dem, der solche Selbstbehauptung ad absurdum führt, zugunsten einer bedingungslosen Kapitulation vor letzterem entschlägt, so gewiss kann ihm seine eigene Nichtigkeit nichts mehr anhaben und ist er getrost und zufrieden, dem lebendigen Initiator als mechanischer Reflektor, dem substanziellen Subjekt als artefizielle Projektion, dem göttlichen Selbst als menschlicher Spiegel zur Verfügung zu stehen. Was demnach das Geschöpf durch solche reflexive Selbstaufgabe, solche bei vollem Bewusstsein als von ganzem Herzen vollzogene Identifikation mit dem Schöpfer erreicht, ist keine ontologische Salvierung, sondern eine epistemologische Sanierung, kein Wechsel vom Schein zum Sein, sondern eine Überführung seinswidrig nichtigen Scheins in nichts als den Widerschein des Seins, kurz, nicht Errettung vor dem kreatürlichen Tod, sondern Versöhnung mit dem Schicksal der Kreatürlichkeit.

Der Unterschied zur salvatorischen Klausel, die der Wesenskult bereit hält, liegt auf der Hand. Anders als der Bezug zum Wesen ist das Bekenntnis zum Herrn des Seins kein alloplastisches, dem Sein eine wie immer verschwindende Präsenz im Schein und Relation zu ihm nachweisendes, sondern ein autoplastisches, dem Schein jede Selbstreflexion, jede Befassung mit dem Nichts, das er ist, austreibendes Unterfangen. Nicht dadurch, dass der Mensch dem wahren Sein als zeitlos vergangenem, als im Verhältnis zur chronisch vergänglichen Erscheinungswelt ewig unmittelbarem Wesen einen Status vindiziert, der ihm, dem apriori seienden, aber in die Erscheinungswelt verirrten, menschlichen Selbst ewig ermöglicht, sich kraft einer als Flucht aus der Erscheinungswelt erscheinenden, in Wahrheit aber nichts weiter als sein Dasein in ihr dem Nichts, an dem es teilhat, überantwortenden Revokation seines Irrtums zu salvieren, sprich, in sein ewig unmittelbares, apriorisches Sein zurückzuversetzen, sondern allein dadurch, dass er sich selbst einen Existenzmodus zuweist, kraft dessen er inmitten seines nichtigen Daseins seiner Nichtigkeit vergisst und als wahrhaft existierendes, weil selbstlos reflektierendes Geschöpf im Angesicht seines Schöpfers lebt, im ekstatischen Bewusstsein des Anderen, der da ist, aufgeht, soll hier die Exemption von dem vernichtenden Verdikt erwirkt werden, das der seiende Schöpfer über das als Akt seines Willens und Werk seiner Vorstellung kreierte Ganze des Scheins, als das die Welt erscheint, verhängt.

So groß dieser Unterschied der Methoden zur Bewahrung vor der Irrealisierung und Disqualifizierung, mit der das andere Subjekt und sein Sein die Erscheinungswelt in genere und das menschliche Dasein in specie konfrontieren, im Prinzip aber auch sein mag, im Effekt kann das gottesdienstlich-theologische Verfahren einer Reduktion des Selbst auf das Nichts, das es ist, dem wesenskultlich-ontologischen Prozess einer Reduktion des Selbst auf das Sein, das es gewesen ist, als durchaus ebenbürtig gelten. Wenn dem Menschen gelingt, im Angesicht des anderen Subjekts sich selbst zu vergessen und sein als negatives Selbstbewusstsein bestimmtes Außersichsein vielmehr als seine wahre Existenz anzunehmen, dann hat er sich der als die Negativität solchen Selbstbewusstseins, als Stachel des Todes, erfahrenen Reflexion auf die eigene Nichtigkeit nicht weniger effektiv entzogen als diejenigen, die sich selbst als das in eine Scheinwelt verirrte andere Subjekt begreifen und die deshalb nur diese Scheinwelt und ihr Dasein in ihr vergessen, eine als Zusichkommen wohlverstandene Weltflucht antreten müssen, um wieder in ihrem als das Wesen außer allem Schein perennierenden Sein zu sein.

Dies also ist der Weg, den die von ihren einstigen, fetten Weidegründen in den fruchtbaren Tälern der Flüsse vertriebenen und zu einem kümmerlichen halbnomadischen Dasein am Rande der Wüste verdammten hebräischen Sippenverbände einschlagen müssen, um die nivellierende Indifferenz und egalisierende Negativität des als der Herr des absolut transzendenten Seins erkannten anderen Subjekts gegen die reichen Nachbarn und ihre Arroganz politisch-ideologisch ausspielen zu können, ohne ihr selbst historisch-biographisch zu verfallen oder, besser gesagt, zu erliegen: Sie müssen das, wogegen die Indifferenz und Negativität sich richtet, allen Anspruch auf eigenes Sein, jegliche Anmaßung eines selbstbestimmten Lebens, fahren lassen und sich aus eigenen Stücken mit dem begnügen, was ihnen solche Indifferenz und Negativität nach vollbrachtem Vernichtungswerk noch belässt oder vielmehr von ihnen übrig lässt, müssen sich von sich aus damit abfinden, dass sie nichts sind als das phantastische Gebilde oder mechanische Werk des sich durch ihre Vorstellung projektiv äußernden oder mit ihrer Herstellung objektiv betätigenden anderen und vielmehr einzigen Subjekts, nichts sind als vom lebendigen Schöpfer in die Welt, in seine Imagination, seine Kreation, gesetzte künstliche Kreaturen, Spielzeugfiguren.

Sie müssen jene Indifferenz und Negativität des in ihr Bewusstsein getretenen Herrn des Seins dadurch entschärfen, dass sie sie akzeptieren, sie sich gefallen lassen, dass sie das, worüber sie den Stab bricht – das ihnen vermeintlich eigene Selbst, die sie vorgeblich als Subjekt konstituierende originäre Substanz –, verloren geben und sich in einer als Identifikation mit dem Creator wohlverstandenen radikalen Konversion zu dessen substanzlosem Gefäß und selbstlosem Werkzeug machen. So gewiss sie ihr eigenes Selbst preisgeben und sich rückhaltlos zum Bewusstsein des anderen Subjekts als ihres wahren und einzigen Selbstes erklären, zu keinem anderen Anliegen mehr als zu ihm sich bekennen, nichts mehr als ihn bezeugen, so gewiss verklärt sich, was sonst unendlich negatives Selbstbewusstsein wäre, ihre Erkenntnis dessen, der allein ist und aber in Bezug auf sie, die aus Schein Gewirkten, als Schein Bestimmten, in absoluter Verschiedenheit, verhältnisloser Fremdheit ist, zur Positivität ekstatischer Selbsterfahrung, zum Gewahrsam eines existenziell erfüllten Lebens.

Den Herrn des Seins zu seinem wesentlichen Bewusstseinsinhalt und ausschließlichen Reflexionsgrund zu machen, sich unter allen Kreaturen, den menschlichen wie den nichtmenschlichen, als Kronzeuge des als der Schöpfer perennierenden lebendigen Gottes zu bekennen, impliziert nun allerdings auch eine der von Grund auf neuen Gegenwart, die daraus resultiert, entsprechende grundlegende Revision der Vergangenheit, die zu dieser Gegenwart führt, impliziert mit anderen Worten, dass die Betreffenden ihre empirische Geschichte und ihr systematisches Schicksal im Lichte dieser ihrer Konversion, dieses ihres sie existenziell okkupierenden Verhältnisses neu interpretieren und bewerten. Erstlingsfrucht und primäres Zeugnis dieser Redinterpretation ist die Geschichte von Kain und Abel. Von Haus aus nur eine der für Sippen- und Stammestraditionen typischen ätiologischen Anekdoten, die von Bluttat und Vergeltung, Fehde und Sühne handelt und der Begründung gewisser beruflicher Spezialisierungen und geographischer Zuordnungen von Sippen sowie der Herleitung einer als Kainsmal figurierenden gruppeneigenen Initiationsnarbe dient, wird diese Geschichte gleich in zweifachem Sinne parabolisch genutzt und für Zwecke einer dem besonderen Bekenntnis der neuen Glaubensgemeinschaft zuträglichen Vergangenheitsbewältigung oder historischen Rekonstruktion in Anspruch genommen.

Zum ersten wird sie zum Gleichnis für jenen historisch-empirischen Prozess, dem die neue Glaubensgemeinschaft selbst ihr kümmerliches Dasein verdankt, nämlich für die Vertreibung und Vernichtung des reinen Hirtennomadismus durch die landbestellenden Flusskulturen. Indem der Ackerbauer Kain sich gegen den Hirtennomaden Abel erhebt und ihn umbringt, sprich, ihn aus seiner unter vorderasiatischen Bedingungen flusskulturell organisierten agrarischen Welt schafft, zerstört er die brüderliche Eintracht, in der beide anfänglich zusammenleben und verurteilt den "Getöteten" zu jener armseligen subsistenziellen Kompromissbildung, jener erbärmlichen halbnomadischen Daseinsform, die ihm beziehungsweise seiner Sippe, in der er als Seth, als Same fortlebt, ein zwischen Welt und Wüste, Baum und Borke, eingeklemmtes Leben aufzwingt.

Zum zweiten aber präsentiert sich die stammesätiologische Anekdote als Gleichnis für eine theologische Konkurrenz und Konfrontation, die ihrerseits der wahre Beweggrund, das schicksalhaft treibende Motiv für jene Vertreibung und Verdrängung der Vertreter eines reinen Hirtennomadismus aus dem zivilisatorischen Zusammenhang der sesshaften, agrarisch tätigen Gesellschaften ist. Wenn der Ackerbauer den Hirtennomaden aus seinem Gesichtskreis eliminiert, mit Gewalt aus seiner fruchtbaren Welt schafft und ins Niemandsland der Wüstenrandzonen expediert und ihn dadurch in der Tat als solchen "tötet", ihn zum auf Basis einer subsistenziellen Mischwirtschaft mühsam sein Leben fristenden Halbnomaden deklassiert, dann – so die Botschaft der Geschichte von Kain und Abel! – deshalb, weil er ihm seine besondere Beziehung zu Gott neidet, ihm übel nimmt, dass er, der Hirtennomade Abel, dem Herrn des Seins ein Opfer bringt, das dieser "gnädig ansieht", sprich, eine kultische Beziehung zum Herrn des Seins unterhält, die dieser für kultisch angemessen befindet, während das Opfer, das er selbst, der Ackerbauer Kain, dem Herrn des Seins bringt, von ihm "nicht gnädig angesehen", sprich, als unzulängliche Bezugnahme verworfen wird.

Kultisch-religiös betrachtet, findet sich demnach – dieser Rekonstruktion der Vergangenheit oder retrospektiven Geschichtsdeutung nach – am Anfang bereits jene Konstellation, die am Ende, in der Gegenwart der sich konstituierenden jüdischen Glaubensgemeinschaft, von der letzteren unverändert für ihr Verhältnis zu den reichen Nachbarn, den umgebenden Völkern, geltend gemacht wird und die zugleich den im Wortsinn entscheidenden Grund für die ökonomische Benachteiligung, soziale Unterlegenheit und politische Bedeutungslosigkeit abgibt, zu der sich die Glaubensgemeinschaft im Verhältnis zu den Völkern hier und jetzt verurteilt findet: die Konstellation zweier religiöser Haltungen beziehungsweise kultischer Verhaltensweisen, von denen die eine Gott wohlgefällig ist, von ihm gnädig angesehen wird, bei ihm Zustimmung findet, wohingegen die andere bei ihm auf Ablehnung stößt, sein Missfallen erregt und von ihm verworfen wird.

Während die rein nomadischen Vorfahren der halbnomadischen Sippenverbände, die sich zur jüdischen Glaubensgemeinschaft vereinigen, von Anbeginn an dem Herrn des Seins auf die rechte Weise dienen und zu ihm eine durchs Opfer bezeugte ungetrübt reflexive Beziehung unterhalten, sprich, in seinem Angesicht leben und ihm den klaren Spiegel seiner Schöpfermacht vorhalten, weisen die Vorfahren der ackerbautreibenden Gesellschaften nicht minder von Anfang an ein gestörtes Verhältnis zum Herrn des Seins auf, bringen, wie ihre misslingende Opferhandlung zeigt, jene ungetrübte Reflexion auf ihn, jene reine Spiegelung seiner, nicht zustande und reagieren auf ihr Unvermögen damit, dass ihre "Gebärde sich verstellt", sie quasi die religiöse Fassung verlieren und, statt im Angesicht Gottes zu sein, vielmehr böse Miene zum guten Spiel machen und von dem kultischen Verhältnis, dessen sie unfähig sind, überhaupt nichts mehr wissen wollen, es sich in toto aus den Augen zu schaffen trachten, wobei gleichermaßen metaphorischer Ausdruck und praktische Konsequenz dieses Sich-aus-den-Augen-Schaffens dessen, was, weil es einem selber versagt bleibt, nichts als Unmut und Neid erregt, die Vertreibung derer ist, denen es nicht versagt bleibt und die vielmehr in seinen Genuss gelangen – eine Vertreibung, die als regelrechte Ermordung vorgestellt wird, weil sie die Vertriebenen unwiderruflich verändert oder, besser gesagt, entstellt und ihr Überleben an einen radikalen Wechsel des Existenzmodus knüpft, durch den aus dem Hirtennomaden, dessen Großvieh auf grünen Auen weidet, der Halbnomade wird, der auf kargen Böden ackert und sein Kleinvieh hütet. Weil die einen auf ihr Unvermögen, zum lebendigen Gott eine Beziehung zu knüpfen beziehungsweise zu unterhalten, mit der Abwendung von ihm und der eifersüchtigen Verwerfung all dessen reagieren, was an ihr Scheitern gemahnt, bezahlen die anderen, die dieser Beziehung fähig sind, ihren Einklang mit dem lebendigen Gott, ihren qua Opferhandlung gelingenden Gottesdienst mit einer Verfolgung und Vertreibung, die ihre Lebensumstände so gründlich verändert, ihnen so sehr zum Nachteil ausschlägt, dass sie im Blick auf ihr früheres Dasein in der Tat einer Ermordung gleichkommt.

Im Lichte dieser anfänglichen Konstellation von einem in Gestalt des Ackerbauern triumphierenden falschen und einem in Person des Hirtennomaden leidtragenden wahren Glauben, die im Götzendienst der die fruchtbaren Ebenen okkupierenden und dort ihre ganze Macht entfaltenden agrarischen Kulturen und im Gottesdienst der an die unfruchtbare Peripherie verdrängten und dort ihr karges Leben fristenden halbnomadischen Gemeinschaften gleichermaßen ihre historische Fortsetzung und ihre systematische Entfaltung findet, stellt sich nun aber die oben interpretierte Parabel vom Sündenfall noch einmal neu und anders dar und gewinnt insbesondere der oben geflissentlich überspielte Umstand, dass sich der entscheidende Erkenntnisakt dort ja nicht als objektive Feststellung, als das, was er an sich ist, als ontologisch-reelle Unterscheidung zwischen Sein und Schein, sondern je schon als durch die objektive Feststellung provozierte reaktive Einstellung, nämlich als moralisch-kriterielle Unterscheidung zwischen Gut und Böse präsentiert, seinen eigentümlichen Sinn.

Das heißt, der Sündenfall, der Übergang aus dem Stande kreatürlicher Unschuld in einen Zustand kreatürlichen Selbstbewusstseins, zeigt sich in der Interpretation des als Sprachrohr der jüdischen Glaubensgemeinschaft argumentierenden Verfassers der Schöpfungsgeschichte geprägt und in der Tat als solcher bestimmt durch die gleich zu Anfang der Menschheitsentwicklung vorfallende und im Bilde des Fehlschlags der Opferhandlung des Ackerbauern Kain, des Prototyps der agrarischen Zivilisationen, festgehaltene Erfahrung vom Misslingen der Beziehung zum lebendigen Gott und die daraus erwachsende Bereitschaft beziehungsweise blindwütige Entschlossenheit der Betroffenen, nicht länger im Angesicht Gottes zu bleiben und vielmehr ihn mitsamt allem was an ihn gemahnt, aus ihrem Gesichtskreis zu verbannen oder, aus der Perspektive derer gesprochen, die den lebendigen Gott im Blick behalten, sich vor seinem Angesicht zu verbergen. In der Interpretation des Verfassers der Schöpfungsgeschichte stellt sich mit anderen Worten der den Herrn des Seins wahrnehmende und hierbei der Wahrheit über die Kreatürlichkeit oder Künstlichkeit der Welt, ihre Unwirklichkeit, inne werdende anfängliche Erkenntnisakt deshalb als Sündenfall dar, weil er vor dem Hintergrund oder vielmehr im Umfeld einer, wie der Fortgang der Geschichte zeigt, ebenso generellen wie gegenteiligen Bewusstseinslage statthat, deren Konstitutiv eine ins Bild der "Gebärde", die sich "verstellt", gebannte besinnungslose Verleugnungshaltung, sprich, eine radikale Weigerung ist, im Angesicht des Erkannten zu bleiben, sprich, den lebendigen Gott anzunehmen und als Reflexionspunkt eines eben dadurch existenziell gewendeten und in seinem neuen Objektiv ebenso selbstvergessen alterierten wie von Grund auf konvertierten Bewusstseins gelten zu lassen.

Aus dieser Perspektive ist der Sündenfall, der Verlust der anfänglichen kreatürlichen Unschuld, die alleinige Sache, das ausschließliche Privileg der in der Gestalt des Abel beschworenen nomadischen Vorfahren der jüdischen Glaubensgemeinschaft, weil sie die einzigen sind, die sich weigern, jene Verleugnungshaltung mitzumachen, und vielmehr bereit sind, den entscheidenden Erkenntnisakt zu vollziehen und ihr Bewusstsein jenem als toto coelo fremdes Selbst erfahrenen anderen Subjekt zu öffnen und auszuliefern, sprich, sich um den Preis einer rückhaltlosen Entwirklichung des eigenen Daseins, eines völligen Verlusts jeder – nicht als Identifikation mit dem Creator, als absoluter Entäußerungsakt wohlverstandenen – Sichselbstgleichheit im Gewahrsam des lebendigen Gottes aufzuhalten, in seinem Angesicht Stellung zu beziehen. So sehr demnach die als Sündenfall apostrophierte Vertreibung aus dem Paradies exoterisch-systematisch das generelle Schicksal der im Prototyp Adam verkörperten gesamten Menschheit ist, so sehr ist sie doch esoterisch-historisch die spezielle Erfahrung der im Stammvater Adam ihren Anfang nehmenden und in der Kontinuität einer langen Reihe nomadischer Patriarchen und halbnomadischer Hierarchen sich behauptenden jüdischen Glaubensgemeinschaft, weil allein sie, die in dieser genealogischen Tradition stehende Gemeinschaft, die Erkenntnis des Herrn des Seins mit allen für die Wirklichkeit der Welt in genere sich ergebenden vernichtenden Konsequenzen und allen das eigene Dasein in specie betreffenden existenziellen Verwerfungen akzeptiert und bewahrt.

Während alle anderen, die formell oder systematisch in Adam als erstem Menschen ihren Prototyp findenden Völker, eifersüchtig danach trachten, sich ihre vorgeblich gediegene Wirklichkeit und ihre vermeintlich substanzielle Sichselbstgleichheit zu erhalten, und deshalb jene entscheidende Erkenntnis, jenes Bewusstsein der ontologischen Differenz, das ihnen alle Sichselbstgleichheit unwiderruflich zerstört und verschlägt, um jeden, in ihren götzendienerisch-falschen Kulten bestehenden Preis verleugnen und verdrängen, ist sie, die reell oder historisch in Adam als erstem Zeugen ihren Stammvater reklamierende Glaubensgemeinschaft, die einzige, die sich jener Erkenntnis stellt und aber, weil sie, um sich ihr stellen und sie ertragen zu können, sich mit ihr selbstverleugnend identifizieren, sprich, sie als das allein Rechte, als das höchste Gut, die absolute Wahrheit, den lebenspendenden Geist erkennen muss, nun auch gezwungen ist, jede Verleugnung und Verdrängung jener Erkenntnis als das Unrechte schlechthin, als selbstverräterische Bosheit und Lüge, als tötende Sünde wider den Geist zu begreifen. Während die anderen, die ackerbaulichen Völker, sich dafür entscheiden, von der Wahrheit des lebendigen Gottes, die die bis zum Offenbarungseid dieser Wahrheit als Paradies erscheinende Welt kostet, nichts wissen zu wollen, und sich deshalb vor der drohenden Entwirklichung der Welt oder Vertreibung aus dem Paradies in ihre selbstgemachte Wirklichkeit, ihre fetischistisch eigene Welt flüchten, sich in ihre eigenen, von ihren Götzen kultisch sanktionierten paradaisoi, ihre aus eigener Kraft oder vielmehr kraft der ihnen fronwirtschaftlich verfügbaren Arbeit geschaffenen Oasen und Plantagen, Jagdparks und Lustgärten hinüberretten, kurz, im besinnungslosen Reflex aus kreatürlicher Unschuld in kreatürliche Blindheit regredieren, sind sie, die in der Tradition des Hirtennomadismus stehenden halbnomadischen Gruppen, die einzigen, die in der unwirtlichen Öde ihres desillusionierten Bewusstseins, ihres Wissens vom Sein des Anderen und vom eigenen Schein, ausharren, weil sub specie dieses festgehaltenen und zum Existenzial erhobenen Wissens jeder nach Völkerart unternommene Versuch, sich dumm zu stellen und in Blindheit zu hüllen, als absichtliche Verblendung, wissentliche Verstellung, sprich, als Verrat am höchsten Gut, als böse, oder als Abfall vom Geist der Wahrheit, als Sünde, erscheint.

In dem so verstandenen Sinne sind sie mit anderen Worten die einzigen, die sich in Gestalt ihres Stammvaters Adam tatsächlich aus dem Paradies, dem Stande der Unschuld, vertreiben lassen und denen angesichts der Tatsache, dass sich alle übrigen der Vertreibung durch Verdrängung oder der Desillusionierung durch Verleugnung entziehen, sprich, sich ihre Unschuld durch Regression in einen Zustand der Schuldunfähigkeit erhalten, einen Zustand, der nur ihnen, die sich der Wahrheit stellen, als falsch und verlogen erkennbar wird, jener als Sündenfall firmierende Erkenntnisakt nolens volens aus einer bloß ontologischen zu einer mehr noch moralischen Unterscheidung, aus einem Bewusstsein, was Sein und Schein, zu einem Wissen, was gut und böse ist, gerät. Jenes dem Scheitern der Opferbeziehung und der Verstellung der Gebärde entspringende götzendienerische Sichverbergen vor dem Angesicht Gottes, das als eine aus Verleugnung geborene Unwissenheit, eine aus Verdrängung entstehende Bewusstlosigkeit bei allen anderen in einer Weigerung, das Paradies zu räumen, sprich, in einem als kreatürliche Blindheit kontinuierten Zustand kreatürlicher Unschuld resultiert – es gibt sich ihnen und nur ihnen, die im Angesicht Gottes verharren und, um unter seinem Blick nicht zugrunde zu gehen, die existenzielle Wendung vollziehen, sich in sein reines Reflexiv, seinen Spiegel, zu verwandeln, als eine Bosheit und Sünde zu erkennen, die zu begehen einer Preisgabe ihres einzigen Seinsbezugs, einem existenziellen Selbstverrat gleichkäme und die ex negativo ihrer vernichtenden Bedeutung, ihrer Tödlichkeit dafür sorgt, dass sie sich nicht nur wie alle anderen ein für allemal aus dem natürlichen Paradies vertrieben, der kreatürlichen Unschuld beraubt finden, sondern mehr noch als einzige von jedem durch Verleugnung der Wahrheit zu erlangenden Ersatzparadies für alle Zeit ausgeschlossen, zu jeder durch Verstellung der Gebärde, durch Blindheit, herzustellenden kultürlichen Unschuld unwiderruflich unfähig bleiben.


Die im Akt der Erkenntnis der ontologischen Differenz zwangsläufig einbegriffene Konversion Adams und der in seinen Fußstapfen wandelnden jüdischen Glaubensgemeinschaft zum lebendigen Gott nimmt diesen in die Pflicht und ändert den Schöpfungsplan. Deshalb weist Gott den selbstvergessenen Glauben an ihn als Anmaßung und Zumutung zurück und stürzt damit die Gläubigen in das Dilemma, sich der göttlichen Zurückweisung ebenso unbedingt unterwerfen zu müssen wie sie unmöglich akzeptieren zu können. Die Lösung des Dilemmas besteht in einer interpretativen Umkehrung der Geschehensabfolge, dank deren nicht der Ungehorsam der Kreatur als Reaktion auf die inakzeptable Zurückweisung, sondern die Zurückweisung als notwendige Folge des ihr bezeigten Ungehorsams gilt.

