1. Kommerzieller Austausch und Säkularisierung


Durch den kommerziellen Austausch, der an die Stelle der Drohung evokativ aktueller Fülle die Hoffnung auf konsumtiv potenzielle Erfüllung treten lässt, wird die territorialherrschaftliche Reichtumskategorie eskamotiert und werden die zur Bewältigung der bedrohlichen Fülle ausgebildeten religiösen Formen und rituellen Praktiken ihrer Substanz beraubt – mit dem Ergebnis ihrer Umfunktionierung in Darstellungs- und Selbstverständigungsweisen der Handelsstadt.

Die römische Geschichte durchwaltet von Anfang an ein rationalisierender Zug, eine unaufhaltsame Tendenz zur Säkularisierung der menschliches Handeln orientierenden subjektiv-intentionalen Beweggründe und Profanisierung der es determinierenden objektiv-habituellen Lebensverhältnisse. Und dies, obwohl, wie am Konzept der Pietas gezeigt, das römische Patriziat anders als die griechische Aristokratie die traditionelle Sphäre religiös-dogmatischer Rücksichten und rituell-kultischer Verpflichtungen gar nicht ernsthaft in Frage stellt, geschweige denn reflexiv transzendiert, sondern sie bloß dadurch halbwegs außer Kraft setzt und in praxi neutralisiert, dass es die vorhandenen religiösen Bindungen und rituellen Auflagen durch andere substituiert, die mit seinen weltlichen Absichten und gesellschaftlichen Interessen besser in Einklang zu bringen sind. So paradox dieses Zugleich von Beibehaltung religiöser Bindungen und zielstrebiger Verweltlichung dem in der ideengeschichtlichen Vorstellung vom ebenso unverrückbaren wie unvermittelten Gegensatz zwischen einerseits Religiosität und sakralem Bewusstsein und andererseits Säkularismus und Profanität befangenen ersten Blick vorkommen mag, es genügt, die Kategorien aus jenem Zwangskorsett ideengeschichtlicher Konfrontation zu befreien und in den historischen Prozess und sozialen Kontext, in dem sie ihr Leben und ihre Bedeutung gewinnen, zurückzustellen, um die Paradoxie sich auflösen und das Neben- oder Miteinander von religiöser Kontinuität und säkularer Neuorientierung seine Erklärung finden zu lassen.

Säkularisierung und Profanisierung sind, wie an den beiden – für den Fortgang genereller gesellschaftlicher Reichtumsproduktion zur speziellen kapitalistischen Produktivkraftentfaltung wegweisenden – Fällen der athenischen Polis und der römischen Republik paradigmatisch ersichtlich, nicht kurzerhand das abstrakt-systematische Gegenstück zur religiösen Bindung und zum rituellen Procedere, sondern vielmehr die konkret-historische Folge eines neuen Gesellschaftstyps, der sich den traditionellen, von religiösen Bindungen und rituellen Verfahrensweisen beherrschten Gesellschaftsformen theokratischen oder ständehierarchischen Zuschnitts ebenso sehr entgegensetzt und als Alternative präsentiert, wie er aus ihnen hervorgeht und sich in einem quasi symbiotischen Zusammenhang mit ihnen etabliert. Dieser neue Gesellschaftstyp ist die auf äquivalentem Gütertausch basierende städtische Gemeinschaft, die im Kraftfeld und Schutz einer anfänglich nur in kommissarischen Diensten fronwirtschaftlicher Territorialherrschaften geübten und aber dank des Akkumulationsprinzips ökonomische Eigenmacht und politische Unabhängigkeit gewinnenden kommerziellen Funktion entsteht und sich inmitten der sie umgebenden Territorialherrschaften gleichermaßen auf Grund der ökonomisch-kommerziellen Wichtigkeit, die sie für letztere gewinnt, und der politisch-militärischen Wehrhaftigkeit, die sie von sich aus beweist, als ökonomischer Umschlagsplatz und politischer Freiraum nicht nur zu erhalten, sondern mehr noch zu entfalten vermag.

Die an den dynamischen Kern der kommerziellen Funktion und ihrer Anhäufung von Reichtum anschießenden handelsstädtischen Gemeinschaften bedeuten nun aber einen grundlegenden systematisch-strukturellen Bruch mit den gesellschaftlichen Begründungs- und Rechtfertigungsbedürfnissen der traditionellen Territorialherrschaften und mit den diese Bedürfnisse befriedigenden götterkultlichen Religionen und opferkultlichen Ritualen. Was sie nämlich zum Verschwinden bringen, ist das zentrale Objekt und entscheidende Motiv für jene gesellschaftlichen Sanktions- und Legitimationsbedürfnisse: der fronwirtschaftlich erzielte und als pleromatische Fülle, als schierer Überfluss an Subsistenzmitteln und Konsumgütern erscheinende herrschaftliche Reichtum.

Eben die den arbeitsteilig-kooperativen agrarischen und handwerklichen Anstrengungen der Gesellschaft entspringende und als eine das subsistenzielle Bedürfnis der Beteiligten unbestimmt übersteigende, das heißt, ihre chronische Lebensnot in einen Zustand indefiniter Erfüllung umschlagen lassende Gütermenge, die als Reichtum erscheint – sie ist es ja, die, indem sie die maßstäblich neue Erfahrung eines von Arbeit befreiten neuen Lebens und alternativen Seins beschwört, den im ersten Band unserer Historie beschriebenen chronologischen Sprung und vielmehr ontologischen Bruch provoziert, der seinen schlagenden Beweis, seinen Kronzeugen in der monstrativen Gestalt, der epiphanischen Figur des anderen Subjekts findet, das ebenso sehr ex improviso des Reichtums auftaucht, wie es diesem seinem vermeintlichen Quellpunkt und Bestimmungsort mit der unendlichen Negativität und absoluten Indifferenz dessen begegnet, der auf nichts aus ist als auf jenes neue Leben und andere Sein, das der Reichtum vielmehr bloß symbolisiert, der Überfluss höchstens und nur simuliert. Und sie, die als Reichtum und Überfluss erscheinende Gütermenge, ist es damit auch, die all die in den ersten beiden Bänden geschilderten intellektuellen und rituellen Bemühungen um eine Integration des der Gesellschaft sprengkräftig vorgesetzten anderen Subjekts in die Reichtumsperspektive, seine Etablierung als Herr und Eigner des Reichtums nötig machen, deren schließliches Resultat die götterkultlichen Begründungs- und opferkultlichen Sanktionierungssysteme, kurz, die Religionen und Rituale der theokratischen Territorialherrschaften sind.

Und das neue, gemeinschaftsbildende Distributionsprinzip des kommerziellen Austauschs bringt nun also genau diese als Reichtum erscheinende Gütermenge zum Verschwinden. Nicht etwa materialiter oder in ihrem empirischen Bestand – da bewirkt es im Gegenteil ihre weitere sprunghafte Vermehrung und Vervielfältigung –, wohl aber kategorialiter oder ihrer systematischen Bedeutung nach! Indem der kommerzielle Austausch den die subsistenziellen Bedürfnisse übersteigenden Überschuss an Produkt, das Übermaß an Subsistenzmitteln und Konsumgütern, statt es als eine den beiden herrschaftlichen Verwendungsformen festlicher Verschwendung oder höfischen Wohllebens vorbehaltene Fülle, als Überfluss, gelten zu lassen, vielmehr als Tauschwert, als Äquivalent für andere, nicht oder jedenfalls nicht im Übermaß vorhandene Subsistenzmittel und Konsumgüter zu gewahren erlaubt, treibt es der als Reichtum erscheinenden Gütermenge ihren Reichtumscharakter aus und verwandelt sie aus einem Zuviel an aktueller Verfügung in ein Mehr an potenziellem Gebrauch, aus etwas, das die Grenzen des einfachen gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhanges sprengt und Konsumtion zum herrschaftlichen Selbstzweck werden lässt, in etwas, das der kontinuierlichen Entfaltung des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhanges dient und sich als Mittel zur Regulierung und Diversifizierung der Subsistenz beziehungsweise des Konsums aller am Austausch Beteiligten anbietet, aus einer kritischen Masse, die ihre Produzenten mit einem anderen Lebensmodus konfrontiert und die diese deshalb der Regie der auf diesen Modus abonnierten Herrschaft überlässt, in einen wertvollen Fundus, der allen am Austausch Beteiligten nichts als neue beziehungsweise andere Befriedigungsmittel, sprich, eine Verbesserung ihres Lebensstandards in Aussicht stellt und über den zu verfügen oder an dem wenigstens zu partizipieren, deshalb alle Beteiligten ebenso bedenkenlos wie eifrig bestrebt sind.

Kraft der Möglichkeit zum kommerziellen Austausch legt das Zuviel an Produkt die der verzehrenden Angst vor der symbolischen Sprengkraft und ontologischen Abgründigkeit solchen Zuviels entspringende Evidenz eines zu nichts als zu herrschaftlicher Verschwendung und höfischem Wohlleben Raum lassenden sichselbstgleich überflüssigen Gutes ab und nimmt für alle Beteiligten, für die herrschaftlichen Reichtumseigner wie auch für ihre nichtherrschaftlichen Handelspartner, die Betreiber der kommerziellen Funktion und die mit ihnen kontrahierenden Produzenten, vielmehr die einzig und allein konsumtive Hoffnungen weckende Signifikanz eines nützlichen Gegenwerts für seinesgleichen, für nicht im Modus des Zuviel vorhandene andere oder neue Produkte an. Kraft der Handelsfunktion tritt an die Stelle der an Reichtum gebundenen Erfahrung einer das gewohnte subsistenzielle oder konsumtive Kontinuum ineins transzendierenden und ad absurdum führenden epiphanisch-gegenwärtigen Fülle die mit Werten verknüpfte Erwartung einer im subsistenziell-konsumtiven Kontinuum bleibenden und bloß auf dessen progressive Entfaltung und prospektive Komplettierung gerichteten perspektivisch-zukünftigen Erfüllung. Damit aber sind in der Tat die Produzenten dieses Überflusses an Subsistenzmitteln und Konsumgütern, dieses materialen Reichtums, von der Notwendigkeit entbunden, ihn als Herrengut identifizieren, sprich, ihn in den Dienst einer Verdiesseitigung und Vereinnahmung des als Epiphanie eines toto coelo wahren Seins und wirklichen Lebens sprengkräftig anderen Subjekts stellen, kurz, ihn als soziales Integrationsinstrument und als archaisch-ideologische Identifizierungsinstanz einsetzen zu müssen, und sehen sich zugleich aller mit der Einrichtung einer reichtumsfundierten gesellschaftlichen Herrschaft teils Hand in Hand gehenden, teils aus ihr sich im Laufe der Entwicklung als Weiterungen ergebenden Begründungsbemühungen und Legitimationsanstrengungen überhoben, die ihren Niederschlag in einem ebenso umständlich-rituell artikulierten wie rücksichtsvoll-religiös kodifizierten Umgang mit eben jenem als Herrengut definierten Reichtum finden.

Dank seiner per Austausch realisierten Ersetzbarkeit durch nicht schon im Modus des Überflusses vorhandene Gegenstände des Bedarfs oder Bedürfnisses und mithin also dank der im Rahmen der einfachen Subsistenz oder einer kontinuierlichen Konsumtion sich haltenden Verwendbarkeit, die ihm die kommerzielle Funktion vindiziert, von allen Konnotationen eines Realfundaments beziehungsweise Inauguralsymbols für ein sprengkräftig alternatives Beginnen oder ursprünglich wahres Sein befreit, büßt der in eine Ansammlung von Äquivalenten, ein Agglomerat von Gegenwerten aufgelöste Reichtum jede gesellschaftsstiftend-integrative Bedeutung und herrschaftsbegründend-identifikatorische Repräsentativität und alle daran gebundenen religiösen Verpflichtungen und rituellen Auflagen ein und zeigt sich auf die Rolle simpler materialer Befriedigungsmittel reduziert, die eine gesellschaftsstiftende oder machtdistributive Wirkung beileibe nicht mehr durch auf sie gestützte theokratische Legitimität oder in ihnen verkörperte opferkultliche Sakrosanktheit, sondern höchstens noch dadurch entfalten, dass sie als Äquivalente oder aufeinander bezogene Werte ihre Erzeuger und Verteiler in ein System marktvermittelter Leistungen und Ansprüche, will heißen, in den Zustand einer durch das kommerzielle Akkumulationsprinzip dynamisierten politisch-ökonomischen Wechselseitigkeit und Abhängigkeit versetzen.

In den theokratisch oder ständehierarchisch verfassten Territorialherrschaften, wo die kommerzielle Funktion, die den opferkultlich-sakralen Reichtum traditioneller Prägung aufs ökonomische Äquivalent reduziert und in eine aller sozialintegrativ beziehungsweise herrschaftskonstitutiv symbolischen Implikationen bare Masse relativer, auf nichts als auf ihresgleichen bezüglicher Werte verwandelt, ein von außen, aus den neuen, unabhängigen Handelsstädten importiertes und auf die marginale Rolle eines Verwerters fronwirtschaftlicher Überschüsse und Befriedigers höfischer Luxusbedürfnisse beschränktes Phänomen bleibt und wo also der durch die kommerzielle Funktion auf eine Ansammlung planer Sachwerte zurückgeführte Reichtum gegenüber dem auf fronwirtschaftlichem Wege als Herrengut beziehungsweise Opfergabe kreierten Reichtum alter Provenienz eine als politisch-ökonomischer Faktor verschwindende Randerscheinung, eine quantité négligeable, darstellt – dort sind die Rückwirkungen des kommerziellen Treibens auf die theokratische Religion und das opferkultliche Ritual entsprechend gering und in der Tat verschwindend.