Warum freilich das Unterscheiden zwischen Gut und Böse, das Bewusstsein der Sünde, das die in Adam ihren Stammvater reklamierenden Juden im Unterschied zu den Völkern, denen die Sünde, die Abwendung vom lebendigen Gott, zur zweiten Natur, zur schuldunfähigen Verstellung wird – warum dies theoretische Sündenbewusstsein, das sie kraft ihres Verharrens im Angesicht Gottes erlangen, ihnen von letzterem als praktischer Sündenfall angekreidet und mit massivsten Strafkonsequenzen heimgezahlt wird, erscheint aus der Perspektive dieser historisch-spezifischen Deutung der Parabel von der Vertreibung aus dem Paradies alles andere als verständlich und mutet auf den ersten Blick tatsächlich wie ein unergründliches Rätsel an. Wenn die in der Nachfolge des Stammvaters Adam im Angesicht Gottes als im Gewahrsam ihres höchsten Guts, ihrer existenziellen Identität verharrende jüdische Glaubensgemeinschaft die Abwendung von Gott, das Sichverbergen vor seinem Angesicht, das die Völker betreiben und das diese in einen, wie die Metapher vom Kainszeichen anzeigt, strafenthobenen Zustand paradiesischer Blindheit oder unschuldiger Gottlosigkeit versetzt – wenn also die jüdische Glaubensgemeinschaft solche Abwendung von Gott vielmehr als böse, als Sünde ein für allemal erkennt und unbeirrbar festhält, warum kreidet ihr Gott dann ihr Erkennen und Beharren als strafwürdiges Vergehen, als an sich schon böse, eo ipso Sünde an?

Keine Frage, dass der von ihr existenziell vollzogene Erkenntnisakt sie – im Unterschied zu den in ihre Ersatzparadiese, in die Unschuld ihrer festen Städte und bebauten Gärten, ihrer auf die Sanktion sakraler Alibis gegründeten potemkinschen Dörfer flüchtenden Völkern – unwiderruflich aus dem kreatürlichen Paradies vertreibt und in die unwirtliche Öde einer illusionslosen Sicht vom Dasein des Menschen, seiner im Vergleich mit dem anderen Subjekt, dem Herrn des Seins, offenbaren kategorischen Substanzlosigkeit und ontologischen Nichtigkeit versetzt! Aber ist denn dieser erkenntnistheoretische, das menschliche Sein als kreatürlichen Schein entlarvende und ihm jeglichen eigenen Sinn, jegliche autonome Bestimmung, jegliche originale Lebendigkeit verschlagende Offenbarungseid ein Grund, denen, die ihn ablegen, nun mehr noch lebenspraktisch am Zeug zu flicken und ihre existenzielle Not und Verzweiflung durch subsistenzielles Elend und Ungemach zu krönen, ihnen ihr ohnehin schon ontologisch-prinzipiell entwirklichtes und entwertetes Dasein auch noch empiriologisch-reell zu vergällen und zur Hölle zu machen?

Wenn die auf den Wegen des Stammvaters Adam wandelnde jüdische Glaubensgemeinschaft den lebendigen Gott mit allen, Sein vom Schein irreversibel scheidenden Konsequenzen erkennt und, um an der Erkenntnis nicht zugrunde zu gehen und eben jene ihr Dasein im Kern vernichtenden Konsequenzen ertragen zu können, sich mit dem Aggressor oder vielmehr ihrem Creator identifiziert, den lebendigen Gott als ihr höchstes Gut und wahres Selbst weiß, was tut sie denn da Strafwürdiges, dem lebendigen Gott und dem Sein, das er ist, Zuwiderlaufendes? Was tut sie, außer dass sie durch ihren eifrigen Gottesdienst, ihr dem Herrn des Seins allein die Ehre gebendes selbstverneinendes Bewusstsein jegliches selbstbewusste Im-Leben-Stehen als eine ihrer wahren Identität widerstreitende, sündige Prätention verwirft, jedes Paradies auf Erden als mit der Wahrung ihres höchsten Guts unvereinbare, böse Illusion fahren lässt?

Müsste Gott nicht dem in der jüdischen Glaubensgemeinschaft seine Nachfahren findenden Adam die Tatsache, dass er ihm allein die Ehre gibt, nichts mehr als ihn zu bekennen und zu bezeugen bereit ist, ihm sich als willenloses Gefäß und willfähriges Werkzeug in die Hand gibt, ihm sich unter Preisgabe jeglichen Anspruchs auf selbstbestimmtes Dasein oder substanzielles Eigenleben zu Füßen legt – müsste Gott nicht Adam im Gegenteil diese seine existenzielle Entscheidung zum Verdienst anrechnen und honorieren? Müsste er Adam nicht die persönliche Vernichtung und Selbstaufgabe, der sich dieser stellt und die er auf sich nimmt, die illusionslose seelische Unscheinbarkeit und unwirtliche geistige Öde, in der er zu existieren beschließt, um ihm, dem absolut anderen, unerkennbar distanten Subjekt treu zu bleiben, ihn, den in der unendlichen Verschiedenheit, der zeitlosen Vergangenheit seines Seins verborgenen lebendigen Gott zu bezeugen – müsste er Adam nicht eigentlich dieses sein intellektuelles Autodafé, das ihn aller paradiesischen Unschuld entreißt, ihm jeden Anspruch, im irdischen Dasein als in seiner angestammten Domäne, seinem substanziellen Erbe Herr und zu Hause zu sein, verschlägt, durch ein bisschen materielles Glück auf Erden kompensieren, durch ein bisschen Wohlstand und Geborgenheit in diesem ihm gleichermaßen entfremdeten und entwerteten, ihm als Sphäre göttlicher Scheinerzeugung, als creatio ex nihilo, ebenso gleichgültig gewordenen wie sein unentrinnbares Schicksal bedeutenden Milieu vergelten?

Warum also lässt Gott zu, dass die Völker der in der Nachfolge des Stammvaters Adam wandelnden jüdischen Glaubensgemeinschaft, seinem für ihn sich erklärenden, zu ihm sich bekennenden, ihn bezeugenden Volk, so übel mitspielen, dass die ackerbautreibenden Gesellschaften ihre hirtennomadischen Brüder aus den fetten Fluren, auf denen sie selbst ökonomisch gedeihen und zivilisatorisch florieren, vertreiben und zu einem politisch ebenso elenden wie ökonomisch kargen halbnomadischen Leben am Rande der Wüste verurteilen? Warum gestattet Gott, dass die Nachbarn der jüdischen Glaubensgemeinschaft ihre existenzielle Treue mit subsistenzieller Not heimzahlen, dass sie, die vor dem Angesicht Gottes sich in götzendienerischer Blindheit verbergenden Völker, die Glaubensgemeinschaft dafür, dass diese Gott allein die dogmatisch-kultische Ehre gibt und eine exklusive Beziehung zu ihm behauptet, ebenso wie Gott selbst aus ihrem Milieu und Gesichtskreis verdrängen und durch den Entzug beziehungsweise die Demontage gleichermaßen ihrer empirisch-ökonomischen Lebensbedingungen und ihrer praktisch-politischen Entwicklungschancen bestrafen?

Oder vielmehr, warum ist Gott selbst darauf aus, die Gemeinschaft ihre existenzielle Entscheidung für ihn büßen zu lassen, warum sorgt er höchstpersönlich dafür, dass sie für ihren ihm allein die Ehre gebenden und ihr ganzes Dasein neu bestimmenden Erkenntnisakt statt Gotteslohn im Gegenteil die Strafe Gottes empfangen? Denn dass die Völker, wenn sie ihre hirtennomadischen Brüder vertreiben und ins semiaride Niemandsland verstoßen, nur Instrument Gottes sind, nur ausführen, was er rätselhafterweise über die Armen beschlossen hat – daran lässt zumindest der Verfasser der Schöpfungsgeschichte, das Sprachrohr der Glaubensgemeinschaft selbst, nicht den mindesten Zweifel. Gott in eigener Person ist es ja, der den Acker verflucht, auf den er den aus dem Paradies verbannten Adam zu allem Überfluss oder, besser gesagt, zu aller Kargheit hinaustreibt, der darauf Disteln und Dornen wachsen lässt und der Adam dazu verdammt, im Schweiße seines Angesichts sein Brot zu essen. Gott selbst ist es, der über seine nomadischen Gläubigen, seine Zeugen auf Erden, jene sie zu einem Dasein in Not und Elend verurteilende Strafe verhängt, die dann die agrarischen Völker eilfertig an ihnen vollstrecken.

Und Gott tut das, weil er, ganz gegen alle natürliche Erwartung, Anstoß an dem von Adam vollzogenen und, wie dem Herrn des Seins allein die Ehre gebenden, so die ganze Welt, Adams eigenes Dasein eingeschlossen, als kreatürlichen Schein entlarvenden Erkenntnisakt nimmt, weil er mit anderen Worten, weit entfernt davon, das Zeugnis Adams, sein Bekenntnis zu ihm, dem lebendigen Gott, als löblich oder gar dankenswert anzusehen, es vielmehr als unerhörte Zumutung und in der Tat strafwürdigen Übergriff zurückzuweisen geneigt ist. Dabei macht Gott auch gar kein Geheimnis daraus, warum er jenen Erkenntnisakt als strafwürdige Zumutung empfindet, sondern schickt die Erklärung dafür der Verhängung der Strafe unmittelbar voraus: Adam sei, erklärt er, "geworden wie unsereiner". Demnach wäre das Strafwürdige an Adams Verhalten, dass er sich durch seine Erkenntnis mit Gott auf eine Stufe stellte, dass in ihm die Schöpfung dem Schöpfer Konkurrenz machte, sich als ebenbürtig, als ihrerseits göttlich behauptete; weil Adam sich erdreistete, Gott das Wasser reichen zu wollen, wiese dieser also den anmaßenden Konkurrenten in seine Schranken oder verbannte ihn, um im Bild zu bleiben, in die wasserlose Dürre der erbärmlichsten Kreatürlichkeit.

So einleuchtend auf den oberflächlich ersten Blick diese Interpretation erscheinen mag, bei näherem Zusehen ist sie schwerlich geeignet, das Rätsel der göttlichen Reaktion auf den menschlichen Erkenntnisakt zu lösen. Abgesehen davon, dass es ja keineswegs einsehbar ist, warum der Schöpfer etwas dagegen haben sollte, wenn es seinem Geschöpf gelingt, sich aus eigener Kraft auf seine Stufe zu heben und ihm ähnlich oder gar gleich zu werden, es sei denn, wir unterstellen ihm wenig großmütige und in der Tat höchst ungöttliche Regungen wie Geltungs- und Eifersucht, kleinliches Konkurrenzdenken, blanken Neid – abgesehen davon also haben die oben angestellten Überlegungen zur Bedeutung beziehungsweise inhaltlichen Bestimmung, die unter den durch den göttlichen Schöpfungsakt gesetzten Bedingungen dem als Sündenfall apostrophierten menschlichen Erkenntnisakt zukommt, gezeigt, dass von einer durch letzteren zu erreichenden Gleichstellung des Geschöpfs mit dem Schöpfer im strengen, ontologischen Sinne gar nicht die Rede sein und wirkliche Konkurrenz im Verstand einer in Gleichartigkeit, um nicht zu sagen, Artgleichheit gründenden exemplarischen Austauschbarkeit von Geschöpf und Schöpfer demnach gar nicht statthaben kann. Was die in der Nachfolge des Stammvaters Adam stehende jüdische Glaubensgemeinschaft mit ihrem zwischen Sein und Schein beziehungsweise – sub specie ihrer Entscheidung für das Sein und gegen die Flucht in den Schein – zwischen Gut und Böse unterscheidenden Erkenntnisakt erreicht, ist keine ontologische, sondern nur eine epistemologische Gleichstellung mit Gott, ist nicht das göttliche Sein, sondern nur das Selbstbewusstsein Gottes. In Erfüllung des Wortes der Schlange wird Stammvater Adam durch seine Erkenntnis Gott gleich also ausschließlich in der Bedeutung, dass er Gott weiß, das Bewusstsein Gottes gewinnt, nicht etwa in dem Sinne, dass er Gott ist, dass das Bewusstsein Gottes nichts weiter als Bewusstsein seiner selbst, schieres Selbstbewusstsein ist.

Weil vielmehr unmittelbar das genaue Gegenteil der Fall ist, weil die Erkenntnis des Creators und seines Seins Hand in Hand geht mit der Wahrnehmung der eigenen Kreatürlichkeit und Nichtigkeit, weil das Bewusstsein Gottes, die Teilhabe an seinem Selbstbewusstsein untrennbar verknüpft ist mit der Einsicht in die Scheinbarkeit und Substanzlosigkeit allen vermeintlich eigenen Selbstes – eben deshalb stellt sich Adam ja jene Erkenntnis als eine veritable Entscheidungssituation dar, in der er entweder, um an seinem Wissen nicht zu zerbrechen und zugrunde zu gehen, in seiner Funktion als Gründungsheros der Völker und ihrer agrarischen Gesellschaften es verleugnen und verdrängen, sprich, sich vor Gottes Angesicht verbergen und in seine götzendienerischen Kulte flüchten muss, oder aber, um sein Wissen als Bewusstsein akzeptieren und ertragen zu können, gezwungen ist, in seiner Eigenschaft als Stammvater der in der jüdischen Glaubensgemeinschaft resultierenden hirtennomadischen Tradition zu dem, den er weiß, rückhaltlos zu konvertieren, sich mit seinem Bewusstsein von ihm selbstverleugnend zu identifizieren, mit anderen Worten, sich auf ein nichts als den lebendigen Gott bekennendes künstliches Gefäß, ein nichts als den aktiven Schöpfer bezeugendes reflexives Werkzeug, kurz, auf einen Spiegel zu reduzieren, der nichts mehr zu sein beansprucht, als ein selbstvergessen existenzielles Verhältnis, der immanente Widerschein des als sein transzendentes Selbst perennierenden Herrn des Seins.

Nur also in dem ironischen Sinn, in dem sich vom Spiegel sagen lässt, dass er Ebenbild dessen ist, den er spiegelt, oder vom Bewusstsein, dass es an dem, was es weiß, teilhat, attestiert Gott Adam, er sei "geworden wie unsereiner". Warum dann bleibt Gott die Ironie im Halse stecken oder schlägt, besser gesagt, in Zorn und Strafwut um? Warum kann der Schöpfer nicht geschmeichelt zur Kenntnis nehmen oder sich jedenfalls gefallen lassen, dass eines seiner Geschöpfe sich ihm existenziell verschreibt, ihm allein die Ehre gibt, sich aufs Reflexiv seiner absoluten Realität, auf den immanenten Widerschein seines transzendenten Seins reduziert? Was, wenn es Angst vor einer menschlichen Konkurrenz nicht sein kann und auch nicht die Gott in den Mund gelegte und aber, wie oben expliziert, eher der falschen Begründung der Gotteserfahrung im Geschlechtsleben durch den Verfasser der Parabel geschuldete Besorgnis, Adam könne ewiglich leben – was dann bringt Gott dazu, auf den ihm eigentlich nur ad majorem gloriam gereichenden Erkenntnisakt seines Geschöpfes so animos und verweisend zu reagieren, wie er das tut?

Der Grund für die animose Reaktion des Schöpfers auf jene ihm doch eigentlich nur die Ehre seines unvergleichlichen Seins erweisende epistemologische Verähnlichung Adams oder Angleichung an den göttlichen Wissensstand liegt in der erwähnten Konversion Adams, in eben der Selbstaufgabe und Identifikation mit ihm, dem Creator, die Adam vollziehen muss, um das, was er weiß, seine Erkenntnis des Seins Gottes und seiner eigenen Nichtigkeit, die sich vor dem Hintergrund der Möglichkeit, die Identifikation nicht zu vollziehen und statt dessen die Erkenntnis zu verweigern, als Erkenntnis von Gut und Böse präsentiert – um also dieses Bewusstsein von der ontologischen Differenz zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen überhaupt akzeptieren und ertragen zu können. So gewiss nämlich diese Erkenntnis, dieses Bewusstsein des als das toto coelo andere Subjekt perennierenden Herrn des Seins und lebendigen Gottes, Adam zu der existenziellen Entscheidung zwingt, sich mit letzterem zu identifizieren, sprich, in rückhaltloser Selbstverleugnung oder, besser noch, rücksichtsloser Selbstvergessenheit in ihm seine exzentrisch neue Identität oder sein ekstatisch wahres Selbst zu finden, so gewiss verändert durch seine existenzielle Entscheidung Adam den Schöpfungsplan, greift er in die Gerechtsame der göttlichen Allmacht ein, vergeht er sich gegen die absolute Entscheidungs- und Handlungsfreiheit seines Schöpfers.

Wenn das in seinem transzendenten, ewigen Sein perennierende andere Subjekt, der lebendige Gott, einem Einfall, einer Laune folgend, die Welt in genere wortmächtig als seine Kreation projiziert beziehungsweise den Menschen in specie kunstfertig als seine Kreatur fabriziert, dann ja wohl, um sich mit diesem verbalen Projekt beziehungsweise materialen Artefakt zu vergnügen, sich in ihm zu divertieren, nicht, sich in ihm zu engagieren und mit ihm zu belasten. Kreativ wird Gott, um sich mit dem Wortgebilde oder Kunstwerk, das er schafft, die Zeit zu vertreiben und zu zerstreuen, nicht um von ihm in Anspruch und in die Pflicht genommen zu werden. Am Ende wohlgefällig auf seine Kreation blickend, hat er vor, sich an ihr zu erfreuen und, solange es ihm gefällt, in ihr zu verlieren, nicht, sich in ihr zu erfahren und selbst wiederzufinden. Genau das aber geschieht: Indem Gott auf seine irdische Kreation blickt, blickt sie in Gestalt der menschlichen Kreatur auf ihn zurück, indem er seine zur Welt entfaltete Vorstellung oder Ausführung anschaut, schaut in der Person Adams auch sie ihn an, beantwortet seine Wahrnehmung damit, dass sie ihrerseits ihn gewahrt.

So unverhofft diese Reaktion der Kreatur auch sein, so sehr die den göttlichen Blick erwidernde menschliche Erkenntnis den Creator auch überraschen mag, er könnte sie als einen unverhofften Effekt seines kunstfertigen Wirkens zur Kenntnis nehmen, könnte sie vielleicht auch als einen in den Mechanismen, die er geschaffen hat, versteckten spontanen Automatismus amüsant und unterhaltsam finden, könnte sie am Ende gar als Ausweis seiner unerschöpflichen Schöpfungskraft, seines nicht einmal ihm selber erforschlichen Ingeniums gutheißen. Er könnte mit anderen Worten den eigentümlich menschlichen Erkenntnisakt, die unverhoffte Reflexion der adamitischen Kunstfigur auf ihn, den lebendigen Schöpfer, als ihm die Ehre seines kreativen Seins gebende besondere Leistung gelten lassen, wäre da nicht der Umstand, dass jener menschliche Erkenntnisakt, jener reflexive Bezug der Kreatur auf den, der sie gemacht hat, für die Kreatur selbst die ganze Tragweite einer existenziellen Entscheidung gewinnt. Weil die Erkenntnis des lebendigen Gottes für den Erkennenden selbst, den menschlichen Golem, untrennbar verknüpft ist mit der tödlichen Einsicht in die eigene Scheinbarkeit und Nichtigkeit, findet sich ja der Erkennende, um sie überhaupt akzeptieren und ertragen zu können, zu dem als Identifikation mit dem Creator beschriebenen Konversionsakt gezwungen, kraft dessen er sich jeder Selbstbehauptung, jeglichen Insistierens auf einem eigenständigen Dasein und selbstbestimmten Bewusstsein begibt und sich im Sinne des Wortes existenziell entscheidet, sprich, sich auf einen getreulichen Spiegel, einen reinen Reflektor reduziert, der im Herrn des Seins sein exzentrisch absolutes Selbst gewahrt, im lebendigen Gott seine ekstatisch exklusive Identität gewinnt.

Nur dadurch, dass Adam sich in ein nichts mehr als den Herrn des Seins bekennendes selbstloses Gefäß, ein nichts sonst als den lebendigen Gott bezeugendes willenloses Werkzeug verwandelt, kann er der Unwirklichkeit und Wertlosigkeit entrinnen, deren der Anblick des Herrn des Seins ihn überführt, kann er sich aus dem Verderben retten, in das die Offenbarkeit des lebendigen Gottes ihn stürzt, und kann er nämlich, wie oben gezeigt, wenn auch beileibe keine ontologische Salvierung, keine Befreiung von seiner Scheinhaftigkeit und Nichtigkeit, seinem kreatürlichen Tod erwirken, so immerhin doch eine epistemologische Sanierung, eine Versöhnung mit seiner ihm durch sein selbstloses Bekenntnis, sein willenloses Zeugnis gleichgültig gewordenen Scheinhaftigkeit und Nichtigkeit, eine Ergebung in das ihn nicht mehr tangierende Schicksal seiner Kreatürlichkeit erlangen.

Eben diese wohlzuverstehende Selbstrettungsaktion des Stammvaters der jüdischen Glaubensgemeinschaft aber, diese Preisgabe des eigenen, als nichtig erkannten Selbstes und Hingabe an das allein seiende Selbst des andern Subjekts, diese mit dem theoretischen Erkennen Hand in Hand gehende praktische Konversion – sie verändert nun die Geschäftsbedingungen des göttlichen Unternehmens, verändert Sinn und Zweck des Opus Dei, verändert das Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf. So gewiss Adam in der existenziellen Entscheidung seines Konversionsakts sich selbst vergisst, sein eigenes Dasein als nichtig preisgibt, um sich zum Spiegel des lebendigen Gottes zu machen und in ihm sein wahres Sein zu reflektieren, sprich, sein wirkliches Selbst zu gewahren, so gewiss alteriert oder vielmehr revidiert er die vom Schöpfer vorgesehene Beziehung zu seinem Geschöpf.

In eben dem Maß, wie Adam sich selbst demontiert und sich seinem Schöpfer ausliefert, sich ihm überantwortet, baut er auf ihn, vertraut er sich ihm an, bürdet er ihm Verantwortung auf. Während Gott im Blick auf seine Kreatur meint, sich in der neutralen Position eines interesselosen Beobachters oder leidenschaftslosen Genießers zu befinden, findet er sich durch die existenzielle Entscheidung der ihrerseits ihn in den Blick fassenden Kreatur, durch ihre angesichts seiner vollzogene Identifikation mit beziehungsweise Konversion zu ihm, vielmehr in die Lage einer involvierten Partei, eines interessierten Teilnehmers gedrängt, findet er sich mit anderen Worten von der Kreatur als das wahre Selbst, mit dem sie sich identifiziert, in Anspruch, als das wirkliche Subjekt, zu dem sie konvertiert, in die Pflicht genommen. Während Gott glaubt, wie mit der Welt in genere, so auch mit dem Menschen in specie etwas geschaffen zu haben, womit er sich beschäftigen und sich die Zeit vertreiben kann, ohne sich dem Geschaffenen emotional verbunden beziehungsweise moralisch verpflichtet fühlen zu müssen, belehrt ihn die menschliche Kreatur dadurch, dass sie ihn, ihren Schöpfer, gewahrt und aber, um ihn im Gewahrsam behalten zu können, in selbstvergessen-existenzieller Wendung zu ihm als zu ihrem wahren Selbst konvertiert, sich mit ihm als mit ihrer wirklichen Identität identifiziert, eines Besseren und nötigt ihm genau diese emotionale Bindung beziehungsweise moralische Verpflichtung auf.