In den durch die kommerzielle Funktion ins Leben gerufenen unabhängigen Handelsstädten dagegen, wo dank der wenn auch nicht politisch dominanten, so jedenfalls doch ökonomisch maßgebenden Rolle der ersteren Reichtum in der alten Bedeutung eines als Opfergabe wohlverstandenen Herrenguts im Prinzip gar nicht mehr auftaucht, weil sowohl das von den bäuerlichen und handwerklichen Bürgern der Stadt eingetauschte und innerstädtisch oder nach draußen vertriebene arbeitsteilige Produkt, als auch die bei den territorialherrschaftlichen Nachbarn eingehandelten und in die Stadt gebrachten agrarischen Überschüsse und handwerklichen Erzeugnisse immer schon und unfehlbar als qua Geldwert ausgedrücktes Äquivalent firmieren, sprich, als gegen andere nötige Subsistenzmittel oder brauchbare Konsumgüter auswechselbare und eben deshalb nicht als Überfluss, Ausweis aktueller Fülle, sondern als Tauschmittel, Vorschein potenzieller Erfüllung, geltende Werte dienen – dort also wirkt sich das neue, kommerzielle Austauschsystem um so tiefgreifender auf die herkömmlichen religiösen Vorstellungen und rituellen Praktiken aus und verändert das habituelle Verhältnis zu den Göttern und traditionelle Opferbewusstsein um so nachhaltiger.

Dank der austauschbedingt automatischen Überführung des territorialherrschaftlich-theokratischen Reichtums in ad infinitum akkumulierbare kommerzielle Werte beziehungsweise seiner umstandslosen Ersetzung durch die von vornherein marktbezogene Produktion der handelsstädtisch-freien Bürgerschaft finden sich diese herkömmlichen religiösen Überzeugungen und rituellen Prozeduren jeglichen materialen Anhaltspunkts und substanziellen Grunds beraubt und hängen als gesellschaftliche Integrationsformen, denen ihr treibendes Motiv abhanden gekommen ist, in der Luft kultureller Tradition, schweben als ideologische Identifikationsfiguren, für deren Einsatz kein aktueller Anlass mehr besteht, im leeren Raum intellektueller Gewohnheit.

Immerhin sind sie als diese traditionellen Inhalte unverändert vorhanden, bevölkern als diese habituellen Vergesellschaftungs- und Verständigungsformen nach wie vor die Köpfe, und sie deshalb, weil das realgesellschaftliche Motiv und der objektiv zwingende Grund für sie entfallen ist, für überflüssig und entbehrlich zu erklären und nichts mehr von ihnen wissen zu wollen, wäre gleichbedeutend mit der Forderung an die empirischen Individuen, auch alle an diese Inhalte und Formen geknüpften und dem Bewusstsein und Gefühlsleben eingefleischten dispositionell-subjektiven Reaktionen und habituell-psychologischen Konditionierungen sich aus den hiernach zur Tabula rasa gereinigten Köpfen zu schlagen beziehungsweise dem fortan auf ein Repertoire bedingter Reflexe reduzierten Verhalten auszutreiben. Solch ein zur kulturrevolutionären Gehirnwäsche geratender Angriff gegen die traditionellen Vergesellschaftungsformen und habituellen Verständigungsweisen und Eingriff in die an sie gebundenen subjektiven Dispositionen und psychologischen Konditionierungen wäre nicht nur ungeheuer einschneidend und unvorstellbar persönlichkeitsverändernd für die Betroffenen, er bliebe außerdem ein hoffnungslos unabschließbares Geschäft und ewig drängendes Anliegen, und zwar sowohl, weil der Widerstandshandlungen und Reaktionsbildungen, mit denen die von Konservativismus durchdrungene, um den Erhalt ihres Status quo bemühte Seele des einzelnen auf Säuberungsaktionen dieser Art reagierte, kein Ende wäre, als auch wegen der dem neuen handelsstädtischen Gemeinschaftstyp eigenen Tendenz, immer weitere Gruppen von draußen anzuziehen und aufzunehmen, die jene durch die Eskamotierung des als Herrengut traditionellen Reichtums obsolet gewordenen religiösen Inhalte und rituellen Gepflogenheiten immer wieder zur Geltung brächten und als ein das kollektive Bewusstsein und Gefühlsleben des Gemeinwesens irritierender Störfaktor und Fremdkörper virulent werden ließen.

Zu einem solch radikalen Bruch mit den durch die handelsstädtische Eskamotierung ihrer materialen Basis, des herrschaftlichen Reichtums, funktionslos gewordenen und in der Luft hängenden religiösen Integrationsformen und rituellen Identifikationsprozeduren besteht indes gar keine Notwendigkeit. Paradoxerweise bietet vielmehr eben das, was diese Formen und Prozeduren gegenstandslos und überflüssig werden lässt, die kraft kommerziellen Austauschs vollbrachte unvermittelte Auflösung und spurlose Beseitigung des Phänomens unerschöpflicher Fülle, pleromatischen Überflusses, kurz, die Eskamotierung des Reichtums herrschaftlicher Prägung, auch die Chance zu ihrer wenn schon nicht völlig bruch- und mühelosen, so jedenfalls doch vergleichsweise unproblematischen und konfliktfreien Beibehaltung und Fortsetzung.

Bliebe jenes als herrschaftlicher Reichtum definierte materiale Fundament und reale Substrat der traditionellen Formen religiöser Sozialintegration und Prozeduren ritueller Subjektidentifizierung zu Teilen und in nennenswertem Umfang bestehen und würde es nicht im strengen Sinne von Eskamotierung durch seine Vertauschung mit kommerziellen Werten, sprich, durch seine Überführung aus einer Demonstration aktueller Fülle in einen Vorschein potenzieller Erfüllung, prinzipiell und in toto aus der Welt geschafft, die religiösen Formen und rituellen Prozeduren behielten dank solchen Fundaments und Substrats eine heteronome Bestimmtheit und unterschwellige Widerstandskraft, die sie quer zu dem als Sammlung von Werten neuartigen, kommerziellen Reichtumstypus, quer zu den nicht eigentlich mehr als Reichtum erscheinenden akkumulierten Vermögen der Handelsstädte stehen ließe und als einen perennierenden Störfaktor erwiese, der weder dazu disponiert wäre, sich den an den kommerziellen Reichtum geknüpften neuen sozialen Integrationsprinzipien und personalen Führungsansprüchen anzupassen und ihnen gemäß zu verändern, noch aber auch die mindeste Bereitschaft zeigte, sich für gegenstandslos zu erklären und anderen Formen gesellschaftlicher Integration und Prozeduren persönlicher Identifizierung, die der kommerzielle Reichtum etwa aus eigener Kraft und in eigener Regie hervortriebe, den Platz zu räumen.

Durch jene in Polis und Urbs vollzogene buchstäbliche Eskamotierung des herrschaftlichen Reichtums, seine mittels kommerzieller Funktion ebenso umstandslos wie prinzipiell und ebenso restlos wie systematisch vollbrachte Überführung in ein beileibe nicht mehr ein sprengkräftig alternatives Sein monstrierendes, sondern höchstens noch ein verführerisch vielfältiges Haben in Aussicht stellendes Handelsgut, verlieren nun aber in der Tat die traditionellen religiösen Integrationsformen und rituellen Repräsentationsfiguren mit einem Schlage sämtlichen Rückhalt im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess, büßen alle Verankerung in der Struktur des Stoffwechsels, den das Kollektiv mit der Natur unterhält, ein. Gleichermaßen ihres realen Fundaments und materialen Substrats beraubt, hängen sie, wie gesagt, in der Luft, sind frei flottierend herrenlose Schemen, füg- und schmiegsam körperlose Hüllen, die sich jeder Neuverankerung und Wiederverwendung zugänglich zeigen und geradezu darauf warten, der anderen ökonomischen Substanz Evidenz und Fasson zu verleihen, dem neuen gesellschaftlichen Subjekt als Ausdrucks- und Darstellungsmittel zu dienen. Sie sind die alten Schläuche, die, wie von Zauberhand entleert und ihres Inhalts beraubt, bereit liegen, neuen Wein aufzunehmen und sich ihm mit derselben, durch keine Restsubstanz, keine reservatio realis, beeinträchtigten Widerstandslosigkeit und Elastizität anzubequemen wie dem vorangegangenen.

Und gleichzeitig drängt sich diese ihre Neuverwendung, diese ihre Indienstnahme durch eben den als kommerzieller Wert oder Handelskapital firmierenden ökonomischen Faktor und sozialen Agenten, der ihren im Herrengut oder fronwirtschaftlichen Reichtum bestehenden alten Dienstherren und Rektor aus der Handelsstadt eskamotiert hat, aus doppeltem psychoökonomischem Grund gebieterisch auf. Nicht nur wäre es, wie bereits konstatiert, ein mühsames und tatsächlich unabschließbares Unterfangen, die in den Köpfen perennierenden traditionellen religiösen Überzeugungen und rituellen Übungen mitsamt den ebenso sehr durch sie gespeisten wie in ihnen bestärkenden emotionalen Reaktionen und habituellen Konditionierungen zu beseitigen und ersatzlos aus dem Repertoire kollektiven Verhaltens und subjektiven Dafürhaltens zu streichen – es widerstritte auch ganz allgemein jedem ökonomischen Umgang mit psychischer Energie und menschlicher Geisteskraft, wenn auf der Grundlage der ausgetauschten ökonomischen Substanz und gewechselten politischen Kompetenz ein ganz neues System von sozialen Integrationsformen und identifikatorischen Repräsentationsfiguren aus der Taufe gehoben und darauf verzichtet würde, vielmehr den vorhandenen Fundus solcher Formen und Figuren zu nutzen und diese gemäß den Anforderungen und Vorgaben der neuen ökonomischen Perspektive und politischen Machtübung umzumodeln und in Dienst zu nehmen.

Letzteres geschieht denn auch, mit der Konsequenz, dass die kommerziellen Stadtstaaten in der Frühzeit ihrer Entwicklung zu ökonomischer Eigenständigkeit und politischer Unabhängigkeit eine ebenso unspektakuläre wie konfliktfreie Revision und Umrüstung ihrer religiösen Traditionen und rituellen Usancen erleben: Aus göttlichen Mächten, die unter ständiger Androhung von Sanktionen reale Eigentumstitel auf den fronwirtschaftlich erarbeiteten gesellschaftlichen Reichtum behaupten, werden emblematische Repräsentanten der Stadt, die den tragenden Handelsgütern und den im Kraftfeld der kommerziellen Funktion ausgebildeten technischen und wissenschaftlichen Fertigkeiten des Gemeinwesens selbstlos und ohne Anspruch auf Dotierung Förderung und Gedeihen sichern.

Aus Opferhandlungen, durch die der theokratische Herr seine Obödienz gegenüber den Göttern unter Beweis stellt und ihnen als wahren Herren des Reichtums Tribut zollt, werden Gedenkfeste, in denen die Gemeinschaft selbst, vertreten durch ihre Obrigkeit, die alten Kultorte und Opferstätten dazu nutzt, die das Gemeinwesen stiftenden Ereignisse und bindenden Verträge ins Gedächtnis zu rufen und durch feierliches Ritual zu bekräftigen. Aus den im Zusammenhang mit den Opferhandlungen und Sanktionsritualen okkurierenden Konflikten und Aggressionen, in denen sich die Kultgemeinschaften beziehungsweise die ihnen vorstehenden theokratischen Herren um die sakrale Kompetenz und Sanktionsmacht ihrer jeweiligen Gottheiten streiten und den Anspruch der jeweils anderen auf die ontologische Substantiierung oder empiriologische Sanktionierung des gesellschaftlichen Reichtums im besonderen und der irdischen Wirklichkeit im allgemeinen als nefariösen Übergriff und okkupatorischen Anspruch erfahren, der mit allen notfalls blutigen Mitteln zurückgewiesen werden muss, werden Wettkämpfe und Spiele, die nurmehr den ebenso sehr um allen blutigen Ernst gebrachten wie stipulierten und reglementierten Rahmen abgeben für die dem gleichermaßen kommunikativen und kommerziellen Austausch dienenden Zusammenkünfte eben jener in relativer kommunal-lokaler Eigenständigkeit oder phyletisch-tributischer Partikularität sich behauptenden Kultgemeinschaften.

Aus den antitheokratischen und ein eigenes sakrifiziell-rituelles Format ausbildenden sozialkritisch-dionysischen Gegenkulten der Spätzeit der theokratischen Gesellschaften werden, wie am antiken Drama zu sehen, Moralitäten oder Lehrstücke, die den doppelten Zweck erfüllen, teils im allgemeinen der neuen stadtstaatlichen Bürgerschaft die Kalamitäten der alten territorialherrschaftlichen Ordnung vor Augen zu halten und ihnen damit das als Katharsis bestimmte Gefühl einer im patrizisch-demokratischen Stadtstaat Wirklichkeit gewordenen Errettung aus großer Not und Gefahr zu vermitteln, teils im besonderen der aristokratischen Führungsschicht warnend vorzuführen, welch schicksalhaft-fatale Folgen ein von monarchischer Hybris und dynastischem Egoismus erfülltes und der Einbindung ins bürgerliche Ganze sich entschlagendes, von irrational-göttlichen Leidenschaften getriebenes persönliches Ruhmesstreben und herrschaftliches Rollenspiel hat.

Wie immer im einzelnen der neue dogmatische Inhalt und ideologische Sinn beschaffen sein mag, der in die alten religiösen Darstellungsformen und rituellen Handlungsfiguren einfließt und diese nach seiner Maßgabe umrüstet, Tatsache ist jedenfalls, dass dank der eskamotageartigen Befreiung jener Formen und Figuren von ihrer als herrschaftlicher Reichtum firmierenden traditionellen materialen Basis und sozialen Substanz die Umrüstung eher nach dem Muster einer Rekrutierung alter Schläuche für neuen Wein verläuft, als dass sie einer grundlegenden Umgestaltung oder gar wirklichen Neuschöpfung jenes Repertoires an religiös-rituellen Ausdrucks- und Darstellungsformen, sprich, ihrer Verdrängung und Ersetzung durch aus dem Geiste des neuen kommerziellen Austauschprinzips und seines Passepartout, des Geldes, geborene und letzteren gemäße säkulare Integrationsmechanismen und profane Repräsentationsverfahren gleichkäme. Im paradoxen Resultat des als Eskamotierung beschreibbaren vollständigen Substanz- und Sinnverlusts der überkommenen theokratischen Glaubensvorstellungen und rituellen Praktiken und ganz im Einklang mit dem Gebot psychoökonomischer Rationalität muss im Normalfall des Übergangs von der herrschaftlichen Reichtum produzierenden fronwirtschaftlichen Agrargesellschaft zur handelskapitales Vermögen akkumulierenden kommerziellen Stadtgemeinschaft nicht die radikale Auswechslung und Ersetzung jener tradierten Vorstellungen und Praktiken, sondern deren modale Revision und Umdeutung, nicht ihre definitive Verwerfung und Neufassung, sondern ihre respektive Neubewertung und Umfunktionierung als die via regia der Anpassung an die veränderten politisch-ökonomischen Verhältnisse gelten.

Und demgemäß kann denn auch im Normalfall des Übergangs von der reichtumsfundierten herrschaftlichen Territorialgesellschaft zur handelskapitalgestützten bürgerlichen Stadtgemeinschaft keine Rede von einer als Säkularisierung oder Profanisierung ernsthaften Auseinandersetzung und gar Abrechnung mit den aus den territorialherrschaftlichen Verhältnissen überkommenen alten Religionsformen und Ritualpraktiken sein. So gewiss die Umfunktionierung oder Umwidmung der alten Formen und Praktiken die ebenso sehr objektiv oder auf Grund des radikalen Substanz- und Sinnverlusts der letzteren naheliegende wie subjektiv oder aus Gründen psychoökonomischer Rationalität sich anbietende Patentlösung ist, so gewiss ist nicht ein die Ansprüche des Säkulums gegen alle religiösen Verpflichtungen rücksichtslos zur Geltung bringender, ein die profanen Interessen über alle sakralen Observanzen triumphieren lassender Bruch mit der religiösen Tradition, sondern vielmehr eine den Anschein bruchloser Kontinuität vermittelnde Beibehaltung der religiösen Tradition im Dienste einer Sanktionierung und Rechtfertigung der dieser Tradition als Wechselbalg untergeschobenen säkularen Ansprüche und profanen Interessen das dem Normalfall entsprechende Verfahren.


Anders als die übrigen gesellschaftlichen Gruppen in der Handelsstadt sieht sich die Aristokratie wegen des territorialherrschaftlich-nichtkommerziellen Reichtums, den sie in die Stadt bringt, genötigt, die religiösen Formen und rituellen Praktiken, die mit diesem Reichtum verknüpft sind, einer expliziten Säkularisierungsarbeit zu unterziehen.

Wie stets ist allerdings auch hier die Regel nicht ohne Ausnahme, der Normalfall nicht ohne besondere Umstände zu haben, denen in diesem Fall sogar eine für das Normalverhältnis konstitutive Funktion, eine gleichermaßen für seine Entstehung und seinen Bestand grundlegende Bedeutung zukommt. Gemeint ist die entscheidende, im Sinne des Züngleins an der Waage ausschlaggebende Rolle, die beim politisch-ökonomischen Wechsel von der territorialherrschaftlichen Gesellschaft zur stadtbürgerlichen Gemeinschaft Teile des territorialherrschaftlichen Systems, nämlich aristokratische Gruppen vor Ort und im Umfeld der städtischen Gründungen, durch ihr Bündnis mit der kommerziellen Funktion und ihre politisch-militärische Parteinahme für das von der kommerziellen Funktion gestiftete neue Gemeinwesen spielen. So sehr der mittels Auswechslung des materialen Paradigmas oder Vertauschung der sozialen Substanz, kurz, kraft ökonomischer Eskamotage vollzogene Übergang vom herrschaftlichen Territorium zur bürgerlichen Stadt das Werk der kommerziellen Funktion ist, die in ihrem unmittelbaren Kraftfeld und Einflussbereich, im Umkreis der von ihr akkumulierten Werte, die neue, im Äquivalententausch bestehende Norm beziehungsweise die neue, als allgemeines Äquivalent, als Münze des Markts kursierende Normalität durchsetzt, so wenig ist doch aber dieser Übergang politisch denkbar ohne die Ausnahmekondition einer im territorialherrschaftlichen Kontext selbst auftretenden Entzweiung und Abspaltung, ohne den besonderen Umstand also, dass genokratisch eigenständige oder verselbständigt aristokratische Gruppen aus dem territorialherrschaftlichen Milieu, bestochen durch die Aussicht auf fundierte politische Freiheit und substantiierten ökonomischen Wohlstand, die ihnen die kommerzielle Funktion eröffnet, deren Partei ergreifen und ihrer städtischen Gründung den unabdingbaren politischen Rückhalt und militärischen Flankenschutz bieten.

Wie gesehen, sind sowohl die griechische Polis als auch die römische Urbs eine Hervorbringung zweier gleichermaßen grundlegender, wenn auch nicht unbedingt in gleicher Weise maßgebender sozialer Gruppierungen, der die kommerzielle Funktion ausübenden handeltreibenden Warenbesitzer und der den territorialen Halt gebenden kriegführenden Landeigentümer, und sind deshalb beide, Polis und Urbs, ihrer ganzen Konstitution nach zwieschlächtige Gebilde, in denen zwar die kommerzielle Funktion den als wirkende Ursache neuen, ökonomisch bestimmenden und den städtischen Gesellschaftstyp strukturierenden Faktor bildet, die territoriale Macht der mit der kommerziellen Funktion paktierenden alten Aristokratie nichtsdestoweniger aber ein als zureichende Bedingung unentbehrliches und in der Tat politisch dominierendes, weil die neue Gesellschaftsstruktur in dem territorialherrschaftlichen Kontext, in dem sie entsteht, überhaupt nur zu tragen beziehungsweise zu garantieren fähiges Element darstellt.

In welchem Kräfteverhältnis kommerzieller Faktor und territoriales Element zueinander stehen, wie Macht und Kompetenz zwischen ihnen aufgeteilt sind, ob also die kommerzielle Funktion wie bei der Polis Athen früh schon Eigenständigkeit beweist und der lokalen Aristokratie mit dem ökonomischen Gewicht seehandelsgestützter Weltläufigkeit gegenübertritt oder ob sie wie im Falle der römischen Urbs nur erst als regional beschränktes Marktgebilde unter dem Schutz und Schirm der territorialherrschaftlich Mächtigen vor Ort wächst und gedeiht, ob mithin die Beziehung zwischen beiden eher den Tatbestand einer kontraktiven Partnerschaft erfüllt oder den Charakter eines protektionistischen Patronatsverhältnisses aufweist, hängt von wirtschaftsgeographisch, geopolitisch, sozialstrukturell unterschiedlichen Ausgangsbedingungen ab und ist für die praktischen Optionen und die historische Entwicklung des jeweiligen Gemeinwesens äußerst folgenreich, ändert aber nichts an der Grundkonstellation, dass die kraft kommerzieller Funktion betriebene Gründung des als handelsstädtische Gemeinschaft firmierenden neuen Gesellschaftstyps hier wie dort nur sub conditione der Einbindung und Mitwirkung eines von Haus aus oder seiner ökonomischen Basis nach der territorialherrschaftlichen Gegenseite, sprich, der alten, theokratisch-fronwirtschaftlichen Gesellschaftsformation zugehörigen sozialen Elements ins Werk zu setzen ist.

Und diese Einbindung des als causa sufficiens des Übergangs von der territorialherrschaftlichen Gesellschaft zur handelsstädtischen Gemeinschaft unabdingbaren heteronom aristokratischen Elements in das dem Wirken der kommerziellen Funktion als der autonomen causa efficiens des Übergangs entspringende urban-politische Gemeinwesen bringt nun aber Probleme mit sich – und zwar Probleme auch und vor allem im Umgang mit jenen traditionellen polytheistisch-religiösen Verpflichtungen und opferkultlich-rituellen Observanzen, die sich im Normalfall des Übergangs dank der für ihn grundlegenden Eskamotierung subjektbezüglich-herrschaftlichen Reichtums durch objektspezifisch-äquivalenten Tauschwert so problem- und umstandslos revidierbar und umfunktionierbar zeigen.

Wenn nämlich die landbesitzende Aristokratie aus ihrem ursprünglichen, territorialherrschaftlichen Kontext zur Gründung der kommerziellen Funktion, zur Stadt, überläuft und dem städtischen Gemeinwesen, sich in ihm niederlassend, die für seinen Bestand und sein Gedeihen erforderliche territoriale Basis, soziale Statur und reale Durchsetzungskraft verschafft, so tut sie das nicht allein und als abstrakt personale Größe, sondern sie bringt den materialen Grund und Garanten ihrer gesellschaftlichen Existenz, den ihren territorialen Besitzungen, ihrem Oikos, ihrem Fundus, entspringenden herrschaftlichen Reichtum mit in die Stadt. Und sie bringt ihn nicht nur einmalig, ein- für allemal in die Stadt, sondern kontinuierlich, in Gestalt wiederholter Versorgungsleistungen, nicht endender Nachschublieferungen. Schließlich hat die Aristokratie ihre Ländereien, ihre fronwirtschaftlich betriebenen Güter draußen vor der Stadt und in deren weiterem Umkreis, und um in ihrem neuen, politisch-urbanen Milieu ein standesgemäßes Leben dauerhaft führen zu können, ist sie permanent und unabsehbar auf den Reichtum angewiesen, den dank jahreszeitlich geregelter beziehungsweise frondienstlich organisierter landwirtschaftlicher und handwerklicher Produktionsprozesse diese Güter für sie abwerfen und zwecks Überführung in die Stadt bereitstellen.

Der so in die Stadt gelangende aristokratische Reichtum aber ist Reichtum alter Provenienz, Herrengut, keine Handelsware, kein Tauschwert. Das heißt, er hat beim Eintritt in das von der kommerziellen Funktion gestiftete Gemeinwesen nicht schon jenen als Eskamotage erscheinenden Substanzwechsel durchgemacht, der ihn aus herrschaftlichem Überfluss in vermarktbaren Wert, aus einem subjektive Macht, persönliche Potenz demonstrierenden materialen Seinsgrund in ein objektives Vermögen, sächliches Potenzial kommandierendes kapitales Handlungsmotiv verwandelt zeigt. So wenig dieser Reichtum durch die objektivierende Transaktion eines sein herrschaftskonstitutiv-absolutes Verhältnis zum Subjekt in den äquivalenzspezifisch-relativen Beziehungen zu seinesgleichen neutralisierenden kommerziellen Gütertauschs in die Stadt gelangt, so sehr erscheint er auf dem städtischen Markt, der als System solch objektivierter Tauschwerte funktioniert, als ein Fremdkörper, ein durch die Konnotationen herrschaftlicher Subjektivität, die ihm anhaften und die er fundiert, vom Handelsgut unterschiedenes und als apartes Existenzial, als Herrengut, ausgewiesenes Substrat.

Wesentlicher Bestandteil jener Konnotationen herrschaftlicher Subjektivität und in der Tat ihr harter Kern, ihr artikuliertes Skelett sind nun aber eben jene religiösen Rücksichten und rituellen Verbindlichkeiten, die mit der Verfügung über allen der territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlichen Sphäre entstammenden und als deren Erzeugnis erkennbaren Reichtum die Tradition theokratisch-opferkultlicher Bevollmächtigung unfehlbar verknüpft. So wahr der Reichtum der Aristokratie aus der territorialherrschaftlichen Sphäre stammt und so wahr er kraft herrschaftlicher Verfügung, dem souveränen Willen der in die Stadt übersiedelnden aristokratischen Gutsbesitzer gehorchend, und nicht mittels kommerzieller Transaktionen, dem kapitalen Interesse der Austausch treibenden Marktrepräsentanten gemäß in die Stadt gelangt, so wahr führt er jene traditionell dem Reichtum inhärierenden religiösen Bestimmungen und rituellen Bewandtnisse als ebenso sehr durch ihn substantiierte, durch seine Existenz affirmierte wie umgekehrt über ihn disponierende, seine Verwendung präjudizierende hypothekarische Belastungen mit.