In dem Maße, wie sich das Geschöpf seinem Schöpfer, um in seinem Angesicht verharren zu können, rückhaltlos ausliefert und ohne jeden eigenen Anspruch anheim gibt, kurz, sich ihm frei von Selbstsucht und Berechnung anvertraut, reklamiert es den Schöpfer als seinen Rückhalt, seinen Erhalter, nimmt es ihn als sein bei aller ontologischen Differenz existenziell eigenes Selbst, als denjenigen, der sich um es Gedanken machen, um es kümmern, um es sorgen muss, in Anspruch, kurz, setzt es ihr ganzes Vertrauen in ihn als die für es verantwortliche Macht. Eben dadurch, dass der Mensch sich Gott preisgibt, ihm unbeschränkte Vollmacht über sich einräumt, kein vom göttlichen Willen und Ratschluss irgend verschiedenes Wollen mehr kennt, erkauft er sich die Prokura Gottes, gibt sich in seine Obhut, macht ihn zu seinem Hirten und drückt ihm den Stecken und Stab in die Hand, ihn zu trösten, ihn zu leiten. Indem der Stammvater der jüdischen Glaubensgemeinschaft, Adam, sich dem Schöpfer verschreibt, nimmt er ihn unter Vertrag, indem er sich entscheidet, im Herrn allein zu existieren, kommt diese Entscheidung einem Engagement des Herrn gleich.

Der aber will sich nicht engagieren, geschweige denn engagieren lassen. Dass, was er, einem mehr oder minder unverbindlichen Einfall, einer Eingebung oder Laune folgend, wortmächtig beziehungsweise kunstfertig vor sich hin gestellt hat, ihm nun mit dem Anspruch entgegentritt, Gegenstand seines bleibenden Interesses, seiner beharrlichen Zuwendung und seiner zuverlässigen Fürsorge zu sein, ihm mit der Forderung begegnet, nicht nur sein ihn gegenwärtig divertierendes Werk, sondern auch eine ihn in alle Zukunft okkupierende Aufgabe zu sein, empfindet er als eine seine Selbstgleichheit, seine Seelenruhe störende Belastung, fasst er als eine mit dem Dasein dieser Kreatur ebenso wenig vereinbare Anmaßung wie seinem Sein zuwiderlaufende Zumutung auf. Mit ihrem in der Konversion zu ihm implizierten Anspruch auf seine Zuwendung tritt ihm die Kreatur zu nahe, der ihrer Identifizierung mit ihm eingeschriebene Appell an seine Obhut, seine Fürsorge stößt ihm als Impertinenz auf.

Der Schöpfer weist seine impertinente, weil in gläubiger Selbstpreisgabe ihn engagierende, in vertrauensvoller Hingabe ihn in Anspruch nehmende Kreatur also empört zurück, verwahrt sich indigniert gegen sie, will von ihrem Autodafé, ihrem zum Konversionsakt, zur Identifizierung mit ihm geratenden Erkenntnis seiner partout nichts wissen. Im gegebenen Kontext der Bereitschaft der übrigen Kreatur, die Erkenntnis ihres Schöpfers zu verdrängen und sich vor seinem Angesicht zu verbergen, im Umfeld mit anderen Worten des Verzichts der heidnischen Völker auf den Gewahrsam des lebendigen Gottes und ihrer Flucht in die kreatürliche Blindheit fetischistischer Kulte, das eigene, nichtige Dasein zu reaffirmieren bestimmter Götzendienste, nimmt diese Verwahrung des Schöpfers gegen seine gläubige Kreatur, diese Zurückweisung des als Stammvater der jüdischen Glaubensgemeinschaft firmierenden Adam der biblischen Parabel jene Erscheinungsform an, die oben den Eindruck eines ganz und gar ungöttlicher Rach- und Eifersucht verdächtigen Nachtretens machte und in deren Konsequenz sich Adam jeden auch nur im entferntesten paradiesischen Ambientes verwiesen und auf den unfruchtbaren Acker verbannt findet.

Indem Gott, während er diejenigen, die ihn verleugnen, gewähren und sich auf Erden in ihren selbstgeschaffenen Paradiesen einrichten lässt, den, der ihn bekennt, vielmehr verfolgt und vertreibt und dazu verdammt, sich im Schweiße seines Angesichts sein karges Brot zu erwerben, will er dem Verstoßenen klar machen, dass es sich nicht lohnt beziehungsweise sich rächt, ihm, dem Herrn des Seins, die Ehre zu geben und sich gläubig zu überantworten, und will ihn dazu bewegen, sich von ihm abzuwenden, ihn loszulassen und sich den in kreatürlicher Blindheit befangenen Artgenossen beizugesellen, um deren dem Herrn wohlgefälliges und deshalb bekömmlicheres Schicksal zu teilen. Dadurch dass Gott den ihn allein bezeugenden Menschen kujoniert und in Bedrängnis bringt, bedeutet er ihm, dass er auf dessen Autodafé keinen Wert legt und die ihm darin angesonnene Prokura, das ihm damit zugemutete Engagement zurückweist.

Die gläubige Kreatur freilich, die in der Parabel vom Sündenfall beschworene Urgestalt der jüdischen Glaubensgemeinschaft, kann diese Zurückweisung nicht akzeptieren, kann die darin implizierte Forderung, ihn, den sie erkannt hat, wieder zu vergessen, nicht erfüllen. Weil für sie die Erkenntnis ihres Schöpfers untrennbar verknüpft ist mit der existenziellen Entscheidung, zu ihm als zu ihrem exzentrisch wahren Selbst zu konvertieren, sich mit ihm als mit ihrer ekstatisch wirklichen Identität zu identifizieren, würde es, wenn sie von ihm ließe, wenn sie ihn nach seinem Willen preisgäbe, bedeuten, sich dem zuvor von ihr preisgegebenen eigenen Selbst oder vielmehr dessen Nichtigkeit zu überlassen, sich auf ein Gefäß ohne Inhalt, ein Werkzeug ohne Bewandtnis, ein Dasein ohne Reflexion, einen blinden Spiegel zu reduzieren. Aber eben weil der Schöpfer das die Kreatur absolut beherrschende wahre Subjekt, ihre sie allein bestimmende wirkliche Identität ist, darf sie sich ihm andererseits nicht widersetzen, muss sie ihm um jeden Preis, auch um den der Preisgabe ihres im Schöpfer gewahrten einzigen Seinsbezuges und Anspruchs auf Wirklichkeit, um den Preis mit anderen Worten ihrer bei vollem Bewusstsein oder lebendigem Leibe vor sich gehenden Reduktion auf ein Scheingebilde, einen Schemen aus Ton oder Lehm, seinen Willen tun.

Ein abgrundtiefes Dilemma, in das sich die gläubige Kreatur durch die göttliche Zurückweisung da gestürzt sieht! Allerdings eines, das durch die ähnliche Emotion, die seine gleichermaßen inakzeptablen Optionen in ihr erregen, den Ausweg oder besser gesagt das Schlupfloch, sich ihm zu entziehen, auch schon bereithält. Wie, wenn die gläubige Kreatur, durch ihre eigene Widersetzlichkeit ebenso sehr in Furcht wie durch die göttliche Zurückweisung in Schrecken versetzt, in einer grandiosen Eskamotage, einem ingeniösen Quidproquo die Abfolge der Ereignisse vertauscht und, statt ihre Widersetzlichkeit als Reaktion auf die göttliche Zurückweisung zu begreifen, vielmehr die göttliche Zurückweisung als Konsequenz ihrer Widersetzlichkeit ansieht? Wie mit anderen Worten, wenn die gläubige Kreatur den zornigen Widerspruch oder unwilligen Verweis, mit dem ihr Schöpfer ihrer Konversion, ihrem Autodafé begegnet, statt ihn als solchen zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren, vielmehr in seiner inhaltlichen Bedeutung, seinem objektiven Sinn kurzerhand ignoriert, um sich auf die Wirkung unwillkürlicher Renitenz zu konzentrieren, die der göttliche Unwille in ihr auslöst, und um nun umgekehrt diese ihre reflexhafte Verweigerungshaltung zum Auslöser des göttlichen Zorns und Gegenstand des Verweises zu erklären, den Gott ihr erteilt?

Wie, noch einmal anders gefragt, wenn Adam den Unwillen, den Gott seinem zur identifikatorischen Zuwendung geratenden Erkenntnisakt bezeigt, statt ihn als Ablehnung eben nur der identifikatorischen Zuwendung zu begreifen, vielmehr auf den unwillkürlichen Widerstand bezieht, den wiederum Adam der göttlichen Ablehnung leistet, und ihn mithin statt als originäre Reaktion aufs menschliche Vorgehen vielmehr als Konsequenz eines im menschlichen Vorgehen implizierten Vergehens gegen den in ihm, dem göttlichen Unwillen, ex negativo je schon vorausgesetzten und unabhängig von allem konkreten Inhalt gefassten abstrakten Willen Gottes deutet?

Während Gott von der identifikatorischen Zuwendung Adams, seiner Unterscheidung zwischen Gut und Böse, partout nichts wissen will, weil er sie als eine den Schöpfungsplan alterierende Zumutung und Belastung empfindet, deutet also Adam in einem reflexiven Handstreich die göttliche Zurückweisung, die er als solche nicht akzeptieren kann, vielmehr in eine bloße Reaktion auf seine fehlende Bereitschaft, sie zu akzeptieren, um. So paradox diese selbstreferenzielle Umdeutung der konkreten göttlichen Zurückweisung menschlicher Zudringlichkeit in eine Reaktion auf den dem abstrakten göttlichen Gebot, auf das die Zurückweisung kurzerhand reduziert wird, verweigerten menschlichen Gehorsam, diese revisionistische Fassung des substanziellen Unwillens Gottes als Konsequenz eines dem funktionellen Willensakt, zu dem der Mensch, dem der Unwille gilt, ihn formalisiert, bewiesenen Mangels an Willfährigkeit auf den ersten Blick auch anmuten mag, sie ist das innerste Geheimnis sämtlicher im Alten Testament zwischen Gott und Mensch getätigten Transaktionen und findet ihr Musterbeispiel, ihre paradigmatische Grundform bereits in der Parabel vom Sündenfall selbst.

Die Parabel beginnt ja mit einer merkwürdigen, bislang noch gar nicht in Betracht gezogenen Aktion Gottes, seinem an den Menschen, den er gerade erst geschaffen hat, adressierten Gebot, nicht vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen zu essen. Stellt man die obige Interpretation in Rechnung, dass die Erkenntnis des Guten und des Bösen nichts anderes als die vor dem Hintergrund der Verleugnung des lebendigen Gottes durch die Völker zur existenziellen Entscheidung gewendete Erkenntnis von Sein und Schein, mithin gleichbedeutend mit der Wahrnehmung des als der Schöpfer firmierenden Herrn des Seins, kurz, der Erkenntnis Gottes ist, erscheint dieses Gebot ganz und gar widersinnig: Gott verbietet dem Menschen, ihn zu erkennen, noch bevor dieser ihn erkannt hat und also überhaupt von ihm weiß; Gott agiert mit anderen Worten auf dem Boden eines Verhältnisses zum Menschen, das in Wahrheit noch gar nicht existiert, weil es ja erst durch den Erkenntnisakt Adams gestiftet wird.

Einen Sinn erhält diese dem Anschein nach bodenlose beziehungsweise ins Leere laufende Aktion Gottes nur dann, wenn wir sie im Rahmen der Umdeutung betrachten, die der Mensch mit der ihm von Seiten Gottes widerfahrenden Zurückweisung vornimmt. Indem der Mensch diese göttliche Zurückweisung, statt sie auf seinen zur Konversion geratenden ursprünglichen Erkenntnisakt zu beziehen, vielmehr im zirkelschlüssigen Reflex als Reaktion auf die Widersetzlichkeit behauptet, mit der er jener Zurückweisung seines ursprünglichen Erkenntnisakts begegnet, spaltet er die letztere in einen Ausdruck realen Unwillens und einen Akt formaler Willensbekundung auf und schafft sich, wie in der Parabel vom Sündenfall zu sehen, damit die Möglichkeit, den Ausdruck realen Unwillens, eben die Zurückweisung, die faktische Vertreibung aus dem Paradies, statt sie als unmittelbare Konsequenz des eigenen Tuns, seines Konversionsakts, zu begreifen, im Gegenteil als mittelbare Folge eines eigenen Nichttuns, nämlich seines Ungehorsams, sprich, seines Versäumnisses zu thematisieren, sich dem vom realen göttlichen Unwillen oder dessen konkretem Ausdruck als formale Implikation abgespaltenen und ihm als abstraktes Prinzip vorausgesetzten Willen Gottes zu fügen.

Adam verschiebt mit anderen Worten den Konflikt mit seinem Schöpfer, in den ihn sein als Sündenfall apostrophierter Erkenntnisakt stürzt, von dem konkreten Punkt der Zumutung, durch die er den Unwillen Gottes erregt, auf die abstrakte Frage des Gehorsams, den er dem qua Unwille bekundeten Willen Gottes schuldet, und schafft es auf diese Weise, das Verhalten Gottes aus einer absoluten Verwerfung seiner aktiven Identifizierung mit ihm in eine relative Bestrafung seines reaktiven Ungehorsams gegen ihn, mit dem er sich identifiziert hat, umzudeuten. Aus der direkten Ablehnung und einfachen Verwerfung, mit der Gott die zur Konversion geratende Erkenntnis Adams beantwortet, wird durch den Handstreich der von Adam angestrengten selbstreferenziellen Reflexion der göttlichen Reaktion, durch ihre Aufspaltung in ein der menschlichen Widersetzlichkeit gegen sie als göttliche Willensbekundung vorausgesetztes Gebot und einen der menschlichen Widersetzlichkeit gegen dieses Gebot als Ausdruck göttlichen Unwillens folgenden Verweis, ein obliques Hin und Her aus Prüfung und Bestrafung, ein reziprokes Quidproquo aus Gesetz und Gericht.

Sub specie der menschlichen Widersetzlichkeit gegen ihn als abstrakte Willensbekundung gefasst, erscheint der göttliche Unwille als Prüfung, die, nicht bestanden, den konkreten Ausdruck eben dieses Unwillens als Strafe heraufbeschwört, die nun aber ihrerseits als göttliche Willensbekundung, als Prüfung verstanden wird, die wiederum, weil auch sie der Mensch nicht besteht, eine neue Bestrafung, einen weiteren Ausdruck des als missachteter Wille wohlverstandenen göttlichen Unwillens nach sich zieht – und so fort. Was sich auf diese Weise ergibt, ist eine endlose Folge von göttlichen Zurückweisungen, von Versuchen Gottes, den ihm in seiner Anhänglichkeit lästigen gläubigen Menschen abzuschütteln, ihn los zu werden, die der von Gott nicht lassen könnende gläubige Mensch aber stets wieder als bloße göttliche Zurechtweisungen, als Bemühungen Gottes begreift, ihn Gehorsam zu lehren und seinem Willen gefügig zu machen. Jedes Mal, wenn der Schöpfer die sich ihm als beschwerliches Anhängsel oktroyierende gläubige Kreatur zurückstößt und von sich abzubringen sucht, nimmt sich diese flugs den Klammerreflex, mit dem sie sich gegen ihre Verstoßung sträubt, als ein Aufbegehren gegen ihren Schöpfer, als Ungehorsam gegen den in der Verstoßung sich bekundenden göttlichen Willen als solchen zu Herzen und interpretiert dank dieser selbstreflexiven Wendung die Verstoßungshandlung selbst als Wirkung statt als Ursache dieses ihres Ungehorsams, das heißt, als Folge des von ihr missachteten und eben deshalb in Unwillen umgeschlagenen Willens Gottes.

Fürwahr, eine perfekte Festhalte- und Umklammerungsstrategie, die der gläubige Mensch, der Stammvater der jüdischen Glaubensgemeinschaft Adam, gegenüber dem Herrn des Seins, dem als der Schöpfer gleichermaßen des Wortgebildes Welt und des Kunstwerks Mensch erkannten lebendigen Gott, praktiziert! Indem er dessen Versuche, sich des durch seine Selbstverleugnung schier unwiderstehlichen menschlichen Strebens nach göttlicher Zuwendung und Fürsorge als einer dem Schöpfungsplan zuwiderlaufenden Anmaßung und Zumutung zu erwehren und den Menschen in die Schranken einer Gott ignorierenden kreatürlichen Unschuld oder wenigstens Gott verleugnenden natürlichen Blindheit zu weisen, jeweils sogleich als Bemühen versteht, den solch göttlicher Verstoßung sich widersetzenden Menschen durch die unter der Hand ihrer reflexiven Vereinnahmung in eine bloße Bestrafung umgedeutete Verstoßung Fügsamkeit und Gehorsam zu lehren, sprich, aus einer zerstörerischen Reaktion in eine erzieherische Maßnahme, aus einer die absolute Trennung zwischen Gott und Mensch heischenden direkten Zurückweisung in eine die relative Bindung Gottes an den Menschen suggerierende oblique Zurechtweisung übersetzt, schafft es Adam, dem göttlichen Zorn die Spitze einer rein negativen Emotion abzubrechen und die vergleichsweise Positivität eines bedingten Reflexes oder steuerbaren Affekts nachzuweisen, und hat er also seinen ihn als lästiges Anhängsel empfindenden und deshalb unbedingt los werden wollenden Schöpfer, ohne dass dieser weiß, wie ihm geschieht, vielmehr fest am Haken.

In der Tat scheint die Vorstellung vom Fisch an der Angel kein schlechtes Bild, um den skurrilen Pas-de-deux zu veranschaulichen, den der Schöpfer und seine gläubige Kreatur dank der von ersterem gezeigten Reaktion auf seine Erkenntnis durch letztere und der von letzterer geltend gemachten reflexiven Interpretation dieser Reaktion durch das ganze Alte Testament hindurch aufführen. Wenn wir wider alles bessere Wissen von der ontologischen Kluft, die den Schöpfer von seiner Schöpfung trennt, ihn einmal durch sein imposantestes Geschöpf, den Leviathan, vertreten sein lassen, so ist er der große Fisch, der an der Angel seiner eigenen Kreatur, des ihm gegenüber als denkbar kleiner Fisch erscheinenden Menschen, zappelt oder, besser gesagt, mit Macht zerrt, um sich loszureißen und seine ihm durch den kleinen Fisch Mensch unerhörterweise eingeschränkte Freiheit wiederzugewinnen. Obwohl das Kräfteverhältnis, die objektive Konstellation, eigentlich gar nichts anderes zulässt, kann der Mensch seine Beute nicht freigeben, weil er sonst verloren ist und bar jeden Halts im Meer versinkt. In seiner Not deutet er die Reaktion des Leviathan nicht als Veto gegen das Festgehaltenwerden als solches, sondern als Protest gegen die Art und Weise, wie er festgehalten und vereinnahmt wird.

Jedes Mal also, wenn der Leviathan wild aufbegehrt und im Versuch, sich zu befreien, ein großes Tohuwabohu anrichtet und den Menschen, der ihn am Haken hat, rüttelt und schüttelt, dass ihm Hören und Sehen vergeht, versteht der Gebeutelte die Bedrängnis, in die ihn der Leviathan bringt, die harten Proben, denen er seine Durchhaltekraft unterwirft, nicht als Forderung, seine Beute vom Haken zu lassen, sondern als Aufforderung, die Angel so zu führen, dass sie dem großen Fisch kein Ungemach bereitet und ihn in seinem souveränen Procedere nicht beeinträchtigt, in seinem majestätisch selbstbestimmten Kurs nicht hemmt. Der Mensch versteht mit anderen Worten das stürmische Aufbegehren des Leviathan als Konsequenz seines Ungeschicks oder Fehlverhaltens bei der Handhabung der Angel, als Strafe mithin für sein Unvermögen oder seine fehlende Bereitschaft, sich den Bewegungen des großen Fisches anzupassen, ihm auf seiner Bahn unbemerkt zu folgen, ihm genügend Leine zu geben, um ihn den Haken in seinem Maul vergessen zu lassen, und folglich als Mahnung, sich in den wie immer als Unwille erscheinenden Willen des großen Fisches zu ergeben, als Prüfung seiner Entschlossenheit und Fähigkeit, sich den Ein- und Ausfällen des Leviathan, seinen willkürlichen Geboten und unerforschlichen Ratschlüssen widerstandslos zu fügen.

So wahr das stürmische Aufbegehren des großen Fisches in eine unwillige Reaktion nicht auf das Faktum, sondern bloß auf den Modus seiner Gefangennahme durch den kleinen Fisch umgedeutet wird, so wahr impliziert diese Umdeutung das Gegenbild einer nicht den Unwillen des großen Fisches erregenden und keine Reaktion bei ihm provozierenden verträglicheren Form der Verhaftung und bedeutet so in dem Maße, wie sie dessen unwillige Reaktion als ineins Strafmaßnahme und Prüfungsaufgabe zu sehen erlaubt, die Aufforderung an den kleinen Fisch, durch äußersten Gehorsam und absolute Fügsamkeit gegenüber dem Verhafteten dessen Unwillen zu besänftigen und in einen mit schierem Wohlwollen synonymen erfüllten Willen zu verkehren.


Dass die jüdische Glaubensgemeinschaft die unablässige Folge von göttlichen Prüfungen und Strafen so getrost erträgt, hat seinen Grund nicht etwa in einer masochistischen Disposition, sondern darin, dass unter Bedingungen der dem lebendigen Gott von Haus aus eigenen Negativität und Indifferenz jene in Zurechtweisungen uminterpretierten Zurückweisungen eine originäre Form von Zuwendung darstellen und die Hoffnung nähren, vom Herrn auserwählt und seiner Gnade nur wegen mangelnder Folgsamkeit noch nicht teilhaftig zu sein.

Keine Frage, dass diese ingeniöse Umdeutung der aggressiven Handlungen des Schöpfers beziehungsweise ihrer Motivation die Kreatur davor bewahrt, sich in das ihr eigentlich zugedachte Schicksal der Verstoßung aus dem Angesicht des lebendigen Gottes und Rückkehr in den Zustand kreatürlicher Blindheit ergeben zu müssen, und ihr vielmehr gestattet, an der Erkenntnis des lebendigen Gottes festzuhalten und ihn unbeirrt, ob er will oder nicht, als ihr kriteriell wirkliches Selbst, als das ebenso sehr für wie über sie entscheidende wahre Subjekt in Anspruch zu nehmen! Keine Frage allerdings auch, dass die Abwendung des ihr vom Schöpfer zugedachten Schicksals nicht schon die Entbindung der Kreatur von Schicksalsverfallenheit überhaupt bedeutet! Es kann doch wohl als ein Schicksal im vollgültigen Sinne härtester Verfolgung und unerbittlichster Heimsuchung erscheinen, dass die Kreatur dem ihr von Gott eigentlich zugedachten Los nur unter der Bedingung entrinnen kann, dass sie ihr ganzes Leben dieser einen Aufgabe weiht und ihm mithin ex negativo der lebenslangen Bemühungen um seine Verhinderung ebenso wohl verfällt!

Schließlich hat damit, dass sie das Motiv beziehungsweise die Zielsetzung der ihr geltenden göttlichen Aggression im jeweils gegebenen Falle umdeutet, die Kreatur der Aggression selbst ebenso wenig den Boden entzogen wie das zu ihr führende Motiv beziehungsweise das durch sie angestrebte Ziel gegenstandslos gemacht. So gewiss vielmehr das zur Aggression treibende Motiv und das mittels Aggression verfolgte Ziel nur umgedeutet und mit der kreatürlichen Sichtweise dem Anschein nach in Einklang gebracht, nicht hingegen wirklich verändert oder gar aus der Welt geschafft werden kann, so gewiss kann sich die Kreatur auf den jeweils nächsten göttlichen Aggressionsschub gefasst machen, kann sie mit anderen Worten sicher davon ausgehen, dass der lebendige Gott ebenso wenig in seinem Bemühen nachlassen wird, sich durch katastrophische Zurückweisungs- und Verstoßungsgebärden gegen die lästige Fürsorgepflicht, in die sie ihn nehmen will, zu verwahren, wie umgekehrt sie in der Anstrengung erlahmen darf, seine ihrer Zudringlichkeit geltenden Zurückweisungsgebärden in Gesten der Zurechtweisung und Maßregelung umzudeuten, die sich auf nichts weiter als auf ihren Mangel an Willfährigkeit und nämlich auf die Widersetzlichkeit beziehen, mit der sie seiner Zurückweisung begegnet.

Der kleine Fisch – um noch einmal das bei aller Absonderlichkeit und Unzulänglichkeit redende Bild vom Fisch an der Angel zu bemühen! –, der den Leviathan am Haken hat, mag dessen in Form von Fluchtbewegungen geführten Befreiungskampf noch so sehr als Aufforderung interpretieren, sich dem Flüchtigen in keinerlei Weise zu widersetzen und ihm vielmehr absolut fügsam anzuhängen – dass dieser deshalb aufhören wird, um seine Freiheit zu kämpfen, kann er schwerlich erwarten; das heißt, er muss damit rechnen, dass er ohne Ende vom Leviathan herumgezerrt und gebeutelt, durch Wasserwüsten geschleppt und den darin drohenden Gefahren ausgesetzt wird.

Und genau diese Geschichte erzählt ja auch das Alte Testament: Erzählt wird von einer endlosen Kette von ebenso heftigen wie spontanen Unwillensbekundungen oder Zornausbrüchen des lebendigen Gottes, die der von ihnen Betroffene ineins als Strafe für eine nicht bestandene Prüfung in Sachen Gehorsam und Fügsamkeit und als für eine weitere Bestrafung den Grund legende neuerliche Prüfung deutet – wobei dies, dass der Unwille Gottes niemals dauerhaft zu beschwichtigen ist, der göttliche Zorn immer wieder auflodert, nach Maßgabe der vom Betroffenen vorgenommenen reflexiven Deutung seinen Grund darin hat, dass es niemals gelingt, jene absolute Fügsamkeit zu beweisen, die nötig wäre, um den erregten göttlichen Unwillen in den erfüllten Willen Gottes zu verwandeln, während im Sinne des angegebenen objektiven Motivs für die göttlichen Zornausbrüche die Unabschließbarkeit der Geschichte vielmehr darin begründet ist, dass keine Umdeutung der apodiktischen Zurückweisung in eine didaktische Zurechtweisung an dem in der Zurückweisung bekundeten Verlangen des Schöpfers etwas ändern kann, von der Kreatur in Ruhe gelassen zu werden und ihrer ebenso anspruchs- wie hingebungsvollen Zuwendung ledig zu sein.

So gesehen, scheint also der Stammvater der jüdischen Glaubensgemeinschaft um das Los, das er sich durch seinen zur Konversion geratenden Akt der Erkenntnis des lebendigen Gottes einhandelt, nicht zu beneiden zu sein, auch wenn es ihm durch seine ingeniöse Umdeutung der göttlichen Verwerfung in eine bloße Maßregelung gelingt, sich der letzten und schlimmsten Konsequenz, die dieses Los für ihn bereithält, nämlich seiner Vertreibung aus dem Angesicht Gottes, seiner ihn bei vollem Bewusstsein dem eigenen Nichts überantwortenden Verstoßung durch den Herrn des Seins, zu entziehen. Weil keine reflexive Umdeutung der apodiktischen Zurückweisung in einen pädagogischen Verweis an der objektiven Tatsache der Zurückweisung selbst etwas ändern kann und weil jede solche Umdeutung, insofern sie die Zurückweisung ignoriert und deren Ziel, die Entbindung des Schöpfers vom Anspruch der gläubigen Kreatur, vereitelt, den Anlass zu einer Wiederholung der Zurückweisung liefert, einen neuerlichen Versuch des Schöpfers, die Kreatur von sich abzubringen, provoziert, ist die Folge der als Rettungsmanöver, um dem immer neu ausbrechenden vernichtenden Zorn Gottes zu entrinnen, wohlverstandenen Umdeutungsaktionen dies, dass sich der Gottgläubige einer Heimsuchung nach der anderen ausgesetzt, von einer Kalamität in die nächste gestürzt sieht und dass sein ganzes Leben aus einer einzigen, langen Sukzession unverhoffter Widrigkeiten und unerhörter Gefährdungen besteht.

Kein biographisches Schicksal fürwahr, auf das irgend jemand erpicht sein beziehungsweise mit dem sich irgend jemand dauerhaft abfinden könnte! Um so erstaunlicher, dass der Stammvater Adam und die in seinen Fußstapfen wandelnde jüdische Glaubensgemeinschaft dieses Schicksal, das ihnen ihr Glaube bereitet, bereitwillig akzeptieren, dass sie jenes unter dem Unstern spontaner göttlicher Zornausbrüche verlaufende und deshalb fortwährend in Kalamitäten verstrickte, ständig von Katastrophen heimgesuchte Leben, von dem uns das Alte Testament ausführlich berichtet, nicht etwa nur geduldig auf sich nehmen oder resigniert ertragen, sondern durchaus, wie vom Alten Testament ebenfalls weidlich bezeugt, von ganzem Herzen affirmieren, es getrost gutheißen! Ist wirklich allein dies, dass den Gottergebenen durch ihre Umdeutungsarbeit immer wieder gelingt, die Katastrophe nicht etwa als solche abzuwenden, sondern sich bloß zur am Ende dann doch nicht befolgten Lehre künftiger größerer Gottergebenheit dienen zu lassen, ausreichend, um sie mit all den vielen Heimsuchungen zu versöhnen und diese sogar die Bedeutung denkwürdig beziehungsweise identifikationsträchtig positiver Fixpunkte in der Biographie der Gemeinschaft gewinnen zu lassen? Muss sich angesichts dieser Bereitschaft, ebenso frohgemut wie gottergeben mit der ständigen Katastrophe zu leben, nicht der Verdacht einer masochistischen Disposition nach Art jener Verhaltensdeformation aufdrängen, die dem, der sie aufweist, erlaubt, aus permanenten Schmerzen nur deshalb, weil sie zwischenzeitlich nachlassen, einen auf dies Nachlassen gemünzten sekundären Lustgewinn zu ziehen, der wiederum die primäre Befindlichkeit, den permanenten Schmerz, dem Betreffenden nicht nur erträglich macht, sondern mehr noch willkommen sein, sprich, lieb und teuer werden lässt?

Tatsächlich aber ist diese leiderprobte Fröhlichkeit weit entfernt von jedem Masochismus, ist sie vielmehr Resultat einer originär positiven Bedeutung, die jene Reihe von in Prüfungen und Strafen Gottes umgedeuteten Kalamitäten beansprucht und die ihren Grund in der modallogischen Diskretheit oder ontologischen Differenz des als das toto coelo andere Subjekt perennierenden lebendigen Gottes selbst hat. Wenn die menschliche Kreatur dies andere Subjekt als ihren von ihr wie Sein von Schein oder Wirkliches von Imaginärem verschiedenen Schöpfer erkennt und, um an ihrer Erkenntnis nicht zugrunde zu gehen, nicht bei vollem Bewusstsein nichts als ihre eigene Nichtigkeit gewahren zu müssen, sich mit dem als er Herr des Seins Erkannten selbstvergessen identifiziert, zu ihm, dem einen, einzigen Subjekt, als sein selbstloses Gefäß und willenloses Werkzeug konvertiert, so hat wie gesehen diese Hingabe der Kreatur an ihren Schöpfer ebenso wohl die Bedeutung, dass sie sich ihm zu treuen Händen übergibt, impliziert diese ihre existenzielle Bekehrung zu ihm ebenso wohl dies, dass sie sich auf Gedeih und Verderb seiner Fürsorge und Prokura überantwortet. So gewiss die Kreatur ihren Schöpfer als das wahre Subjekt und sich als sein bloßes Projekt erkennt, so gewiss sie in ihm das wirkliche Selbst und sich als seinen künstlichen Spiegel begreift, so gewiss überträgt sie ihm die Verantwortung für sich und nimmt ihn als ihren absoluten Herrn und frei über sie verfügenden Eigner in Anspruch.

Die Frage ist nur, ob er, den sie solchermaßen in die Pflicht seiner absoluten Herrschaft nimmt, den sie durch Selbstverleugnung als für sie handelndes Subjekt reklamiert, auf den sie mittels Anspruchslosigkeit Anspruch erhebt, sich überhaupt in Anspruch, geschweige denn in die Pflicht nehmen lässt. Schließlich ist er das in ontologischer Differenz perennierende alleinige Sein, die in modallogischer Diskretion sich behauptende ausschließliche Wirklichkeit, ist er das andere Subjekt, das gegenüber dem als Schein oder Werk der Einbildung firmierenden irdischen Dasein eine als unbedingte Indifferenz erscheinende Distanz, als absolute Negativität sich manifestierende Transzendenz wahrt. Wenn die Kreatur sich ihrem Schöpfer übergibt und ihn in die Pflicht seiner mit uneingeschränkter Verfügung verknüpften Verantwortung nimmt, so tut sie das ins Blaue seiner unendlichen Entrücktheit oder, besser gesagt, in die Finsternis seiner absoluten Verborgenheit hinein. Ob der Schöpfer die konversive Zuwendung oder identifikatorische Anmutung seiner Kreatur zur Kenntnis nimmt, geschweige denn akzeptiert, ob er der ihn erkennenden Kreatur irgend eine Aufmerksamkeit schenkt, geschweige denn sich für sie interessiert, ob er die Vorstellung, die er anschaut und die sich erdreistet, umgekehrt ihn ins Auge zu fassen, das Projekt, das er exponiert und das die Chuzpe hat, ihn zu reflektieren, anders wahrnimmt als seine sonstigen Vorstellungen und Projekte, weiß die Kreatur nicht und kann sie angesichts seiner unendlichen Verschiedenheit und abgründigen Verborgenheit auch gar nicht wissen.

Oder vielmehr könnte sie es nicht wissen, wären da nicht die Zornausbrüche des Schöpfers, seine sei's als leviathanische Befreiungsversuche, sei's als titanische Aggressionshandlungen erscheinenden Reaktionen auf die ihm von seiner Kreatur angetragene beziehungsweise zugemutete Rolle, wären da mit anderen Worten nicht die Katastrophen und Kalamitäten, von denen sich die gläubige Kreatur fortwährend heimgesucht sieht und die sie sich beeilt, als Ausdruck des Unmuts und Widerspruchs zu interpretieren, mit dem ihr Schöpfer ihrem zum Autodafé geratenden Erkenntnisakt und dem darin implizierten anmaßlichen Anspruch auf Zuwendung und Fürsorge begegnet. Genau hierin tatsächlich liegt die originär positive Bedeutung, die jene die Kreatur ständig heimsuchenden Lebensnöte, jene ihrem Dasein widerfahrenden unaufhörlichen Negationen beanspruchen können: dass angesichts eines anderen Subjekts, dessen ontologische Transzendenz und modallogische Verborgenheit die Rede vom Angesicht Gottes als euphemistische Lebenslüge entlarvt, sie den indirekten, via obliqua der Verfolgungen und Bedrückungen, denen sich die Kreatur durch die als göttliches Werkzeug wohlverstandenen Völker ausgesetzt findet, erbrachten Beweis darstellen, dass ihr Schöpfer in der undurchdringlichen Indifferenz und unergründlichen Negativität, in der er sich ihr präsentiert oder vielmehr ihren Augen entzieht, nicht verharrt, sondern sich durch ihre konversive Erkenntnis, ihre identifikatorische Zuwendung aus der Reserve locken, zu einer Reaktion provozieren lässt.

Genau hierin liegt der konstruktive Gehalt, die ganz und gar affirmative Botschaft jener dem oberflächlichen Anschein nach bloß destruktiven Widerfahrnisse und Schicksalsschläge, denen sich die Kreatur ausgesetzt sieht, dass als Äußerungen göttlicher Emotion sie der Kreatur demonstrieren, wie wenig ihre epistemologische Konversion oder theologische Identifikation den, dem sie gilt, gleichgültig und unberührt lässt und wie sehr sie im Gegenteil sein wie immer von Abwehr geprägtes Interesse erregt und seine wie immer als Verweis artikulierte Stellungnahme erzwingt. In der Tat kommt demnach den scheinbar rein negativen beziehungsweise refutativen Heimsuchungen, als deren Opfer die Kreatur sich erfährt, eine doppelte konstitutive Bedeutung für ihr Verhältnis zum Schöpfer zu: Nicht nur weisen jene Bedrängnisse und Nöte der Kreatur anfangs den Weg zu ihm und sind ihr Anlass, sich ihm zuzuwenden und auf ihn zu setzen, sie dienen ihr darüber hinaus anschließend auch als angesichts seiner unendlichen Verschiedenheit und absoluten Verborgenheit existenziell grundlegender Beweis dafür, dass ihre Zuwendung auf Resonanz bei ihm stößt, dass er ihre Entscheidung für ihn zur Kenntnis und sich mehr noch zu Herzen nimmt.

Auch wenn mittels jener Bedrängnisse und Nöte der Schöpfer die Zuwendung der Kreatur zurückweist – vor dem Hintergrund der ihm als anderem Subjekt eigenen Indifferenz und Negativität und der darin beschlossenen realistischen Möglichkeit, dass die kreatürliche Zuwendung auf nichts stößt und ins Leere zielt, erweist sich die Zurückweisung doch allemal als ihrerseits eine Art von Zuwendung, als eine wie immer zur heftigen Abwehrgeste geratende Antwort, deren der Schöpfer die Kreatur würdigt. Auch wenn der Schöpfer auf den Anspruch, mit dem die Kreatur ihm entgegen oder vielmehr zu nahe tritt, höchst unmutig reagiert und durch die Art, wie er der Kreatur mitspielt, seinen Unmut unmissverständlich zum Ausdruck bringt – angesichts der denkbar wahrscheinlichen Aussicht, dass er den kreatürlichen Anspruch überhaupt ignoriert beziehungsweise gar nicht registriert, erscheint sein als Verfluchung sich äußernder und in Verfolgung ausartender empörter Widerspruch als ein wie immer in der Unform heftigster Auseinandersetzung vorgetragenes Gesprächsangebot, eine wie immer ex negativo wütender Verstoßungsgesten lancierte Kontaktanzeige.

So gesehen, ist denn auch die Umdeutung, die die Kreatur mit der göttlichen Reaktion auf ihr identifikatorisches Ansinnen jeweils vornimmt und durch die sie letztere aus einer offenen Zurückweisung in eine heimliche Zurechtweisung verwandelt, gar nicht so spekulativ oder kontrafaktisch, wie sie oben anmutete. So gewiss die Kreatur in den unaufhörlichen spontanen Zornausbrüchen, mit denen der Schöpfer ihre Zuwendung beantwortet, immer schon einen Triumph über seine eigentlich zu gewärtigende Gleichgültigkeit und Unansprechbarkeit gewahren kann, so gewiss ihr mit anderen Worten seine in den Bedrängnissen und Nöten, in die er sie stürzt, bestehenden Abwehrreaktionen als Beweis dafür gelten dürfen, dass sie immerhin sein Ohr gefunden und er zur Kenntnis genommen hat, was sie will, so gewiss hat sie die schwierigste Aufgabe, ihn auch nur zu erreichen, bei ihm überhaupt anzukommen, bereits bewältigt und kann sich voll Zuversicht daran machen, ihn in seiner partout ablehnenden Haltung umzustimmen, ihm die Unerbittlichkeit auszureden, mit der er sie, kaum dass sie ihn erreicht hat und bei ihm angekommen ist, auch schon wieder zu distanzieren und wegzuschicken sucht.

Was sie zuversichtlich macht, dass sie ihn umstimmen kann, ist eben diese seine in Zornausbrüchen sich bekundende ablehnende Haltung, ist genauer gesagt dies, dass er, nur um ihr zu sagen, dass er von ihr nichts wissen will, sie ins Visier fasst, dass er, nur um ihr zu bedeuten, dass er ihre Bekanntschaft nicht wünscht, sie zur Kenntnis nimmt. Wollte er von ihr definitiv nichts wissen, legte er eindeutig keinen Wert auf ihre Bekanntschaft, es stünde ja in seinem Belieben, sie kategorisch zu ignorieren, stünde im Ermessen seiner unermesslichen Entrücktheit und absoluten Verborgenheit, auf ihre Kontaktsuche gar nicht zu reagieren, sich auf absolut nichts einzulassen.

Wenn er aber, wie er nach dem Zeugnis der Heimsuchungen, die er ihr schickt, offenbar tut, sich ihr zeigt, nur um ihr kundzutun, dass er ihr verborgen zu bleiben wünscht, wenn er ihr Antwort gibt, nur um ihr zu sagen, dass er mit ihr nicht zu kommunizieren beabsichtigt, so verrät das eine Unentschlossenheit oder Unentschiedenheit, eine Ambivalenz, die sie, die gläubige Kreatur, allen Grund hat, sich zu ihren Gunsten, im Sinne ihres Festhaltens an ihm und an der Beziehung zu ihm auszulegen. Sooft der Schöpfer durch die Katastrophen und Kalamitäten, die er über sie verhängt, seiner Kreatur unmissverständlich mitteilt, dass sie ihn nicht interessiert, ihm nichts bedeutet, dabei aber missverständlicherweise hinlänglich Interesse für sie beweist und ihr genug Bedeutung beimisst, um ihr sein Desinteresse eigens mitzuteilen, sooft sieht sich die Kreatur mit Fug und Recht herausgefordert, durch die beschriebene Umdeutung der Motion des Schöpfers, die den Akzent vom Faktum der göttlichen Zurückweisung auf das Problem der ihr verweigerten kreatürlichen Folgsamkeit verschiebt, die Zurückweisung selbst für nicht endgültig zu erachten und im Pochen auf jenes im explizit gemachten Desinteresse implizite Moment von dennoch vorhandenem Interesse dem Schöpfer Gelegenheit zu geben, seine Entscheidung noch einmal zu überdenken und sich vielleicht doch noch auf ein affirmativ fürsorgliches Verhältnis zu der in ihrer gläubigen Hingabe anmaßlich okkupativen Kreatur einzulassen.

Zwar beantwortet der Schöpfer diese ihm von der Kreatur in Form ihrer zielstrebigen Umdeutung seiner refutativen Motion eingeräumte Bedenkfrist nur immer wieder mit neuen Zornausbrüchen, sprich, mit in Heimsuchungen und Verfolgungen Ausdruck findenden Zurückweisungen, aber so wahr er auf ihren gläubigen Anspruch immerhin antwortet, so wahr jede neue Zurückweisung den Beweis darstellt, dass ihn der Anspruch seiner Kreatur nicht gleichgültig lässt, ihn sogar hinlänglich berührt, um sich der Kreatur verneinend zuzuwenden, statt in vernichtender Abwendung, in absoluter Verborgenheit ihr gegenüber zu verharren, und so wahr die Kreatur deshalb auf dieses in der Zurückweisung implizierte Moment von Zuwendung setzt und in der Hoffnung, es zur dominanten Motion werden und die Zurückweisung als solche sich zurücknehmen, den Zorn verrauchen zu sehen, durch ihre Umdeutungsaktion dem Schöpfer zu solchem Sinneswandel Gelegenheit gibt, so wahr kann sie nun auch jeden seiner katastrophalen Zornausbrüche, durch den er ihr manifest ja bedeutet, dass er die ihm eingeräumte Chance zum Sinneswandel verschmäht, doch immer wieder als latente Aufforderung an sie verstehen, die Hoffnung nicht aufzugeben und ihm durch eine neuerliche Umdeutung seines Unwillens eine weitere Chance zum Sinneswandel einzuräumen.

Die gläubige Kreatur befindet sich also, um für die Beschreibung der Konstellation noch einmal ein – diesmal nicht dem maritimen, sondern dem humanen Bereich entlehntes – Bild zu bemühen, in der Situation eines Knechtes, der im Vertrauen auf sein besonderes Verhältnis zum Gutsherrn, sein durch rückhaltlose Identifikation mit ihm, durch Selbstaufgabe erworbenes Anrecht auf besondere Beachtung und Fürsorge, kurz, im Vertrauen auf seine Auserwähltheit, aus dem Glied des Völkergesindes herausgetreten ist und den der um die Hausordnung, die Disziplin besorgte Herr schlägt, um ihn dazu zu bringen, ins Glied zurückzutreten. Der Knecht kann aber nicht einfach ins Glied zurücktreten, weil er sich selbst ja aufgegeben hat und deshalb die ihn aus dem Glied herausreißende Identifikation mit dem Herrn als mit seinem wahren Selbst gegen das ihn ins Glied zurückbegleitende Bewusstsein von nichts als seiner eigenen Nichtigkeit eintauschen würde.

Er missversteht also zielstrebig die Schläge, die ihm der Herr erteilt, und betrachtet sie in zirkelschlüssiger Umdeutung nicht als die Reaktion des Herrn auf sein durch Heraustreten aus dem Glied bewiesenes Fehlverhalten, sondern als die Antwort des Herrn auf die Befehlsverweigerung, deren er sich schuldig macht, indem er dessen in den Schlägen bestehende Aufforderung, ins Glied zurückzutreten, nicht befolgt. Der Knecht verschiebt die Affäre vom realen Streitpunkt des gegenüber dem Herrn an den Tag gelegten speziellen Fehlverhaltens auf das formale Problem der ihm verweigerten generellen Folgsamkeit und schafft es auf diese Weise, allen Schlägen des Herrn zum Trotz seine anstößig exponierte Stellung vor versammeltem Gesinde zu behaupten. Indem er all seine Resolution und Kraft daran wendet, dem Herrn Folgsamkeit zu beweisen, ihm den Kadavergehorsam, den er als seine Kreatur ihm schuldet, zu leisten, hofft er, dessen in den Schlägen, die er ihm erteilt, sich bekundenden Zorn beschwichtigen und schließlich erreichen zu können, dass der Herr ihn von der Wiedereingliederung in das versammelte Gesinde entbindet und ihn in seiner, einen Anspruch auf besondere Beachtung und Zuwendung, auf Auserwähltheit begründenden exponierten Stellung toleriert beziehungsweise akzeptiert.

Das Zirkelschlüssige dieser Verfahrensweise liegt darin, dass der Knecht dem Herrn den schuldigen Gehorsam, der ihn vielleicht vor dem Zwang, ins Glied zurückzutreten, und dem Verlust seiner Auserwähltheit bewahrte, ja nur bewiese, wenn er tatsächlich ins Glied zurückträte und seinen Anspruch auf Auserwähltheit fahren ließe, wenn er also am Anfang bereits aufgäbe, was er doch durch die Aufgabe am Ende gerade gewinnen will. Der Wahrnehmung dieses offenkundigen Zirkelschlusses entzieht sich der Knecht nur dadurch, dass er zwischen speziellem Fehlverhalten und genereller Folgsamkeit unterscheidet, dass er den abstrakten Gehorsam, den er dem Herrn schuldet, von dem konkreten Ungehorsam, den er ihm beweist, abtrennt und auf Basis dieser Bewusstseinsspaltung die Suggestion nährt beziehungsweise sich selber einredet, durch die inskünftige Erfüllung der generellen Gehorsamspflicht seine zuvor begangene spezielle Disziplinlosigkeit vergessen oder gar ungeschehen machen zu können.

So sehr dieses Vorgehen aber auch den Eindruck einer bewusstseinsspalterischen Spiegelfechterei machen mag, was es in Wahrheit vor dem Verdacht bloßer Eskamotage bewahrt, ist das ihm zugrunde liegende knechtische Verständnis von der Motivlage des Herrn, ist mit anderen Worten der Begriff, den der Knecht sich vom Doppelsinn der Schläge macht, die der Herr an ihn austeilt. Zwar ist einerseits klar, dass diese Schläge des Herrn dazu gedacht sind, ihn ins Glied zurückzutreiben und zur Preisgabe seines Anspruchs auf Auserwähltheit zu bewegen, aber dass der Herr sich überhaupt die Mühe macht, aus der Transzendenz und Verborgenheit, der unendlichen Indifferenz und absoluten Negativität, in der er zu Hause ist, herauszutreten, um wenn nicht eigenhändig, so jedenfalls durch ausgesuchte Werkzeuge die Schläge an ihn auszuteilen, ihn quasi persönlich Mores zu lehren – dies beweist andererseits dem Knecht, dass sein Anspruch auf Auserwähltheit nicht völlig abwegig oder bar jeder Aussicht auf Anerkennung ist, und verrät ihm nämlich, dass der Herr diesen Anspruch immerhin begründet und ansprechend genug findet, um ihn dezidiert zur Kenntnis und explizit Stellung zu ihm zu nehmen, statt seinen Knecht mit Nichtachtung zu strafen und sich gleichgültig von ihm abzuwenden.

Was demnach dem Knecht aus seiner Sicht Grund gibt, sich so zu verhalten, wie er das tut, ist der Umstand, dass sich in der schlagkräftigen Reaktion des Herrn immer schon eine Art von handreichender Zuwendung verbirgt, dass seiner manifesten Negation und Verwerfung des knechtischen Anspruchs immer schon ein Moment von latenter Affirmation und Bestätigung innewohnt. Zwar ist dieses affirmative Moment nicht stark genug, um, wenn der Knecht im Pochen darauf der Verwerfung trotzt und an seinem Anspruch festhält, den Ausbruch einer neuen schlagkräftigen Reaktion des Herrn verhindern beziehungsweise diese in eine manifeste Zuwendungsgeste verwandeln zu können; aber weil sich vor dem Hintergrund der vernichtenden Indifferenz und abgründigen Negativität, die dem Herrn zu eigen ist, der exoterischen Bedeutung seiner Reaktion erneut ein esoterischer Gegensinn beilegen und sich nämlich die Verwerfung des knechtischen Anspruchs wiederum als dessen heimliche Bestätigung verstehen lässt, macht sie dem Knecht auch abermals Mut, an seinem ursprünglichen, dem Autodafé seines Erkenntnisakts entspringenden Anspruch auf ein besonderes Verhältnis zum Herrn festzuhalten.