Anders als der von den Handeltreibenden in die Stadt geschaffte kommerzielle Tauschwert, der durch die Eskamotage des Äquivalententauschs, durch das Quid pro quo der Vertauschung mit seinesgleichen alle ihm kraft Herkunft etwa anhaftenden Spuren götterkultlich-personaler Eignerschaft abgestreift, alle ihn von seinen Produktionsbedingungen her eventuell determinierenden Fesseln opferkultlich-sakraler Schuldnerschaft abgeschüttelt hat und der deshalb den tradierten Formen einer auf die Bewältigung gesellschaftlichen Überflusses und seiner sozialen Folgen abgestellten religiösen Reklamation und rituellen Stipulation mit so viel Unmittelbarkeit oder Unvoreingenommenheit begegnen kann, dass er, weit entfernt davon, ihren Konditionen sich beugen und ihren Forderungen genügen zu müssen, vielmehr mit ihnen schalten und walten und sie seinen Bedürfnissen anpassen beziehungsweise nach Maßgabe der Erfordernisse der durch ihn gestifteten Marktgesellschaft mit neuem Inhalt füllen kann – anders als dieser marktvermittelte und dank Marktvermittlung einem im Blick auf alle religiöse Hypothek und rituelle Obligation als regelrechte Gehirnwäsche wirksamen Substanzwechsel unterzogene Reichtum führt der von der Aristokratie in die Stadt eingeschleppte territorialherrschaftliche Reichtum die religiösen Rücksichten und rituellen Verpflichtungen unverändert im Schilde und wird, wie er sie durch seine plane Existenz als solche substantiiert, als geltendes Recht, sakrale Satzung reaffirmiert, so umgekehrt durch sie determiniert und in seiner freien Verfügbarkeit entscheidend eingeschränkt.

Freie Verfügung über ihren Reichtum aber ist es gerade, was die Aristokratie in dem neuen, marktgesellschaftlich-städtischen Milieu, in das sie übersiedelt, braucht und anstrebt. So sehr die gottesdienstlichen Rücksichten und opferkultlichen Verpflichtungen, die mit dem territorialherrschaftlichen Reichtum der Aristokratie kraft realer Herkunft und personaler Zuweisbarkeit verknüpft sind, ganz andere Gesellschaftsstrukturen und Lebensumstände voraussetzen und als den Zusammenhang geltend machen, in dem wiederum sie sich nach Gebühr und brauchgemäß zur Geltung bringen können, und so wenig die Assoziationsformen und Lebensverhältnisse in der neuen, handelsstädtischen Wahlheimat der Aristokratie von der Art sind, dass sie für jene auf fixe lokale Kultstätten, regelmäßige saisonale Kulthandlungen und überhaupt ein Leben im starren Gerüst ackerbaulich-naturzyklischer und ebenso ereignislos vorhersehbarer wie unvorhersehbar störanfälliger Routine abgestellten Rücksichten und Verpflichtungen die passenden Gelegenheiten und den nötigen Entfaltungsraum bieten, so sehr erfährt die Aristokratie letztere als lähmenden Hemmschuh, den sie loswerden muss, will sie sich dem Rhythmus und der Mobilität des städtischen Daseins anbequemen, als beengendes Korsett, das sie abstreifen muss, will sie die Bereicherungschancen, die Gelegenheiten zur politischen Karriere, die Konsummöglichkeiten und die Formen neuer Geselligkeit nutzen, die der neue, marktvermittelte Vergesellschaftungszustand des Stadtstaats bereithält.

Sich über die polytheistischen Rücksichten und opferkultlichen Verbindlichkeiten, mit denen ihr herrschaftlicher Reichtum sie konfrontiert, kurzerhand hinwegsetzen, sich darum einfach nicht kümmern und sich die stadtkonform freie Verfügung über den Reichtum selbstherrlich herausnehmen aber kann die Aristokratie nicht – weniger aus sachlich-identitätsprinzipiellen Gründen, weil sie also damit gegen die Götter selbst frevelte, psychologisch-personaler ausgedrückt, mit ihren eigenen weltanschaulich-grundlegenden Gewissheiten und verhaltensprägend-tragenden Gewohnheiten in Konflikt geriete (diesen inneren Konflikt auszuhalten und zu bewältigen, böte ihr das städtische Milieu dank des objektiven Bruchs mit der territorialherrschaftlichen Sphäre, den es darstellt, und der umfänglichen Neuorientierung, die es ihnen aufdrängt, hinlänglich Motivation und Rückhalt), als vielmehr aus gesellschaftlich-legitimationspraktischen Erwägungen, weil sie sich nämlich damit gleichermaßen aus Sicht ihrer Herkunftssphäre, ihrer fronwirtschaftlichen Reichtum produzierenden Güter, ihres territorialherrschaftlichen Oikos oder Patrimoniums, und in den Augen ihres neuen Milieus, der sie als Bürger aufnehmenden und gemäß ihrem Reichtum integrierenden marktwirtschaftlichen Gemeinschaft, ins Unrecht setzte, eine als moralisches Vergehen, als sakrilegisches Verhalten unschwer erkennbare Blöße gäbe und an dieser Stelle, die als die Achillesferse ihres neuen Status einer ebenso sehr stadtbewohnenden wie landbebauenden bürgerlichen Herren- oder patrizischen Oberschicht erschiene, im Falle von territorialen oder innerstädtischen Konflikten und Auseinandersetzungen in ihrem politischen Führungsanspruch ebenso angreifbar wie in ihrem ökonomischen Eigentumstitel anfechtbar wäre.

In der Tat ist dies das Dilemma der Aristokratie, dass sie die ihren territorialherrschaftlichen Reichtum von Haus aus begleitenden und seiner freien Verwendung im handelsstädtischen Kontext im Wege stehenden religiösen Rücksichten und rituellen Verpflichtungen nicht einfach verleugnen oder missachten kann, ohne sich der Gefahr einer Aushöhlung und Schwächung der für ihre sozialen Geltungsansprüche und politischen Aspirationen in der Stadt ökonomisch grundlegenden eignerschaftlichen Legitimation und ständischen Position, kurz, der Gefahr einer Diskreditierung und Problematisierung ihres aristokratischen Status auszusetzen. Anders als die übrigen Gruppen der Gemeinschaft, die dank ihres kommerziell vermittelten, durch den Markt je schon als Tauschwert gesetzten Besitzes jene mit nichtkommerziell-territorialherrschaftlichem Reichtum verknüpften religiösen Glaubensvorstellungen und rituellen Veranstaltungen als ebenso funktionell antiquierte und obsolete wie emotional gewohnte und vertraute Gegebenheiten, als eine ebenso objektiv gegenstandslose wie subjektiv ansprechende Tradition erfahren und deshalb keine Mühe haben, die ausgehöhlten Formen und routinierten Verfahren mit neuem Inhalt zu füllen, sprich, an die veränderten Bedürfnisse und Zielsetzungen der handelsstädtischen Gemeinschaft anzupassen, findet die Aristokratie diese religiösen Formen und rituellen Verfahren, wie durch den von ihren Gütern in die Stadt überführten Reichtum alter Provenienz und herrschaftlicher Prägung substantiiert und in ihrer dogmatischen Geltung und prozeduralen Verbindlichkeit bekräftigt, so umgekehrt den mitgebrachten Reichtum hypothekarisch belastend und für gottesdienstlich-opferkultliche Ansprüche vor Ort seiner fronwirtschaftlichen Erzeugung reklamierend. Weit entfernt davon also, die in den religiösen Formen und rituellen Verfahren kodifizierten Rücksichten und Verpflichtungen nach Gutdünken revidieren und anpassen zu können, muss sie erst einmal überhaupt Dispens und Befreiung von ihnen erwirken, um ohne die Gefahr, sich dem Vorwurf nefariöser Übergriffe und sakrilegischen Missbrauchs auszusetzen, über ihren Reichtum verfügen, will heißen, ihn statt nach Maßgabe jener Rücksichten und Verpflichtungen, vielmehr gemäß den Gegebenheiten und Erfordernissen ihres neuen städtischen Lebensraumes und Betätigungsfeldes einsetzen zu können.

Was bei den anderen Gruppen der Stadtgemeinde der Marktmechanismus und seine den Reichtum als subjektkonstitutives Herrengut neutralisierende und in objektspezifischen Tauschwert transformierende Aktivität besorgen, die Herauslösung gesellschaftlichen Reichtums aus der fronwirtschaftlich-theokratischen Determination des territorialherrschaftlichen Bezugsrahmens – dies muss die Aristokratie aus eigener Geisteskraft und Begründungsanstrengung vollbringen. Im Unterschied mithin zu den übrigen Gruppen, die auf der Basis ihres je schon objektiv säkularisierten, durch seine Einbindung ins System des Äquivalententauschs effektiv profanisierten Hab und Gut die als ebenso substanz- wie funktionslos perennierenden religiösen Formen und rituellen Verfahren an ihre gesellschaftlichen Bedürfnisse anpassen und in ihre gemeinschaftliche Praxis übersetzen können, muss sich die Aristokratie aus eigener Kraft mit diesen Formen und Verfahren kritisch auseinandersetzen, muss sie sie eigenmächtig entsubstanzialisieren, dysfunktionalisieren, um ihren durch sie hypothekarisch befrachteten und habituell okkupierten territorialherrschaftlichen Reichtum so weit von ihnen zu entlasten und zu absolvieren, dass sie eine dem säkularen Umgang, den die anderen Gruppen mit ihrem Hab und Gut pflegen, und dem profanen Gebrauch, den sie davon machen, vergleichbare freie Verfügung und unbeschränkte Vollmacht über ihn in Anspruch nehmen und ihn in einer dem Beispiel der übrigen Gruppen folgenden Weise in ihrem neuen Milieu zur Geltung bringen und einsetzen kann.

Das Verhältnis der Aristokratie zur religiösen Tradition und rituellen Praxis ist also wesentlich anders und von einer weit kritischeren Haltung beziehungsweise größeren Konfliktbereitschaft geprägt als das der übrigen Gruppen. Weil nur der Reichtum der Aristokratie unmittelbar, will heißen, ungebrochen durch den kommerziellen Austausch, dem fronwirtschaftlich-theokratischen Zusammenhang entspringt, in dem die alten religiösen Formen und rituellen Verfahren ihre Geltung haben, ist auch nur sie gehalten, jene Formen und Verfahren als ihren Reichtum ebenso sehr determinierend und für eigene Zwecke reklamierend wie umgekehrt durch ihn substantiiert und als verbindliche Identifikations- und Kommunionsfiguren bekräftigt wahrzunehmen, und damit aber auch gezwungen, ihnen um einer innerstädtisch freien Verfügung über den Reichtum willen den Prozess zu machen und sie in ihrer beanspruchten Determinationskraft und Verbindlichkeit zu entkräften oder zu widerlegen.

Wo auf der Basis ihres marktvermittelt säkularen Hab und Guts die anderen Gruppen sich mit den überkommenen gottesdienstlichen Überzeugungen und opferkultlichen Verrichtungen arrangieren und sie friedlich-schiedlich in ihre handelsstädtisch neue Lebenspraxis integrieren können, da muss die Aristokratie, um ihren Reichtum als eine dem Hab und Gut der anderen Gruppen vergleichbare marktkonforme Subsistenzbasis, sprich, innerstädtische Existenzgrundlage überhaupt gefahrlos in Anspruch nehmen zu können, diese Überzeugungen und Verrichtungen vielmehr einer entschiedenen Kritik unterziehen und sie als Vorstellungen und Usancen, die ebenso objektiv unbegründet wie situativ fehl am Platze sind, ein für allemal demontieren. Wo die anderen Gruppen der handelsstädtischen Gemeinschaft die religiöse Tradition der territorialherrschaftlichen Gesellschaft in aller Form übernehmen und ihre rituelle Kontinuität problemlos wahren können, da muss die Aristokratie mit dieser Tradition nachdrücklich brechen, muss sie aus dieser Kontinuität ausdrücklich ausscheren. Wo die anderen Gruppen die alten religiösen Formen und rituellen Praktiken im Sinne der für die Handelsstadt maßgebenden neuen sächlichen Basis und sozialen Substanz einfach revidieren und umfunktionieren können, da muss die Aristokratie diese Formen und Praktiken vielmehr mit dem Ziel einer als Säkularisierung und Profanisierung wohlverstandenen Anpassung ihres materialen Fundaments und sozialen Substrats an die Bedingungen des Marktmilieus und die handelsstädtische Praxis widerlegen und außer Kraft setzen.