Und die Art und Weise, wie er daran festhält, ist sub specie seines Verständnisses der Reaktion des Herrn als einer in der expliziten Verwerfung implizierten Anerkennung seines Anspruchs durchaus konsequent. Durch die Folgsamkeit, mit der er der zornigen Reaktion des Herrn begegnet, die Fügsamkeit, mit der er die vom Herrn ausgeteilten Schläge hinnimmt, sucht der Knecht dem für die ganze Konstellation konstitutiven Dilemma zu entrinnen, dass sein Anspruch auf Auserwähltheit objektiv widersinnig, eine contradictio in adjectum ist. So gewiss der Knecht nämlich auserwählt, und das heißt, von Gnaden eines autonom entscheidenden und souverän handelnden Herrn angenommen zu sein beansprucht, so gewiss hat kein Anspruch hier etwas zu suchen und verstößt diametral gegen das Beanspruchte selbst, ist ein fundamentales Vergehen gegen das die Auserwähltheit begründende Prinzip der Gnadenwahl, der absoluten Entscheidungsfreiheit dessen, der erwählt, seines selbstherrlichen Willens. Von diesem inneren Widerspruch seines Ansinnens her ist dem Knecht die ablehnende Reaktion des Herrn nur zu begreiflich. Warum sollte der Herr jemanden auserwählen, das heißt, aus dem ganz und gar eigenen Antrieb seines freien Willens jemanden in Gnaden aufnehmen, der ihm diesen autonomen Willen bestreitet, ihm in die Parade seiner absoluten Entscheidungsfreiheit fährt, indem er sich ihm aufdrängt, ihm mit Anspruchshaltung entgegentritt.

Der Tatsache, dass der Herr überhaupt reagiert und sich die Mühe macht, seine Motion eigens zurückzuweisen, entnimmt der Knecht allerdings zugleich, dass er mit seinem Ansinnen am Ende gar nicht so falsch liegt, dass sein Anspruch auf Auserwähltheit dem Herrn durchaus etwas sagt, dass diesem selbst vielleicht schon die Sache durch den Kopf gegangen, ihm der Gedanke, seinen Knecht in Gnaden anzunehmen, gekommen ist. Den Formfehler, den er dadurch begangen hat, dass er etwas beansprucht, was in keiner Weise beansprucht werden kann, weil es nur aus absolut freien Stücken zu gewähren ist, dieses logische Fehlverhalten, das ihn die Gnade des Herrn kostet und dessen potenzielles Wohlwollen in aktuellen Unwillen umschlagen lässt, sucht nun also der Knecht durch demonstrative Anspruchslosigkeit, durch Unterwerfung unter den Unwillen des Herrn, durch willenlose Folgsamkeit, selbstlose Fügsamkeit gegenüber den harten Verfügungen und bitteren Verfolgungen, mit denen der Herr ihn heimsucht, wieder gut zu machen, um dem Herrn Gelegenheit zu geben, anderen Sinnes zu werden und angesichts des ihm nunmehr bewiesenen Gehorsams den Knecht doch noch in Gnaden aufzunehmen und dessen anfänglichen Anspruch auf Auserwähltheit zu guter Letzt doch noch zu erfüllen, sprich, die schreckliche Heimsuchung in einer glücklichen Heimführung enden zu lassen.

Auch die entschiedenste Folgsamkeit und expliziteste Fügsamkeit behält indes, im Kontext des ursprünglichen Anspruchs betrachtet, ein untilgbares Moment von Widersetzlichkeit, bleibt – geprägt, wie sie ist, vom Kalkül jenes ursprünglichen Anspruchs – eine implizite Willensbekundung, und so kann es den Knecht nicht verwundern und muss er vielmehr akzeptieren, dass selbst die Übungen schrankenlosesten Gehorsams immer wieder den spontanen Zorn des Herrn erregen und ihm Anlass geben, seinen Knecht Mores zu lehren. Das einzige, was der Knecht dann tun kann, ist, erneut auf dem Moment von heimlicher Zuwendung, dem stillschweigenden Versprechen zu insistieren, das sub specie der Negativität des Herrn in jeder seiner bestimmten Negationen, jeder seiner verlautbarten Absagen steckt, um von daher die Verfolgungen des Herrn als pädagogisches Programm, die Schläge, die er austeilt, eben als die Mores, die er lehrt, zu begreifen und sie sich zur Lehre einer noch rückhaltloseren Fügsamkeit dienen zu lassen – in der ebenso unverwüstlichen wie vergeblichen Hoffnung, der Herr werde die mit dem Status der Auserwähltheit unvereinbare Anspruchshaltung des Knechts, die den ganzen, zwischen Herrn und Knecht aufgeführten Pas-de-deux überhaupt erst in Gang setzt, irgendwann vergessen und schließlich gewähren, was er doch weder gewähren kann, solange der Knecht es nicht fordert, noch gewähren will, solange der Knecht es fordert.


Die durch alle Heimsuchungen nur immer bekräftigte Zuversicht des Glaubens an den lebendigen Gott führt paradigmatisch die Parabel von Hiob vor. Dabei wird die gläubige Kreatur durch ihre Fixierung auf den die Welt zum Schein erklärenden Herrn des Seins nicht etwa der Welt entfremdet, sondern gewinnt im Gegenteil ein unmittelbar affirmatives Verhältnis zu ihr. Überhaupt unterscheidet sich die gläubige Kreatur von den andern Menschen nicht durch ihren Umgang mit den Dingen, sondern durch den Geist, in dem sie diesen Umgang pflegt. Das macht das als Holokaustum praktizierte Erstlingsopfer im Allgemeinen und das zur Chiffre alttestamentarischer Gläubigkeit und zum Siegel des Bundes mit Gott gewordene Abrahamsopfer im Besonderen deutlich.

Diesen von der gläubigen Kreatur als ein prekärer Eiertanz, ein endloses Hin und Her aus Bewährungen und Bestrafungen inszenierten Pas-de-deux mit dem Schöpfer führt paradigmatisch die Parabel von Hiob, dem Knecht Gottes, vor. Als typischer Vertreter der in den Fußstapfen Stammvater Adams wandelnden jüdischen Glaubensgemeinschaft hat Hiob seine Sache auf Gott gestellt, sich ihm mit Haut und Haar ergeben, ist er zum Herrn konvertiert und lebt in ihm.

Der Herr ist der lebendige Gott, der ihn, die Figur aus Lehm, geschaffen hat und erhält oder wieder vernichtet. Der Herr ist das wirkliche Subjekt, dessen Tun und Lassen er, das sich als solches wissende künstliche Objekt, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, mit dessen Zuwendung und Fürsorge er, der seinen Schöpfer erkennende kreatürliche Golem, steht und fällt. So gewiss die im obigen Bild vom Leviathan als Angelschnur oder Fangleine apostrophierte Beziehung zum Herrn dasjenige ist, was Hiob im Meer seiner angesichts des lebendigen Gottes offenbaren Nichtigkeit einen Seinsbezug gewinnen oder Halt finden lässt, so gewiss diese Beziehung zum Herrn dasjenige ist, was ihn über das mit dessen Erkenntnis einhergehende Bewusstsein seiner eigenen Scheinhaftigkeit und bloßen Figürlichkeit erhebt und damit versöhnt, so gewiss ist ihm diese Beziehung wichtiger und entscheidender als er selbst, sein empirisches Dasein und irdisches Leben. Sie ist die einzige Verbindung, die ihn mit dem Sein, vor der alles Dasein nichts ist, verknüpft, ist der Bund, der allein ihn der Wirklichkeit, die seine Welt als Schein enthüllt, teilhaftig sein lässt.

Daraus erklärt sich, warum Hiob die Heimsuchungen, die Gott über ihn verhängt, mit solcher Engelsgeduld erträgt, warum er Glaubenskraft aus ihnen schöpft, statt durch sie am Herrn irre zu werden oder zu verzweifeln. Wenn der Herr die ihm durch Identifizierung mit ihm übertragene Fürsorgepflicht wahrnimmt und so gestaltet, dass sein Knecht sich wohl gestellt und reich gesegnet findet, ist dieser froh und preist den Herrn, bezeugt seine unendliche Macht und unermessliche Güte. Weist der Herr aber die ihm per Konversion angetragene Prokura zurück, stellt er mit allem Nachdruck der zornigen Verweise, die er Hiob erteilt, sprich, der heftigen Verfolgungen, denen er ihn aussetzt, die ihm, dem Herrn, durch die Identifizierung mit ihm zugemutete Fürsorgepflicht in Abrede, so ist dies für Hiob nicht minder ein Grund, den Herrn zu preisen und seine Größe und Güte zu bekennen, da dieser ihm ja ex negativo seiner Zurückweisung der ihm qua Prokura angetragenen Verbindung ebenso wohl zugesteht, dass er sich immerhin angesprochen fühlt, ihm implicite seiner heftigen Antwort auf den ihm qua Fürsorgepflicht zugemuteten Bund das Vorhandensein eines wie sehr auch in Widerspruch sich erschöpfenden Kontakts, einer wie sehr auch zur Auseinandersetzung geratenden Kommunikation bestätigt und ihm so den Mut macht und das Motiv liefert, sich durch eine noch rückhaltlosere Übereignung an den Herrn, eine noch selbstlosere Identifizierung mit ihm, sprich, durch noch größere Fügsamkeit und Willfährigkeit, um eine Beseitigung dessen zu bemühen, worin er die Ursache des Unwillens des Herrn, den negativen Charakter der von ihm eingegangenen Verbindung, die Unschlüssigkeit des mit ihm geschlossenen Bundes erkennt – um eine Beseitigung nämlich der selbst der größten Willfährigkeit immer noch eingeschriebenen Bekundung eines mit der Herrlichkeit des Herrn unvereinbaren Eigenwillens, eine Überwindung der selbst die äußerste Fügsamkeit immer noch diskreditierenden, weil der freien Entscheidung des Herrn, seiner Gnade, widerstreitenden Anspruchshaltung.

So gewiss es die nicht in der Indifferenz des Adressaten sich verlaufende, sondern von ihm ausdrücklich bestätigte Verbindung überhaupt ist, was der zum Schöpfer konvertierten Kreatur ihren exklusiven Seinsbezug verschafft, so gewiss es der nicht in der Negativität des angesprochenen Subjekts sich verlierende, sondern von ihm reflexiv konstatierte, sprich, reaktiv geschlossene Bund als solcher ist, was der mit dem lebendigen Gott identifizierten menschlichen Kunstfigur ihr Moment von Teilhabe an dessen Wirklichkeit, ihre Erwähltheit sichert, und so gewiss demgegenüber die faktische Beschaffenheit der Verbindung, ihre empirische Gestalt ein absolut sekundärer Gesichtspunkt, eine qualité négligeable ist, so gewiss behält auch die heftigste Verstoßung, insofern sie Zeichen eines vom Schöpfer aufgenommenen Kontakts ist, immer noch die Bedeutung einer ausgestreckten Hand, bleibt die entschiedenste Absage, insofern sie Beweis für eine vom lebendigen Gott gegebene Antwort ist, immer noch eine verheißungsvolle Zuwendung und erfüllt Hiob zwar nicht mit Triumph und dem Gefühl, erhört worden zu sein (damit verginge er sich ja schon wieder gegen die Herrlichkeit des Herrn), wohl aber mit Frohlocken und dem Bedürfnis, den Herrn, seinen Gott, zu lobpreisen. Und deshalb also ist Hiob allzeit getrost, bleibt er in der schlimmsten Not und Verfolgung gefasst, und ist ihm jede Reaktion Gottes, mag sie noch so weh tun, jede göttliche Stellungnahme, mag sie ein noch so verheerender Schicksalsschlag sein, ein ihn in seinem Glauben bekräftigendes, in seiner Anhänglichkeit an Gott, seinem Gehorsam gegen ihn bestärkendes, sprich, ein seinen Bund mit Gott, seine nicht zwar essenziell-ontologische, wohl aber existenziell-theologische Teilhabe an dessen Sein und Wirklichkeit bestätigendes Ereignis.

Nicht, dass die in Hiob ihr Sinnbild findende gläubige Kreatur darauf aus wäre, vom Herrn geschlagen und verfolgt zu werden! Nicht, dass sie nicht liebend gern seine zornige Zuwendung sich in freundliche Zuwendungen verkehren, seinen göttlichen Unwillen, den sie durch Fügsamkeit in Wohlwollen zu verwandeln sucht, in weltlichen Wohltaten ein glückliches Ende nehmen sähe! Sie ist, wie gesagt, von einem masochistischen Genuss der Schläge, die ihr der Herr erteilt, um sie von ihrer konversiven Erkenntnis seiner, ihrer selbstvergessenen Hingabe an ihn, abzubringen, denkbar weit entfernt und, wie dem zur schieren Wunscherfüllung geratenden Schluss der Parabel von Hiob, dem Segen an Vieh und Kindern, mit dem der Herr Hiobs Glaubenstreue belohnt, zu entnehmen, durchaus bereit, sich ihre Hingabe an den Herrn durch irdische Güter honorieren, ihren Bund mit ihm sich zu materiellem Wohlstand statt zu habituellem Elend gereichen zu lassen.

Und nicht nur bereit, sich vom Herrn, ihrem Gott, das Dasein zur Lust machen und das Leben versüßen zu lassen, ist sie, sondern auch durchaus fähig dazu. Schließlich bedeutet ja, dass sie sich epistemologisch mit ihrem Schöpfer identifiziert, sich theologisch auf seinen Standpunkt stellt, zu seinem Bewusstsein bekehrt, und deshalb, wie ihn als den einzig Seienden, das ebenso allein wirkliche wie exklusiv andere Subjekt anerkennt, so sich mitsamt der ganzen, als bloße Schöpfung wohlverstandenen Welt als das jeder eigenen Substanz entbehrende Werk seiner Imagination, seine egal ob als Wort- oder Kunstgebilde gefasste projektive Vorstellung betrachtet, mitnichten, dass sie diese Schöpfung, nur weil sie im Verhältnis zu seinem Sein ein Nichts, im Vergleich mit seiner Wirklichkeit ein Schein ist, gering schätzt oder gar verachtet. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Eben weil sie ihn als den Schöpfer weiß, sich per Identifikation mit ihm sein Bewusstsein zu eigen macht, und sich mithin vorbehaltlos als sein Geschöpf wahrnimmt, als das Werk seines Geistes oder seiner Hände sieht und akzeptiert, kann sie ja sagen zu sich und aller Kreatur, zu der ganzen Welt, die er vor seinem Antlitz erscheinen lässt, kann sie gutheißen, was er erschafft, indem er es kraft Imagination oder Kunstfertigkeit sich vorstellt oder vor sich hinstellt, kann sie uneingeschränkt bewundern, was er aus der Fülle seines Geistes an Projektionen hervorbringt, kann sie von ganzem Herzen genießen, was er dank handwerklichen Geschicks an Apparaten erzeugt.

Und die gläubige Kreatur kann sich, weil sie sich dabei als zur Vorstellung gehörig, als Teil der Apparatur wahrnimmt und gutheißt, in dieser Vorstellungswelt des lebendigen Gottes, dieser vom Herrn des Seins kreierten Apparatur ganz und gar daheim fühlen, kann sich darin mit dem Bewusstsein jener unmittelbaren Sichselbstgleichheit und grundlosen Geborgenheit bewegen und betätigen, die das den paradoxen Charakter solcher Heimat widerspiegelnde, weil kreatürliche Hinfälligkeit zur substanziellen Zuflucht erklärende Bild vom Schoße Abrahams beschwört. Sie kann sich mit anderen Worten weit mehr in der Erscheinungswelt zu Hause fühlen als all die anderen, die Völker, die sich, so wahr sie sich vor der Erkenntnis des lebendigen Gottes, seinem Antlitz, verbergen und in kreatürliche Blindheit flüchten, der Einsicht in den projektiven Charakter dieser Welt, in ihre artefizielle Natur, ihre Scheinhaftigkeit verschließen und deshalb aber ständig bemüht sein müssen, durch ihre an die Stelle des lebendigen Gottes gesetzten Fetische und durch ihre das gläubig-devote Verhältnis zu ersterem substituierende kultisch-sakrifizielle Beziehung zu letzteren den Dingen und Vorgängen dieser Welt die objektive Begründetheit und ursprüngliche Seinshaftigkeit nachzuweisen, die sie partout nicht haben, ihnen die Substanzialität und Kontinuität zu vindizieren, deren sie doch vielmehr ermangeln.

Anders als die Völker, die durch totenkultliche oder götzendienstliche Rücksichten fortwährend den Gedanken an die Flüchtigkeit und Unwirklichkeit der Erscheinungswelt verdrängen und die letztere als ebenso objektiv haltbar wie in sich begründet reaffirmieren und sanktionieren müssen und die aber deshalb gar nicht in der Lage sind, sie als solche hinzunehmen, sie in ihrer Unmittelbarkeit und Sinnenfälligkeit gelten zu lassen, ist die durch ihren Bund mit dem Schöpfer aller Angst vor der eigenen kreatürlichen Scheinhaftigkeit und Nichtigkeit überhobene gläubige Kreatur ohne weiteres imstande, die Erscheinungswelt als die creatio ex nihilo, die sie ist, als ein kraft Schöpfungsakt ebenso einfach Vorhandenes wie grundlos Gegebenes zur Kenntnis zu nehmen und zu akzeptieren, sie mit anderen Worten im vollen Bewusstsein ihrer projektiven Haltlosigkeit, ihrer objektiven Hinfälligkeit zu besetzen und zu genießen.

Und diese Fähigkeit der gläubigen Kreatur, die Dinge so, wie sie erscheinen, in all ihrer Unmittelbarkeit und phänomenalen Grundlosigkeit, zu bejahen und sich zunutze zu machen, das Dasein mit allem, was dazugehört, im vollen Bewusstsein seiner Heillosigkeit und Vergänglichkeit für gut zu befinden und auszukosten, ist nicht etwa auf besondere, selektive Erscheinungen, auf ausgewählte Weisen oder Aspekte des Daseins beschränkt, sondern bezieht sich auf die Erscheinungswelt in toto, auf sie als das Ganze des vom Herrn des Seins geschaffenen Scheins, umfasst das Dasein in allen seinen von der menschlichen Kreatur, von den Völkern ebenso wie den Kindern Gottes, von denen, die sich vor dem Antlitz Gottes verbergen, ebenso wie denen, die im Angesicht Gottes verharren, gemachten Erfahrungen und bewirkten Gestaltungen. Weil alles, was ist, die Schöpfung des lebendigen Gottes, seinem Geist entsprungenes Wortgebilde oder aus seiner Hand hervorgegangenes Kunstwerk ist, gibt es nichts, was die als Teil dieser Schöpfung sich wissende gläubige Kreatur als dem Schöpfer unangemessen, als mit der Wirklichkeit des lebendigen Gottes unvereinbar verurteilen und verwerfen müsste oder könnte.

Diese zu ihrer lebenslustig-sensualistischen Diesseitigkeit hinzukommende lebenspraktisch-empiristische Aufgeschlossenheit der gläubigen Kreatur gegenüber allem, was das Diesseits zu bieten hat, ist auch gut so, weil die anderen, die Völker, eine Präsenz und Dominanz in der Schöpfung beweisen, eine Allgegenwart und umfassende Verfügung in der Erscheinungswelt, die fast alles zu ihrer Sache macht, fast jede technische Errungenschaft, ökonomische Verfahrensweise, politische Einrichtung, kulturelle Gestaltung und soziale Erfahrung ihr eigen sein lässt und die eben deshalb sie, die gläubige Kreatur, marginalisiert und auf ihr ebenso karges wie primitives halbnomadisches Dasein am Rande der zivilisierten Welt reduziert: Würde die gläubige Kreatur all diese Güter und Leistungen nur deshalb, weil es die in kreatürlicher Blindheit verharrenden Völker sind, die sie erbringen und besitzen, gebrauchen und genießen, für unvereinbar mit ihrem Glauben an den lebendigen Gott erklären und tabuisieren, sie würde sich freiwillig und für alle Zeit zu eben dem primitiven Dasein und kargen Leben verurteilen, dem sie ja doch eigentlich zu entrinnen hofft, indem sie sich im konversiven Erkenntnisakt ihrem Schöpfer anheim gibt, seiner Fürsorge anvertraut, ihm zu treuen Händen überantwortet.

Von solcher Tabuisierung aber ist die gläubige Kreatur weit entfernt. Was sie von den anderen, den Völkern, unterscheidet, sind nicht ihre gegenständlichen Dispositionen, ihre Objektbeziehungen, sondern ist die diese Dispositionen durchwaltende Determination, die diesen Beziehungen eingeschriebene Subjektbestimmung, ist nicht ihr äußeres Verhalten, sondern die diesem Verhalten zugrunde liegende innere Haltung, ist, kurz, nicht ihr Umgang mit den Dingen, sondern der Geist, in dem sie diesen Umgang pflegt. Dieser differente Geist, in dem sie ihr vom Leben der Völker einzig und allein aus materieller Not, nicht etwa aus existenzieller Absicht verschiedenes Leben lebt, ermöglicht ihr, sich in der Erscheinungswelt heimisch zu fühlen, ohne sie zu fetischisieren, sich auf das Dasein einzulassen, ohne sich an es zu fixieren. Er ermöglicht ihr persönliches Engagement ohne sakramentale Verpflichtung, Bindung ohne Fessel. Er bedeutet allerdings auch und zugleich die Bereitschaft, auf Geheiß des lebendigen Gottes jederzeit und ohne Wenn und Aber von den Erscheinungen dieser Welt abzulassen, alles preiszugeben, sich von allem loszusagen, sprich, in rückhaltloser Unterwerfung unter den Willen Gottes nichts für unverzichtbar zu halten und nach der Devise "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt" ein unter den bedingungslosen Vorbehalt ständig möglichen Totalverlusts gestelltes Leben zu führen.

Diesen Geist einer sich nur im Bewusstsein des allzeit möglichen Nichts,
im Gewahrsam der Negativität des herrlichen Seins, die den schönen Schein jeden Augenblick verzehren kann, entfaltenden Positivität und Lebenslust der gläubigen Kreatur führt paradigmatisch das Sohnesopfer des Patriarchen Abraham vor. Auch das qua Opfer gepflegte Verhältnis zur göttlichen Macht ist ja mitsamt seinen kultischen Ausdrucksformen keineswegs exklusiv der gläubigen Kreatur zu eigen, sondern ihr mit den Völkern gemein und im Zweifelsfall eine Errungenschaft, die, jedenfalls in ihrer ausgearbeiteten Form und verbindlichen Fassung, die letzteren der ersteren voraus und an sie weitergegeben haben. Auch Kain opfert dem Herrn, und er tut es sogar an erster Stelle, macht es Abel gewissermaßen vor. Nur dass Abel das Gleiche wie Kain offenbar in einem anderen Geiste tut, der den Herrn veranlasst, sein Opfer im Unterschied zu dem des Kain gnädig anzusehen. Und diesen anderen Geist, der das Opfer Abels dem Herrn wohlgefällig macht – ihn stellt beispielhaft die vom Herrn erst in letzter Sekunde abgesetzte Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham unter Beweis: Es ist der Geist des Ganzopfers, des Holokaustum.

Anders als die Völker, für die das Opfer, das sie ihren Götzen bringen, immer die Bedeutung einer den letzteren abgetrotzten Anerkennung und Sanktionierung der Wahrheit des irdischen Seins und der Wirklichkeit der Erscheinungswelt hat und für die es deshalb auch stets die Geltung eines im Bild des Prometheusopfers festgehaltenen Vertrages behauptet, nach dessen Maßgabe der Opfernde seinen Götzen ein Stück des von ihnen gutgesagten, von ihnen sakramental beglaubigten Weltkuchens überlässt, nur um sich den Löwenanteil daran vorzubehalten und für den wenn auch schwerlich frei zu nennenden eigenen Gebrauch zu sichern – anders als die Völker unternimmt die gläubige Kreatur mit dem Opfer keinen Versuch, den Herrn des Seins zur Anerkennung seiner Vorstellungswelt als einer Wirklichkeit sui generis zu bewegen, den lebendigen Gott zur Sanktionierung seines Kunstwerks als eines mit Eigenleben begabten Automaten zu bringen und ihn diese Anerkennungs- und Sanktionierungsleistung durch seine in der Annahme der Opfergabe beschlossene Teilhabe an der Welt, die im Sakrament vollzogene Kommunion, besiegeln zu lassen. Vielmehr bringt die gläubige Kreatur ihrem Herrn die Opfergabe nicht als Teil des Ganzen, sondern als pars pro toto, nicht als repräsentatives Stück, sondern als integrales Symbol seiner Schöpfung dar, legt ihm in effigie der Opfergabe die Welt ohne jede Substantiierungsabsicht, ohne allen Sakramentalisierungsanspruch als von ihm imaginierte verbale Vorstellung, als von ihm kreiertes künstliches Werk zu Füßen, als etwas, das er aus Nichts geschaffen, durch wortmächtige Geisteskraft zum Erscheinen gebracht hat und das er eben deshalb auch jederzeit wieder zunichte machen, spurlos verschwinden lassen kann.

Genau dieses allem Versuch, die Schöpfung am Sein des Schöpfers partizipieren zu lassen, die Erscheinungswelt als in der Wirklichkeit des lebendigen Gottes einbegriffen zu sakralisieren, diametral entgegengesetzte Bewusstsein von der im Angesicht des göttlichen Seins haltlosen Nichtigkeit, der gegenüber der Wirklichkeit des lebendigen Gottes irrealen Flüchtigkeit des kreatürlichen Daseins, bekennt Abraham im Opfer seines Erstgeborenen, dem zur Chiffre alttestamentarischer Gläubigkeit gewordenen Erstlingsopfer. Weit entfernt davon, ein dem heidnischen Opfer vergleichbarer Versuch zu sein, den Herrn der Schöpfung dafür, dass er letztere an seinem Sein teilhaben lässt, mit einem Stück von ihr abzuspeisen beziehungsweise ihn, weil er sich mit einem Stück von ihr abfinden lässt, der ontologischen Kontinuität mit seiner Schöpfung überführt zu glauben, ist das in der Opferung Isaaks seine – bei denen, die die Schöpfung nicht als creatio ex nihilo wahrhaben wollen, Furcht und Zittern erregende – Kulmination findende Erstlingsopfer, insofern es seinen wesentlichen Sinn in der Preisgabe des Stammhalters, des Trägers und Garanten eines in sich gründenden Daseins und selbstgenerierten Lebens hat, die eidlich beschworene Absage des Opfernden an jeglichen Anspruch auf naturgegebenen Bestand und selbsterhaltende Beständigkeit, sein hoch und heilig erklärter Verzicht auf alle nicht dem göttlichen Wort geschuldete Substanzialität, nicht in Gottes Hand liegende Kontinuität.

Und dementsprechend hat denn auch die Vernichtung des Opfers, seine Sakrifizierung auf dem Altar, hier eine entscheidend andere Bedeutung als im heidnischen Kult: Ist im heidnischen Kult die Schlachtung und Beseitigung des Opfers Ausdruck des Misserfolgs der Opferhandlung, nämlich Folge eines im Opfer Gestalt werdenden epiphanischen Ereignisses, das die erhoffte Partizipation und Affirmation des Gottes Lügen straft und zwecks Verdrängung der erscheinenden Indifferenz und Negativität der göttlichen Macht zum Abbruch der sakralen Aktion, eben zur Überführung des Sakraments ins Sakrifiz zwingt, so ist im abrahamitischen Opferkult die Schlachtung und Verbrennung des Opfers, der Holocaust, im Gegenteil Signum des Gelingens der Opferhandlung, nämlich Beweis für die Entschlossenheit des Opfernden, ein unter dem absoluten Vorbehalt des göttlichen Willens stehendes Leben zu führen und, sofern es Gottes Wille ist, alles preiszugeben, ihm, der, was er aus Nichts geschaffen hat, auch wieder zunichte machen kann, nichts vorzuenthalten, mag es dem Opfernden auch noch so lieb und teuer, mag es gar – in der Metaphorik eines Lebens gesprochen, das Bestand und Beständigkeit nur in der Fortpflanzung behauptet, nur als Stammbaum gewinnt – sein eigen Fleisch und Blut sein. Genau dieses im Sohnesopfer auf die Spitze getriebenen und zum Augenblick einer allen Völkern schrecklichen Wahrheit verdichteten unreserviert opferbereiten Verhältnisses des Geschöpfs zu seinem Schöpfer wegen steht der Name Abraham ein für das vom Buch Genesis bezeugte identifikatorisch besondere Verhältnis der gläubigen Kreatur zum lebendigen Gott, für den Bund, den kraft ihrer erkennenden Konversion zu ihm er mit ihr nolens volens geschlossen hat und den alle als Prüfungen und Bestrafungen wohlverstandenen Versuche, ihn aufzukündigen, nur immer bewähren und festigen können.

Dass sie unter dem absoluten Vorbehalt des allzeit möglichen Nichts, der jederzeit zu erwartenden Widerrufung des aus Nichts Geschaffenen durch seinen Schöpfer lebt, heißt also mitnichten, dass die gläubige Kreatur das Geschaffene in seiner zur Schöpfung entfalteten Totalität, die als Gros das den Völkern zugefallene Erbteil einschließt, nicht gutzuheißen und zu goutieren vermag. Sie, die dem ontologischen Status und substanziologischen Modus der Schöpfung, ihrer Kreatürlichkeit oder Künstlichkeit, illusionslos ins Auge schaut, ist im Zweifelsfall sogar besser disponiert und eher befähigt, sich am schönen Schein zu erfreuen, das kunstreiche Werk zu genießen, als die Völker, die gegen die drohende Erkenntnis vom daseinstranszendent wahren Sein und außerweltlich wirklichen Leben die Illusion von der Seinshaltigkeit des Daseins und der Wirklichkeit der Welt um jeden Preis aufrechtzuerhalten streben und die mit den dafür erforderlichen dogmatischen Veranstaltungen und kultischen Verrichtungen so sehr beschäftigt sind, dass sie gar nicht dazu kommen, sich am haltlos vergänglichen Dasein einfach nur zu erfreuen, den substanzlos-flüchtigen Augenblick kurzerhand zu genießen. Genussbereit und sinnenfreudig, für die Erscheinungswelt aufgeschlossen und in ihr uneingeschränkt zuhause, hätte die gläubige Kreatur also nicht das Geringste dagegen und ließe sich's gern gefallen, wenn Gott, der Herr, sie für ihre zum Autodafé geratende Erkenntnis seiner Wahrheit und Wirklichkeit mit irdischen Wohltaten überhäufte, statt sie mittels der Völker, der blinden Werkzeuge seines Zorns, zu verfolgen und zu verstoßen, zu bedrängen und zu züchtigen.

Der Herr aber in seinem unbändigen Zorn will der gläubigen Kreatur nicht wohl, tut ihr nichts zu Gefallen: Aufgebracht durch ihr Autodafé, das er als Anmaßung und Zumutung empfindet, weil es seinen Schöpfungsplan stört, indem es ihn aus dem autonomen Autor und souveränen Gestalter der Schöpfung in deren verantwortlichen Direktor und fürsorglichen Verwalter zu verwandeln droht, weist er die gläubige Kreatur zurück und sucht sie dadurch von ihrer konversiven Zuwendung zu ihm abzubringen, will ihr dadurch ihr erkennend-identifikatorisches Heraustreten aus dem Glied der Völker verleiden, dass er ihr schmerzhaft klar macht, wie wenig sie auf diesem Wege gewinnt, wie sehr sich der Erfolg ihrer Motion in einer Bestätigung ihrer Armut und ihres Elends, einer Reaffirmation ihrer bedrängten Lage erschöpft.

Ihre bedrängte Lage ist es, die sie, die am Rande der Wüste ihr halbnomadisches Leben fristende Pariagemeinschaft, dazu treibt, dem von den Völkern verdrängten wortmächtigen Schöpfer des Himmels und der Erde die Ehre zu geben und sich als gläubige Kreatur seinem Dienst zu weihen, ihn als den Herrn des Seins zu bezeugen, ihn als den lebendigen Gott zu bekennen. Falls sie aber gehofft hat, durch ihren konversiven Erkenntnisakt ihre Lebenslage verbessern, ihrem irdischen Prospekt aufhelfen zu können, findet sie sich bitter enttäuscht. Weil der lebendige Gott ihre existenzielle Entscheidung für ihn als ihn in seiner Entscheidungsfreiheit einengende, ihn in seinem Bewegungsspielraum beschränkende Zudringlichkeit und Eigenmächtigkeit ansieht, besteht seine Reaktion auf ihre gläubige Zuwendung darin, mittels der anderen Völker, seiner drakonischen Werkzeuge, dafür zu sorgen, dass sie in ihrer bedrängten Lage verharren muss, aus Armut und Elend partout nicht herausfindet.

Praktisch also führt die existenzielle Aktion, durch die sie Statur gewinnen, ihre Stellung und Lage gegenüber ihren Verfolgern und Vertreibern verbessern, sich als Volk unter den Völkern behaupten will, nur zu einer Bekräftigung, wo nicht gar einer Rechtfertigung ihres erbärmlichen Status quo und erweist sich mithin als Fehlschlag. Theoretisch freilich oder – mit Rücksicht auf den eher konversiven als kontemplativen Charakter ihres grundlegenden Erkenntnisakts besser gesagt – theologisch zieht sie aus ihrer Motion durchaus Gewinn. Indem sie, wie oben expliziert, die in den Schlägen ihres Schöpfers sich bekundende kategorische Zurückweisung als vielmehr pädagogische Zurechtweisung, seine Forderung nach spezieller Willfährigkeit, nach Folgsamkeit gegenüber dem, wozu sein Unwille sie konkret verhält, als vielmehr Anspruch auf generellen Gehorsam, auf Fügsamkeit gegenüber abstrakt allem, was er von ihr verlangt, interpretiert, gelingt es der gläubigen Kreatur, die ihrem konkreten Ansinnen und Begehren durch den Schöpfer zuteil werdende definitive Verwerfung in eine ihrem abstrakten Sinnen und Trachten geltende sukzessive Reihe von Prüfungen und Bestrafungen zu verkehren, die allesamt Zeugnis von dem wie immer aggressiv-kritisch gewendeten Interesse und Engagement ablegen, mit dem der Schöpfer ihr begegnet, und damit die Basis für die unverbrüchlich besondere Beziehung abgeben, die er ex negativo seiner Nachstellungen und Verfolgungen zu ihr unterhält, den durch jeden Versuch, ihn aufzukündigen, nur immer reaffirmierten Bund besiegeln, den er mit ihr geschlossen hat. Es gelingt ihr mit anderen Worten jenes als selbstloses Gottvertrauen wohlverstandene Hiobsche Selbstbewusstsein auszubilden, das, wie es sie mit der demütigen Gewissheit ihrer Auserwähltheit unter den Völkern, ihres ebenso unverbrüchlichen wie ständig in Frage stehenden Einvernehmens mit dem Herrn, ihrem Gott, erfüllt, so ihr ermöglicht, für das Privileg, im Angesicht ihres Schöpfers verharren zu dürfen, ihre Armut und ihr Elend bereitwillig in Kauf zu nehmen, sich durch die der spekulativen Einsicht, dass der Schöpfer den liebt, den er züchtigt, entspringende beglückende Überzeugung, des Schöpfers liebstes Geschöpf, sein aus der Völkerherde ausgelesenes Exemplar zu sein, in jeder noch so bedrängten Lage getröstet zu fühlen.

Praktisch oder politisch aber bringt ihr dies theoretisch beglückende, theologisch erhebende Bewusstsein von ihrer Erwähltheit, ihrem als Bund perennierenden besonderen Draht zu Gott, dem Herrn, nichts oder fast nichts. Fast nichts – denn eine minimale praktische Konsequenz hat ihr theologischer Triumph am Ende doch: Er bestätigt sie zwar nur in ihrer bedrängten Lage, aber er bestätigt sie immerhin! Er bedeutet ihr, dass ihr Herr sie zwar verfolgt und züchtigt, prüft und bestraft, dass er sie aber in der Not, in die er sie stürzt, nicht zugrunde gehen, in dem elenden Leben, das er ihr bereitet, nicht verderben lassen wird. Er erfüllt sie mit der unerschütterlichen Zuversicht, dass er über sie, die von ihm unablässig geschlagene Kreatur, doch aber zugleich seine unfehlbar schützende Hand hält, dass er, mag er ihr das Dasein auch noch sehr erschweren, ihre Existenz noch so mühsam gestalten, doch aber jedenfalls dafür sorgt, dass sie diese Existenz nicht verliert, an Leib und Leben unversehrt bleibt. Schließlich sieht sie ja in der Art und Weise, wie er mit ihr umspringt, oder vielmehr in der bloßen Tatsache, dass er mit ihr umspringt, dass er auf ihre Zuwendung reagiert, den Beweis für sein ihr geltendes Interesse und Engagement, seine Bereitschaft, in wie immer von ständiger Auflösung bedrohte Verbindung mit ihr zu treten, einen wie immer in heftige Auseinandersetzungen ausartenden Dialog mit ihr zu führen. Wie sollte wohl diese wenngleich von Streit und Unfrieden geprägte Kontakt- und Dialogbereitschaft des Herrn sich mit der Absicht vertragen, seinem knechtischen Gegenüber den Garaus zu machen, seinen kreatürlichen Gesprächspartner über die Klinge des göttlichen Zornes springen zu lassen.

Diese geheime Zuversicht, dass der Herr seinen Knecht in jedem Fall verschonen, ihn sich unter allen Umständen als seinen irdischen Ansprechpartner erhalten wird, bewährt sich ja auch in der Extremsituation des Abrahamopfers, das sich, wie als Prüfung der Entschlossenheit der Kreatur, alles in des Schöpfers Hand zu geben, so umgekehrt auch als Probe auf die Entschlossenheit des Schöpfers, seine Kreatur aus der höchsten Not sei's des persönlichen Todes, sei's des generischen Aussterbens zu retten, verstehen lässt und das in der Tat ja in einer vom Schöpfer arrangierten Ersatzleistung, der Verschonung Isaaks und seiner Ersetzung durch ein Opfertier, endet. So gewiss der Schöpfer seine Kreatur überhaupt wahrnimmt, auf ihre Erkenntnis seiner reagiert, sich auf eine als Bundesschluss deutbare Auseinandersetzung mit ihr einlässt, so gewiss tut er damit seinen Willen kund, sie am Leben zu lassen, über sie in ihrem wie immer auch zum Elend verurteilten Dasein, ihrer wie immer auch zur Strafe exponierten Existenz seine schützende Hand zu halten.


Die akute Bedrohung der Existenz seiner gläubigen Kreatur nötigt den Herrn zum Umdenken. An die Stelle des abrahamitischen tritt ein neuer, mosaischer Bund, der dem Volk Gottes ein eigenes Territorium, eine feste Kultstätte und schließlich sogar ein Königtum bringt. Dass dies alles bald schon wieder verloren zu gehen droht, ruft die Propheten und ihre Vorstellung von einem universalen Missionsauftrag auf den Plan. Die Zäsur des Exils beendet die Zeit der Gegenwart des lebendigen Gottes und führt zur Entstehung der als zugleich Hinterlassenschaft und Maßregel firmierenden Thora. Während sich nach der Rückkehr aus dem Exil die oberen Schichten auf der Basis des von der Thora reglementierten Kultus neu einrichten, bilden die bedrängten unteren Schichten in Anlehnung an die Propheten den Messianismus aus.

Und genau diese minimale lebenspraktische Konsequenz des gottesdienstlichen Verhältnisses der als gläubige Kreatur unter den Völkern firmierenden abrahamitischen Stammesgemeinschaft erweist sich nun aber in dem Maße als eminent folgenreich und in der Tat als massiv praxisverändernd, wie sie durch eine Verkettung unglücklicher historischer Umstände in Gefahr gerät und verloren zu gehen droht. Mag Gott, der Herr, die Gemeinschaft noch so sehr verfolgen und züchtigen – so wahr die Verfolgung aus Sicht des in ihr sich bekundenden göttlichen Interesses an der Gemeinschaft ebenso wohl als eine Form der affiliativen Zuwendung, die Züchtigung sub specie der göttlichen Beschäftigung mit der Gemeinschaft, die sie bedeutet, ebenso wohl eine Art von affirmativer Handreichung darstellt, so wahr kann der Herr nie und nimmer wollen, dass seine Verfolgung die Gemeinschaft ins Verderben führt, seine Züchtigung sie zugrunde richtet.

Als deshalb die Gemeinschaft in ihrem kargen, semiariden Lebensraum von einer Hungersnot heimgesucht wird und zu verderben droht, greift Gott, der Herr, ein und bringt sie auf dem fruchtbaren Territorium eines der mächtigen Nachbarn, in Ägyptenland, wo er in weiser Voraussicht bereits in Gestalt des Joseph einen Notanker platziert hat, in Sicherheit. Und als wiederum später die Ägypter die Gemeinschaft zu unterdrücken und durch Fronarbeit zugrunde zu richten anfangen, greift der Herr abermals ein und lässt sie durch seinen Knecht Moses von der ägyptischen Fron erretten und aus dem Lande führen. Zugleich haben ihn aber die tödlichen Fährnisse, denen die Gemeinschaft hier wie dort, im Exil der ägyptischen Gefangenschaft wie zuvor in der Wüstenei ihrer früheren Heimat, ausgesetzt waren, zu der Einsicht gebracht, dass sich der Gemeinschaft, seinem auserwählten Volk, eine ungefährdete Existenz und dauerhafte Geborgenheit nur verbürgen lässt, wenn sie ein eigenes fruchtbares Territorium erhält und, dem Beispiel der reichen Nachbarn folgend, eine sesshafte, herrschaftlich organisierte Lebensweise annimmt, ein den Staaten der Völker vergleichbares, in relativer Autarkie und Unabhängigkeit sich behauptendes Reich gründet.

Der Herr weist also seinem Volk das zwischen Jordan und Mittelmeerküste gelegene Land Kanaan als neue Heimat zu, preist ihm in reklamehafter Übertreibung dieses Territorium als das gelobte Land an, in dem Milch und Honig fließt, und lässt es durch seinen Knecht Moses in einem langwierigen, mühsamen Wanderzug dort hinführen, wo es dann, weil Moses aufgrund eines der dem Herrn so rasch durch den Kopf schießenden Zornausbrüche und ihm so leicht von der Hand gehenden Bestrafungsaktionen das verheißene Land zwar noch hat erblicken, nicht aber mehr betreten dürfen, unter neuer Führung in einem nicht minder langwierigen und mühsamen Eroberungsprozess von der neuen Heimat Besitz ergreift.

Ob, wie hier suggeriert, die Entscheidung des Herrn, seinem geplagten, nomadisierenden Volk einen festen, fruchtbaren Wohnsitz zu schenken, Resultat eines durch äußere Umstände herbeigeführten, sprich, erfahrungsbedingten Umdenkens des Schöpfers ist oder ob es sich bei ihr um das Ergebnis eines spontanen göttlichen Sinneswandels und gemäß diesem Sinneswandel ersonnenen Umsetzungsplans handelt, bleibe dahingestellt. Schließlich gelten dem gläubigen Volk ja äußere Umstände ebenso wie historische Geschehnisse, Naturereignisse nicht weniger als das Treiben der Völker als Werkzeuge des Herrn, im Dienste der göttlichen Vorsehung stehende Faktoren, und von daher betrachtet geben sich die Vorgänge, die dazu führen, dass die Glaubensgemeinschaft ihre ebenso karge wie unstete halbnomadische Lebensweise an den Nagel hängen und sich als ackerbautreibendes Volk auf eigener Scholle niederlassen kann, in der Tat eher als ein mit ebenso viel dramaturgischer Finesse wie strategischer Umsicht ausgetüfteltes göttliches Projekt, eine den Schöpfer als Autor vermuten lassende Konstruktion zu verstehen, als dass sie den Eindruck einer naturprozessual-kontingenten Abfolge machten, die den Schöpfer jeweils zwingt, in sie einzugreifen und ihnen die obligate glückliche Wendung zu geben.

Möglich allerdings auch und angesichts der späten Niederschrift der Ereignisse vielleicht sogar wahrscheinlich, dass originärer Landhunger, ein durch das Beispiel der reichen Nachbarn erregtes Bedürfnis, endlich auch einmal auf eigenem Grund und Boden zur Ruhe zu kommen und genug zu erwirtschaften, um ein gedeihliches Leben führen zu können, die Gemeinschaft zur Eroberung ihrer neuen Heimat veranlasst und damit allerdings auch vor das Problem stellt, die Vertauschung ihres alten, gottgewollten Elends mit dem neuen selbstgewählten Wohlstand theologisch zu rechtfertigen. Möglich also, dass die ganze Geschichte von der aus der Not des Hungers geborenen Übersiedlung nach Ägypten und dem der Not der Fron geschuldeten Auszug aus Ägypten ein Märchen ist, vielleicht keine reine Erfindung, aber doch eine Aufbauschung weit weniger grundlegender, marginaler historischer Ereignisse, ein ätiologischer Mythos mit anderen Worten, um den Wechsel der gottgegebenen Daseinsform zu begründen und das Sesshaftwerden beziehungsweise die Gründung eines dem Leben der Völker konformen, agrarisch fundierten Königreichs als nicht etwa dem eigenen Willen, sondern allein dem Ratschluss des Herrn entspringenden Vorgang nachzuweisen.

Aber wie auch immer sich der Übergang vom halbnomadischen Dasein zur sesshaften Existenz, von der durch die Völker vertriebenen Gemeinschaft zur nach Völkerart etablierten Gesellschaft vollzieht, ob er als ein der Not der historischen Umstände und dem Erbarmen Gottes geschuldetes Ereignis, ob als ein der göttlichen Gnade und Vorsehung entspringender Prozess oder als ein dem fait accompli der Landnahme nachträglich untergeschobenes Konstrukt zu verstehen ist – so oder so bedeutet er eine gründlich veränderte Einstellung Gottes, des Herrn, zu seiner auserwählten und nunmehr als Volk unter den Völkern zur Geltung gebrachten Gemeinde, einen Wandel in der Beziehung beider, der in einer Ersetzung des abrahamitischen, bloß auf die Erhaltung des Lebens, den Schutz der Existenz gerichteten Bündnisses durch den neuen, mosaischen, mit der Verheißung der Landnahme und der Staatsgründung verknüpften Bundesschluss resultiert, der dabei den Herrn aus einem gelegentlichen Bestrafer und Segenspender zum ständigen Gebieter und Gesetzgeber mutieren lässt und der seinen gleichermaßen organisatorisch wichtigsten und ideologisch vornehmsten Ausdruck darin findet, dass der Herr sich, seiner nunmehr wesentlich legislativen Rolle gemäß, aus allen unmittelbar exekutiven, bislang von ihm in eigener Regie oder durch englische Kommissäre wahrgenommenen Funktionen zurückzieht und das Regierungsgeschäft menschlichen Beauftragten, Personen überträgt, die er aus den Reihen seines Volkes erwählt und in ihr Amt erhebt. Während Gott, der Herr, sich nach getaner Gesetzesarbeit zurückzieht, agieren an seiner Statt Richter und später Könige, mit denen er zwar gegebenenfalls kommuniziert und die er nötigenfalls zur Ordnung ruft oder auch bestraft, denen er aber, solange sie durch Gesetzestreue ihren Gehorsam ihm gegenüber beweisen und sich dafür durch Erfolg belohnt finden beziehungsweise solange sie erfolgreich sind und damit ihre Gesetzestreue, ihren Gehorsam ihm gegenüber unter Beweis stellen, nicht ins Handwerk pfuscht und vielmehr Handlungsvollmacht einräumt.

Der neue Bund bewährt sich. In seinem Rahmen gelingt der jüdischen Glaubensgemeinschaft nicht nur, sich gegen die ortsansässigen Völker, die Edomiter, Moabiter, Ammoniter, Philister, mit kriegerischer Macht durchzusetzen und in dem größten Teil des westlich des Jordan gelegenen Territoriums Fuß zu fassen; nachdem sie sich, wenn auch unter großen Zweifeln und Bedenken und gegen erheblichen inneren Widerstand, zur Bündelung ihrer stammesförmig zersplitterten Kräfte, sprich, zur Etablierung einer Königsherrschaft, durchgerungen hat, ist sie auch zur Schaffung eines kleinen Reiches imstande, das sich gegenüber den Mächten im Umkreis zu behaupten und gar auf dem internationalen Parkett eine gewisse Bedeutung als Handels- und Bündnispartner zu erlangen vermag.