Das Prinzip der Säkularisierung, der Befreiung von der Macht der territorialherrschaftlichen Götter, ist in der griechischen Polis der Wesensbezug, in der römischen Urbs der Ahnenkult. Die Entwertung der Welt zur bloßen Erscheinung, die der Bezug zum Wesen mit sich bringt, hindert den griechischen Aristokraten nicht, die ihm gleichzeitig eröffnete Chance zur innerstädtisch freien Verfügung über seine irdischen Güter zu nutzen. Da der römische Aristokrat mit dem Rekurs auf den Ahnenkult nur die religiöse Obödienz wechselt, findet er sich mit dem Entwertungsproblem gar nicht erst konfrontiert.

Eine auf Säkularisierung ihrer Lebensverhältnisse und Profanisierung ihres sozialen Verhaltens gerichtete Entbindung und Befreiung von den mit ihrem Reichtum verknüpften traditionellen gottesdienstlich-topischen Rücksichten und opferkultlich-chronischen Verpflichtungen – dies also ist die legitimationspraktische Aufgabe, mit der sich die Aristokratie hier wie dort, in der römischen Urbs ebenso wie in der griechischen Polis, durch ihr Bündnis mit der kommerziellen Funktion und ihre Übersiedlung in deren handelsstädtische Stiftung konfrontiert findet. So konform aber auch die Aufgabe ist, so divers fällt ihre Erfüllung aus. Wie gesehen, löst die Aristokratie der griechischen Polis die Aufgabe einer säkularisierenden Kritik der Götterreligion und profanisierenden Verwerfung des Opferkults durch Rekurs auf die wesenskultliche Strategie ihrer Standesgenossen in den territorialherrschaftlichen Nachbargesellschaften des asiatischen Ostens.

Unter dem Druck der sozialkritisch-naturkultlichen Volksbewegungen, die im Namen eines als zum Pantheon alternativer Gott erscheinenden dionysischen Herrn der Subsistenz die herrschaftliche Reichtumsproduktion und deren formelle Betreiber und rituelle Garantiemächte, die Götter, in Frage stellen und für ebenso entbehrlich wie falsch erklären, gibt dort, in den Territorialgesellschaften des Ostens, die Aristokratie der transzendenten Wahrheit die Ehre und erkennt in jenem reichtumsfeindlichen Herrn der Subsistenz ein bloßes Zerr- und Vexierbild des in absoluter Negativität und unbedingter Indifferenz nicht allein gegen den herrschaftlichen Reichtum, sondern mehr noch gegenüber der materialen Sphäre als ganzer verhaltenen anderen Subjekts, des in seiner transzendenten Wahrheit perennierenden weltverneinend apriorischen Seins. Indem sie so seine Motion gegen die gesellschaftliche Herrschaftssphäre übertrumpft und zum Verdikt über die natürliche Erscheinungswelt totalisiert, bringt sie den sozialkritisch-dionysischen Gegenspieler um das qua natürliche Subsistenz behauptete Realfundament seiner sich spezifisch gegen die gesellschaftliche Reichtumsproduktion unter herrschaftlichen Bedingungen richtenden Kritik, wirft beides, die natürlich-gemeindliche Subsistenz und den herrschaftlich-gesellschaftlichen Reichtum in ein- und denselben Topf offenbarer Irrealität und evidenter Scheinhaftigkeit und schlägt ihn, den dionysischen Gegenspieler, mitsamt den theokratischen Garantiemächten, denen er den Prozess macht, aus dem Felde der ebenso diskreditierten wie entsubstanzialisierten irdischen Wirklichkeit und gegenständlichen Welt.

Sich so auf das die irdische Wirklichkeit zum schieren Schein erklärende transzendente Sein berufen und sich seiner absoluten Negativität und unbedingten Indifferenz stellen kann die Aristokratie allerdings nur, weil sie das apriorische Sein und die absolute Wirklichkeit jenes transzendent anderen Subjekts zu ihrer unvordenklich eigenen Existenz, zu dem, was sie selbst in zeitloser Vergangenheit gewesen ist, eben zu ihrem Wesen, erklärt und behauptet, all ihrer Verstrickung in den irdischen Schein, all ihrer Verfallenheit an die Sphäre materieller Irrealität zum Trotz, zu jenem als zeitlos vergangenes Sein ihrer selbst perennierenden Wesen den Kontakt wahren beziehungsweise wiederherstellen, sich affirmativ zu ihm verhalten, restitutiv auf es beziehen zu können. So gewiss sich das aristokratische Individuum auf ein höheres, in einem transzendenten Sein, einer wahren Wirklichkeit bestehendes und im Prinzip seines Bestehens allzeit präsentes, weil im Prozess des Lebens zeitlos vergangenes Selbst, sein Wesen, zu berufen und zurückzuziehen vermag, so gewiss kann es das ganze diesseitige Dasein, die gesamte irdische Sphäre für null und nichtig, Schein und Einbildung erkennen, ohne selbst der Disqualifizierung und Irrealisierung zu verfallen, der es dies Dasein, das doch auch seines, diese Sphäre, in der es empirisch zuhause ist, überantwortet. Und so gewiss das aristokratische Individuum nun aber durch den Rekurs aufs Wesen die ganze irdische Sphäre zum flüchtigen Schein entwirklicht, zur vergänglichen Phantasmagorie entwertet, so gewiss entkräftet und widerlegt es die überirdischen Mächte, die als Garanten ihrer Wirklichkeit und Begründer ihres bleibenden Werts das Eigentum an dieser irdischen Sphäre und die Herrschaft über sie beanspruchen und die als Repräsentanten der mit ihrem Anspruch auf die Herrschaft jeweils verknüpften divergierenden Idee von einer sozialen Bestimmung und realen Gestaltung der Sphäre im erbitterten Streit miteinander liegen – die als gesellschaftliche Garantiemächte firmierenden Götter, denen die irdische Sphäre als eine der Fron, der Erzeugung von herrschaftlichem Reichtum gewidmete Arbeitsstätte gilt, ebenso wie den als natürliche Wandlungsmacht figurierenden dionysischen Herrn, der demgegenüber die irdische Sphäre als einen der Kommunion, dem gemeinschaftlichen Genuss von Brot und Wein geweihten Lebensraum behauptet.

Und indem so denn das aristokratische Individuum kraft transzendenter Irrealisierung oder wesenhafter Disqualifizierung der irdischen Sphäre deren göttlichen Garanten beziehungsweise dionysischem Umwandler, wie man will, den Boden entzieht oder das Objekt verschlägt, gewinnt es im Blick auf jene Sphäre eine Handlungsvollmacht und Verfügungsgewalt, wie sie ihm bis dahin unbekannt ist, weil ja unter den vorher gegebenen Umständen die Verfügung über die irdische Sphäre in genere und den als ihr Telos erscheinenden gesellschaftlichen Reichtum in specie entweder nach Maßgabe der den göttlichen Eignern der irdischen Sphäre und ihres Reichtums geschuldeten gottesdienstlichen Rücksichten und opferkultlichen Verpflichtungen unter die Kuratel des theokratischen Stellvertreters der Götter gestellt, sprich konditioniert, oder aber nach dem Willen des dionysischen Gegenspielers der Götter dem theokratischen Stellvertreter und seiner aristokratischen Gemeinde überhaupt entrissen und in den festlich-rauschhaften Genuss eines von der irdischen Sphäre aus freien Stücken gespendeten natürlichen Reichtums umgebogen, sprich, durch die knechtisch-kollektive Unterwerfung unter die absolute Macht einer vergöttlichten Naturkraft ersetzt erscheint.

Durch die im Wesenskult implizierte Entwirklichung und Entwertung der irdischen Sphäre gleichermaßen von der Folgsamkeit gegenüber den im theokratischen Herrn verkörperten Ansprüchen der göttlichen Eigner des Produkts gesellschaftlicher Arbeit entbunden und von der Verfolgung durch die im dionysischen Gegengott gestaltgewordene produktivitätsentsprungene Phantasmagorie eines gesellschaftliche Arbeit erübrigenden einfachen Lebens im Naturreichtum befreit, kann das aristokratische Individuum mit jenem Teil der irdischen Sphäre, die sein althergebrachtes Erbteil ist beziehungsweise an der es kraft seiner Zugehörigkeit zur Gemeinde des theokratischen Herrn traditionell partizipiert, mit dem territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlich geschaffenen Reichtum nämlich, frei schalten und walten wie nie zuvor und erfährt so das Wesen als ein Emanzipationsinstrument, das ihm mit einem Schlage sowohl die seine Macht einschränkende Kontrollinstanz der das theokratische Herrschaftssystem garantierenden und dafür über den gesellschaftlichen Reichtum als über ihr attributives Eigentum verfügenden Götter als auch die seine Existenz in Frage stellende Gegenmacht des über den gesellschaftlichen Reichtum den Stab brechenden und damit dem theokratischen Herrschaftssystem sein Realfundament bestreitenden Herrn des Naturreichtums vom Halse schafft.

Zwar scheinen die kraft wesenskultlicher Wendung neu begründete aristokratische Verfügungsgewalt über den gesellschaftlichen Reichtum in specie und die damit zugleich zurückgewonnene Handlungsvollmacht im Blick auf die irdische Sphäre in genere mit der im Wesensbezug implizierten modallogischen Irrealisierung oder ontologischen Disqualifizierung der irdischen Sphäre und des ihr entspringenden gesellschaftlichen Reichtums teuer erkauft und scheint die weltverneinende Haltung, in die die frühen Propagatoren und Betreiber des Wesensbezuges sogleich verfallen, scheint ihre radikale Ablehnung des innerweltlichen Daseins, ihre pauschale Abkehr von der irdischen Sphäre in der Tat zu beweisen, dass jenes als zeitlos vergangenes Wesen reklamierte voranfänglich wahre Sein als Instrument zur Emanzipation von den streitenden Mächten der theokratischen Gesellschaft und Bewältigung des in ihrem Streit ausgetragenen Sozialkonflikts untauglich und nämlich kein probates Mittel ist, sich des Streitobjekts, des gesellschaftlichen Reichtums und der ihn gewährenden irdischen Sphäre, als einer der Affirmation durch die Götter ebenso unbedürftigen wie der Negation durch den dionysischen Naturgott entzogenen und ihm, dem aristokratischen Individuum, ebenso uneingeschränkt verfügbaren wie positiv gegebenen Realität zu versichern.

Die Absage an die Welt und die Hinwendung zu dem Nichts, die von den im Buddhismus kulminierenden frühen wesenskultlichen Bewegungen zum Programm erhoben wird, scheint plastisch vorzuführen, wie sehr der reklamierte Wesensbezug als Instrument beziehungsweise Strategem zur Entmachtung und Enteignung der alten, sei's ritualpraktisch beschwerlichen, sei's sozialkritisch gefährlichen Eigner und Machthaber der Welt über das Ziel hinausschießt und sich ad absurdum führt, indem er mit den theokratischen oder soteriologischen Herren der Welt auch diese selbst, mit den streitbaren Gegenspielern auch den Gegenstand des Streits als solchen in die Pfanne haut, indem er also der Aristokratie den gesellschaftlichen Reichtum in specie und die irdische Sphäre in genere, an deren freier Verfügbarkeit sie interessiert ist, ihren bisherigen, göttlichen oder gegengöttlichen Herren nur mit der vernichtenden Konsequenz beziehungsweise um den widersinnigen Preis zu entreißen erlaubt, dass sie das Interesse am einen wie am anderen überhaupt verliert, auf die Verfügung über beide gar keinen Wert mehr legt.

Indes, dass die Irrealisierung und Disqualifizierung der irdischen Sphäre, ihre Degradierung zu schierer Einbildung und bloßem Schein, sich mit dem Verlangen, sie zu besitzen und über sie zu verfügen, durchaus verträgt, dass also die modallogische Entwirklichung oder ontologische Entwertung der Welt keineswegs notwendig haltlose Weltverneinung und kopflose Flucht ins Nichts der irdischen Sphäre zur Folge hat, zeigt die Entwicklung, die der qua Buddhismus weltverneinende Wesenskult nimmt und die ihn am Ende in seiner zum Hinduismus modifizierten und entfalteten Form die irdische Sphäre als einen die Weltfluchtbewegung organisierenden und skandierenden Gestaltenreigen, eine den Weg zum Nichts ebenso sehr bildende wie weisende Scala Sancta rehabilitieren lässt und damit ihn, den Wesenskult selbst, als ein die weltlichen Verhältnisse bestimmendes und ordnendes, ein sozialen Rang und materielles Eigentum begründendes und sicherndes Instrument zur Ausübung und Rechtfertigung brahmanisch-ständehierarchischer Verfügungsgewalt über die irdische Sphäre, kurz, als ein aristokratisches Strategem zur Ergreifung und Erhaltung von weltlicher Macht erweist.

Post festum dieser Entwicklung gesehen, scheint – unbeschadet der persönlichen Aufrichtigkeit Buddhas und seiner Nachfolger, ihrer ungeheuchelten Überzeugung vom Sinn und Nutzen eines radikalen Weltverzichts – die Konsequenzzieherei des Buddhismus eher Ausdruck materialer Nöte und sozialer Konflikte und des Bemühens, einen Ausweg aus ihnen zu weisen oder jedenfalls Entlastung von ihnen zu schaffen, denn als Beweis für eine originäre Unvereinbarkeit von Wesensbezug und weltlicher Orientierung; das heißt, die weltflüchtige Konsequenz scheint weniger der inneren Logik einer Entscheidung für das die Welt zu nichts als Schein erklärende Wesen zu entspringen, als vielmehr der äußeren Notwendigkeit geschuldet, durch den Rekurs aufs Wesen nicht nur die Mächte auszuschalten, die der freien Verfügung über eine wie auch immer zur bloßen Erscheinung degradierte Welt im Wege stehen, sondern gleich auch und mehr noch all den vielen eine als Palliativ und Mittel des Trostes dienliche Erlösungshoffnung und nirwanische Heilsperspektive zu bieten, die unter den Bedingungen ihrer irdischen Existenz leiden und als Pariaschichten einen die ökonomischen Machtverhältnisse und die soziale Ordnung bedrohenden Sprengstoff bilden, sofern es nicht gelingt, sie mit ihrem irdischen Elend zu versöhnen oder sich jedenfalls halbwegs damit abfinden zu lassen.

Dass die Instrumentalisierung des die irdische Sphäre mitsamt ihren traditionellen Mächten entwirklichenden und entwertenden Wesensbezugs, seine, wenn man so will, paradoxe Nutzbarmachung für die Erringung weltlicher Macht und die Sicherung irdischer Herrschaft, das letztlich dominierende Interesse und die maßgebende Intention des von der Aristokratie aus der Taufe gehobenen Wesenskults bildet, lässt die griechische Aristokratie, die das wesenskultliche Konzept von ihren asiatischen Standesgenossen übernimmt und für Zwecke ihrer vorbehaltlosen Anpassung an und bruchlosen Integration in die handelsstädtische Gemeinschaft einsetzt, vollends deutlich werden. Unberührt von den ökonomischen Krisen und sozialen Konflikten, in die wachsende gesellschaftliche Produktivität und haltloser herrschaftlicher Konsum die volkreichen Territorialgesellschaften des Ostens stürzen, greift die Aristokratie des küstenreichen westlichen Ausläufers der östlichen Landmasse, als der sich Kleinasien und Griechenland präsentieren, den unter dem Druck jener ökonomischen Krisen und sozialen Konflikte kreierten Wesenskult zu dem einzigen und ausschließlichen Zweck auf, mit seiner Hilfe ihre Integration in den im maritimen Entfaltungs- und Schutzraum entstandenen neuen, um die kommerzielle Funktion zentrierten Gemeinschaftstyp zu bewerkstelligen, sprich, sich durch ihn, den Wesenskult, vom territorialherrschaftlichen Gottesdienst und Opferkult, zu dem ihre Existenzgrundlage, ihr fronwirtschaftlicher Reichtum, sie verhält, zu emanzipieren und so für ihren Teil eine von theokratischen Bindungen und sakrifiziellen Verpflichtungen freie, aktive Mitwirkung an der neuen ökonomischen Basis und der auf ihr aufbauenden politischen Gemeinschaft sicherzustellen.

Weit entfernt davon, dass die Entwirklichung und Entwertung der Welt, die Entsubstantialisierung und Diskreditierung der irdischen Sphäre, die der Preis einer solchen, kraft Wesenskult vollbrachten säkularisierenden Ablösung von der Götterreligion und profanisierenden Entbindung vom Opferkult ist, das aristokratische Individuum schrecken und zur Weltflucht motivieren könnte, nimmt letzteres dafür, dass es nun über das Entwirklichte frei verfügen, das Entwertete nach Gutdünken besetzen und verwenden kann, den Wirklichkeitsschwund und Wertverlust bedenkenlos und gern in Kauf. Welchen inneren, in der Logik des wesenskultlichen Strategems, das auf freie Verfügung über den irdischen Reichtum in specie und die irdische Sphäre in genere zielt, liegenden Grund sollte der Aristokrat denn auch haben, das funktionelle Strategem zugunsten einer existenziellen Entscheidung gegen die Welt und für das Wesen aufzugeben? Schließlich hat er sich durch seinen strategisch motivierten, ihm die Götter und ihren dionysischen Gegenspieler ineins vom Hals zu schaffen bestimmten Bezug zum Wesen die Teilhabe an dessen unverbrüchlicher Seinshaftigkeit und zeitloser Wirklichkeit ja gesichert und kann deshalb der Irrealisierung und Disqualifizierung, deren der Wesensbezug die irdische Sphäre qua Erscheinungssphäre überführt und von der er als Teil der Welt, als empirische Person und irdische Erscheinung ebenfalls betroffen ist, mit der Gemütsruhe und Gelassenheit des durch seine Partizipation am außerweltlichen Sein, durch sein wesenhaftes Selbst ihr zugleich doch überhobenen und entzogenen Doppelgängers begegnen.

Was sollte das aristokratische Individuum hindern, in dieser Doppelgängerrolle zu verharren, solange es ihm gefällt, sprich, mit dem zeitlos vergangenen Sein, seinem Wesen, im Rücken die ihm frei verfügbaren Erscheinungen der Welt ad calendas graecas zum Gegenstand seines Interesses zu machen und zu genießen, mit dem von göttlichen Prärogativen und gegengöttlichen Anfeindungen unbeschwerten Schein der irdischen Sphäre, von dem er ebenso sehr ontologisch verschieden ist, wie er empiriologisch an ihm hängt, in alle Ewigkeit Umgang zu pflegen und sich auf der Basis seiner irdischen Vorzugsstellung zu arrangieren?

Ohne weiteres also und mit durchschlagender Wirkung lässt sich der aus den sozialen Konflikten des Ostens hervorgegangene und von dort entlehnte Wesenskult, den die griechische Aristokratie im Unterschied zu den übrigen unter dem Dach der Polis versammelten gesellschaftlichen Gruppen pflegt und betreibt, in den Dienst einer zur Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse in der Polis erforderlichen säkularisierenden Ablösung und profanisierenden Befreiung der Existenzgrundlage der Aristokratie, ihres territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlichen Reichtums, von polytheistischen Ansprüchen und opferkultlichen Verpflichtungen stellen. So sehr sich solch wesenskultliche Emanzipation von der Macht der Götter und ihrer sakramentalen Vormundschaft als Weg zur freien Verfügung über eine wie immer dabei zu bloßen Vorstellungen oder Erscheinungen, zu immateriellen Formen entsubstanzialisierte irdische Sphäre und weltliche Habe aber auch anbieten mag und so sehr sie sich im Kontext der Polis Athen und ihrer ägäischen Schwester- und Tochterstädte bewährt – die römische Aristokratie wählt dank ihrer dem Einfluss der großen Territorialherrschaften des Ostens vergleichsweise entzogenen provinziellen Lage und ihrer durch die opferkultliche Theokratie noch nicht allzu nachhaltig verdrängten genokratischen Herkunft eine völlig andere Methode zur Säkularisierung ihres Reichtums und Profanisierung seiner Verwendung.

Statt kraft Wesensbezug kurzerhand aus dem traditionellen System theokratischer Religionsübung und sakrifizieller Ritualpraktik herauszuspringen, wahrt die römische Aristokratie die religiöse Tradition, bleibt sie in der Immanenz sakrifizieller Hörigkeit, und gibt der gewahrten Tradition nur dadurch eine neue Wendung, bricht die kontinuierte Immanenz nur dadurch immanent auf, dass sie einen religiösen Machtwechsel, eine Wachablösung in der rituellen Observanz vollzieht, den Adressaten ihrer gottesdienstlichen Leistungen und opferkultlichen Zuwendungen ersetzt und austauscht. In einer Mischung aus regressiver Wiederaufnahme und konstruktivem Rückgriff rekurrieren die um den Handelsplatz Rom gescharten und in ihm ihren neuen Bezugspunkt, ihr organisierendes Zentrum findenden Geschlechter auf den sie als gens oder familia ursprünglich oder von Haus aus, sprich, vor aller theokratisch-territorialherrschaftlichen Einbindung, definierenden Ahnenkult, erklären ihn für die der städtischen Existenz in ihrer Abstraktheit von territorialherrschaftlicher Dominanz und theokratischem Zentralismus und in ihrem Bauen auf die ökonomische Selbständigkeit und politische Unabhängigkeit, die der Pakt mit der kommerziellen Funktion gewährt, angemessene und eben deshalb zu rehabilitierende beziehungsweise wiederzubelebende dogmatische Bindung und kultische Form und setzen diese Bindung und Form dem traditionellen Gottesdienst und Opferkult entgegen, relativieren oder neutralisieren mit ihrer Hilfe die von letzterem geltend gemachten und das traditionelle Leben der Aristokratie unter theokratisch-territorialherrschaftlichen Bedingungen determinierenden religiösen Verpflichtungen und rituellen Verrichtungen.

Wohlgemerkt, sie neutralisieren diese religiösen Hypotheken und rituellen Prozeduren nur, nehmen ihnen ihre Dringlichkeit und Aktualität, reduzieren sie mit anderen Worten auf einen Formalismus, auf jene als weitere Rücksicht oder zweitrangige Obliegenheit mitlaufenden Obödienzien und Sakrifizien, um die sich der Rex sacrorum als aufs religiöse Altenteil gesetzter und zur rituellen Traditionspflege verdonnerter theokratischer Herr kümmert. Dementierte die römische Aristokratie ihre Verpflichtungen gegenüber den Göttern und die daraus folgenden opferkultlichen Verrichtungen, statt sie bloß mittels Formalisierung zu neutralisieren, erklärte sie diese Verpflichtungen und Verrichtungen für kurzerhand entkräftet, für auf der ganzen Linie widerlegt, und schaffte sie sie einfach ab – sie verstieße gegen das innerste Prinzip ihrer zwecks Emanzipation vom traditionellen Gottesdienst und Opferkult gewählten Säkularisierungsstrategie und Profanisierungsmethode, sprengte das religiöse Kontinuum und verliehe der Berufung auf die Ahnen eine ähnliche Ausbruchsbedeutung oder Transzendenzkraft, wie sie der Bezug aufs Wesen behauptet.

Tatsächlich aber tut sie nichts dergleichen. So gewiss sie vielmehr auf den Ahnenkult rekurriert, so gewiss bleibt sie im religiösen Kontinuum, wahrt sie den Rahmen einer kultischen Begründung der Welt und ihrer Güter, einer sakralen Bekräftigung des Reichtums und der irdischen Sphäre, der er entspringt, und wechselt nur eben die zur Begründung und Reaffirmation des gesellschaftlichen Reichtums in specie und der natürlichen Welt in genere angerufene sakrale Macht, ersetzt, wie gesagt, in der Rolle des maßgebenden Adressaten ihrer reverenziellen Anerkennung und zeremoniellen Zuwendung die überirdischen Götter durch die unterirdischen Ahnen, die olympischen Empfänger des Opfers durch die chthonischen Nutznießer der Totengabe. Parallel zu ihrer Etablierung im exterritorialen Entfaltungsraum der Handelsstadt laufen die unter territorialherrschaftlichen Bedingungen aristokratisierten römischen Geschlechter zu den als Sanktions- und Garantiemacht ihrer städtischen Existenz aus der Versenkung geholten Ahnen über und reduzieren kraft der den letzteren zustehenden religiösen Aufmerksamkeit und rituellen Fürsorge, kraft Pietas also, die Dienst- und Opferbereitschaft, die sie den auf ländliche Kultstätten und saisonale Festzeiten pochenden polytheistischen Mächten, den über die territorialherrschaftlich-fronwirtschaftliche Sphäre agrarischer Reichtumsproduktion wachenden Göttern schulden, auf jene minimalisierten Zuwendungsgesten, jene zur Formalie, zum Ritual im verhaltenstechnischen Sinn neutralisierten Opferhandlungen, die Sache des das Amt eines Spezialisten für theokratische Angelegenheiten versehenden Rex sacrorum sind.

Indem die Aristokratie ihren Übergang ins neue Milieu der dem Opferzusammenhang territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlicher Reichtumsproduktion entzogenen Handelsstadt mit einem Rückgriff auf die religiöse Praxis ihrer genokratischen Vergangenheit, sprich, mit einer Reaffirmation beziehungsweise Wiederaufnahme des alten, nicht sowohl territorial als vielmehr familial bestimmten und nicht sowohl fronwirtschaftlich fundierten als vielmehr von der Sippengemeinschaft getragenen Totenkults verknüpft und indem sie nun diesen familial-genealogischen Totenkult zur religiösen Substanz partout nur ihres Lebens in der Stadt, zu einer nichts anderes als das städtische Dasein begründenden sakramentalen Konditionierung oder pragmatischen Sanktion erhebt, schafft sie es in der Tat, die Macht der territorialen Herren und originalen Eigner ihres fronwirtschaftlichen Reichtums zu brechen, den sakrifiziellen Anspruch der Götter auf die Früchte ihrer Landgüter und territorialen Besitzungen, auf ihre in die Stadt überführte Lebensgrundlage, entscheidend zu beschneiden und, wie sie, die Götter, mit den formalisierten Darbringungen des Rex sacrorum und seines opferpriesterlichen Kollegiums abzuspeisen, so eine durch die Ahnen, die gemeinschaftlich haftenden Gesellschafter des städtischen Unternehmens, die Schutzpatrone der Stadt, sanktionierte innerstädtisch freie Verfügung über diesen ihren im kommerziellen Kontext, der das städtische Leben bestimmt, fremdbürtigen Reichtum, diese ihre in die Stadt verpflanzte und mit deren Austauschsystem von Haus aus unvermittelte Lebensgrundlage zu erlangen.