Die davidisch-salomonische Herrlichkeit währt freilich nur kurz. Das Reich liegt zu prekär auf der Schnittstelle der Machtsphären des Zweistromlandes, Ägyptens, der syrischen Kleinstaaten und der mittelmeerischen Handelsstädte, als dass es dem gesammelten Druck lange widerstehen und dem Schicksal der durch äußere Konfliktkonstellationen induzierten inneren Auflösung beziehungsweise der dem Triumph einer der äußeren Mächte über die anderen folgenden planen Unterwerfung entrinnen könnte. Weil der nördliche Teil vergleichsweise fruchtbarer und dem Einfluss und Kräftespiel der großen Nachbarn stärker exponiert ist als der südliche, zerfällt das salomonische Staatsgebilde schon bald in ein Nordreich und ein Südreich; ersteres wird nach einer von Umstürzen und Usurpationen gezeichneten Geschichte knapp zweihundert Jahre später von Assyrien vernichtet, während das Südreich dank seiner Kargheit und relativen Unzugänglichkeit größere Stabilität zu wahren und unter der davidischen Dynastie ein Jahrhundert länger durchzuhalten vermag, ehe es durch das Neubabylonische Reich zerstört wird.

Die Auflösung und den ebenso qualvollen wie unaufhaltsamen Niedergang des jüdischen Staatswesens interpretiert die levitische Priesterschaft, die sich durch Abstammung rekrutierende Gruppe spezialisierter Gottesdiener, die das Ritual verwaltet und den mit dem Tempel selbst neugeschaffenen lokalen Kult versieht, in alter Manier als göttliche Botschaft, als eine Abfolge von Strafen, die Gott, der Herr, über sein Volk verhängt, weil es seine Prüfungen nicht besteht, ihm die Folgsamkeit verweigert, die es ihm schuldet. Seinen Ungehorsam stellt das Volk Gottes vornehmlich dadurch unter Beweis, dass es zivilisatorische Praktiken und kulturelle Bräuche der Nachbarn übernimmt, sich politisch, kultisch, ideologisch an deren Standard anzupassen sucht. Diese Anpassungsbemühungen des jüdischen Königreichs beziehungsweise der beiden Reichshälften Israel und Juda, in die es zerfällt, erscheinen der Priesterschaft als zentraler Stein des Anstoßes. Selber aus dem Prozess der Eingliederung der jüdischen Gemeinschaft in den vorderasiatischen Kulturraum, sprich, ihrer Etablierung als Territorialherrschaft unter anderen hervorgegangen, selber also eine vergleichsweise neue und ebenso wie das Königtum von den Nachbarn entlehnte Einrichtung, macht sich die Priesterschaft zum Sachwalter des auf diese Weise Entstandenen und hiermit Bestehenden, erklärt es zum unantastbaren, sakralen Inventar des spezifischen Verhältnisses des Schöpfers zu seinem auserwählten Volk und sträubt sich gegen jede weitere Veränderung, verwahrt sich gegen jede zusätzliche Annäherung an die kultischen oder kulturellen Gepflogenheiten der anderen Völker, weil sie darin eine Bedrohung ihrer statutorischen Macht, ihrer kriteriellen Kompetenz sieht, zwischen Eigenem und Fremdem, Gottgefälligem und Gottverhasstem, Gottesdienst und Götzenanbetung zu unterscheiden.

Ihre konservative Haltung konfligiert schroff mit der interkulturellen beziehungsweise synkretistischen Aufgeschlossenheit des Königtums, das in der Anpassung an die Nachbarn den einzigen Weg gewahrt, den Druck von außen zu mildern und den Boden für Kompromisse und Bündnisse zu bereiten, von denen es sich Schutz vor dem Zugriff der großen Mächte erhofft. Am Ende scheitern beide Fraktionen. Weder kann die Priesterschaft die politischen und kulturellen Anpassungsbemühungen des Königtums verhindern, die das dogmatische und kultische Corpus des jüdischen Gottesglaubens in seiner anlässlich der davidisch-salomonischen Begründung der Königsherrschaft fixierten Form kompromittieren, noch vermag das Königtum durch seine Anpassungsbemühungen den Erosionsprozess seiner Herrschaft aufzuhalten, der in der Unterwerfung und Zerstörung zuerst des einen und schließlich auch des anderen Teils des Reiches endet.

In dem Maße aber, wie die Lage sich zuspitzt und das Ende näherrückt, gewinnen einzelne in der Priesterschaft, die sich als Werkzeuge des Willens Gottes beziehungsweise als Sprachrohre seiner Kommuniqués begreifen, die sogenannten Propheten, die Überzeugung, dass all die Kalamitäten und Nöte, von denen sich das Volk Israel in seinem gelobten Land befallen sieht, ihren letzten Grund in einem falschen Verständnis, einer Fehldeutung des mit Gott, dem Herrn, geschlossenen neuen, mosaischen Bundes und des kraft dieses Bundes ihm, dem erwählten Volk, erteilten Auftrages hat. Hervorgegangen aus der Geißelung sozialer Missstände, politischer Intrigen und kultischer Bornierungen konzentriert sich die Kritik der Propheten auf den ihrer gottgegebenen Einsicht zufolge entscheidenden Punkt der ebenso myopisch verkürzten wie selbstisch beschränkten Zielsetzung, den das Volk Gottes mit seiner Landnahme und seiner Reichsgründung verknüpft.

Nicht etwa, dass die Propheten die territoriale Etablierung und die Stiftung der davidischen Königsherrschaft, in der sie kulminiert, für grundsätzlich verfehlt, für einen prinzipiellen Irrtum erklären. Was sie dem jüdischen Königreich vielmehr vorwerfen, ist seine Beschränkung auf bloße Selbstbehauptung, dies, dass es sich damit bescheidet, nichts weiter zu sein als ein Teil des Völkerensembles, ein mit der Pflege seiner eigenen Kultur und der Bewahrung seines besonderen Kults befasster Staat unter den übrigen Staaten. Was sie ihm vorwerfen, ist, dass es das spezifische Geschäft vernachlässigt beziehungsweise vergisst, zu dem es als Königreich Gottes berufen ist, dass es aus Egoismus oder Trägheit versäumt, aus seiner einzigartigen Theologie, seiner glaubensstiftenden Erkenntnis des als Creator ex nihilo, als wort- und bildmächtiger Schöpfer Himmels und der Erden hochgehaltenen Herrn des Seins und lebendigen Gottes die gebotenen praktisch-politischen Konsequenzen zu ziehen.

Nicht, dass sich die praktisch-politischen Konsequenzen, die nach Überzeugung der Propheten das jüdische Staatswesen aus der von ihm kultivierten einzigartigen theologischen Einsicht zu ziehen hat, von selbst verstünden oder aus dem bisherigen Verlauf der Geschichte der jüdischen Glaubensgemeinschaft zwingend ergäben. Die Konsequenzen, die im Rahmen des alten, abrahamitischen Bundes die Gemeinschaft aus ihrer Gotteserkenntnis zieht, sind rein theoretisch-persönliche, oder – angesichts ihres eher konversiven als kontemplativen Charakters besser gesagt – theologisch-existenzielle. Wenn jemand dort praktische Konsequenzen aus der gemeinschaftsstiftenden Gotteserkenntnis zieht, dann ist es Gott, der Herr, selbst, indem er die Gemeinschaft wegen des ihrer Erkenntnis impliziten anmaßenden Anspruchs auf Zuwendung und Fürsorge durch das Werkzeug ihrer gesellschaftlichen und natürlichen Milieubedingungen verfolgt und schlägt und sie zwingt, ihrer misslichen Lage den Sinn einer unaufhörlichen Folge von Prüfungen und Bestrafungen abzugewinnen, denen sie einzig und allein die Aufgabe hat, sich ebenso geduldig wie getrost zu unterwerfen. Und auch als die Bosheit der Werkzeuge Gottes zu groß wird und die in der Erkenntnis des Herrn lebende Gemeinschaft zu verderben droht, ist es – jedenfalls nach offizieller Lehre – Gott selbst, der die nötigen praktisch-politischen Konsequenzen zieht und, um die Gemeinschaft zu retten, ihr ein Territorium zuweist und ihr gestattet, sich nach Völkerart zu etablieren.

Mit dieser praktisch-politischen Maßnahme bekundet Gott, der Herr, nun allerdings einen klaren Sinneswandel, legt er ein bis dahin unbekanntes und im Kontext seiner üblichen Zornausbrüche, seiner ständigen Zurückweisungen, die sich nur mit Mühe in Zurechtweisungen umfrisieren lassen, undenkbares Moment von Affirmation an den Tag, ein Einverständnis oder gar Engagement, das seine dogmatische Kodifizierung im mosaischen Bund und seine kultische Sanktionierung im salomonischen Tempel findet: So gewiss Gott, der Herr, zulässt beziehungsweise sogar selbst dafür sorgt, dass der Glaube an ihn einen artikulierten Ausdruck und eine topische Heimstatt findet, so gewiss zeigt er sich explizit einverstanden damit, wo nicht gar interessiert daran, dass die gläubige Kreatur ihre Konversion zu ihm in aller Form bekennt, dass sein auserwähltes Volk ihn vor aller Welt als den Herrn des Seins und lebendigen Gott bezeugt, ihm als dem Schöpfer Himmels und der Erden in aller Öffentlichkeit die Ehre gibt. Während der Schöpfer zu adamitisch-abrahamitischen Zeiten noch unverkennbar darauf aus ist, die gläubige Kreatur von allem Bekenntnis zu ihm und jeglicher Anhänglichkeit an ihn abzuschrecken, und ihr deshalb mit einer Schroffheit und Negativität begegnet, die sie nur mit größter Mühe in eine bloße Kritik an der Unzulänglichkeit ihres Bekenntnisses, in eine ihre Anhänglichkeit als mangelhaft tadelnde bestimmte Negation umzudeuten vermag, hat er jetzt offenbar beschlossen, den Glauben seines auserwählten Volkes ebenso sehr als Votum zu sanktionieren wie als Faktum zu akzeptieren, sprich, ihn vor allen Völkern publik werden, ihn im Bewusstsein der Welt einen Platz finden zu lassen.

Und genau diese neue Resolution Gottes, diesen seinen mit dem Auszug aus Ägypten besiegelten Sinneswandel, stellt nun aber die katastrophale Entwicklung des nach der Landnahme etablierten Königreichs gleich wieder in Frage. Dass Gott, der Herr, seine Glaubensgemeinschaft dem Verderben des Hungers und der Knechtschaft kraft davidischen Königreichs entreißt, nur um sie mittels dieses Königreichs erst recht ins Verderben zu stürzen, dass er seinem auserwählten Volk eine Zuflucht anweist, in der sie, der Bosheit der in kreatürlicher Blindheit verstockten Völker zum Trotz, ihn frei bezeugen, ihn kultisch verehren, seinem Dienste leben können, nur um gleich wieder zuzulassen, dass die Völker ihnen diese Zuflucht streitig machen und sie daraus zu vertreiben drohen – eben das ist der Widerspruch, mit dem sich die Propheten konfrontiert sehen und den sie, um nicht an Gott, dem Herrn, irre zu werden und zu verzweifeln, auflösen müssen.

Auflösen könnten sie den Widerspruch natürlich in der Weise, dass sie den ganzen Prozess der Landnahme und der Staatsgründung für einen planen Irrtum erklärten und sich für die Regression einsetzten, für die Wiederaufnahme der Lebensweise der Väter, die Wiederherstellung des abrahamitischen Bundes, die Rückkehr also in jene landlose Existenz und halbnomadische Unstetheit, die ihnen Gott als permanente Prüfung auferlegt habe und aus der sie gegen seinen Willen, im gottlosen Verlangen, es den anderen Völkern gleichzutun, ausgebrochen seien. Abgesehen davon aber, dass sie ihren längst an die Annehmlichkeiten der Sesshaftigkeit und zivilen Ordnung gewöhnten Volksgenossen den Rückschritt ins Halbnomadentum schwerlich schmackhaft machen könnten, zöge diese Regression außerdem die Preisgabe des mosaischen Gesetzes und des salomonischen Tempels nach sich, genauer gesagt, den Verlust der in beidem implizierten kostbaren Errungenschaft, die als Ausdruck eines grundlegenden göttlichen Sinneswandels erscheint – der Errungenschaft nämlich, vom Herrn und Schöpfer als sein spezieller Knecht, seine gläubige Kreatur unzweideutig akzeptiert zu sein, ihn, den lebendigen Gott, mit seiner Einwilligung und Sanktion erkennen und vor allen Völkern dogmatisch bezeugen und kultisch hochhalten zu dürfen.

Dieses Opfer an wohlverstanden theologischem Selbstbewusstsein, dieser Verlust ihres im mosaischen Bund geschlossenen und im salomonischen Tempel sich manifestierenden Friedens mit Gott aber käme sie zu hart an, weshalb sie sich für die Alternative entscheiden und die Landnahme und Staatsgründung, statt sie als prinzipiellen Irrweg zu verwerfen, vielmehr zur funktionellen Fehlentwicklung erklären: Mit ihrer Etablierung und Reichsgründung ist nach prophetischem Befund die jüdische Glaubensgemeinschaft nicht zu weit, sondern im Gegenteil nicht weit genug gegangen, hat sie nicht eine falsche, Gott missliebige Richtung eingeschlagen, sondern hat sie es auf der Gott wohlgefälligen Bahn, die sie eingeschlagen hat, an Folgerichtigkeit fehlen lassen. Die Propheten sagen ja zum davidischen Königreich, attestieren ihm, dass es dem Willen und der Vorsehung Gottes entsprungen ist, geißeln aber sein irriges Selbstverständnis, seine Selbstzufriedenheit, dies, dass es sich als Zweck statt als Mittel begreift, als Werk statt als Werkzeug behauptet.

Wenn Gott sein Geschöpf, sein auserwähltes Volk, mit äußerer Bedrohung und innerem Zwist straft und ins Verderben zu stürzen droht, dann deshalb, weil es der eigentlichen Aufgabe, die ihm mit seiner Etablierung gestellt ist, nicht gerecht wird. Zwar dient das Königreich der Rettung und Erhaltung des auserwählten Volkes, aber gerettet wird die Glaubensgemeinschaft nicht, um es sich in ihrer territorialen Zuflucht bequem zu machen und sich dort gemütlich einzurichten, sondern um ihre Zuflucht zur Hochburg oder vielmehr zum Brückenkopf einer Kampagne ad majorem gloriam dei zu machen, sprich, ihre lokale Salvierung durch Erfüllung eines universalen Missionsauftrages zu rechtfertigen. Der sich in der Schaffung eines Königreichs Gottes bekundende göttliche Sinneswandel, so die Propheten, ist tiefgreifender, als königliche Selbstgefälligkeit und priesterliche Rechthaberei wahrhaben will. So wahr Gott, der Herr, seine gläubige Kreatur nicht länger zurückstößt und verfolgt, sondern als solche akzeptiert und zur Ruhe kommen lässt, so wahr gibt er sich nun aber nicht schon damit zufrieden, dass sie ihm an dem Ort, den er ihr zuweist, als Volk unter Völkern huldigt, ihm dogmatisch und kultisch als ihrem eigenen Gott und spezifischen Herrn dient, sondern er erwartet von ihr, dass sie seinen Namen publik macht, ihn weltweit propagiert, ihn allen Völkern kund und zu wissen tut, ihn aller Kreatur als den Herrn des Seins und lebendigen Gott, den Schöpfer Himmels und der Erden, offenbart.

Nicht, dem Herrn ein Plätzchen in der Welt, seine besondere Kultstätte, zu sichern, sondern ihn als den Herrn der Welt zu platzieren, die Welt in toto in seine Kultstätte zu verwandeln, ist der Auftrag, den der Schöpfer seiner gläubigen Kreatur in die Wiege ihrer Staatsgründung gelegt hat. Der Sinneswandel, den Gott mit dem mosaischen Bund vollzieht, ist weitreichender, als die als plane Rettungsaktion erscheinende Flucht aus Ägypten und Übersiedlung ins Gelobte Land vermuten lässt: Nicht genug damit, dass Gott die als Konversion wohlverstandene Erkenntnis seiner, die ihn zuvor mit immer neuem Zorn erfüllt, weil sie seine Zuwendung und Fürsorge heischt, sprich, ihm seine urheberrechtliche Autonomie bestreitet, ihm autorschaftliche Verantwortung aufbürdet – nicht genug damit, dass er sich diese Erkenntnis jetzt vielmehr gefallen lässt und sogar bewahren möchte, er möchte auch und mehr noch jegliche menschliche Kreatur an der bislang auf die jüdische Glaubensgemeinschaft, sein auserwähltes Volk, beschränkten alles verwandelnden Erkenntnis teilhaben, jedermann mit der durch sie erheischten göttlichen Zuwendung und Fürsorge gesegnet sein, die ganze Menschheit in den Genuss des kraft ihrer verheißenen universalen Schutzes und ewigen Friedens gelangen lassen.

Weit entfernt davon also, dass die jüdische Glaubensgemeinschaft auserwähltes Volk im Sinne eines exklusiv persönlichen Verhältnisses und privaten Kontakts zum Schöpfer wäre, ist sie vielmehr auserwählt einzig und allein im Verstand einer persona, die dem Schöpfer als Sprachrohr dient, dem übrigen menschlichen Personal seine Botschaft zu verkünden, eines kommunikativen Mittlers, der die Aufgabe hat, die Völker der alles verwandelnden Erkenntnis Gottes zu überführen, sie zum Kult des lebendigen Gottes konvertieren zu lassen. Und weit entfernt demnach auch, dass der König, den Gott seinem zum Werkzeug einer universalen Propagandakampagne auserkorenen Volke gibt, ein Herrscher nach Völkerbrauch wäre, der nichts weiter als die Aufgabe hat, in den territorialen und kulturellen Grenzen, die seinem Volk gesteckt sind, dessen Wohlstand und Glück zu mehren und in der Ausübung seines Amtes Ruhm und Ehre zu gewinnen, ist er vielmehr der Knecht des Herrn, der Gesalbte, der Messias, den Gott sendet, die Gottesherrschaft über die Welt zu begründen, dem Schöpfer seine Schöpfung als Kultstätte zu Füßen zu legen, und der in Ausführung dieser ihm übertragenen Mission das ihm anvertraute Volk nicht als Zweck begreift, sondern als Mittel gebraucht, nicht als Werk behandelt, sondern als Werkzeug handhabt.

So also bewältigen die Propheten den Widerspruch, in den sich Gott zu verwickeln scheint, da er seinem Knecht Israel eine Heimstatt gibt, nur um ihn gleich wieder daraus zu vertreiben, seiner gläubigen Kreatur die versöhnende Hand reicht, nur um sie ihr gleich wieder zu entreißen, und gewinnen dabei der Desorientierung und Zerrissenheit der jüdischen Glaubensgemeinschaft die diametral entgegengesetzte Großartigkeit einer universalen Perspektive ab, lassen die Enge und klaustrophobische Ausweglosigkeit des davidischen Königreichs in den welterschließenden Entwurf, den offenen Prospekt eines alle Völker Gott, dem Herrn, zuwendenden und seinem Willen unterwerfenden Missionsauftrages umschlagen. Das Volk Israel und seine Könige haben die Staatsgründung, statt sie als Anfang einer alle Welt angehenden Heilsgeschichte zu begreifen, vielmehr bloß als das Ende eines nichts als eben dies eine Volk betreffenden Landnahmeprozesses missverstanden, haben die Stiftung des Königreichs Davids als Aufforderung, sich niederzulassen, fehlinterpretiert, statt sie als Aufbruchsbefehl, als Aufruf zur heilsmächtigen Mobilmachung zu erkennen, und dafür straft sie Gott, der Herr, indem er die zur Residenz degradierte Operationsbasis mit der Liquidierung, den als Ruhesitz missbrauchten Brückenkopf mit dem Verderben bedroht.

Nur wenn das Volk Israel sich von seiner Bornierung auf das kleine Glück, die eigenen vier Wände, befreit und seiner messianischen Mission stellt, wird Gott es verschonen, statt es zu verderben, wird er es erhöhen, statt zuzulassen, dass seine Feinde es in Staub treten. Indes, so beredt und bildmächtig die Propheten das Volk Gottes zur Umkehr mahnen, insgeheim wissen oder ahnen sie – wie die Tatsache, dass sie mit ihm weit häufiger ins Gericht gehen, als ihm Hoffnung zu machen, ja auch bezeugt! –, dass es bereits zu spät, der Untergang des Königreichs längst besiegelt ist. Tatsächlich lässt sich ex post des unausweichlichen Endes der Geschichte das emphatische Missionsbewusstsein der Propheten eher wohl als eine größenwahnsinnige Flucht vor der Realität, eine phantasmagorische Reaktionsbildung auf die Aussichtslosigkeit der Situation, denn als ein irgendwie konstruktiver Beitrag zur Lösung der innenpolitischen Konflikte und außenpolitischen Probleme des jüdischen Gemeinwesens verstehen.

Die Vernichtung der südlichen Hälfte des davidischen Königreichs durch die Neubabylonier, nachdem mehr als ein Jahrhundert zuvor bereits die Nordhälfte dem Ansturm der Assyrer erlegen ist, bedeutet eine tiefe Zäsur in der Geschichte der jüdischen Glaubensgemeinschaft. Ob sie nun mit den Propheten für den Untergang ihres Staatswesens das Versäumnis, sich als Werkzeug dem messianischen Heilsplan Gottes zur Verfügung zu stellen, verantwortlich machen oder anderen, praktischeren Verfehlungen, politischen Kompromissen, kulturellen Anpassungen, kultischen Verunreinigungen die Schuld daran geben – so oder so gewahren die Gläubigen die Zerstörung des Tempels und die Verschleppung eines Großteils der Ober- und Mittelschicht in die Babylonische Gefangenschaft in bewährter Manier als eine Strafe des Herrn, die sie wegen Ungehorsams, wegen mangelnder Unterwerfung unter den Willen des lebendigen Gottes, ereilt hat. Allerdings eine Strafe, die sich in ihrer Endgültigkeit, ihrer peremptorischen Schroffheit, von den früheren Strafmaßnahmen Gottes unterscheidet.

Anders als den bisherigen Züchtigungen scheint dieser Strafe das Moment der Prüfung zu fehlen, das implizite Anerbieten des Züchtigers an den Gezüchtigten, durch Fügsamkeit, durch die Bereitschaft, die Strafe geduldig zu ertragen, sein Wohlwollen, seine Gnade wiederzuerlangen. Mit der Vertreibung aus dem Gelobten Land und der Zerstörung des Tempels hat Gott, der Herr, den Vertrag mit seinem auserwählten Volk, den mosaischen Bund, gegenstandslos und hinfällig werden lassen. Indem er eben die entscheidenden Leistungen, zu denen er sich vertraglich verpflichtet hat, zurücknimmt und ungeschehen macht, raubt er dem Bundesschluss allen konkreten Inhalt und spezifischen Sinn. Aber nicht nur dies: Er verschlägt dem Bund des Volkes mit ihm zugleich auch allen topischen Anhalt und empirischen Bezug. Die als mosaischer Bund zwischen dem Knecht Israel und seinem Herrn, dem Gott, gestiftete Beziehung gewinnt ja Wirklichkeit, Präsenz, nicht bloß per medium, sondern mehr noch in actu ihres Resultats, will heißen, nicht bloß durch die Eroberung des Gelobten Landes und die Errichtung des Tempels, sondern mehr noch im eroberten Land als solchem und im errichteten Tempel selbst. Anders als zu Zeiten des abrahamitischen Bundes, wo der Herr den Kontakt zu seinem Knecht nach Bedarf und Belieben, an unerwarteter Stelle und zu unverhoffter Stunde, aufnimmt, um ihm seinen Zorn zu bekunden oder seine Gnade zu erweisen, erscheint unter Bedingungen des mosaischen Bundes dieser Kontakt lokalisiert und institutionalisiert, an eine feste Örtlichkeit, das Gelobte Land in genere und die Tempelstätte in specie, und an bestimmte Gelegenheiten, den Tempelkult und die königliche Geschäftsführung, gebunden.