Dank Pietas, der Frömmigkeit und Observanz, die sie den als religiöse Substanz des Lebens in der Stadt firmierenden Ahnen schuldet, befreit die römische Aristokratie ihren auf territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlicher Basis geschaffenen Reichtum nicht weniger effektiv von der mit solcher Produktionsbasis von Haus aus verknüpften gottesdienstlichen Obödienz und opferkultlichen Verpflichtung, säkularisiert und profanisiert sie mit anderen Worten ihr Hab und Gut nicht weniger nachdrücklich, als dies der athenischen Aristokratie mittels Arete, der Rechtschaffenheit und Selbstbestimmtheit, gelingt, die der Bezug zu dem als das wahre Sein vor aller Erscheinung oder jenseits der Welt der Sterblichen und Götter perennierenden Wesen verleiht.


Beide Säkularisierungsprinzipien vindizieren der aristokratisch freien Verfügung über Reichtum Sozialverträglichkeit, die sich allerdings im griechischen Fall als ex negativo des Wesenskults durchgesetztes kritisches Korrektiv, im römischen Fall hingegen als aus den Bedingungen des Ahnenkults positiv folgendes Konstitutiv des Säkularisierungsprozesses darstellt.

Und nicht etwa nur in der Säkularisierungs- und Profanisierungsleistung selbst, die er im Blick auf die Lebensgrundlage der Aristokratie, ihren fronwirtschaftlich erzeugten Reichtum, erbringt, kann sich der gegen den territorialherrschaftlichen Opferkult als Antidot oder Neutralisierungsmittel aufgebotene römische Ahnenkult ohne weiteres mit dem zum gleichen Behuf ins Treffen geführten griechischen Wesenskult messen, auch was darüber hinaus die politisch opportune Bestimmung des solcherart säkularisierten Reichtums, die sozialverträgliche Verwendung des demnach profanisierten Herrenguts betrifft, legt der erstere eine Effektivität an den Tag, die der Wirksamkeit des letzteren in nichts nachsteht. Tatsächlich birgt ja die Emanzipation des territorialherrschaftlichen Reichtums von den sakralen Rücksichten und rituellen Auflagen der Opfer fordernden Götter, eben seine Säkularisierung und Profanisierung zum frei verfügbaren Hab und Gut der in die Handelsstadt desertierten Aristokratie, die offensichtliche Gefahr, dass der frei über seinen Reichtum verfügende Aristokrat einen der städtischen Gemeinschaft abträglichen, ihr politisch-ökonomisches Treiben durchkreuzenden und ihren sozialen Zusammenhalt störenden Gebrauch von letzterem macht.

Die Gefahr ist mit anderen Worten groß, dass die Aristokraten, ausgestattet mit dem Güterstrom, der ihnen von ihren fronwirtschaftlich betriebenen territorialen Besitzungen kontinuierlich zufließt und von dem sie nunmehr nach Gutdünken Gebrauch machen können, ihrem politischen Karrierestreben und sozialen Ehrgeiz freien Lauf lassen und die Stadt als ohne Rücksicht auf das Interesse der Gemeinschaft und das öffentliche Wohl zu nutzende Plattform und Spielwiese für die Befriedigung privater Machtgelüste und persönlicher Geltungsbedürfnisse missverstehen. Um dieser Gefahr zu wehren und für eine politisch opportune Gestaltung der Säkularisierung des herrschaftlichen Reichtums beziehungsweise eine sozialverträgliche Einbettung seiner Profanisierung zu sorgen, bedienen sich die beiden Gesellschaften neuen, handelsstädtischen Typs, die griechische und die römische, unbeschadet der tiefen inhaltlichen Differenz, die ihre jeweiligen, die Säkularisierung und Profanisierung begründenden Prinzipien und Motive trennt, eines seiner Form nach ohne weiteres vergleichbaren Disziplinierungsinstruments oder Korrektivs.

Beide machen sie sich zunutze, dass ihr jeweiliges Säkularisierungsprinzip und Profanisierungsmotiv in einem konstitutionellen Widerspruch und intentionalen Konflikt zum erklärten Zweck der Veranstaltung steht und nämlich eben die Säkularisierung und Profanisierung herrschaftlichen Reichtums, der es Vorschub leisten soll, gleichzeitig zu hintertreiben und ad absurdum zu führen disponiert ist. Bei der von den Griechen als Säkularisierungsprinzip geltend gemachten Wendung zum Wesen, zum zeitlos vergangenen Sein vor aller durch es als substanzloser Schein dekuvrierten Erscheinungswelt, stellt sich dieser Widerspruch so dar, dass solcher Bezug zum Wesen zwar in der Tat die göttlichen Herren und sakralen Eigner des gesellschaftlichen Reichtums entzaubert und ihren kultischen Anspruch auf den letzteren entkräftet, dies aber nur um den Preis vollbringt, dass der so seiner hypothekarisch-herrschaftlichen Bindungen entkleidete und seiner opferkultlichen Präokkupation entrissene Reichtum selbst jede Wirklichkeit und allen Wert einbüßt und sich als eine im Vergleich zum Wesen toto coelo irrealisierte Erscheinung, eine im Verhältnis zu jenem Sein, das zeitlos vergangen ist, zu nichts disqualifizierte Phantasmagorie entlarvt. Das heißt, der Bezug zum Wesen entgöttlicht zwar die irdischen Dinge im allgemeinen und die der territorialherrschaftlichen Sphäre entspringenden irdischen Güter im besonderen und verleiht von daher demjenigen, in dessen Hand sie sich befinden, freie Verfügung über sie, aber zugleich erweist er auch diese weltlichen Dinge und irdischen Güter als unwesentlich und scheinhaft, entwirklicht und entwertet sie und verlangt insofern von demjenigen, dessen freier Verfügung er sie überantwortet, dass er sich um seiner Verwesentlichung, seiner Teilhabe am scheinüberhobenen Sein willen von ihnen abwendet und sie als bedeutungsloses Beiwerk, nichtssagenden Zierrat fahren lässt.

Diesen Widerspruch zwischen der dispositionell freien Verfügung über die Welt, die das Wesensprinzip einerseits verleiht, und der intentional absoluten Indifferenz gegenüber der Welt, zu der es andererseits verpflichtet, nutzt nun also die handelsstädtische Gemeinschaft, um den an ihm krankenden Eignern herrschaftlichen Reichtums, den Aristokraten, die Daumenschrauben anzulegen oder vielmehr die als Lorbeerkranz kaschierte disziplinierende Schlinge um den Hals zu legen und sie zu einer sozialverträglichen beziehungsweise gemeinwohldienlichen Verwendung ihres kraft Wesensbezugs säkularisierten Reichtums anzuhalten. Wenn die aristokratischen Reichen auf den Kult ums Wesen rekurrieren, sich auf das Wesensverhältnis berufen, nur um sich frei und ungehindert durch göttliche Prärogative und opferkultliche Verpflichtungen einer ihrem neuen, städtischen Milieu angepassten weltlichen Geschäftigkeit hingeben zu können, die doch durch das Wesensverhältnis eigentlich diskreditiert und als ebenso scheinhaft wie hohl entlarvt ist, dann zeigt sich die bürgerliche Gemeinschaft bereit, über den Widerspruch zwischen Verhaltensprinzip und tatsächlichem Verhalten hinwegzusehen und den Betroffenen, ihrem wesenswidrigen Verhalten zum Trotz, den beanspruchten Wesensbezug zu attestieren, vorausgesetzt, sie stellen wenigstens indirekt oder auf dem Indizienweg, nämlich durch als Liturgie definiertes Wirken für das Gemeinwesen, durch gemeinwohldienlich-opferbereiten Umgang mit ihrem Reichtum, und durch die darin implizierte persönliche Indifferenz und innere Distanz zu den weltlichen Dingen, den Erscheinungen, Wesenhaftigkeit, ein vom Bewusstsein des wahren Seins hinter oder vielmehr vor aller Erscheinung erfülltes Selbst unter Beweis.

Indem sich die bürgerliche Gemeinschaft dazu hergibt, durch ihre Anerkennung des innerstädtischen Tuns und Treibens der Aristokratie den Widerspruch zwischen dem absolut negativen Prinzip, auf das sich die letztere zwecks säkularisierender Befreiung ihres Reichtums von der Vormundschaft der Götter und ihrer Opfermacht beruft, und der solcher prinzipiellen Negativität ungeachtet engagierten Beziehung, die sie zum Säkularisierten unterhält, beziehungsweise affirmativen Verwendung, die sie dafür hat, zu überspielen und auszublenden, und nun aber diese ihre das städtische Tun und Treiben der Aristokratie sanktionierende Anerkennung an die als Ausweis der attestierten Widerspruchslosigkeit wohlverstandene Bedingung knüpft, dass die Aristokratie einen liturgisch-gemeinwohldienlichen Gebrauch von ihrem Reichtum macht, gelingt es in der Tat, das aristokratische Interesse an freier Verfügung über den ins städtische Gemeinwesen gebrachten herrschaftlichen Reichtum und den Anspruch der städtischen Gemeinde auf eine sozialverträgliche Gestaltung solcher Verfügung miteinander in Einklang zu bringen.

Ganz anders als in der griechischen Polis sieht in Rom der prinzipielle Widerspruch aus, der dazu dient, die sozialverträgliche Verwendung des von der Aristokratie in die Stadt gebrachten territorialherrschaftlichen Reichtums sicherzustellen. Das Prinzip, das den römischen Adelsgeschlechtern die Befreiung von den mit ihrem Reichtum verknüpften göttlichen Prärogativen und opferkultlichen Verpflichtungen verschafft, ist ja nicht das die athenische Aristokratie emanzipierende Wesen, eine transzendente Wahrheit, die in dem Maße, wie sie die irdische Sphäre als bloße Welt der Erscheinungen, als vor dem eigenen zeitlos vergangenen Sein zur substanzlosen Präsenz oder phantasmagorischen Verirrung verflüchtigten Schein entlarvt, auch und natürlich die göttlichen Herren und kultischen Eigner der irdischen Sphäre entsubstanzialisiert und gegenstandslos werden, sprich, ihrer Wirklichkeit und Wirksamkeit verlustig gehen lässt. Vielmehr ist das die römischen Geschlechter von der Herrschaft der Götter emanzipierende Prinzip die Macht der Ahnen, ein quasigöttliches Gegenprinzip, das an sich ebenso wenig an der Wahrheit und Wirklichkeit der irdischen Sphäre und des ihr entspringenden fronwirtschaftlichen Reichtums rüttelt, wie es den diese irdische Sphäre und ihre fronwirtschaftliche Ordnung sanktionierenden religiösen Rahmen eigentlich durchbricht, und das seine Emanzipationsleistung unmittelbar darauf beschränkt, die eine religiöse Instanz durch die andere, die olympischen Götter durch die chthonischen Toten zu ersetzen und den Eigentumstitel auf den fronwirtschaftlichen Reichtum, den Anspruch auf den Ertrag der ideologisch in Stammesgebiet umdefinierten territorialherrschaftlichen Besitzungen der aristokratischen Geschlechter von den einen auf die anderen rückzuübertragen.

Das Problem, mit dem ihr Emanzipationsprinzip die römische Aristokratie konfrontiert, der Widerspruch, in den es sie verwickelt, besteht deshalb auch nicht wie bei der Befreiung durchs Wesen darin, dass es eine Säkularisierung ermöglicht, die es gleichzeitig vereitelt, indem es die säkularisierte Objektivität um alles von den empirischen Subjekten, denen sie erscheint, unabhängige Sein und um jeglichen, nicht schon vom Wollen und Begehren dieser Subjekte gesetzten Sinn bringt, sondern dass es die Säkularisierung gar nicht erst ermöglicht, sie von vornherein durchkreuzt, weil es jene Objektivität unmittelbar nur aus der tempelrechtlich-sakralen Hoheitssphäre der Götter in den hausmächtig-familialen Zuständigkeitsbereich der Ahnen überführt und in der Tat nichts weiter vollbringt, als die opferkultliche Darbringung von Reichtum, die den Göttern gezollte Huldigung, in totenkultlichen Reichtumstransfer, eine den Ahnen geschuldete Devotion zu verkehren, den sakralen Tempeldienst, das Symbolum des zum Olymp aufsteigenden Opferrauchs, in den fanalen Grabkult, die Katabole des unter die Erde geschafften Güterstroms umschlagen zu lassen.

Soll eine Säkularisierung des territorialherrschaftlich-aristokratischen Reichtums, eine Profanisierung des mit ihm kultivierten Umgangs tatsächlich statthaben und soll die mittels totenkultlich-genealogischem Prinzip bewirkte Befreiung des Reichtums von allen opferkultlich-theokratischen Verbindlichkeiten nicht in eine unter anderen Vorzeichen und mit anderem Adressaten perfekte Wiederherstellung des Verhältnisses religiöser Botmäßigkeit und Verpflichtung einmünden, so muss die katabolische Tendenz gebrochen, der von den Ahnen ausgehende Zwang zu totenkultlichen Transferleistungen konterkariert werden. Eben dies vollbringt das als irdischer Wohnsitz, als diesseitige Kultstätte der Ahnen zur Geltung gebrachte städtische Gemeinwesen.

Indem sich die aristokratischen Geschlechter die Tatsache zunutze machen, dass der als Mittel der Dispensation von den theokratisch-opferkultlichen Verpflichtungen, die ihnen ihre territorialen Besitzungen auferlegen, und der Legitimation ihrer städtisch-freien Existenz ins Feld geführte Ahnenkult die conditio sine qua non seiner Wiederaufnahme ebenso wie das fundamentum in re seiner Entfaltung in dem aus dem territorialherrschaftlichen Kontext herausgesprengten und in dessen fronwirtschaftlichem Kontinuum ebenso diskret firmierenden wie medial agierenden handelsstädtischen Unternehmen findet und dass also, wie sie ihre vom gottesdienstlichen Opferkult befreite Existenz den Ahnen schulden, so wiederum diese ihre gegenüber dem Götterkult sich behauptende sakrale Eigenständigkeit und kultische Präsenz der kommerziellen Gründung danken – indem sie sich dies also zunutze machen, erklären die aristokratischen Geschlechter die Sorge um das als Heimstatt und Hochburg der Ahnen, als oberirdische Residenz und Repräsentanz der Unterirdischen wohlverstandene handelsstädtische Gemeinwesen zum primären Anliegen und Hauptgeschäft ihrer ahnenkultlichen Praxis. Weil der unter fronwirtschaftlich-territorialherrschaftlichen Bedingungen und in einem theokratisch-opferkultlichen Kontext unverändert zelebrierte beziehungsweise neu zur Geltung gebrachte Ahnenkult der römischen Geschlechter nur überhaupt im Freiraum der von den Geschlechtern protegierten kommerziellen Gründung und auf der Basis der ersteren von letzterer verschafften ökonomischen Selbständigkeit und politischen Unabhängigkeit lebensfähig ist und gedeihen kann, muss das primäre Interessen der Ahnen selbst der materiellen Stärkung und dem institutionellen Ausbau eben dieser als diesseitiger Kultort oder irdischer Brückenkopf für sie lebenswichtigen kommerziellen Gründung gelten und muss, rebus sic stantibus, dieses Interesse Vorrang sogar noch vor der Dotierung und Ausstattung des qua Totenreich den Ahnen eigenen Domizils genießen.

Damit aber wird in der Tat dem aufs unterirdische Jenseits gerichteten Reichtumstransfer ein Riegel vorgeschoben und letzterem eine diesseitige Wendung gegeben, der Reichtum in die irdische Sphäre umgelenkt. An die Stelle der von den Ahnen im Rahmen ihres Kultes an sich geforderten katabolischen Leistungen, der Grabmäler, Beisetzungsgaben und Totenopfer, tritt mit dem Willen der Ahnen selbst auf unabsehbare Zeit ein anabolisches Tun, die Hege und Pflege des als Bedingung der Möglichkeit der Sorge um die Toten, als Kultort der Ahnen unabdingbaren handelsstädtischen Gemeinwesens, die Finanzierung und Förderung seiner Bauten, seiner Rüstungen, seines geselligen Treibens und daraus erwachsenden Gemeinschaftsgefühls.

Nichts anderes als diese im Namen des Zieles selbst vollzogene diametrale Richtungsänderung, diese vom Interesse am Totenkult und seiner Erhaltung diktierte Konzentration auf und Verantwortung für die Gemeinschaft der Lebenden und ihr Wohlergehen beschreibt das Konzept der Pietas, die für die römische Aristokratie wie auch für die breitere Nobilitätsschicht, in die letztere übergeht, maßgebende Einstellung oder Verhaltensmaxime: Eine dem Jenseits geltende, dem Gedenken der Toten und ihrer Versorgung, ihrer Anbindung ans Leben geweihte Haltung wird ohne intentionale Verletzung ihrer sakralen Bedeutung, ohne formale Beeinträchtigung ihres religiösen Gehalts in ein materialiter vom Denken ans Diesseits erfülltes, realiter dem Dienst an den Lebenden und der Sorge um sie gewidmetes, kurz, Säkularisierung betreibendes, Profanisierung ins Werk setzendes Verhalten umfunktioniert.

Anders als in der athenischen Polis, wo die für eine gemeinnützige Verwendung des territorialherrschaftlichen Reichtums erforderliche sozialverträgliche Haltung der über den Reichtum verfügenden Aristokratie von der nichtaristokratischen Bürgerschaft abgenötigt und nämlich aus der die freie Verfügung gewährenden Säkularisierung, der die Aristokratie ihren Reichtum unterzieht, indirekt abgeleitet, mit List und Tücke extrapoliert werden muss, erweist sich demnach in der römischen Urbs diese sozialverträgliche Haltung als direkte Konsequenz, integrierendes Moment des Säkularisierungsvorganges selbst und deshalb denn auch als eine Attitüde, die die um der freien Verfügung über ihren Reichtum willen auf dessen Säkularisierung dringende Aristokratie von sich aus hervorkehrt, in eigener Regie ausbildet. Genauer gesagt, erweist sich im Falle Roms die sozialverträgliche Haltung nicht bloß als direkte Konsequenz, sondern vielmehr als veritables Konstitutiv, nicht nur als integrierendes Moment, sondern geradezu als conditio sine qua non der Säkularisierung des aristokratischen Reichtums. Als Ausdruck von Pietas, von auf das städtische Gemeinwesen als Sitz der Ahnen, als deren irdische Hochburg und diesseitige Kultstätte gemünzter Opferbereitschaft ist sie es ja schließlich, die allein es ermöglicht, den Reichtum irdischen Zwecken, diesseitigem Gebrauch zuzuführen, kurz, ihn lebensweltlich zu säkularisieren, statt ihn einer unterirdischen Bestimmung, einer jenseitigen Katabole zu überantworten, kurz, ihn totenkultlich zu sakrifizieren.

Begründet liegt dieser wesentliche Unterschied, der die Sozialverträglichkeit im einen Fall als bloßes Korrektiv des Säkularisierungsvorganges, im anderen Fall hingegen als dessen veritables Konstitutiv ausweist, in der Beschaffenheit des jeweiligen Säkularisierungsprinzips selbst. Der von der griechischen Aristokratie herangezogene Wesenskult ermöglicht die Befreiung des territorialherrschaftlich-fronwirtschaftlichen Reichtums von den ihm traditionell anhaftenden gottesdienstlich-opferkultlichen Bindungen und Verpflichtungen, sprich, seine Säkularisierung, kraft einer entmythologisierenden Irrealisierung und Disqualifizierung der theokratisch verfassten Welt. Indem er aufs Wesen als auf das wahre Sein und die bleibende Wirklichkeit jenseits der irdischen Sphäre und diesseitigen Welt rekurriert, erklärt dieser Kult die irdische Sphäre zu einem vor dem wahren Sein vergehenden Schein, entlarvt er die diesseitige Welt als ein vor der jenseitigen Wirklichkeit sich verlierendes Phantasma, und spricht damit zugleich ein vernichtendes Urteil über die als Herrn und Eigner der irdischen Sphäre und diesseitigen Welt firmierenden Götter. Und indem er so denn aber die traditionellen Herrn und rituellen Eigner der Welt in deren Konkurs hineinzieht, entzieht er ihnen die Existenzgrundlage, verschlägt ihnen die Seinsberechtigung; von der Präsenz der als Schein entlarvten Götter und ihrer Vormundschaft befreit, behält der auf seinen Bezug zum Wesen sich berufende, auf sein wesenserfülltes Selbst pochende Aristokrat die Konkursmasse, die Erscheinungswelt oder Sphäre von Abbildern diesseits des wahren Seins oder der originalen Wirklichkeit, zurück und gewinnt über sie als über eine nach Maßgabe der traditionellen Macht- und habituellen Nutzungsverhältnisse ihm persönlich anheim gegebene Despotie oder ihm als Privateigentum überlassene Domäne uneingeschränkt freie Verfügung.

Sub specie des Wesens ist die Welt ein- für allemal entgöttlicht und desakralisiert, der Ausfallschritt heraus aus den theokratischen Bindungen und opferkultlichen Verpflichtungen unwiderruflich getan! So gewiss der Bezug zum Wesen die irdische Sphäre und diesseitige Welt als substanzlosen Schein und phantasmagorisches Gebilde enthüllt, so gewiss verschlägt sie den Göttern nicht nur die Basis ihrer Macht und Objektivität ihrer Herrlichkeit, sondern damit in der Tat auch ihr darauf fußendes herrschaftliches Sein und ihre darin ruhende eignerschaftliche Wirklichkeit und überlässt es dem, der den Bezug zum Wesen reklamiert, über die Welt vergänglicher Erscheinungen und Sphäre wesenloser Einbildungen, die aus dem Konkurs der Götter zurück bleibt, nach Gutdünken zu disponieren beziehungsweise von ihr nach Maßgabe seines durch Macht und Herkommen gewährleisteten Zugriffs auf sie Gebrauch zu machen.

Will die städtische Gemeinschaft Einfluss auf die mittels Wesenskult erwirkte freihändige Verfügung der Aristokratie über ihren territorialherrschaftlichen Reichtum nehmen, will sie verhindern, dass dieser kraft Wesensbezuges säkularisierte Reichtum zum in die Stadt eingeschleusten ökonomischen Konflikt- und sozialen Sprengstoff wird, und deshalb den selbstherrlichen Gebrauch, den die Aristokratie von ihm macht, in sozialverträgliche Bahnen lenken, ihm die Konfliktträchtigkeit egoistischer Absichten austreiben und statt dessen die Gemeinnützigkeit öffentlicher Wohltaten vindizieren, so kann sie das nicht etwa dadurch erreichen, dass sie die durch den Wesensbezug erwirkte Säkularisierung in genere oder ihrer systematisch-theoretischen Geltung nach in Frage stellt, sondern höchstens und nur dadurch, dass sie den die Säkularisierung erwirkenden Wesensbezug in specie oder unter dem Gesichtspunkt seiner empirisch-praktischen Gegebenheit in Zweifel zieht. Das Verum oder das Was der aus dem Wesensbezug resultierenden Säkularisierung, sprich, Entwirklichung und Entwertung der theokratisch verfassten Welt und ihrer maßgebend sakralen Mächte, steht außer Frage und ist durch die spekulative Kraft des Wesensprinzips absolut verbürgt; zweifeln lässt sich höchstens und nur am Faktum oder Dass des Wesensbezuges, den die Aristokratie in Anspruch nimmt, das heißt daran, dass letztere tatsächlich des Wesens, das ihr die Säkularisierung, die Befreiung von Göttermacht und Opferkult bringt, mächtig ist.

Und indem die städtische Gemeinschaft dies nun aber tut, indem sie unter Berufung auf den Widerspruch zwischen der zur Weltflucht inspirierenden Indifferenz, zu der das Wesensprinzip von sich aus anhält, und dem zur Weltsucht animierenden Egoismus, den die Aristokratie mittels Wesensprinzip zu befriedigen strebt, Zweifel an der faktischen Wesensmächtigkeit des Aristokraten, an der Wirklichkeit seines wesenserfüllt höheren Selbstseins anmeldet, um ihm dann aber die gemeinnützige, liturgische Verwendung seines in die Stadt mitgebrachten territorialherrschaftlichen Reichtums als von ihr, der städtischen Gemeinschaft, gelten gelassenes empirisches Beweismittel und handgreifliches Zeugnis für die Gegebenheit solchen wesenserfüllt höheren Selbstseins anzutragen, gelingt ihr in der Tat, den egoistischen Impetus persönlich freier Verfügung, den der Aristokrat mit seinem kraft Wesensprinzip säkularisierten Reichtum unmittelbar verknüpft, in ein sozialverträglich öffentliches, dem Gemeinwohl dienliches Verhalten umzumünzen.

Weil sich die egoistisch freie Verfügung über den territorialherrschaftlichen Reichtum nur unter der einschränkenden Bedingung einer ihr die Anerkennung der Gemeinschaft sichernden liturgischen Verwendung des Reichtums als legitimiert erweist und weil zudem aber jene qua Liturgie einschränkende Bedingung in Gestalt des öffentlichen Ruhms, den sie dem, der sich ihr unterwirft, verschafft, der egoistisch freien Verfügung einen ebenso eigenen wie sublimen Entfaltungsraum eröffnet, stellt sich in der Tat die Liturgie als ein probates Instrument zur Revision und Modifizierung des mit der wesenskultlich freien Verfügung über den territorialherrschaftlichen Reichtum losgelassenen aristokratischen Egoismus dar und bewährt sich also die von der Gemeinschaft geforderte sozialverträgliche Reichtumsverwendung als ein ebenso effektives wie nachträgliches Korrektiv für die ökonomisch riskante Entwicklung und die sozial brisanten Folgen, die die wesensbedingte Säkularisierung des Reichtums der Aristokratie für die Polis heraufbeschwört.


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