Da nun Gott aber dies alles, das Land und den Tempel, den Kult und das Königsamt, preisgibt und verloren gehen lässt, kommt, was er damit tut, einem Abbruch aller Verbindung, einer vollständigen Kontaktsperre gleich. So gewiss Gott, der Herr, das topische Stelldichein und die chronische Gelegenheit für jegliche Kommunikation mit seinem auserwählten Volk zunichte werden lässt, so gewiss erklärt er nicht bloß den essenziellen Inhalt des mit seinem Volk geschlossenen Bundes, sondern auch und mehr noch dessen existenzielle Basis für obsolet, widerruft er mit anderen Worten nicht nur die Gnade, die er seinem Volk erwiesen hat, sondern entzieht ihm zugleich seine für jede Form der Zuwendung, egal ob Gnadenerweise oder Strafaktionen, grundlegende Präsenz. Er wendet sich von seinem Volk ab, kehrt ihm den Rücken und entschwindet in die Transzendenz, zieht sich ins undurchdringliche Schweigen eines deus absconditus zurück. Der Kontakt zum Schöpfer, die, egal ob affirmative oder disruptive, Verständigung mit ihm reißt ab, und die jüdische Glaubensgemeinschaft bleibt ebenso sprachlos wie gottverlassen in dem babylonischen Exil, in das es sie verschlagen hat, zurück.

So sehr sie indes ihres Territoriums und ihres Tempels und der nach Maßgabe des mosaischen Bundes darin bezeugten lebendigen Gegenwart des Herrn, ihres Gottes, verlustig gegangen ist, eines ist ihr immerhin geblieben, was sie an ihn erinnert, sein Gedächtnis in ihr wach hält – das Gesetz. Und zwar das Gesetz nicht nur in der kodifizierten Form der Verhaltensmaßregeln oder Gebote, die Gott Moses auf dem Berge Sinai übergeben hat, sondern auch und ebenso sehr in der formlosen Gestalt der vielen Anweisungen und Verweise, Kommuniqués und Mitteilungen, Fingerzeige und nichtverbalen Zeichen, Epiphanien und Verblendungen, Wunder und Widrigkeiten, durch die im Laufe der Geschichte Gott der Gemeinschaft seinen Willen kundgetan, sie zurechtgewiesen und geleitet hat. Diese in schriftlichen Dokumenten und mündlichen Überlieferungen erhaltene Fülle von Zeugnissen und Spuren der einstigen, seiner gläubigen Kreatur erkennbaren Gegenwart des Schöpfers, seines lebendigen Wirkens für ihr Wohl und Wehe – sie trägt nun die exilierte Glaubensgemeinschaft sorgfältig und andächtig zusammen und kompiliert sie zu einem großen Beweiscorpus, das als Denkmal ihrer historischen Beziehung zu ihm sein Andenken hochhält.

Dabei geht es ihr freilich keineswegs nur um den Nachweis der zu ihm vormals unterhaltenen Beziehung, die Pflege seines Andenkens. Was sie sich von der eifrigen Beschäftigung mit den Zeugnissen seiner einstigen Anwesenheit, dem hingebungsvollen Studium der Spuren, die er hinterlassen hat, ebenso sehr erhofft, ist Anleitung, Orientierung. Auch wenn Gottes Züchtigung, die Strafe, die er über sein Volk verhängt hat, weil sie ja mit seinem topischen Verschwinden einhergeht beziehungsweise in seiner chronischen Abwesenheit resultiert, alle Züge einer definitiven Verwerfung der Kreatur durch ihren Schöpfer aufweist, bleibt sie doch eine Strafe, die als solche, als von einer peremptorischen Zurückweisung zu unterscheidende pädagogische Zurechtweisung zu gewahren, die exilierte Glaubensgemeinschaft jedes denkbare Interesse hat. Hält die Glaubensgemeinschaft aber das göttliche Verhängnis ihrer Vertreibung aus dem Gelobten Land und babylonischen Gefangenschaft, um nicht alle Hoffnung auf eine schließliche Versöhnung mit dem Verschwundenen, auf seine zu guter Letzt neuerliche lebendige Zuwendung und tätige Fürsorge fahren lassen zu müssen, als pädagogische Maßnahme, als Züchtigung und Strafe fest, so muss sie so darauf reagieren, wie das seit Vorzeiten, seit den Zeiten der Väter und ihres Bundes mit dem Herrn, Brauch: Sie muss den Unwillen des Allmächtigen als Antwort auf ihre mangelnde Bereitschaft, ihm den Willen zu tun, interpretieren und durch größere Fügsamkeit zu besänftigen oder gar in Wohlwollen zu verwandeln suchen, muss sich bemühen, seinen Geboten gemäß zu leben, in den Bahnen zu wandeln, die er ihr vorschreibt. Nur durch bedingungslose Folgsamkeit, selbstlosen Gehorsam kann sie hoffen, ihn zur Wiederkehr zu bewegen, seine neuerliche Gnade zu gewinnen, oder jedenfalls, weil dies schon zu sehr nach manipulativem Eigenwillen und magischer Einflussnahme klingt, ihm, sobald er sich ihr aus freiem Willen und dank unerforschlichem Ratschluss wieder zuwendet, in einer Verfassung entgegenzutreten, die nicht seinen neuerlichen Unwillen erregt, sondern sie Gnade vor seinem Angesicht finden lässt.

Wo sonst aber soll die Glaubensgemeinschaft die Lehre, wie sich nach seinen Geboten leben, die Vorschrift, wie sich auf seinen Wegen wandeln lässt, hernehmen, wenn nicht aus jenen Fingerzeigen und Zeichen, die sie so gewissenhaft zusammenträgt und zu einem einzigen großen Beweismittel für seine vormals lebendige Gegenwart und überwältigende Wirksamkeit vereinigt? Weit entfernt deshalb, dass die historischen Worte und Taten des Herrn, seine einstigen Wunder und Zeichen, die die Glaubensgemeinschaft in der Verlassenheit ihres Exils kompiliert, bloß ein de facto durch die Vergangenheit Gegebenes, eine höchstens emotional bewegende Hinterlassenschaft, Andenken wären, sind sie vielmehr ein de jure die Gegenwart Gestaltendes, eine intentional bestimmende Vorgabe, Maßregel. Weit entfernt davon, der Glaubensgemeinschaft bloß als Geschichte, Acta zu gelten, sind sie vielmehr für sie das Gesetz, die Thora.

Und allem Anschein nach ist nun aber das Festhalten der Glaubensgemeinschaft an ihrem Geschichte gewordenen Bund mit dem Schöpfer, ihr andächtiger Umgang mit den Zeugnissen und Spuren, den Überlieferungen und Hinterlassenschaften der vergangenen Beziehung, die in Abwesenheit des Schöpfers die gottverlassene Gemeinschaft zusammenträgt und zu einem großen Memorandum vereinigt, das sie eifrig erforscht und unablässig studiert, um aus ihm den Willen und die Verfügungen des vormals Anwesenden zu erfahren und ihr Leben in gewissenhafter Unterwerfung unter diesen seinen testierten Willen zu verbringen, ihr Dasein dem Vermächtnis dieser seiner Verfügungen akribisch gemäß einzurichten – offenbar ist dieser Treue- und Gehorsamsbeweis der Gemeinschaft dem Abwesenden wohlgefällig und geeignet, seinen Zorn zu beschwichtigen und ihn zu einer Aufhebung oder jedenfalls Aussetzung der Strafe, die er über sie verhängt hat, zu bewegen. Ein halbes Jahrhundert nach der Vernichtung auch der südlichen Reichshälfte, der Zerstörung des Tempels und des Beginns der babylonischen Gefangenschaft ermöglicht ein Wechsel der im vorderasiatischen Raum herrschenden Macht, die Ersetzung der assyrisch-babylonischen Reiche durch das persische Großreich, der jüdischen Glaubensgemeinschaft, in ihre Heimat zurückzukehren, sich unter der Führung ihrer Priesterschaft dort neu zu etablieren und den Tempel wiederaufzubauen.

Als es nach langen Auseinandersetzungen mit der im Lande zurückgebliebenen und kulturell vielfach vermischten Bevölkerung gelingt, die im Exil entwickelte neue Gesetzesfrömmigkeit als verbindliche Norm durchzusetzen und das profane ebenso wie das religiöse Leben, den Alltag ebenso wie den Gottesdienst nach Maßgabe der Thora beziehungsweise der ihr entnommenen Interpretationen einzurichten, als die politische Vertretung der Juden von anfangs persischen Statthaltern auf die Führer der eigenen priesterlichen Aristokratie, die Hohenpriester, übergeht, als der Versuch, das Gemeinwesen im Rahmen des mittlerweile hellenistischen, von den Nachfolgern des Alexander im Großraum Syrien, den Seleukiden, repräsentierten Kulturzusammenhangs zu reformieren, nach längeren bürgerkriegsähnlichen Wirren abgeschmettert ist und als schließlich gar das Gemeinwesen unter eigenen Herrschern, den Hasmonäern, politische Souveränität erringt und sich erneut als Königreich etabliert, scheint die Strafzeit endgültig vorbei und Gott seinen Frieden mit seinem auserwählten Volk gemacht haben.

So jedenfalls scheint es der Oberschicht, der sadduzäischen Priesteraristokratie, die als grundbesitzende Schicht die ökonomische und politische Macht im Lande ausübt und ungeachtet ihrer sie als priesterliche Führung innenpolitisch zu legitimieren bestimmten strengen Befolgung des mosaischen Gesetzes bemüht ist, durch gute Beziehungen zu den aufeinander folgenden persischen, seleukidischen und schließlich römischen Hegemonial- beziehungsweise Okkupationsmächten der Region und durch Anpassung an deren jeweilige ökonomische Ansprüche, politische Systeme, bürokratische Ordnungen und kulturelle Gepflogenheiten in diesen welthistorisch bewegten Zeiten dem Land seine relative Autonomie zu erhalten und selbst an der Macht zu bleiben beziehungsweise den eigenen Besitzstand zu wahren.

Der unteren Volksschicht allerdings stellt sich die Lage ganz anders dar. Sie, die während des Exils zum größten Teil im Land gebliebene oder ins Land zugewanderte Mischbevölkerung, findet sich durch die aus dem Exil zurückkehrende Elite, die Ländereien mit Beschlag belegt und sich als durch ihr Priestertum sanktionierte Herrenschicht etabliert, ökonomisch ausgebeutet beziehungsweise verdrängt, politisch unterdrückt beziehungsweise ausgegrenzt und kultisch bevormundet beziehungsweise fremdbestimmt. Und darüber hinaus trägt sie die Hauptlast und ist die Hauptleidtragende bei den dank der Instabilität der internationalen Kräfteverhältnisse immer wieder ausbrechenden regionalen Kriegen und von den Großmächten geführten Feldzügen und bei den dem Land abgeforderten Tributen und Konfiskationen, den Konzessionen und Kontributionen, mit denen die sadduzäische Führung die Verschonung des Landes oder Bewahrung einer relativen Autonomie erkauft. Diesen Bevölkerungsschichten gilt deshalb die Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft mitnichten als das Ende des göttlichen Zorns und Zeichen der Versöhnung mit Gott und erscheint vielmehr die Situation im Lande als klarer Beweis dafür, dass der Herr sich nach wie vor von seinem Volk abgewandt hat und es durch seine Abwesenheit und Teilnahmslosigkeit für seinen Ungehorsam, seine mangelnde Folgsamkeit bestraft.

Und die Ursache für den anhaltenden Zorn des Herrn, den Grund dafür, dass er seiner Kreatur nach wie vor die schützende Hand entzieht und sie der Bosheit der Völker überlässt – diesen als Ungehorsam apostrophierten Grund erkennt das Volk in ein und demselben Verhalten, das vor der Zerstörung des davidischen Königreichs durch Babylon und vor dem babylonischen Exil die Propheten der jüdischen Glaubensgemeinschaft zum Vorwurf und verantwortlich dafür machen, dass der Herr nicht länger seine schützende Hand über ihr Staatswesen hält, sondern es dem Verderben anheimfallen lässt. Was die Propheten der Glaubensgemeinschaft und ihren Königen vorwerfen, ist ihr Provinzialismus, ihre Bornierung auf das eigene Wohlergehen und Gelingen, ihre von Selbstsucht geprägte kultische Etablierung und politische Behauptung im Kreis der Völker und ihr dementsprechender Mangel an Universalismus, ihr Versäumnis, dem ihr von Gott, dem Herrn, in Wahrheit erteilten Missionsauftrag gerecht zu werden und dem Namen des Herrn vor allen Völkern die Ehre zu geben, das Panier des Herrn in aller Welt aufzupflanzen, die ganze Erde ihm zuzuwenden und untertan zu machen.

Den gleichen kultischen Egoismus und politischen Provinzialismus, die gleiche Kleinmut und Borniertheit legen nun auch die gebeutelten Volksschichten des wiederhergestellten jüdischen Staates ihrer priesteraristokratischen Führung zur Last und übernehmen von den Propheten die Überzeugung, dass nur die Bereitschaft, Buße zu tun, umzukehren und sich in den Dienst des messianischen Auftrages zu stellen, den Gott seinem Volk erteilt hat, nur die Bereitschaft, sich unter einem von Gott selbst erwählten königlichen Führer zur weltweiten, über alle Völker triumphierenden Verkünderin und Überbringerin der heilsamen Botschaft vom Herrn des Seins und lebendigen Gott zu machen, den göttlichen Unwillen besänftigen und den Schöpfer veranlassen kann, aus seiner vom Volk als Straf- und Leidenszeit erfahrenen Abwesenheit und Verborgenheit hervorzutreten und in einem zur Kultstätte aller Völker, zur Hochburg der Erde erhobenen Jerusalem neue, dem Volk die ökonomische Sanierung und politische Rehabilitation bescherende, ihm zu Glück und Segen gereichende Präsenz zu gewinnen.

Allerdings erfährt dabei die prophetische Perspektive eine dem Bewusstsein des Volks von sich selbst, seinen Möglichkeiten und Beschränkungen, geschuldete Korrektur. Anders als die vorexilischen Propheten, die sich unter dem Eindruck des unaufhaltsamen Untergangs des davidischen Königreichs die Freiheit nehmen, ein spontanes Gegenbild zur erbärmlichen Wirklichkeit zu imaginieren, sprich, die Vorstellung eines geläuterten, schlagkräftigen Gottesvolks zu kultivieren, das mit Gottes Hilfe aus seiner Mitte einen Spross Davids gebiert, unter dessen Führung es sein Schicksal wendet und, statt den Völkern zur Beute zu fallen und von ihnen in Staub getreten zu werden, vielmehr im Namen und zu Ehren des Herrn über die Völker triumphiert – anders als die halluzinierenden, unter dem Eindruck der Hoffnungslosigkeit der Lage die Wirklichkeit umdichtenden Propheten ist sich das deren Missionsbewusstsein aufgreifende nachexilische Volk seines traurigen Zustands schmerzlich bewusst, hält sich ganz und gar nicht für fähig, in Eigeninitiative und aus eigener Kraft den göttlichen Auftrag zu erfüllen, und sucht sein Manko in einer Art von führerkultlicher Wendung durch eine Aufwertung der Rolle des Königs, des von Gott Gesalbten zu kompensieren. Weil das Volk weiß, dass es zu schwach und demoralisiert ist, um der göttlichen Sendung zu genügen, schiebt es die Kraft zum messianischen Aufbruch, die von den Propheten noch ihm selbst unterstellt wird, vielmehr seinem von Gott erkorenen Repräsentanten und königlichen Geschäftsträger, eben dem Messias, zu.

Damit verändert sich nun freilich dessen Position und Funktion nachhaltig. Ist der Messias zuvor ein von Gott Gesalbter, ein aus der Mitte des Volks erwählter Anführer, so wird er jetzt ein von Gott Gesandter und dem Volk als Heilsbringer Vorgesetzter. Ist er vorher ein von Gott sanktioniertes Musterexemplar der Gattung, so wird er jetzt ein von Gott initiiertes Paradigma sui generis. Ist er zuvor gehalten, bei der Erfüllung des göttlichen Auftrages dem Volk als Feldherr und Oberster voranzugehen und den Weg zu weisen, so ist er jetzt vielmehr beauftragt, als Protagonist und Bahnbrecher das göttliche Werk quasi im Alleingang zu verrichten und das Volk vor die vollendete Tatsache des ins Reich Gottes verwandelten Erdkreises zu stellen beziehungsweise es als das triumphierende, obzwar nicht handelnde Subjekt in das Gottesreich einzuführen. Ist der Messias bei den Propheten noch Ausdruck des im Volk Präsenz gewinnenden und vom Volk Besitz ergreifenden göttlichen Willens, so ist er jetzt dieser verkörperte göttliche Wille selbst, der in seiner Gestalt dem Volk entgegentritt und es heißt, ihm Folge zu leisten, ihm zu willfahren.

Weil das Volk als Gefäß des göttlichen Willens nicht taugt und zu
schwach ist, wird es von Gott übersprungen, der in dem an sich ja nur als Repräsentant des Volkes figurierenden König seinem Willen eine eigene, aparte Verkörperung und Präsenz verschafft, die in dem Maße, wie sie ihn, den königlichen Messias, zum generalbevollmächtigten Missionsträger, zum maßgeblichen, wo nicht ausschließlichen Werkzeug und Faktor des göttlichen Auftraggebers avancieren lässt, das Volk selbst auf die vergleichsweise passive Rolle eines durch die Aktivitäten des göttlichen Faktotums ebenso sehr entmündigten wie begünstigten und ebenso sehr fremdbestimmten wie in sein Eigentum überführten Anhangs und Gefolges beschränkt.

So sehr diese Hypertrophierung oder Überdeterminierung des Königsamtes zum unmittelbaren Ausdrucksorgan und Tatwerkzeug des göttlichen Willens dem messianisch gestimmten gemeinen Volk aus der Patsche seiner praktischen Ohnmacht und Passivität hilft, so wenig behagt sie freilich einem anderen Teil des Gemeinwesens, dem pharisäischen Mittelstand. Im Prinzip ebenfalls geneigt, der sadduzäisch-priesteraristokratischen Herrschaft mit ihrem Anlehnungs- und Anpassungsbedürfnis an dominante Fremdkulturen kritisch zu begegnen und sich von einer Erneuerung des mosaischen Bundes und Neustiftung der davidischen Theokratie Heil zu erhoffen, tut sich diese Gruppe doch zugleich schwer mit einer theologischen Konstruktion, die den kommenden Heilsbringer, den Messias, als von der Glaubensgemeinschaft unabhängigen Generalbevollmächtigten Gottes, als nicht sowohl vom Elan der Gemeinschaft getragenen als vielmehr sie durch seinen Impetus mit sich fortreißenden selbstherrlichen Vollstrecker des göttlichen Willens inszeniert. Durch einen solchen losgelassenen, gottesunmittelbaren König, der, statt auf den Schultern seines Volkes, des Knechtes Israel, zu stehen, vielmehr als Knecht Gottes sein Volk schultert, sieht sich der pharisäische Mittelstand einem zur Thorafrömmigkeit nicht einfach prophetisch-supplementären, sondern durchaus messianisch-alternativen Gehorsamsgebot konfrontiert und in einen fundamentalen Loyalitätskonflikt gestürzt: Soll er dem ihm aus der Vergangenheit überlieferten, ihm als Gesetz testamentarisch vermittelten göttlichen Willen folgen, oder soll er sich dem lebendigen Willen Gottes beugen, der als der Messias Gestalt und in seiner Person neue Unmittelbarkeit und Präsenz gewinnt?

Das Dilemma, sich zwischen zwei Herren entscheiden zu müssen, dem Gott, der sich durch die von ihm hinterlassene Maßregel seinem Volk kundtut, und dem Gott, der durch den von ihm gesandten Heilsbringer zu seinem Volk spricht, wobei der erstere zwar den letzteren selber vorsieht und durchaus bereit ist, sich von ihm, sofern er denn glaubwürdig und authentisch ist, ablösen und aufheben zu lassen, aber doch auch wiederum unabdingbar ist und allemal Geltung behalten muss, weil nur er eben diese Glaubwürdigkeit und Authentizität des letzteren beglaubigen und bezeugen kann – dieses Dilemma spiegelt die ambivalente soziale Stellung des pharisäischen Mittelstands wider, der zwar unzufrieden mit der Herrschaft der die Thora verwaltenden Priesteraristokratie und ihrer durch äußere Anpassung und innere Repression charakterisierten Politik ist, der aber gleichzeitig von den politischen Widrigkeiten der sadduzäischen Herrschaft hinlänglich verschont bleibt beziehungsweise sogar von den ökonomischen Chancen, die sie bietet, genug profitiert, um jedem Gedanken an radikale Experimente und fundamentale Veränderungen, kurz, jedem Gedanken an einen messianischen Umsturz und Neubeginn, mit unüberwindlicher Abneigung zu begegnen.

Das de jure unlösbare Dilemma bewältigen die Pharisäer de facto dadurch, dass sie das mosaische Gesetz ihr ganzes Leben durchdringen und als spiritus rector oder belebenden Geist Macht über jedes Detail ihres Daseins gewinnen lassen und damit dem Herrn, der sich ihnen im Gesetz kundtut, eben die Lebendigkeit und Präsenz vindizieren, eben die das Dasein umgestaltende und das Leben neu machende Kraft zueignen, die sie dem im Messias sich manifestierenden Herrn nicht konzedieren wollen und als im Zweifelsfall, der der Normalfall ist, nicht durchs Gesetz beglaubigt bestreiten.

Das Volk indes ist nicht bereit, sich mit diesem als Messianismusersatz firmierenden quasilebendigen Ritualismus des Mittelstands zufrieden zu geben. Es hält an der messianischen Erwartung fest, beharrt auf der Perspektive eines von Gott gesandten Heilsbringers, in dem der göttliche Wille neue lebendige Gegenwart und manifeste Verbindlichkeit gewinnt, und verleiht, nachdem der jüdische Staat unter römische Vorherrschaft gefallen ist, unter dem Eindruck der die Etablierung des Kaiserreichs unterstützenden staatskultlich-cäsaristischen beziehungsweise konterkarierenden wesenskultlich-gnostischen Entwicklungen dieser Perspektive sogar noch zusätzliche ideologische Relevanz und politische Aktualität. Zum einen nämlich bleibt die Vorstellung von einem in Erfüllung des messianischen Missionsauftrages zu errichtenden weltumspannenden Gottesreich nicht unberührt von der wesenskultlich-platonischen Wendung und der dieser Wendung entspringenden gnostischen Zweireichelehre, mit der die Unterdrückten und Ausgebeuteten des Imperiums auf den manischen Materialismus und die enthemmte Gier der herrschenden Cliquen und auf die ständige Kriegsnot und das unabsehbare zivile Elend, die innerweltliche Perspektivlosigkeit, reagieren, in die diese Genusssucht und Besitzgier das Imperium stürzen.

Zwar ist das Gottesreich, das sich das jüdische Volk von seinem Messias erhofft, definitiv von dieser Welt, ein unzweideutig irdischer Erfüllungszustand, aber wie die Vorstellungen und Praktiken der Essäer, einer für den gelebten Messianismus der Juden repräsentativen Gemeinschaft, beweisen, wie ihre Reinigungszeremonien, ihre Neigungen zur Askese, ihr Verzicht auf Geschlechtlichkeit, ihr Weltentsagungsanspruch deutlich machen, ist dies irdische Königreich Gottes bereits zutiefst geprägt von der im römischen Imperium grassierenden Tendenz, das Heil in einer diesseitsflüchtig-platonischen Transzendenz, in einem spirituellen Sein jenseits des Scheins zu suchen, als den dies spirituelle Sein die materielle Welt entlarvt.

Und zum anderen legt in Reaktion auf das augusteische Sohn-Gottes-Ideologem und die daran anschließende Vergöttlichung des Cäsarentums der jüdische Messias seinen rein menschlichen, ihn, den Gesalbten des Herrn, als Spross aus Davids Haus, als irdischen König, als Menschensohn identifizierenden Charakter ab und nimmt ebenfalls Züge göttlicher Abstammung, Konnotationen einer Gottessohnschaft an. Als vom unterdrückten Kolonialvolk hochgehaltener Befreier und Heilsbringer macht er dem vom imperialen Staatskult vergöttlichten Cäsar Konkurrenz und erhebt – durchaus im Einklang mit seiner erwähnten, der praktischen Ohnmacht der Gläubigen geschuldeten Hypertrophierung zum souveränen Gefäß und selbstherrlichen Werkzeug des göttlichen Willens! – Anspruch darauf, nicht bloß von Gott erwählt, sondern auch im buchstäblichen Sinne von ihm gesandt zu sein, sprich, seiner nachweislich diesseitigen Herkunft zum Trotz eine ins Jenseits weisende Genealogie zu besitzen, aus dem Hause Gottes zu kommen.


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